Liebesbeweis

[243] Ein Bettler hatte eine sehr schöne Tochter, die ihn begleitete und ihm viele Almosen einbrachte. In sie verliebte sich ein Prinz mit so großer Leidenschaft, daß er sich entschloß, ihren Vater um ihre Hand zu bitten. Der Bettler brachte nach bestem Verstande Entschuldigungen hervor, doch allen Einwänden hielt der Prinz die Beteuerungen seiner Aufrichtigkeit und Standhaftigkeit entgegen. Ein Argument stand noch aus, das sich der Bettler bis zum Schluß aufbewahrt hatte:[243] »Der Standesunterschied wird diese Heirat zu einem Unglück werden lassen, denn Ihr, Prinz, seid von Adel, und Eure Frau würde doch nur die Tochter eines Bettlers sein.« »Was für einen Beweis verlangt Ihr dann von mir, damit ich die Hand Eurer Tochter bekomme?« »Einen sehr einfachen Beweis. Zieht Bettlerlumpen an und geht ein halbes Jahr lang betteln. Danach könnt Ihr das Mädchen heiraten.« Der Prinz ging auf diese Bedingung ein. Er zog die Lumpen an und nahm den Bettelsack auf die Schulter, legte sich sein Bettelgejammer zurecht und zog fort. Als ein Vierteljahr vergangen war, sagte der Bettler, der die Liebe des Prinzen zu seiner Tochter bereits für ausreichend unter Beweis gestellt hielt, zu dem Freier: »Jetzt gebe ich mein Einverständnis. Ihr könnt heiraten.« Der Prinz erwiderte jedoch: »Mein Freund, ich laß den Bettelsack nicht mehr los. Besser noch als das Mädchen ist dieses unterhaltsame Leben, von Tür zu Tür und durch die Welt zu ziehen.« Dies ist das unabhängigste Leben, das es gibt, und deshalb heißt es im Sprichwort:


Christus bat

aber diente nicht.

Quelle:
Braga, T.: Contos tradicionaes do povo portuguez. [I:] Contos de fadas - Cassos e facecia - Notas comparativas. 2. Auflage, Lisboa 1914, S. 243-244.
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