40. Der Rosenknabe

[284] Ein König hatte eine Tochter und hielt die von klein auf immer in einem Glas, bis sie 15 Jahre alt war. Da sagte sie: »Lieber Vater, ich möchte auch gerne einmal den Himmel sehen und die Welt, laß auch mich hinaus.« Der König ließ einen Gang rings um das Haus machen und stellte lauter Blumen, überall Blumen hin, alle Arten, und ließ dann das Mädchen aus dem Glase auf den Gang. Sie dachte, dies wäre die ganze Welt, es kam ihr so gut, sie wandelte zwischen den Blumen herum, roch an ihnen, besah sie alle und freute sich. Von allen gefiel ihr ein Rosenstrauch am besten, er war voll Blumen und roch wie eine Blume aus dem Paradies. Jeden Morgen ging die Königstochter zuerst zu diesem Rosenstrauch. Nur einmal, als sie wieder an einem Morgen hinkam, lag in den Rosenblättern ein kleiner, kleiner Knabe, so klein wie eine Puppe. Nun, dieses Mädchen hatte noch nie in ihrem Leben andere[284] Menschen gesehen außer ihren Vater, den König, und jetzt dieses Kind. Als sie den Knaben sah, nahm sie ihn in die Arme und spielte mit ihm und war in großer Freude und dachte nicht, es wäre eine verhexte Sache. Der Knabe war so schön wie eine Rose. Als aber ihr Vater diesen Rosenknaben sah, fürchtete er, es sei etwas Verhextes, und er schrak und ließ die Richter zusammenrufen und sieben Pfarrer, sie sollten sagen, was zu tun sei. Und diese richteten so: »Das Mädchen wäre eine Hexe, und man müsse ein Faß nehmen und sie mit dem Knaben hineinschließen und aufs Wasser werfen.« Gut.

Als die Königstochter am Morgen erwachte, befand sie sich mit dem Rosenknaben auf dem Wasser im Faß. Sie erschraken und wußten nicht, was dies bedeuten sollte. Und als sie sich allein sahen, sagte der Knabe: »Na, jetzt will ich dein Kind sein und du sollst mir Mutter sein.« Nun blieben sie eine Zeitlang ruhig, bis sie hungrig wurden, sie hatten aber nichts zu essen, da stieß der Knabe im Hunger mit dem Fuß ins Faß, da fing das Faß an zu gehen und stieß ans Ufer. Als es fest stand, stieß der Knabe noch einmal mit dem Fuß und schlug dem Faß den Boden aus, und beide kamen heraus. Nun brachen sie auf und gingen in den Wald, fanden Erdbeeren und aßen sie, auch Wurzeln und Blätter, bis sie satt waren. Als es Abend wurde, fanden sie einen großen Stein, so gestellt, daß sie beide unter ihn kriechen konnten und dort schliefen.

Wie nun am nächsten Morgen Gott im Himmel erwachte und herunter auf diese Welt sah, erblickte er diese Armen, bedauerte sie und sagte zum heiligen Petrus: »Du Petrus, komm wir gehen als zwei alte Männer zu den beiden Armen und taufen den Knaben, wenn er auch ein Rosenknabe ist, wird er jetzt doch ein Erdenmensch bleiben.« Nun, sie kamen zur Königstochter und sagten ihr einen guten Morgen und fragten sie, ob der Knabe getauft sei und ob[285] sie nicht wolle, daß er getauft werde. »Wie sollt' ich nicht?« Gott und der heilige Petrus nahmen den Knaben und brachten ihn an den Jordan, tauften ihn dort und trugen ihn dann wieder zurück und sagten zum Mädchen: »Es ist doch so der Brauch, daß man den Gevattersleuten zu Essen und Trinken gibt.« – »Aber ihr guten Leute, ich möchte euch ja gerne geben, aber ich habe ja nichts, wir leben von Wurzeln und Blättern.« – »Was machst du denn mit dem Kuchen und dem Wein, den du unter dem Steine hast?« Sie erschrak, sah unter den Stein und fand richtig eine Flasche mit Wein und einen Kuchen so groß wie ein Rad unter dem Stein. Dann schämte sie sich, diese Leute würden denken, sie hätte es ihnen nicht geben wollen. Nun fingen sie alle an zu essen, nur einmal ging eine Kuh auf dem Wege dem Gebirge zu, und Gott sprach: »Seht Ihr dort die Kuh? Die schenk' ich meinem Patchen. Wenn er ein großer Bursch sein wird, soll er sich sie aus dem Gebirge holen.« Dann gingen die beiden wieder auf dem Wege in den Himmel und ließen den Knaben mit seiner Mutter im Walde unter dem Stein.

Sie hatten von der Zeit an immer zu essen und zu trinken, die Flasche wurde seit der Taufe nie leer, und der Kuchen blieb auch immer ganz. Der Knabe fing an zu wachsen, und es verging nicht eine gar zu lange Zeit, sah er nicht mehr aus wie eine Rose, er ähnelte mehr einem Menschen dieser Erde. Er wurde groß und schön, und als er ein Bursch geworden, sprach er zu seiner Mutter: »Ich habe noch nie einen Hund bellen hören und nicht wie ein Hahn kräht und wie die Menschen reden, ich möchte gerne einmal die Welt sehen.« – »Geh, mein Junge, ich warte hier auf dich.« Er ging, bis er aus dem Walde herauskam, dann ging er immer weiter, nur einmal hörte er »hau, hau«, und gleich darauf »kukurigu«. Jetzt wußte er, daß er nahe an einem Dorf war, und nicht mehr lange, so hatte[286] er es erreicht. Er ging nun hinein und sah in einer Scheune zwei Drescher Getreide dreschen. Er blieb stehen, sah zu und verwunderte sich, er hatte noch nie Leute gesehen, nur die zwei, die ihn getauft, und auch die hatten nicht wie Menschen der Erde ausgesehen, sie waren so alt gewesen, und diese beiden Drescher sahen auch so aus wie er. Er sagte nichts, ging aber immer näher und besah sich's noch besser, nur einmal sah er einen Flegel, nahm ihn und fing auch an zu dreschen, und als die zum Essen gingen, ging er auch mit, und nachher drosch auch er wieder. Da sprach einer zu dem andern: »He, Kamerad, sollen wir diesen Blöden uns noch helfen lassen?« – »Wir lassen ihn, er hilft uns ja und verlangt keinen Lohn.« Abends ging er auch zum Abendessen. Nachher fragte wieder einer den andern: »Sollen wir diesen auch mit zu den Mädchen nehmen?« – »Wir nehmen ihn, kaum [= wenigstens] haben wir Spaß und Gelächter mit ihm.« Nach dem Abendessen gingen die beiden in die Rockenstube zu den Mädchen. Der Rosenknabe hinter ihnen. Als er sah, daß jeder neben einem Mädchen saß, setzte er sich auch neben eines, das noch allein saß, es war grade die Königstochter. Dann sah er, wenn die Spindel herabfiel, hob sie der Bursch auf und gab sie dem Mädchen nicht zurück, bevor ihn diese küßte. Er machte es auch so. Als die Spindel der Königstochter entfiel, bückte er sich geschwind, hob sie auf, das Mädchen wollte ihn aber nicht küssen, so behielt er die Spindel, sie nahm eine andere. Als die beiden Drescher fortgingen, nahm er sich auch hinter ihnen und schlief auch mit ihnen auf einem Stall, und da er nichts redete, hielten sie ihn für stumm und blöde.

Morgens frühstückten sie alle drei zusammen und droschen wieder alle drei. Auch dieser Tag verging wie der gestrige, abends gingen sie alle drei in die Spinnstube. Der Rosenknabe setzte sich wieder neben die Königstochter, und als[287] ihr die Spindel entfiel, bückte er sich rasch, hob sie auf und steckte sie in den Gürtel zur ersten. Jetzt war auch der zweite Tag vergangen, und noch hatte er kein Wort gesprochen. Am dritten Tag war es wieder so. Abends in der Spinnstube setzte er sich auch wieder neben die Königstochter und hob ihr die Spindel auf, da sagte sie: »Dann werde ich dich küssen, wenn du mir bringst, was dir dein Pate geschenkt, als er dich taufte.« Er sagte nichts, nahm sich aber und lief zu seiner Mutter in den Wald und sagte, er gehe jetzt, um zu sehen, wo die Kuh sei, die ihm sein Pate geschenkt, und ging auf dem Wege, auf welchem damals das Rind gegangen, und kam ins Gebirge. Da begegnete ihm ein Stier, der hieß Chäsche, der konnte reden und sprach: »Mehr oben ist eine Kuhherde, in dieser war auch deine Kuh, die ist aber in eine Kotlache gefallen und fast tot, aber ich komme mit dir und ziehe sie mit meinen Hörnern heraus. Diese ganze Herde und auch ich stammen alle von der Kuh, wir sind alle dein.«

Der Jüngling trieb sie alle in den Hof des Königs, um sie der Königstochter zu zeigen. Diese verwunderte sich, sie hatte nicht gedacht, daß er so reich sein könnte. Jetzt verlangte er sie zur Frau. Der König aber sprach: »Dann will ich dir meine Tochter geben, wenn du diesen Hof pflügst in einer Stunde von 10–11. (Der Hof war aber mit Kupfer gepflastert.) Wenn du nicht fertig wirst, hau ich dir den Kopf ab.« Dieser ging zum Stier und sagte es ihm. »Das ist eine leichte Arbeit, du mußt nur tun, was ich dir sage«, antwortete der Stier. »Morgen ist Jahrmarkt in der Stadt, treibe die ganze Herde hin und verkaufe sie, aber auf einmal für sieben Beutel voll Geld.« Am andern Tage ging er auf den Jahrmarkt und stand mit der Herde nicht lange dort, als ein Viehhändler kam und sie schnell erhandelte. Als er sie verkauft hatte, nahm er die sieben Beutel und ging mit dem Stier aus der Stadt. »Jetzt nehme[288] ich dich auf die Hörner und werfe dich in den Himmel, dort ist grade jetzt auch Jahrmarkt. Du mußt dich aber schnell an einem Ast festhalten und dich hinaufschwingen. Dann wirst du eine Herde finden, in der befindet sich ein Ster, man heißt ihn Barna, er ist mein Bruder, um diesen solst du die sieben Beutel Geld geben. Dann komme mit diesem wieder herunter auf die Erde, ich will euch herabheben.« So war es. Der Stier Chäsche nahm den Rosenknaben auf die Hörner und warf ihn in den Himmel, dieser ergriff einen Ast und hob sich hinauf, dort beeilte er sich, den Barna zu erhandeln für die sieben Beutel, dann flog er mit ihm herunter auf die Hörner des Chäsche, dann sagte dieser: »Mein Sohn, gehe jetzt zu einem Schmiedemeister und sag ihm, er solle dir einen eisernen Pflug machen, aber es solle nicht ein einziger hölzerner Nagel sein« (damals waren alle Pflüge hölzern). Er ging, und als er zurückkam, war er sehr traurig, denn der hatte 100 Gulden gekostet, und sagte es dem Chäsche und jammerte, daß er sich nicht einen Beutel gehalten, jetzt habe er gar nichts. »Halt den Hut her.« Als er ihn hielt, schüttelte der Stier ein Horn und füllte den Hut mit Dukaten. »Leere ihn dem Meister aus und bring dir den Pflug.« Als er den Pflug brachte, steckten die beiden Stiere ihre Köpfe ins Joch. Auf dem Wege zum König fing Chäsche wieder an zu reden: »Wenn wir in den Hof kommen, wird dir der König ein Glas Kaffee und ein Glas Wein bringen. Den Kaffee kannst du trinken, aber im Wein ist Schlaftrunk (›Wein des Vergessens‹), den darfst du nicht trinken, sonst verlierst du den Kopf. Du mußt aber nahe an mich kommen, dann stoße ich mit dem Horn und verschütte ihn.« Als sie angekommen, dachte der Rosenknabe nicht mehr an diese Worte, den Kaffee trank er und fing auch am Weine an, der Stier bemühte sich, um das Glas zu erreichen, konnte es aber erst dann verschütten, als der Bursch es schon zur[289] Hälfte getrunken. Aber jetzt ließ er sich auf die Erde nieder und schlief ein und konnte nicht mehr erwachen; es verging eine halbe Stunde, dann brüllte der Stier, daß der Hof zitterte, aber dieser schlief weiter, und die Zeit verging. Jetzt war nur noch eine halbe Stunde, da sagte Barna: »Laß jetzt auch mich einmal brüllen«, und sie brüllten beide, daß der Hof und das ganze Dorf erzitterten, als ob die ganze Welt untergehe. Darauf erhob sich der Jüngling. »Unser lieber Herr, komm jetzt, daß wir pflügen, sonst verlierst du den Kopf, und unsere Mühe war vergebens.« Nun fingen sie an zu pflügen, und diese Arbeit ging so leicht und schnell vorwärts, daß noch eine Viertelstunde von elf fehlte. Als der König sah, daß dieser gemacht, was er befohlen, gab er ihm seine Tochter. Der Jüngling aber ging in den Wald und brachte auch seine Mutter, sie war auch noch schön, das Haar war ihr gewachsen bis an die Knie, da sie sich nie gekämmt in so viel Jahren, und als sie sich mit schönen Kleidern angezogen, sah sie aus wie eine Königin. Der König gab seinem Schwiegersohn das halbe Königreich, dann machten sie Hochzeit, und wenn sie nicht gestorben, leben sie bis auf den heutigen Tag.


Lina Subțirel, Bägendorf

Quelle:
Schullerus, Pauline: Rumänische Volksmärchen aus dem mittleren Harbachtal. Bukarest: Kriterion 1977, S. 284-290.
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