58. George

[330] Ich will euch ein wahres Märchen erzählen, viel Schönes, viel Schönes kommt darin vor. Als der Floh sich mit einer Nußschale beschlagen ließ und hinaufspringen wollte zum heiligen Gebet und sprach: »Ach, ich bin zu leicht, ach, ich bin zu leicht«, damals war ein König, der hatte viele Knechte, von diesen war einer kräftiger und mutiger als alle andern, er hieß George. Weil er über alle war, waren die über ihn zornig, und der König verlangte immer mehr von ihm, als recht war. Einmal rief er ihn vor und befahl, er solle bis nächsten Morgen alle wilden Tiere in den Hof bringen, sonst verliere er den Kopf. Der Knecht war traurig und ging in den Wald. Nur einmal klagte etwas in seiner Nähe, er ging schnell hin, um zu sehen, ob er nicht helfen könne. Nur einmal sah er einen Balauer, der hatte angefangen, einen Hirsch einzuschlucken und hatte sich die Hörner im Halse eingezwängt. Der Balauer schrie:[330] »Komm und hau die Hörner ab«, der Hirsch schrie: »Komm und hau dem Balauer den Kopf ab.« George dachte, wenn er diesem den Kopf abhaue, haue er ja zugleich auch dem Hirsch ihn ab, und keines würde gerettet, so hieb er nur die Hörner ab, der Balauer verschluckte den Hirsch ganz und sprach: »Jetzt fress' ich auch dich.« – »Friß mich, mir ist es gleich, ob du mich frißt oder der König mir den Kopf abhaut, mein Leben ist sowieso fertig.« – »Aber was hast du mit dem König, mein Kind?« – »Sieh, so und so, er hat mich geschickt, alle wilden Tiere bis morgen in seinen Hof zu bringen.« – »Wenn es nur das ist, so will ich dir helfen, du hast mir auch geholfen.« Er pfiff einmal, da kamen alle, alle wilden Tiere aus der ganzen Welt hinter ihm, und er brachte sie in den Hof des Königs. Morgens, als der König herauskam, erschrak er, er fürchtete sich, als er den Hof voll sah, und sprach zu George: »Gib ihnen den Laufpaß.« George ging, die Tiere alle hinter ihm, und ließ sie hinaus.

Am nächsten Tage sagte er: »He, George, bis morgen früh sollst du mir eine goldene Kirche bauen, von mir bis zur Kirche eine eiserne Straße, von der Seite lauter Blumen, lauter Blumen, und eine Brücke aus Stahl.« Dieser ging wieder traurig in den Wald und erzählte es dem Balauer, der sprach: »Geh nur nach Hause, morgen früh, bis du aufstehst, ist alles fertig.« So war es. Als der König aufstand, war sein Befehl getan.

»Nun, du George, dies hast du schön gemacht, jetzt sollst du noch etwas machen, und wenn du auch dieses tun kannst, dann hau ich dir den Kopf nicht ab. Geh und rufe Gott zu mir zum Mittagessen.« Na, dieser erschrak, wagte aber nicht, etwas zu sagen, und ging wieder in den Wald und klagte dem Balauer, was der König noch von ihm verlangt. »Nun, der König versündigt sich, aber du bist der Knecht und mußt tun, was er befiehlt. Komm, ich will dir helfen,[331] steig auf meine Hörner, ich werfe dich in den Himmel, aber halt dich an einem Strauch und schwing dich schnell hinauf, daß du nicht herunterfällst. Dann geh weiter, vielleicht triffst du ja Gott bald. Ich will auf dich warten, aber nicht zu lange, sonst schmelzen mich die Sonnenstrahlen.« George stieg auf die Hörner des Balauer, und dieser warf ihn in den Himmel.

Als er hinauflangte, ging er vorwärts und kam an einem Brunnen vorbei, bückte sich um zu trinken, nur einmal war Blut im Wasser, er trank nicht und ging weiter und kam an einen Graben und gedachte wieder zu trinken, als er sich bückte, sah er halb Wasser, halb Blut, er trank nicht. Neben der Straße standen gelbe Blumen; er brach sie und wollte sie sich auf den Hut stecken, aber gleich fiel ihm ein, es würde nicht erlaubt sein, er trug sie zurück wieder an ihre Stelle. Dann ging er noch und kam an eine Kirche aus Wachs und guckte durch eine Ritze hinein, dort waren zwei Engel und hielten sich an den Haaren und zankten sich. Dieser dachte, er solle hineingehen und sie trennen, dann ging er aber doch weiter und traf einen alten Mann. »Guten Morgen, alter Großvater.« – »Ich danke.« – »Könnt Ihr mich nicht benachrichtigen, wo ich Gott finden kann?« – »Grade ich bin es, was willst du mit mir?« – »Mein Herr hat mich geschickt, du solltest so gut sein und zum Mittagessen kommen.« – »Sag dem König, ich würde kommen, aber wie bist du her gekommen?« – »Der Balauer hat mich heraufgeworfen.« – »Was hast du auf dem Wege gesehen?« »Ich habe eine Kirche aus Wachs gesehen, dort zankten sich zwei Engel, ich wollte hinein und sie trennen, dann ging ich aber vorbei.« – »Es war gut, daß du nicht hineingegangen. Der eine wollte dir den Kopf abhauen, ich ließ ihn nicht. Aber jetzt darfst du dich nicht mehr aufhalten, sonst schmelzen die Sonnenstrahlen den Balauer,[332] dann kannst du nicht mehr auf die Erde gelangen.« George nahm Abschied und ging bis an den Rand des Himmels, dann ließ er sich hinunter auf die Hörner des Balauer, und der trug ihn auf die Erde.

Als er zum König kam, sagte er ihm, Gott werde kommen. Der König richtete sich. Nur einmal gegen Mittag kamen zwei schöne Tauben. Die Kinder des Königs sahen sie und riefen: »Komm, Vater, und sieh, welch schöne Tauben kommen zu uns.« Der König nahm das Gewehr und wollte sie schießen. Nur einmal krachte es einmal, und der König mit seiner ganzen Familie war zu Stein geworden. Und George blieb König.


Iuon Bîrsan, Alzen

Quelle:
Schullerus, Pauline: Rumänische Volksmärchen aus dem mittleren Harbachtal. Bukarest: Kriterion 1977, S. 330-333.
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