349. Dieupart.

[424] Bovy, Promenades historiques dans le pays de Liège. II, p. 95.


An dem linken Ufer der Ambleve liegen auf einem hohen Berge die Trümmer des Schlosses Montjardin. In dem Schlosse wohnte vor vielen hundert Jahren ein mächtiger Ritter, der aber dabei eines gar unzüchtigen Charakters war und seine Begierden nicht zu bezwingen wußte. Dieser hatte einmal in einem benachbarten Kloster eine schöne Jungfrau geschaut, die Amalberge hieß, und sich von dem Augenblicke auch zugeschworen, in ihren Besitz zu kommen.

Er zog also mit einigen Knechten zu dem Kloster hin, erstürmte das Thor, riß die Jungfrau heraus aus den heiligen Mauern und führte sie auf sein Schloß. Aber alle Bitten um ihre Liebe blieben unerhört, darum wollte er mit Gewalt nehmen, was ihm freiwillig nicht werden konnte. Amalberge sah voraus, daß sie dem Angriffe ihres Räubers erliegen würde, und sandte, da sie anders keine Rettung aus seinen Händen wußte, ein glühend Gebet an Maria, zog dann ein kleines Bild der Muttergottes aus dem Busen und hielt dieß dem[424] Ritter entgegen. Dieser stutzte einen Augenblick, zog aber gleich darauf sein Schwert und schlug auf das Bild; doch kaum war der Schlag geschehen, als das Schloß mit schrecklichem Getümmel zusammenstürzte und Räuber und Geraubte unter seinen gewaltigen Massen begrub.

Hundert Jahre nachher fanden zwei Hirten, welche in den Trümmern umhersuchten, das Bild Mariens. Jeder wollte es haben; da sie sich nicht einigen konnten, wählten sie den Pfarrer als Schiedsrichter. Der aber sagte ihnen, das Bild sei keines von ihnen, sondern Gottestheil (Dieupart), und die Hirten überließen es ihm. Bald nachher baute der fromme Geistliche an dem Orte, wo sie ihm das Bild gebracht hatten, eine Kapelle aus den Trümmern des Schlosses, und diese behielt den Namen Gottestheil und ist jetzt die Pfarrkirche des gleichnamigen Dorfes, welches sich langsam um sie bildete.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 424-425.
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