874. Das Sennentunscheli auf Wyssenboden.

[248] 1. Die drei Knechte der Alp Wyssenboden in der Gemeinde Bürglen sagten eines Tages zu einander: »Miër settet doch äu äs Wybervolch ha!« Da küferten sie aus Blätzen einen Dittitolgg zusammen und nannten ihn Zurrimutzi, und wenn sie ihren Reisbrei assen, sagten sie zu ihm: »Da friss äu!«, und strichen ihm davon in das Gesicht. Endlich fing der Tolgg an zu essen. Er versah ihnen die Hausfrau, kochte, waschte und flickte und half das Vieh hüten und melken. Er redete auch, aber nur mit dem Senn. Sie trieben mit dem Tunscheli allerlei Gugelfuhr und nahmen es abwechslungsweise zu sich in das Bett. Als der Herbst nahte, machten sie mit einander aus: »Der Toggel müess de da blybä, der nähme-m'r de nitt mid-is.« Am Tage der Abfahrt half er ihnen noch das Vieh zusammentreiben. Als sie aber mir nichts dir nichts, nu kissmis nu läckmis, abziehen wollten, da kam er zur Sprache, stellte sich in aller Breite vor die Älpler hin, die Hände in die Hüfte gestemmt, und sagte zornig: »So! d'r ganz Summer han-n-ich g'hulfä schaffä-n- und wärchä; jetz g'heert m'r äu ä Freid. Ich müess fryli dablybä, aber Einä von ych müess äu dablybä!« Da erschmyeten und erbleichten sie. Aber es gab keine Gnade. Einer musste dahinten bleiben. Jetzt warfen sie das Los, und es traf den Senn. Die zwei andern durften gehen, aber nicht zurückschauen, bevor sie die Alpmark hinter sich hatten. Als sie die Grenze überschritten, kehrten sie sich um, um noch einen letzten Blick zurückzuwerfen. Da bot sich ihren Augen ein Schauspiel, das ihnen das Herz im Leibe zittern machte. Auf dem Hüttendach schwingen das Zurrimutzi und der Senn mit einander; nach langem, hartem Ringen wird der Toggel Meister und wirft den Senn, der einen Mark und Bein erschütternden Schrei hören lässt, nieder, ergreift das Messer, kniet auf ihn, schindet ihn bei lebendigem Leibe und breitet die bluttriefende Haut auf dem Hüttendach aus.


Johann Stadler, 30 J. alt.[248]


2. Der Wyssäbodä-Toggel stellte ein Weibervolk dar; sie trieben alle Laster mit ihm und fingen an ihn zu besegnen. Er wurde lebendig, mochte gottlos fressen, wurde gross und fett; sie mussten ihn pflegen und an die Sonne tragen. In seiner Bosheit stellte er sich manchmal an das Fenster, lüpfte den Rock, zeigte ihnen den Hintern zum Fenster hinaus und tätschelte ihn; trieb alle Possen . ... Als sie zurückschauten, hatte er den Senn schon enthäutet und sass neben ihm auf dem Hüttendach, erhob sich, zeigte ihnen höhnisch seinen Hintern und tätschelte ihn. Den Älpler, der näher hin ging, trieb er rasend mit Steinen von dannen. Das Gespenst existiert jetzt noch dort.


Frau Nell-Gisler, von Spiringen, 50 J. alt.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 248-249.
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