1336. Der Jäger und das Wildmandli.

[205] a) Einem Jäger versprach ein wildes Mandli, alle Samstage einen schönen Gemsbock an die Haustüre zu hängen, wenn er ihm seine Geisslein, die Gemsen, nicht mehr wegschiesse. Der Jäger nahm das Versprechen an, und mehrere Jahre enthielt er sich der Gemsjagd. Jeden Samstag konnte er einen feisten Gemsbock an seiner Haustüre finden. Doch endlich erwachte wieder heftig die Leidenschaft in seinem Herzen. Er nahm die liebe Büchse wieder vom Nagel und stieg mit ihr zu Berg. Nicht lange brauchte er herumzustreichen, so kam ihm eine Gemse vor das Gewehr und er schoss. Aber im Augenblick wurde er vom Wildmandli ergriffen, überwältigt, in ein weisses Tuch eingewickelt und so über eine Fluh hinunter gestürzt. Mein Gewährsmann, Michael Imhof von Isental, meint, der Jäger sei ein Nidwaldner gewesen. »Die sind inträssiert und schlaw; die findet der Lüs d'Nierä.«

b) Ein Heidenmuetterli versprach dem Jäger, wenn er ihm nicht mehr seine Geisslein verwildere, sein Leben lang Gemskäse genug, wenn er ihn nie auf einmal ganz aufesse, und alle Wochen einen feisten Gemsbock vor der Haustüre. – Es kam eine weisse Gemse. Eine Stimme rief: »Johann Josef Imhof – so hiess der Jäger –, hast iber 300000 Gämschi gschossä, mach etz Fyrabed!« Er zielte, und da sprang die Gemse auf ihn los und stürzte ihn in einen Abgrund zu Tode.

c) Der Jäger war der alte Rytti-Jaggi-Märti im Schächental. Das wilde Mandli sagte zu ihm: »Schon 31/2 Hundert Geissli hast du uns getötet.«


Frau Mattli-Bissig, 80 Jahre alt, Bürglen;

Jos. Joh. Kempf, 90 Jahre alt, Bauen.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 205.
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