Wie die Sennen das »süß käsen« lernten.

[21] Vor alten Zeiten sollen die Sennen kein Verständniß von der Zubereitung des »süßen« Käses gehabt haben; ihnen fehlte das Mittel dazu, die Milch zum Gerinnen zu bringen, ohne sie sauer werden zu lassen, denn damals ließ man die Milch stehen, bis sie ganz dick war; dabei kam aber nur saurer Käse zu Stande, der bekanntlich nicht besonders schmeckt. Die wilden Mannli oder auch Fänggen genannt, verstanden aber die Kunst des »Süßkäsens«, und[21] von einem derselben hat einer unserer Vorfahren es gelernt. Nämlich im Mayensäße von Schuders lebte einmal ein wildes Fänggenmannli mit dem Sennen auf vertrautem Fuße und empfing von demselben gar mancherlei Geschenke und Gaben. Eines Abends sagte der Senne, er müsse morgen mit Butter zu den Seinigen ins Dorf hinunter gehen und bat das Mannli für ihn zu »käsen«. Der Fängge nahm den Vorschlag an, denn er wollte ihm nun einmal eine Probe seiner Naturwissenschaft zeigen. – Der Senne ging ins Dorf, und das Mannli käsete. Wie erstaunte aber der Senne, als er am Abend zurückgekehrt war und den vom Fänggen gefertigten Käse kostete und dieser so süß schmeckte, wie die frische Butter. Lange suchte er das Fängenmannli zu bewegen, ihm zu sagen, wie man »süß käsen« könne, aber unser Bergmännlein war nicht zu überreden. Da griff der Senne zur List. Mehrere Wochen nachher sagte er eines Morgens mit strahlender Miene, als der Fängge in die Hütte trat: »Jetz chan i denn au süeß chäsa.« Darauf ereiferte der wilde Kleine: »Häst süeßa Chäs gmacht, so häst au Mâga g'ha.« Keine Miene verrieth den Sennen, daß er jetzt nun auch um das Geheimniß wisse, das der Fängge ihm immer vorenthalten hatte, probirte mit dem »Gizimagen«; der Versuch gelang, und er war fortan im Stande, den besten süßen Käs zu machen. Das Fänggenmannli, als es sich so überlistet sah, gab die Freundschaft mit dem Sennen auf und wollte mit ihm weiters nicht mehr zu verkehren haben.

Quelle:
Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874, Chur 1876, Chur 1878 (Nachdruck Zürich: Olms, 1986), S. 21-22.
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