1305. Das Schlafkraut der Schlangen.

[189] Ein Unterschächner ist im Brunnital damit beschäftigt, Haselnüsse zu sammeln. In der Lissleren sieht er einen »Wurä« unter einem Felsstück hervorkriechen, der sich an gewissen Pflanzenblättchen erlabt, die hier zahlreich grünen, und schaut ihm neugierig und aufmerksam zu. Nachdem sich die Schlange in ihre Felsenburg zurückgezogen, fing auch der Zuschauer an, von dem Kraute zu naschen. Nicht lange dauert es, so überfällt ihn der Schlaf, und er zieht sich in einen der nahen Heuställe zurück, ein erquickendes Schläfchen zu tun. Als der Haselnussammler tagelang nicht zum Vorschein kam, hiess es: »Er ist verunglückt.« Man liess ihm die Sterbeglocke läuten und Trauergottesdienst halten. Einige Wochen später will ein Bauer in jenem Gaden Heu fassen, er findet den Vermissten im duftigen Heu lebend, aber vom tiefsten Schlafe befangen, und nimmt ihn mit sich nach Hause, wo er nach einigen Tagen erwacht. Von da an nannte man ihn den ewigen Haselnusser.


Daniel Imholz, Unterschächen, und a.


Nach anderer Erzählart sammelte einer am Bachrand Haselnüsse, als er die Schlange sah. Er erschlug sie, ass vom Kraut und schlief neun Tage, und erst, als man für ihn den Siebenten hielt, erschien er plötzlich wieder in der Kirche und schritt mit den Leidtragenden im Opfergang einher, ohne zu wissen, dass es ihm selber galt.


Katharina Aschwanden, 80 Jahre alt, Isental.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 189.
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