[340] Das Schwert, die Goldhörner, die Goldlampe und die Goldharfe.

1. In der »Nuna, eine Schrift für Alterthumsfreunde des Vaterlandes,« herausgegeben von R. Dybeck, Stockholm 1843, Heft IV. S. 33 wird eine »Volkssage« aus Dalsland mitgetheilt, welche die gleiche Einleitung mit der Sage vom »Knaben, der seine Brüder von dem Riesen befreite,« hat; aber in der Fortsetzung zeigt es sich, daß sie ein Seitenstück zu unserer hier angeführten Erzählung ist. Die dalsländische Volkssage lautet, wie folgt:

Ein Mann hatte acht Söhne. Der Jüngste unter ihnen hieß Roll. Sie begaben sich in die Welt hinaus, und kamen zu der Hütte eines Riesen, wo sie Niemanden zu Hause fanden, außer dem Weibe des Riesen. Die Knaben baten um Herberge über Nacht, worauf die Riesin antwortete: »Ich werde sehen, wenn Vater Riese heimkommt.« Nach einer Weile kam Vater Riese. Er genehmigte die Bitte der Knaben, indem er hinzufügte: »Es war gut, nun haben wir Bräutigame für unsere sieben Töchter.«

Abends, als sich Alle niedergelegt hatten, kroch Roll in einen Winkel, horchte auf das Gespräch des Riesen und der Riesin. Sie überlegten, wie sie die Knaben tödten wollten, wenn sie schliefen. Um sie im Dunkeln von ihren[340] eigenen Kindern unterscheiden zu können, hatte die Riesin die Mützen auf die Köpfe der Knaben und die Hauben auf die der Mädchen gesetzt. Roll aber schlich aus dem Winkel hervor, und setzte die Mützen den Riesenkindern und die Hauben seinen Brüdern auf. Als nun Nachts der Riese aufstand, um die Knaben todt zu schlagen, tödtete er statt deren seine eigenen Kinder. Roll aber weckte seine Brüder, und sagte: »Geht! nun habe ich euch das Leben gerettet.« Er nahm hierauf den Stock des Riesen, mit dem man über das fließende Wasser gehen konnte, und so entflohen die Knaben.

Als Roll und seine sieben Brüder lange umhergewandert waren, kamen sie zuletzt zu einem Königshof. Der König, der über den Königshof herrschte, sagte zu Roll: »Schaffe mir die goldene Decke des Riesen, so sollst du meine jüngste Tochter bekommen.« Roll versprach, es zu versuchen, man solle ihm nur ein Seil geben. Er erhielt ein solches. Da band er am Ende des Seiles einen großen Haken, begab sich hierauf zur Hütte des Riesen, kletterte auf das Dach, ließ das Seil durch eine Oeffnung hinab, und wand so die schöne goldene Decke herauf. Als aber der Riese merkte, daß seine goldene Decke fort war, rief er: »Roll! hast du meine goldene Decke genommen?« Roll antwortete: »Ja, mein lieber Vater!« – Er begab sich hierauf zum Könige, und überreichte die kostbare Decke, wie er versprochen hatte.

Der König sagte zu Roll: »Nun mußt du mir die Weihnachtsgans des Riesen verschaffen.« Roll versprach, es zu versuchen. Er nahm einen Eimer, legte Saubeeren[341] hinein, und lockte damit die Gans zum Könige. Den andern Tag hörte man den Riesen rufen: »Roll! hast du meine Weihnachtsgans genommen?« Roll antwortete: »Ja, mein lieber Vater!«

Der König sagte wieder zu Roll: »Du mußt mir das leuchtende Holz des Riesen, verschaffen, welches über sieben Königreiche leuchtet.« Roll versprach, sein Bestes zu thun, und begab sich zum Riesen. Nachts kam die Riesin heraus, um die Kuh zu melken, und stellte das leuchtende Holz neben sich. Da war Roll gleich herbei, nahm das Holz, und wollte fort über den Fluß eilen; aber der Riese kam und ergriff Roll und das leuchtende Holz.

Roll sollte nun getödtet werden; aber in demselben Augenblicke kam der Sohn des Riesen, und lud den Vater zu einem Kindtaufschmaus. Der Riese entschuldigte sich, daß er etwas anderes zu thun habe; zuletzt ging er. Die Riesin blieb daheim, und heitzte den Ofen siebenmal heißer als gewöhnlich, um Roll zu braten. Als nun der Ofen warm war, sagte der Knabe: »Liebe Mutter! siehst du die sieben Sterne im Ofen,« die Riesin guckte hinein, aber in demselben Augenblicke schob sie der Knabe in den Ofen, und warf ihr einen Bund Stroh nach.

Roll begab sich nun eiligst auf den See hinaus; der Riese und sein Sohn kamen und setzten ihm nach. Als sie ihn auf keine andere Art erreichen konnten, versuchten sie, den See auszutrinken. Beim Anbruch des Tages war nur wenig Wasser mehr übrig. Da zeigte Roll auf die aufgehende Sonne, und sagte: »Seht ihr die schöne[342] Jungfrau dort!« Der Riese und sein Sohn guckten hin und barsten beide entzwei. Roll aber kam zum Königshofe und erhielt die jüngste Tochter des Königs.

2. Eine Ueberlieferung aus Süd-Småland verbindet gleichfalls die gegenwärtige Sage mit der Erzählung vom »Knaben, der seine Brüder vom Riesen befreite.« Die Aufzeichnung lautet solchergestalt:

Nachdem Raskargod seine sechs Brüder von der Hexe befreit und heimgeführt hatte, bat er seinen Vater um Erlaubniß, um wieder zum Berge hinzuwandern. Der König aber fürchtete den Troll, und verbot seinem Sohne strenge, ihm irgend einen Schaden oder Böses zuzufügen. Der Königssohn fragte gleichwol wenig nach dem Verbot seines Vaters, und beschloß, noch einmal fortzuziehen, und das böse Trollweib zum Besten zu haben.

Raskargod begab sich nun auf den Weg, und kam zum Berge, gerade als das Trollweib ihre Wäsche waschen wollte, die von der Nacht sehr blutig wurde, als sie ihren sieben Töchtern die Hälse abschnitt. Der Junge ging hin, grüßte und fragte, ob er ihr bei der Arbeit helfen dürfe. Als die Hexe ihn wieder erkannte, verbarg sie ihren Grimm, und gab manches schöne Wort, um den Königssohn in ihre Gewalt zu bekommen. Raskargod half ihr hierauf, die Wäsche zu säubern. Als es so eine Weile dauerte, bat ihn die Hexe, frisches Wasser in den großen Topf zu gießen, während sie selbst zum Walde ging, um Holz zu holen. Raskargod versprach zu thun, wie ihm gesagt worden. Als aber das Weib fort war,[343] warf er Schmutz in den Topf, und steckte die Kleider hinein. Hierauf nahm er alle Habe, die er finden konnte, und setzte mit Hilfe seines Trollstabes eilig über den Strom.

Als er zum anderen Ufer gekommen, kehrte das Trollweib aus dem Walde zurück, und sah, wie er ihre Beuche beschädigt hatte. Da rief sie: »Raskargod, bist du es, der mein Silber und Gold genommen, und meine schönen Kleider verdorben?« Raskargod antwortete: »Ja, liebe Mutter das habe ich gethan.« Das Weib fuhr fort: »Kommst du! wieder her?« Der Königssohn entgegnete: »Ja gewiß, liebe Mutter!« – Darauf zog der Prinz zu seinem Vater heim. Der König aber, als er seinen Ungehorsam erfuhr, wurde sehr erzürnt, und verbannte Raskargod aus seinem ganzen Reiche, – so daß der Prinz tief in einem Walde Zuflucht suchen mußte, wo er eine arme Witwe traf, die ihm Haus und Herberge gab.

Es währte so einige Zeit, und der Königssohn fühlte eine große Lust, noch einmal das Trollweib zu besuchen. Er begab sich daher auf den Weg, und wurde im Berge gut empfangen. Eines Tages sagte das Trollweib, daß sie fortfahren und ihre Schwester besuchen wolle, die weit von hier wohnte. Das Weib fuhr fort, und Raskargod blieb allein zurück. Da begann der Prinz den Berg nach allen Seiten zu durchsuchen, bis daß er ein großes Zimmer fand, das mit Gold, Silber und anderem Reichthum angefüllt war. Im Bergsaal lag auch ein großes Buch, worin man die Namen der Trolle aufgezeichnet fand, die gestorben waren, und die Habe in ihren Bergen zurückgelassen hatten. Raskargod nahm das große Buch, und alle Habe, und[344] fuhr sodann zurück über den Strom. Als er jetzt zum anderen Ufer gekommen war, kehrte das Trollweib heim. Sie rief: »Raskargod! bist es du, der mein Silber und Gold genommen?« Der Königssohn antwortete: »Ja liebe Mutter! das habe ich gethan.« Das Weib fragte: »Kommst du wieder?« Raskargod entgegnete: »Ja gewiß, liebe Mutter!«

Der Prinz erhielt nun Schiff und Mannschaft von seinem Vater, und segelte nach England, wo er die Tochter des Königs freite. Hierauf rüstete er vier große Schiffe aus, und zog fort, um die Berge aufzusuchen, welche im Trollbuche verzeichnet standen. Er erhielt solchergestalt einen großen Reichthum. Aber in dem letzten Berge fand er einen Saal, wo die Trolle ihre Nahrung verwahrten. Man erzählt, daß benanntes Vorrathshaus voll war, nicht mit Speise, sondern mit Gerippen von Schlangen, Kröten und anderen kriechenden Thieren, die den Berg hinabrannten, aber nicht mehr hinaufzukommen vermochten.

Raskargod söhnte sich zuletzt mit seinem Vater aus, belohnte reichlich die arme Witwe, die ihm Herberge gegeben, und kehrte nach England zurück, wo er der Ruhe pflegte und noch heut zu Tage leben mag.

Quelle:
Hyltén-Cavallius, Gunnar/Stephens, George: Schwedische Volkssagen und Märchen. Wien: Haas, 1848, S. 340-345.
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