1317. Das wilde Mandli und der Föhn.

[195] Eine Schächentaler Familie hatte ein wildes oder Heidenmandli im Dienste. Im Dienstvertrag hatte sich dieses ausbedungen, bei schlechtem Wetter nicht arbeiten zu müssen. Treu erfüllte der arbeitsame Knecht seine Pflicht, auch bei Regenwetter, bis eines Tages im Spätsommer der Föhn einbrach. Das warme Wetter benützend, mähten die Leute wacker darauf los, nur der Knecht erschien diesmal nicht. Nachmittags endlich, als das Heu beichlingel-dires darauf wartete, eingetragen zu werden, wollte man den Knecht auch zur Arbeit holen. Nach langem Suchen fand ihn der Bauer tief im Heustock schlafend an und vermochte nicht, ihn zu tätigem Eingreifen zu bewegen. »Wisst ihr denn nicht, dass ich im Dienstvertrage schlechtes Wetter ausbedungen habe?« – »Aber heute ist ja das herrlichste Wetter!« – »Ihr täuschet euch«, erklärt der Knecht, »heute geht der Föhn, und der ist das ungesundeste Wetter; er trocknet das Mark in den Beinen.«

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 195.
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