9. Der Drachentödter.

[206] Vor sehr alter zeit war ein mann der hatte zwei kinder. er war arm und als er starb, ließ er seinen kindern kaum einen bissen brod zurück. in ihrer großen noth wanderten sie weg aus ihrer heimat, weit, weit in ein fremdes land. sie kamen zu einem großen wald und ängstigten sich sehr, denn es war nacht geworden, und sie hörten wölfe schreien. plötzlich gewahrten sie im walde ein mattes licht. sie gingen darauf los, und kamen zu einem großen hause in welchem zwölf drachen wohnten. sie gingen aber nicht in das haus hinein, sondern sie legten sich schlafen vor das hofthor. des anderen tages gingen die zwölf drachen frühzeitig auf die jagd, und als sie aus dem hause durch das hofthor schritten, sahen sie die beiden kinder, die noch fest schliefen. die zwölf drachen weckten die kinder auf und nahmen sie von der zeit an in ihre dienste. das mädchen mußte köchin werden und alles im hause thun, und der knabe mußte ein kutscher werden, und oft auch auf die jagd mitgehen.

So verstrichen viele jahre; das mädchen war zur jungfrau geworden und der knabe zu einem gar muthigen jüngling. das mädchen verliebte sich in einen drachen, und war darüber sehr besorgt, denn sie fürchtete, ihr bruder werde sie noch todtschlagen, wenn er das bemerken werde. einmal hielten die zwölf drachen ein großes fest, dabei ging es gar lustig her, so daß sich alle zwölf drachen[206] schrecklich betranken. sie fielen alle unter tische und bänke und da kam der bursche und hieb allen die köpfe ab. nur den einen konnte er nicht ganz tödten, welchen seine schwester gern hatte. das mädchen sah das alles, aber sie äußerte sich darüber gar nicht, denn sie fürchtete, daß er ihre liebe errathen hätte, und sie auch tödten wolle. aber der jüngling wußte nichts davon, und schleppte alle zwölf drachen aus dem hause in den keller hinein. darauf ging er weg, und ließ die jungfrau ganz allein im hause. diese aber lief schnell in den keller und suchte ihren drachen hervor. sie fand ihn und brachte ihn bald zum leben. dieser fürchtete sich aber sehr aus dem keller zu gehen, denn er dachte, der Jüngling würde ihn, wenn er ihn sehen werde, tödten. er wollte ihn erst aus der welt schaffen und dann erst aus dem keller gehen. darum sagte er dem mädchen, es solle sich krank stellen, und wenn der bruder käme, ihm sagen, daß er von sehr weit her milch holen solle. die milch mußte aber von einer hündin sein, die so böse und bissig war, daß ihr vordem die zwölf drachen gar nichts zu thun vermochten. so wollte der drache ihn in den tod schicken, denn er kannte die böse hündin und dachte, daß sie den jüngling sicher zerreißen werde.

Der bursche kam nach hause und die böse schwester klagte sehr über große, große schmerzen in der brust. dabei sagte sie: ›lieber bruder, ich habe geträumt, daß es in einem nahen lande eine hündin gibt, die sehr böse ist; so böse, daß alle zwölf drachen gegen sie gar nichts zu thun vermochten. wenn du mir aber ein fläschchen milch von der rechten zize dieser hündin bringen könntest, so würde ich noch heute gesund werden.‹ ›ich werde dir sie bringen, liebe schwester,‹ sagte der bursche, denn er hatte ein gutes herz und liebte seine schwester mehr als sich. er ging willig, und kam in ein fremdes land. dort fand er die böse hündin; aber als er sie sah und bellen hörte, nahm er seine flinte zur hand und zielte sehr scharf auf sie. da erschrack sie sehr und sagte zum burschen: ›ich bitte dich, laß mir das leben, ich gebe dir milch, so viel[207] du nur willst.‹ der jüngling melkte die rechte zize der hündin und bald war das fläschchen voll. dann wollte er weggehen, aber die hündin gab ihm noch ein junges von sich und sagte: ›nimm dieses noch mit dir, du kannst es vielleicht wo brauchen.‹

Mit der milch und dem kleinen hündchen ging der bursche nach hause. seine schwester verwunderte sich höchlich, daß er doch zurückgekommen sei und sagte das dem drachen. der drache rieth aber dem mädchen, den guten bruder zu einer bärin zu schicken, die im walde hauste, damit er von dieser bärin milch bringen sollte. denn er dachte die bärin werde mit ihm gewiß bald fertig werden, und ihm den garaus machen. und die böse schwester stellte sich zum zweitenmale krank und sagte ihrem bruder: ›die milch von der hündin nüzt mir nichts, aber ich habe heute nachts geträumt, daß im walde eine bärin lebt, die sehr böse ist und die eine sehr gute milch hat. hol mir von dieser bärin ein fläschchen milch, vielleicht werde ich eher gesund werden.‹

Der gutherzige bursche ging und suchte im walde die bärin auf. tief darin fand er sie, und zielte auf ihr rechtes auge sein gewehr. da entsetzte sich die bärin und sprach flehend zu ihm: ›lieber, lieber! schenke mir das leben, ich will dir milch geben, so viel du nur willst.‹ drauf ging der bursche zur bärin und melkte aus ihrer rechten zize so viel er bedurfte. dann wollte er seiner wege gehen, aber die bärin gab ihm noch ein junges von sich und sagte: ›nimm noch dieses junge von mir. wer weiß, ob du es nicht einmal brauchen kannst.‹ der bursche nahm das junge auf den arm und verließ den wald. als er nach hause kam, gab er seiner schwester das milchfläschchen und ging auf die Jagd.

Die böse schwester eilte zum drachen und erzählte ihm von ihrem bruder, daß er auch von der bärin milch bekommen habe. da ergrimmte der drache sehr, aber er fürchtete sich doch, selbst gegen den jüngling etwas zu thun. er stiftete das mädchen an den bruder noch zu einer wölfin zu schicken. und das böse mädchen that auch[208] so, und sprach zum jüngling böswillig: ›auch diese milch, lieber bruder, nüzt mir nicht, und die milch aus der rechten zize einer wölfin wird mich vielleicht gesund machen können. geh' lieber bruder und bring mir von einer wölfin das fläschchen voll.‹

Der bursche that auch so. als er die wölfin im walde fand, machte er es wie früher mit der hündin, und mit der bärin. die wölfin bat um gnade für ihr leben und gab dem jüngling milch und auch noch ein junges von sich und sagte dabei: ›nimm auch dieses junge von mir, wer weiß, ob du nicht einmal einen wolf brauchen werdest.‹

Auch den jungen wolf nahm der bursche zu sich und ging mit ihm und seinen anderen gefährten, dem jungen hund, und dem jungen bären nach dem drachenhause. hier gab er die wolfsmilch seiner schwester, welche sich noch immer krank stellte. darauf ging er in den wald, um zu jagen und nahm auch seine drei gefährten mit sich, die ihm gar treu waren.

Als er weg war, eilte die böse schwester zum drachen. sie erzählte ihm, daß er auch dieses mal milch gebracht habe. jetzt sah der drache, daß mit dem jungen auf die art nichts anzufangen sei. darum nahm er sich vor, den burschen selbst zu tödten. er sagte zum mädchen: ›geh und mach geschwind ein warmes bad. darein ruf deinen bruder, er soll sich baden; dann laufe ich in's zimmer und schlage ihn todt.‹ aber das mädchen antwortete: ›du wirst ihm nichts machen können, denn er führt immer einen hund, einen bären, und einen wolf mit sich.‹ das verdroß wieder den drachen schrecklich und er sprach: ›sag deinem bruder daß du noch immer krank bist, und dich nur mehl heilen kann aus einer teufelsmühle. er wird dir mehl bringen, und seinen hund, seinen bären, und seinen wolf in der mühle vergessen.‹

Das böse mädel ging ins haus und legte sich in's bett. darauf kam der jüngling mit seinen gefährten und fragte sie: ›liebe schwester, bist du noch immer krank?‹ ›ei gott, gewiß bin ich noch immer krank, und alle milch wird[209] mich nicht gesund machen. wenn du mir aber noch helfen willst lieber bruder, so hol mir aus einer teufelsmühle mehl.‹

Auch dieses mal ging der bursche willig, mehl zu holen. er nahm auch seine drei gefährten mit sich und kam zur teufelsmühle. diese hatte zwölf thüren, denn in ihr wohnten auch zwölf teufel. aber alle diese thüren standen nacheinander in einem langen, langen gang und sie öffneten sich alle von selbst, sobald nur der bursche der ersten nahe war. er kam hinein und fand niemanden darin. er setzte sich nieder auf die erde und weil er sehr hungrig war, zog er ein stück rohes fleisch aus der tasche. dieses briet er auf einem heerde, auf welchem die zwölf teufel erst ihr mal bereiteten. da kam ein teufel herbei, der fragte ihn: ›was willst du hier?‹ – ›mehl für meine kranke schwester.‹ ›wie heißt du?‹ ›ich heiße: ichselbst‹ antwortete der bursche.

Darauf briet er sein fleisch, aber der teufel nahm eine todte kröte, aus der die eingeweide hingen und mit ihrem blute bespritzte er sein fleisch. er machte diese dummheit, um den burschen zu foppen; aber der bursche war nicht faul und nahm sein fleisch von den kohlen und warf es dem teufel auf die augen. da schrie der teufel gar gewaltig und es lief ein zweiter herbei und fragte wer ihm was zu leide that. aber der erste teufel schrie, weil er wirklich glaubte, daß der bursche so heiße, immerfort: ›ichselbst! ichselbst! ichselbst!‹ – da verwunderte sich der zweite teufel und sagte bald darauf: ›was kann ich dir denn helfen, wenn du dir selbst wehe thatst?‹ und ließ den burschen in ruhe.

Den zweiten tag nahm der bursche mehl und ging. aber er vergaß in der teufelsmühle seinen hund, seinen bären und seinen wolf und kam allein in das drachenhaus. hier gab er seiner schwester das mehl und ging auf die jagd. und als er später wieder heim kam, fand er sein schwesterlein gesund. sie machte ihm ein bad und weil es der drache so wollte, bat sie ihn, er solle nur ohne weiteres hineinsteigen. er entkleidete sich und sie nahm seinen[210] säbel und stellte ihn hinter den ofen weit weg von dem bad, in welches der bursche stieg. da sprang der drache in's zimmer, und holte den säbel hinter dem ofen hervor; damit wollte er den burschen tödten, aber der bursche bat den schlimmen drachen, er möchte ihn noch einen augenblick am leben lassen, damit er vor seinem tode in seinem gebetbuche noch bete, um seine sünden abzubitten. der drache hielt ein, und mordete den jüngling noch nicht. während der zeit aber bissen in der teufelsmühle der hund, der bär und der wolf die eilfte thüre schon in stücke, denn die zwölf thüren waren alle verschlossen seitdem der bursche wegging, und seine gefährten in der teufelsmühle vergaß. es verging eine weile, da sagte der drache: ›jetzt hast du genug gebetet, jetzt will ich dich tödten.‹ da bat der jüngling: ›laß mich noch eine minute leben; ich will an meine ältern und an meine jungen jahre denken.‹ der drache ließ dies geschehen. aber während er einhalt mit seinem morde that, zerschlugen in der teufelsmühle der hund, der bär und der wolf die zwölfte thüre und eilten in das drachenhaus geschwind und kamen in das zimmer. da erschrak der drache sehr und die drei gefährten fragten den jüngling: ›was sollen wir mit diesem bösen machen?‹ ›zerreißt ihn! zerreißt ihn! schrie der bursche, da sprangen die drei auf den drachen los und zerrissen ihn wol in mehr als hundert stücke. darauf stieg der jüngling aus dem bade und grub neben dem drachenhause drei löcher neben einander. in zwei grub er bis über der hälfte zwei fässer ein, und in das dritte loch steckte er seine schwester auch bis zur hälfte, so daß sie niemals herauskommen konnte. dann sprach er zu ihr: ›du hast ein schlechtes herz und hast mich wollen tödten lassen. darum sollst du buße thun. das rechte faß gehört mir und das linke deinem abscheulichen drachen. ich will sehen, welches faß du eher mit thränen anfüllen wirst.‹

Damit ging er und seine drei gefährten gingen mit ihm weit weg und kamen erst nach einem ganzen jahr zurück. da sah der bursche in die fässer hinein, aber das[211] linke faß war nur allein voller thränen. in dem rechten war gar nichts, denn die schwester liebte ihren bruder nicht. der bursche grub sie aus der erde und ließ sie frei gehen in die welt. was weiter geschehen, erzählt das märlein nicht.


Wien.

L.A. Staufe.

Quelle:
Staufe, L. A.: Volksmärchen aus der Bukowina. In: Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde 2 (1855) 197-212, Göttingen: Verlag der Dieterichschen Buchhandlung, S. 206-212.
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