[127] In einem Dörfchen lebten einmal zwei Bauern, zwei leibliche Brüder; der eine war arm, der andre reich. Der Reiche übersiedelte in die Stadt, baute sich ein großes Haus und wurde Kaufmann. Der Arme hatte manchmal keinen Bissen Brot und seine Kinder, eines kleiner als das andere, weinten und baten um etwas zu essen. Vom Morgen bis zum Abend quälte sich der Bauer ab, wie der Fisch auf dem Eise, aber alles nützte nichts. Einmal sagte er zu seiner Frau:
»Ich gehe in die Stadt meinen Bruder bitten, daß er uns helfe.«
Er kam zum Reichen und bat:
»Ach, Bruder, hilf mir in meinem Elend, meine Frau und die Kinder sitzen zu Hause ohne Brot, sie hungern tagelang.«
»Arbeite diese Woche für mich, dann helfe ich dir.«
Was sollte der Arme tun? Er machte sich also an die Arbeit, kehrte den Hof, striegelte die Pferde, trug Wasser und hackte Holz. Als die Woche um war, gab ihm der Reiche einen Laib Brot.
»Da hast du den Lohn für deine Mühe!«
»Auch dafür danke ich dir«, sagte der Arme, verneigte sich und wollte nach Hause gehen.
[128] »Halt,« sagte da der Reiche, »komm mit deiner Frau morgen zu mir zu Gast. Morgen ist mein Namenstag!«
»Ach, Bruder, wie kann ich das? Du weißt ja, zu dir kommen Kaufleute in Stiefeln und Pelzen und ich trage Bastschuhe und ich gehe im alten grauen Röckchen.«
»Das macht nichts, komm nur. Für dich wird auch noch Platz sein.«
»Gut, Bruder, ich komme.«
Der Arme kam nach Hause, gab seinem Weibe den Laib Brot und sagte:
»Höre, Frau, für morgen sind du und ich zu Gast geladen.«
»Wer hat uns denn eingeladen?«
»Der Bruder, morgen ist sein Namenstag.«
»Nun gut, so gehen wir hin.«
Am nächsten Morgen standen sie auf und gingen in die Stadt. Sie kamen zum Reichen, begrüßten ihn und setzten sich auf die Bank. Bei Tische saßen schon viele angesehene Gäste; alle bewirtete der Hausherr großartig, nur an den armen Bruder und seine Frau vergaß er und gab ihnen nichts. Sie saßen nur da und sahen zu, wie die andern tranken und aßen. Als das Mahl vorüber war, kamen die Gäste hinter den Tischen hervor und dankten dem Hausherrn und der Hausfrau. Der Arme stand auch von der Bank auf und verneigte sich tief vor seinem Bruder. Die Gäste zogen nach Hause, betrunken und lustig, sie lärmten und sangen Lieder. Der Arme ging heim mit leerem Bauch.
[129] »Laß uns auch ein Lied singen!« sagte er zu seiner Frau.
»O du Dummkopf, die andern singen, weil sie gut gegessen und viel getrunken haben. Weshalb willst denn du noch singen?«
»Nun, ich war doch auch beim Bruder zum Namensfeste, ich schäme mich, so still zu gehen. Singe ich, so glauben alle, ich sei auch bewirtet worden.«
»So singe, wenn du willst, ich bin still.«
Der Bauer sang ein Lied und hörte zwei Stimmen; er hielt an und fragte seine Frau:
»Hilfst du mir mit einem dünnen Stimmchen singen?«
»Was fällt dir ein, ich denke gar nicht daran.«
»Also wer denn sonst?«
»Ich weiß nicht,« sagte das Weib, »sing, ich werde aufpassen.«
Er sang wieder, sang allein und man hörte doch zwei Stimmen. Er blieb stehen und fragte:
»Elend, hilfst du mir singen?«
Das Elend antwortete: »Ja, Herr, ich helfe dir!«
»Nun, Elend, gehen wir zusammen weiter!«
»Ja, Herr, ich bleibe jetzt immer bei dir!«
Der Bauer kam nach Hause, aber das Elend rief ihn ins Wirtshaus. Er antwortete:
»Ich habe kein Geld.«
»Ach, Bäuerlein! Wozu brauchst du Geld? Du hast da ja einen Halbpelz an! Wozu denn das? Es wird jetzt bald Sommer, dann trägst du ihn doch nicht. Gehen wir ins Wirtshaus und vertrinken wir ihn ...«
[130] Der Bauer und das Elend zogen ins Wirtshaus und vertranken den Halbpelz. Am nächsten Tage ächzte das Elend, der Kopf tat ihm weh vom Rausch und es lockte den Bauer wieder zum Weintrinken.
»Ich habe kein Geld.«
»Wozu brauchen wir denn Geld? Nimm Schlitten und Wagen – das ist auch genug für uns.«
Es war nichts zu machen, der Bauer entging dem Elend nicht, da nahm er Schlitten und Wagen, zog sie ins Wirtshaus und vertrank sie mit seinem Elend.
Am Morgen ächzte das Elend noch mehr wie früher und verlockte seinen Herrn zum Trinken; da vertrank der Bauer Egge und Pflug. Ein Monat war vergangen, da hatte er alles vertrunken, sogar seine Hütte hatte er dem Nachbar verpfändet und das Geld dafür ins Wirtshaus getragen. Das Elend setzte ihm wieder zu:
»Gehen wir ins Wirtshaus, gehen wir ins Wirtshaus!«
»Nein, Elend, ich habe gar nichts mehr!«
»Wieso? Dein Weib hat zwei Kittel, einen laß ihr, den andern muß man vertrinken.«
Der Bauer nahm den Sarafan, vertrank ihn und dachte:
»Jetzt bin ich ganz blank: kein Haus, kein Gewand, weder für mich noch für meine Frau.«
Am Morgen erwachte das Elend, sah, daß beim Bauer nichts mehr zu holen war und sagte: »Herr!«
»Was willst du, Elend?«
[131] »Geh zum Nachbar und leih dir ein Paar Ochsen und einen Wagen aus.«
Der Bauer kam zum Nachbar: »Geh, leih mir für eine kurze Zeit einen Wagen und ein Paar Ochsen, ich arbeite dir dafür eine Woche.«
»Wozu brauchst du sie?«
»Um Holz aus dem Walde zu holen!«
»Gut, nimm sie dir, aber lade keine zu große Last auf.«
»O, was denkst du denn, Väterchen«.
Der Bauer nahm die Ochsen, setzte sich mit dem Elend in den Wagen und fuhr ins Feld.
»Kennst du den großen Stein auf diesem Feld?« fragte das Elend.
»Natürlich.«
»Nun, dann fahre gerade auf ihn zu.«
Sie kamen zu dem Steine und stiegen aus.
Das Elend befahl dem Bauern, den Stein aufzuheben und half ihm bei der Arbeit. Unter dem Steine war eine Grube, die war mit Gold angefüllt.
»Nun, was schaust du?« sagte das Elend, »lade es schnell auf deinen Wagen.«
Der Bauer machte sich an die Arbeit und schaffte alles Gold bis auf den letzten Dukaten auf seinen Wagen, und als er merkte, daß nichts mehr zurückgeblieben war, sagte er:
»Elend, sieh, ist dort nicht noch etwas Geld?«
»Wo? Ich sehe nichts!«
»Dort in der Ecke glänzt etwas.«
»Nein, ich sehe nichts.«
»Steig in die Grube, dann wirst du es sehen.«
[132] Das Elend stieg in die Grube, und kaum war es darin, so wälzte der Bauer den Stein darüber.
»So wird es besser sein,« sagte der Bauer, »denn wenn ich dich wieder mitnehme, Elend, vertrinkst du mir wieder auch dieses Geld nach und nach.«
Der Bauer fuhr nach Hause und schüttete das Geld in den Keller. Die Ochsen brachte er dem Nachbar zurück. Dann begann er sich einzurichten. Er kaufte einen Wald, führte ein großes Gebäude auf und war zweimal so reich wie sein Bruder. Über kurz oder lang reiste er in die Stadt, um seinen Bruder und dessen Frau zu seinem Namenstage einzuladen.
»Ei, was fällt dir ein?« sagte der reiche Bruder, »du hast selbst nichts zu essen und feierst Feste?«
»Früher hatte ich nichts zu essen, aber jetzt habe ich nicht weniger wie du. Komm und du wirst es sehen!«
»Gut, ich werde kommen.«
Am nächsten Tage fuhr der Reiche mit seiner Frau zum Namensfeste, da sahen sie, daß der arme Hungerleider ein neues großes Haus hatte, das war schöner wie manches Kaufmannshaus. Der Bauer bewirtete sie reichlich mit allerlei Speise und Trank.
Da fragte der Reiche seinen Bruder:
»Sag mir doch, wie bist du so reich geworden?«
Der Bauer erzählte ihm die reine Wahrheit, wie sich das Elend an seine Fersen geheftet hatte, wie er mit seinem Elend ins Wirtshaus gezogen war, und er all sein Hab und Gut bis auf den letzten Faden vertrunken hatte, bis ihm nur die Seele im Leibe geblieben [133] war; wie ihn das Elend den Schatz im Felde finden ließ und er sich daraufhin von ihm befreit hätte. Der Reiche wurde neidisch und dachte: »Ich fahre ins Feld, hebe den Stein auf und lasse meines Bruders Elend heraus – das soll meinen Bruder ganz zugrunde richten, damit er nicht vor mir mit seinem Reichtum prahlen kann.«
Er ließ seine Frau zurück und fuhr ins Feld zu dem großen Steine. Er wälzte ihn zur Seite und beugte sich vor, um zu sehen, was unter dem Steine wäre. Er hatte kaum den Kopf vorgebeugt, da sprang das Elend heraus und saß ihm alsbald im Nacken.
»Ah,« schrie es, »du wolltest mich hier zugrunde gehen lassen. Nein, ich lasse durchaus nicht ab von dir.«
»Höre, Elend,« sagte der Kaufmann, »ich war es ja garnicht, der dich hier einsperrte ...«
»Wer denn sonst, wenn nicht du?«
»Mein Bruder, ich kam eigens, um dich herauszulassen.«
»Nein, du lügst, einmal betrogst du mich, aber ein zweitesmal gelingt es dir nicht.«
Fest saß dem reichen Kaufmann das Elend im Nacken. Der Kaufmann brachte es mit nach Hause, da ging die Wirtschaft drunter und drüber. Das Elend begann schon am Morgen den Kaufmann ins Wirtshaus zu locken, Tag um Tag. Viel Gut wurde vertrunken.
»Es ist unerträglich, so zu leben,« dachte der Kaufmann; »jetzt habe ich bald dem Elend genug [134] zu Gefallen getan. Es wäre Zeit, mich von ihm zu befreien, aber wie?«
Er dachte lange nach, bis er es herausbrachte. Er ging in seinen Hof, schnitzte zwei eichene Keile, nahm ein neues Rad und schlug den einen Keil fest von einer Seite in die Nabe. Da kam das Elend.
»Nun, Elend, bist du immer faul? Tust du nie etwas?«
»Was soll ich denn machen?«
»Komm in den Hof, Verstecken spielen!«
Das war dem Elend recht und zuerst versteckte sich der Kaufmann, aber das Elend fand ihn gleich. Nun kam die Reihe an das Elend.
»Mich findest du nicht so schnell, ich verstecke mich in irgend eine Ritze.«
»Was,« sagte der Kaufmann, »du kannst nicht einmal in dieses Rad kriechen, viel weniger in eine Ritze!«
»In das Rad könnte ich nicht hinein? Schau zu, wie ich mich verstecke!«
Das Elend kroch in das Rad, da nahm der Kaufmann den zweiten Keil, schlug ihn fest zur Nabe hinein und warf das Rad mit dem Elend in den Fluß.
Das Elend ertrank und der Kaufmann lebte wieder wie vorher.
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