Die Hexenfahrt.

[59] Ein Mädchen diente als Magd bei einem Bauern zu Fanas und bemerkte, daß ihre Meisterin am Abende oft von Hause sich entfernte, und zwar auf eine unerklärliche Weise aus der Küche verschwindend. Einmal verbarg sich die Magd im Kellergange und beobachtete, wie die Hausfrau leise in die Küche schlich, aus einem[59] »Schgäfflein« eine kleine Büchse hervorholte und diese letztere öffnete, wie sie dann eine rothe Salbe aus dem Büchslein nahm, davon an den Besenstiel strich, das Büchslein wieder schloß und schnell an Ort und Stelle legte, sich hurtig auf den Besenstiel setzte und mit den Worten: »Zum Chämi us und niena-n-â« durchs Kamin zum Dache hinausflog. Die Magd wartete und wartete, bis am Morgen vor Tag die Frau den gleichen Weg durchs Kamin herab wohlbehalten wieder anlangte, den Besen in den Winkel stellte und in ihre Kammer ging. – »Wenn dô nit öppis derhinder steckt, so weiß i nüt meh, das mueß i erdüüsla,« dachte die Magd und begab sich nun auch zur Ruhe. – In einer Nacht, wo die Frau unwohl war und die Magd freie Hand hatte, holte auch sie das Büchslein hervor, öffnete es, nahm von der Salbe und machte Alles akurat so, wie die Meisterin es gethan, außer daß sie rief: »Zum Chämi us und überall â,« und so geschah es denn auch; sie flog zwar auch durch den Kamin, aber überall an, so daß sie die Wände desselben überall rein fegte. Der Besen führte sie auf den Hexentanz auf Sträla. Gegen Tagesanbruch stob dann Alles wieder auseinander, und auch sie ritt wieder heim durchs Kamin herab, aber »überall â.« – Eine gute Zeit war sie dann unwohl und gestand der Meisterin ihre Neugierde. Diese befragte sie weiters, worauf die Magd erzählte, wie es sonst so schön gewesen sei auf Sträla, nur das Kaminfliegen habe ihr nicht gut gethan. – Von nun an theilten sich Frau und Magd schwesterlich in den Gebrauch der Salbe im Büchslein.

Quelle:
Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874, Chur 1876, Chur 1878 (Nachdruck Zürich: Olms, 1986), S. 59-60.
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