[412] 337. Gerettete Unschuld.

Grammaye Ipretum, in antiquitatibus Flandriae. p. 182.


Der Koch der Gräfin Adela von Flandern (Gemahlin Balduins des Fünften), welcher sehr an der Fallsucht litt, hatte sich einst im Walde zum Schlafe niedergelegt, und fand sich, als er wieder aufwachte, gesund und genesen. Darob neugierig, fragte er die Umwohner, wem der Ort geweiht sei, oder wessen Namen er trüge, und erfuhr, daß dort Maria die Keuschheit dreier Jungfrauen wunderbarerweise bewahrt habe, wie es denn auch die folgende Geschichte lehrt.

Vor Zeiten lebten in Warwick zwei fromme Eheleute, Hezo und Ida, die hatten keinen Reichthum noch andere irdische Güter, doch dagegen drei schöne Töchter, Helwigis, Jutta und Giselindis. Als diese eines Tages, wie sie immer zu thun pflegten, das Vieh in den Wald auf die Weide trieben, begegneten ihnen drei Förster, wie sie, schön von Gestalt, doch nicht eines gleich schönen Herzens. Kaum hatten diese die Jungfrauen gesehen, als sie dieselben bereden wollten, ihnen ihre Gunst zu schenken und zu Willen zu sein; doch die Mädchen verabscheuten ein solch unzüchtig Begehren und wiesen die Jünglinge also ernstlich zurück, daß diese in Wuth geriethen und schwuren, sie zu tödten, wenn sie sich ihnen[412] nicht ergeben wollten. Wohl hätten die frommen Mädchen eher den Tod gewünscht, als den Verlust ihrer Ehre, doch suchten sie vorher noch ihre Gegner durch Bitten und Thränen zu bewegen, von dem sündlichen Vorhaben abzustehen. Diese aber bestanden darauf, so daß den schwachen Jungfrauen nichts anderes übrig blieb, als den Himmel um Hülfe und Rettung aus ihrer Noth zu flehen, auf welche fest vertrauend, sie die Förster baten, ihnen vor der Stillung der fleischlichen Lust noch eine kleine Weile zum Gebete zu gönnen. Da wandten sich nun die hart Bedrängten in heißem Flehen an Maria, auf deren Gnade und Beistand ihre letzte Hoffnung ruhte, und siehe, sie hatten nicht vergebens gehofft, denn alsbald öffnete sich sänftlich die Erde und die drei Jungfrauen fanden in ihrem Schooße ein stilles Grab.

Die Förster, starrend ob des Wunders, gingen zur Stelle in sich und wandten sich reuig auf den Weg des Heiles. Sie tauschten ihr weltlich Kleid mit dem Ordensgewande und starben eines frommen Todes.

Die Gräfin Adela ließ, als sie die Kunde von diesem Wunder vernahm, nach den Körpern der also wunderbar Geretteten graben, und man fand sie noch in derselben Stellung, in welcher sie in der Erde verschwunden waren, worauf sie in einen köstlichen Sarg gelegt und in einer zur Ehre der hülfreichen Jungfrau geweihten Kirche feierlich beigesetzt wurden.

Am Hackendoverer Thore in Thienen ist eine Kapelle (sacellum leprosorum), in welcher auch drei Jungfrauen begraben sein sollen.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 412-413.
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