53. Eine Geschichte aus der Römerzeit

[292] Vor alten Zeiten herrschte der Brauch, die bejahrten Leute zu erschlagen, weil man sie als unnütz ansah. Ein junger Mann vermochte es nicht, den eigenen Vater zu töten; weil er sich aber vor den andern fürchtete, verbarg er den Alten im Keller in einem leeren Faß, dort speiste und tränkte er ihn heimlich, so daß keine Seele etwas von dem Geheimnis erfuhr.

Nun aber erging mit einemmal an alle streitbaren Männer des Volkes der Aufruf, sich zu rüsten und zum Kampfe auszuziehen wider ein mächtiges Ungeheuer, das von seiner Höhle ringsumher Jammer und Elend verbreitete. Der fromme Sohn wußte nicht, wie er während seiner Abwesenheit für den eingekerkerten Vater sorgen sollte, damit derselbe nicht vor Durst und Hunger umkomme. Er brachte ihm alles, was noch an Lebensmitteln im Hause war, und klagte ihm seine Not, daß er vielleicht nicht wiederkehren werde und daß dann sein geliebter Vater elend ums Leben kommen müsse. Der Alte gab zur Antwort: »Kehrst du von diesem Zuge nicht zurück, so übergebe ich gern meinen schwachen Lebensrest dem Tode.[292] Damit ihr aber bei dem Kampf mit dem Ungeheuer nicht ums Leben kommt, so höre meinen Rat, er wird euch von Nutzen sein: Die Höhle, welche das Untier bewohnt, hat unter der Erde hundert und aber hundert Winkel und Gänge, die kreuz und quer laufen, so daß ihr, wenn ihr auch den Feind erschlagt, doch den Ausgang nimmermehr finden und elend verschmachten werdet. Nimm darum unsere schwarze Stute, die mit einem Füllen auf der Weide geht, und führe sie beide mit dir vor die Höhle. Dort schlachte und begrabe das Füllen, die Mutter aber nimm in die Höhle mit, sie wird euch, wenn ihr den Kampf glücklich bestanden habt, wohlbehalten wieder ans Tageslicht bringen.«

Nachdem der Alte so gesprochen hatte, nahm der Sohn unter Tränen Abschied und zog mit den anderen Männern von dannen. Vor der Höhle tat er mit dem Füllen nach seines Vaters Geheiß, ohne jedoch den anderen zu sagen, was er damit beabsichtige.

Das Untier in der Höhle war endlich nach hartem Kampf getötet, aber Schrecken verbreitete sich unter den Kämpfern, als sie wahrnahmen, daß trotz allem Suchen kein Ausgang mehr zu finden sei. Da ging jener mit seinem schwarzen Pferde voran und forderte die anderen auf, ihm zu folgen. Die Stute begann, nach ihrem Füllen zu wiehern und zu suchen, war auch bald auf dem rechten Weg und kam an den Ausgang der Höhle. Als die Männer sahen, daß sie durch die List ihres Kampfbruders dem unvermeidlichen Tod entronnen waren, wollten sie auch von ihm wissen, wie er auf diesen glücklichen Einfall gekommen sei. Den Gefragten überfiel jetzt die Furcht, es möchte, wenn er die Wahrheit sage, um ihn und seinen Vater geschehen sein; als sie aber alle versprochen und geschworen hatten, ihm kein Leid anzutun, so erzählte er frei, wie er seinen alten Vater im Keller am Leben erhalten und dieser, als ein alter erfahrener Mann, ihm beim Abschied den Rat mit der Stute gegeben habe.[293]

Hierüber waren sie alle sehr erstaunt, und einer unter ihnen rief: »Unsere Vorfahren haben nicht gut getan, daß sie uns lehrten, die Alten zu erschlagen, denn diese sind erfahrener und können oft durch ihren guten Rat dem Volke nützen, wo sich die Kraft unseres Armes vergebens erschöpft.« Alle gaben dieser Rede Beifall, und die grausame Sitte, welche die Tötung der Alten verlangte, wurde aufgehoben.

Quelle:
Schott, Arthur und Albert: Rumänische Volkserzählungen aus dem Banat. Bukarest: Kriterion, 1975, S. 292-294.
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