878. Das Sennentunscheli auf Golzer.

[250] 1. Golzer war vor alten Zeiten eine Alp. Im jetzigen Metzgerberg stand eine Hütte, und da walteten drei Alpknechte oder drei Brüder, ein Senn, ein Küher und ein Dinner. Sie hatten wenig Arbeit, denn das Vieh brauchte auf der Weide fast gar nicht gehütet zu werden und wurde nie gestallt. Einst, da sie vor Übermut und vor Langerweile nicht mehr wussten, was anfangen, gingen sie hin, schnitzten aus einem Stück Holz einen rohen Kopf, kleideten denselben in Lumpen und stellten die so entstandene Figur hinter den Tisch. Sie hatten ihr Gespött mit diesem Toggel oder Tunsch (auch Tunggel genannt) und nannten ihn »Häusäli«; mein Gewährsmann meint, das heisse Hanseli. Wenn sie geschwungene Nidel assen, fragten sie: »Häusäli, magsch äu?« und warfen ihm einen Schläck zu; wenn sie ihren Nidelreisbrei verzehrten, fragten sie wieder: »Häusäli, magsch äu ä Bitz?« und strichen ihm einen Chleippis unter die Nase und ums Maul. Nach und nach gaben sie ihm den Löffel in die Krallen und zeigten ihm, wie er dazu tun müsse, wenn er fressen wolle. Und bigoscht hindärä! der Toggel fing an zu fressen! Da erschraken sie zuerst, gewöhnten sich aber für und für daran und trieben wieder ihre Spässe. Als sie einmal Karten spielten, fragte der Senn: »Häusäli, wettisch äu spilä?« und gab ihm die Karten in die Taapen. Zuerst musste er nur die Karten halten und sein Partner schaute sie selber auf und spielte sie aus. Nach und nach hielt aber der Tunsch die Karten fest und spielte selber. Das war ein Spass! Von nun an spielte er jedesmal mit, und wer's mit ihm hatte, der gewann immer.

Der Balg nährte sich gut und gedieh. Alle Sonntage mussten sie ihn auf den benachbarten Chrottäbiël an die Sonne hinübertragen, und er war so fett, dass alle drei Alpknechte miteinander ihn kaum zu tragen vermochten. Als sie in den Oberstafel fuhren, nahmen sie ihn mit und ebenso wieder, als sie im Herbst nach Golzer zurückkehrten. Am buntesten mit ihm trieb's halt doch der Senn.

Der Sommer war dahin; die Alptriften erbleichten, und der Winter hatte schon die ersten Vorposten auf die Bergspitzen gestellt. Da hiess es abfahren von der Alp. Als die Kühe zusammengetrieben waren und alles bereit stand, stellte sich auch Häusäli ein, aber nicht um einen rührenden Abschied zu feiern.[251] Mit ernster und fester Geberde gebot der Toggel dem Senn, als dem Oberhaupt der Alp, zu bleiben, den andern erlaubte er, abzufahren, aber ja nicht zurückzuschauen, bis sie das Egg erreicht hätten. So geschah es, der Senn blieb, die anderen zogen mit dem Vieh ab, und als sie das Egg erreicht hatten, schauten sie zurück und sahen mit Zittern und Schrecken, wie der Toggel des Senns blutige Haut auf dem Hüttendach ausspreitete. Seitdem heisst der Ort Metzgerberg.


Albin Gnoss, 70 J. alt.


2. Der Toggel fing an auszugehen. Eines Sonntags gingen zwei Knechte zur Kirche, während der dritte zurückblieb, um aufzupassen, wohin der Balg gehe. Als die zwei zurückkamen, lag der Senn geschunden auf dem Tisch, und der Toggel kam nie mehr zum Vorschein.


Nikolaus Zgraggen, 70 J. alt.


»Jäh! dië G'schicht wett ich nu gläubä. Dië hennd halt g'spottet, und das lydet's nitt! z'feppälä, das gid-ä nitt!«


Jos. Tresch; Gebhard Kieliger.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 250-252.
Lizenz:
Kategorien: