65. Sage aus der Trajanszeit

[305] Als Trajan, der mächtige Römerkaiser, den Donaustrom durch die wilden Gebirge der sogenannten Klissura, das ist zwischen Moldowa und den Golumbatscher Schlössern und Orschowa bis unter das Eiserne Tor auf der Grenze der Walachei, ableiten wollte, zwang er alle Bewohner der dortigen Gegend, viele Jahre lang Frondienste dabei zu tun.

Solches traf nun auch einen Mann, der das junge Weib, welches er eben geheiratet hatte, darüber verlassen mußte.

Sechzehn Jahre war indessen der Arme bei der Riesenarbeit und hatte sein Weib, das ihm bald, nachdem er es verlassen, einen Sohn geboren hatte, nicht mehr gesehn. Jetzt war dieser Sohn groß gewachsen, und da die hilflose Mutter nicht wußte, was mit ihm anzufangen, so schickte sie ihn ebenfalls zu den[305] Donauarbeiten, um da seinen Vater aufzusuchen und, wenn er auch denselben nicht mehr am Leben fände, wenigstens sein Brot zu verdienen.

Der Jüngling ging und suchte dem Namen nach, fand auch endlich den Vater, der ihn aber natürlich nicht erkannte, denn sie hatten sich ja nie gesehen. Wie sich der Sohn dem Vater aber zu erkennen gab, so übermannte diesen ein solcher Unmut, daß er einen schweren Stein aufhob und jenen auf der Stelle erschlug, damit er nicht in seinem jungen Leben erdulden solle, was er seit sechzehn Jahren in der Sklaverei bei den schwersten und mühevollsten Arbeiten hatte ausstehen müssen.

Quelle:
Schott, Arthur und Albert: Rumänische Volkserzählungen aus dem Banat. Bukarest: Kriterion, 1975, S. 305-306.
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