Es war einmal eine arme Witwe, die suchte im Walde Holz. Da fand sie unter dem Laub ein Ei, das nahm sie mit und legte es einer Gans unter, und als die Gans es ausgebrütet hatte, schlüpfte ein kleiner Junge heraus. Die Witwe ließ ihn auf den Namen Knös taufen, und es hatte noch niemand einen solchen Jungen gesehen: er war mit fünf Jahren erwachsen und größer als der größte Mann. Aber er aß auch danach. Er verschlang auf einen Sitz einen ganzen Schub Brot, und die arme Witwe mußte schließlich um Armenunterstützung einkommen, um ihm Essen zu schaffen. Aber die Gemeindeversammlung erklärte, sie solle den Burschen in eine Lehre geben, denn er sei so groß und stark, daß er sich sein Essen selber verdienen könnte.
Also wurde Knös für drei Jahre einem Schmied in die Lehre gegeben. Aber er wollte als Lohn für jedes Jahr einen Anzug und ein Schwert haben. Im ersten Jahr ein Schwert von fünf Zentnern, das zweite Jahr eines von zehn Zentnern und das dritte Jahr eines von fünfzehn Zentnern. Aber als er ein paar Tage in der Lehre gewesen war, da wollte ihm der Schmied gerne die Anzüge und die Schwerter geben, nur um ihn los zu werden, denn er schlug ihm all sein Eisen und Stahl kaput.
Knös bekam also die Gewänder und die Schwerter. Und dann ging er auf den Herrenhof und nahm Dienste als Knecht. Einmal sollte er mit den übrigen Knechten in den Wald, um Brennholz zu holen, aber da blieb er am Tisch sitzen und aß noch lange, nachdem die anderen weggefahren waren. Als der dann endlich satt war und seiner Wege ziehen wollte, da standen zwei junge Ochsen da, mit denen er fahren sollte. Aber die ließ er stehen und ging in den Wald. Da packte er die zwei größten Bäume, die da waren, riß sie mit der Wurzel aus und nahm einen Baum unter jeden Arm und[177] trug sie zum Herrenhof. Und er war lang vor den anderen daheim, denn die mußten ja die Bäume fällen und zuschneiden und aufladen.
Am folgenden Tag mußte er dreschen. Da suchte er den größten Stein, den er finden konnte, und den rollte er auf dem Getreide hin und her, so daß das Korn sich aus den Ähren löste. Dann mußte er das Korn würfeln und sieben. Da machte er ein Loch an beiden Seiten des Daches und stellte sich außen hin und blies, und Halme und Spreu flogen hinaus auf den Hof, und das Korn blieb auf einem Haufen auf der Tenne liegen. Da kam der Herr und legte eine Leiter an und kletterte hinauf und schaute zu dem einen Loch hinein. Aber Knös blies, und der Wind packte ihn, und er fiel hinunter und hätte sich auf dem Steinpflaster fast zu Tode gefallen.
»Das ist ein gefährlicher Gesell,« dachte der Herr. Es wäre doch gut, sich den vom Halse zu schaffen, sonst könnte er sie noch allesamt umbringen, und zudem aß er, daß man nur zu schaffen hatte, um ihn zu füttern. Da rief er Knös herein und gab ihm seinen Lohn für das ganze Jahr, aber er müsse seiner Wege gehen. Aber ordentlichen Reiseproviant wolle er haben, meinte Knös.
Und er durfte selbst ins Vorratshaus gehen, und da nahm er sich eine Speckseite auf jede Schulter und einen Schub Brot unter jeden Arm, und dann nahm er Abschied. Aber der Herr ließ den bösen Stier auf ihn los, Knös jedoch packte ihn an den Hörnern und schwenkte ihn auf seinen Rücken, und so zog er ab. Dann kam er in ein Dickicht, da schlachtete er den Stier und briet ihn und aß einen Schub Brot dazu. Da wurde er so ungefähr satt.
Dann kam er an den Königshof. Dort war große Trauer, denn einst, als der König auf dem Meere fuhr, da kam ein Meertroll und machte ein greuliches Unwetter, so daß das Schiff am Untergehen war. Um mit dem Leben davonzukommen, mußte der König dem Meertroll dasjenige geloben, was ihm zuerst begegnen würde. Der König meinte, sein[178] Jagdhund würde ihm wie gewöhnlich entgegenspringen, aber da kamen ihm seine drei Töchter in einem Boot entgegengerudert. Darüber wurde der König schrecklich traurig und gelobte, wer seine Töchter befreie, solle eine davon zur Frau bekommen, welche er haben wolle. Aber nur ein Schneider, den man den roten Peter hieß, wollte sich in die Sache einlassen.
Knös bekam einen Platz am Königshof und mußte dem Koch zur Hand gehen. Aber er bat sich frei für den Tag, wo der Troll kommen und die älteste Prinzessin holen sollte. Und man ließ ihn auch gerne laufen, denn wenn er spülen sollte, so machte er des Königs Gold- und Silbergeschirr kaput, und wenn er Brennholz tragen sollte, so brachte er den ganzen Holzstoß auf einmal, daß die Türen aus den Fugen gingen.
Die Prinzessin stand unten am Meer und weinte und rang die Hände, denn sie sah ja, was ihr bevorstand. Und sie hatte nicht viel Vertrauen auf den roten Peter, der auf einem Weidenstumpf saß, mit einem alten rostigen Säbel in der Hand. Da kam Knös und versuchte der Prinzessin Trost zuzusprechen, so gut er konnte, und fragte sie, ob sie ihn lausen wolle. Ja, er durfte seinen Kopf in ihren Schoß legen, und sie lauste ihn. Auf einmal brauste es furchtbar draußen im Meer. Das war der Troll, der herankam, und er hatte fünf Köpfe, und der rote Peter rollte von seinem Weidenstumpf herunter, solche Angst hatte er. »Knös, bist du es?« sagte der Troll. – »Ja,« sagte Knös. – »Zieh mich ans Land!« sagte der Troll. – »Wirf das Ankertau aus!« sagte Knös. Er zog den Troll ans Land, aber er hatte sein fünf Zentner schweres Schwert an der Seite, und damit hieb er dem Troll alle fünf Köpfe ab, und da war die Prinzessin befreit. Aber als Knös fort war, kam der rote Peter und setzte der Prinzessin den Säbel auf die Brust und sagte, er werde sie umbringen, wenn sie ihn nicht als ihren Retter ausgäbe.
Dann kam die Reihe an die zweite Prinzessin. Und der rote Peter saß mit seinem rostigen Säbel auf dem Weidenstamm,[179] und Knös bat sich für den Tag frei und ging hinaus und bat die Prinzessin, ihn zu lausen, und das tat sie auch. Da kam der Troll, und diesmal hatte er zehn Köpfe.
»Knös, bist du es?« sagte der Troll. – »Ja,« sagte Knös. – »Zieh mich ans Land!« sagte der Troll. – »Wirf das Ankertau aus!« sagte Knös. Aber diesmal hatte Knös sein zehn Zentner schweres Schwert an der Seite, und damit hieb er dem Troll alle zehn Köpfe ab. Und da war auch die zweite Prinzessin befreit. Aber der rote Peter setzte seinen Säbel der Prinzessin auf die Brust und zwang sie, zu sagen, er hätte sie errettet.
Nun kam die jüngste Prinzessin an die Reihe. Als der Troll kommen sollte, saß der rote Peter auf dem Weidenstamm, und Knös kam und bat die Prinzessin, ihn zu lausen, und sie lauste ihn. Diesmal hatte der Troll fünfzehn Köpfe.
»Knös, bist du es?« sagte der Troll. – »Ja,« sagte Knös. – »Zieh mich ans Land!« sagte der Troll. – »Wirf das Ankertau aus!« sagte Knös. Knös hatte sein fünfzehn Zentner schweres Schwert an der Seite, und damit hieb er dem Troll alle fünfzehn Köpfe ab. Aber es fehlte ein Lot an den fünfzehn Zentnern, und die Köpfe wuchsen wieder an, und der Troll nahm die Prinzessin und fuhr mit ihr davon.
Eines Tags war Knös unterwegs. Da kam einer, der trug eine Kirche auf dem Rücken. »Du bist stark, du!« sagte Knös. – »Nein, ich bin nicht stark,« sagte der mit der Kirche, »aber Knös am Königshof, der ist stark, der kann Stahl und Eisen mit den Händen zusammenkneten wie Lehm.«
»Der bin ich,« sagte Knös, »komm, wir wollen zusammen gehen.« Und sie gingen miteinander weiter.
Da trafen sie einen, der trug einen Steinberg auf dem Rücken. »Du bist stark, du,« sagte Knös. – »Nein, ich bin nicht stark,« sagte der mit dem Steinberg, »aber Knös am Königshof, der ist stark, der kann Stahl und Eisen mit den Händen zusammenkneten wie Lehm.« – »Ja, der Knös bin ich, komm mit, so gehen wir zusammen!« sagte Knös. Und[180] sie wanderten zu dritt weiter. Knös nahm sie mit auf eine Meerfahrt, aber ich glaube, die Kirche und den Steinberg mußten sie wohl am Land lassen. Unterwegs wurden sie durstig und legten an einer Insel an, und auf der Insel stand ein Schloß, da wollten sie hineingehen und um einen Trunk bitten. Aber in diesem Schloß wohnte der Troll.
Zuerst ging der mit der Kirche, und als er ins Schloß hineinkam, da saß der Troll und hatte die Prinzessin auf dem Schoß, und sie war sehr traurig. Er bat um etwas zu trinken. »Greif zu, da steht der Becher auf dem Tisch!« sagte der Troll. Aber zu trinken bekam er nichts, denn er konnte den Becher nicht einmal von der Stelle rücken.
Dann ging der mit dem Steinberg ins Schloß und bat um einen Trunk. »Greif zu, da steht der Becher auf dem Tisch!« sagte der Troll. Aber er bekam auch nichts zu trinken, denn er konnte den Becher wohl von der Stelle rücken, aber nicht aufheben.
Da ging Knös selber ins Schloß, und die Prinzessin freute sich und sprang vom Knie des Trolls herunter, als sie sah, daß er es war. Er bat um einen Trunk. »Greif zu, da steht der Becher auf dem Tisch!« sagte der Troll. Und Knös nahm den Becher und leerte ihn auf einen Zug. Dann schlug er dem Troll den Becher auf den Kopf, daß er vom Stuhl herunterrollte und starb.
Darauf führte er die Prinzessin ins Königsschloß, und da herrschte solche Freude! Und auch die anderen Prinzessinnen erkannten Knös wieder, denn sie hatten ihm Seidenband ins Haar geknüpft, als sie ihn lausten. Er durfte nun eine von den Prinzessinnen heiraten, welche er wollte, und er nahm die Jüngste. Und als der König starb, erbte Knös das Reich.
Aber der rote Peter mußte ins Nagelfaß. Und weiter weiß ich nichts mehr.
Buchempfehlung
Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.
106 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro