|
Keine kleine freude macht es mir, das neueste werk meines berühmten freundes, zu welchem ich selbst ihm schon vor dreiszig jahren den ersten antrieb gegeben hatte, mit einer vorrede zu begleiten. lange von gröszern arbeiten, deren jede an sich bewunderung erregt, hingehalten, konnte er sich nur spät auf eine zwar leichtere, seinen kräften dennoch allein mögliche einlassen, für die ihm die nachwelt nicht minder dankbar sein wird, als für alles andere, was er sonst geleistet hat. wie er mit der ihm beschiedenen ausgezeichneten gabe die regel und den wortreichthum der serbischen sprache neu aufzustellen, auch in einer gelungnen übertragung des neuen testaments anzuwenden vermochte, sind von ihm, jedermann weisz es, die früher ungeahnten quellen einer entzückenden poesie entdeckt, eröfnet, und alle[5] schätze der sprichwörter und gebräuche dieses noch unverbildeten volks treu und lichtvoll gesammelt worden. es heiszt aber ganz Europa, welches diese verdienste laut anerkennt, beleidigen, dasz sein eignes vaterland einem solchen manne volle, gebührende gerechtigkeit fast zu versagen scheint, von dem man behaupten darf, dasz er niemals etwas unrechtes, unnützes oder unfruchtbares that, und der, wenn alle irrthümer und blendwerke geschwunden sind, im gedächtnis kommender zeiten hervorragen wird.
Seit jenen tagen, wo ich es mir angelegen sein liesz ihn, den in alle vortragsweisen seines volks eingeweihten, zu einer aufzeichnung serbischer märchen, von deren dasein er mir meldung gethan hatte, zu ermuntern, hat dieses ganze fach in unserer literatur einen damals noch unglaublichen aufschwung genommen. durch vielfache, nicht nur in Deutschland selbst, sondern auch in Norwegen, Schweden und in der Walachei, neuerdings auch in Albanien, Littauen und Finnland veranstaltete sammlungen ist das material überhaupt zu einer fülle empor gewachsen, von welcher ein gedeihen kritischer forschungen abhängen musz, und der wahn beseitigt worden, als[6] beruhen diese stoffe auf läppischen, der betrachtung unwürdigen erdichtungen, da sie vielmehr für den niederschlag uralter, wenn auch umgestalteter und zerbröckelter mythen zu gelten haben, die von volk zu volk, jedem sich anschmiegend, fortgetragen, wichtigen aufschlusz darbieten können über die verwandtschaft zahlloser sagengebilde und fabeln, welche Europa unter sich und noch mit Asien gemein hat.
Nicht auf dem wege einzelner und willkürlicher erborgungen ist diese gemeinschaft zu verstehen; sie trägt den eindruck und das gepräge wunderbarer berührungen und nachklänge an sich, wie sich ähnliche in der geschichte der sprache und poesie darbieten, deren geheimnis erst allmälich durch fortgesetzte, jetzt kaum begonnene untersuchungen wird besser enthüllt werden.
Hier nun hat uns der bewährte kenner und sammler einen frisch duftenden kranz serbischer märchen gebunden, an zahl nicht mehr und nicht minder als vor einigen jahrhunderten der Neapolitaner Basile in seinem pentamerone, zwar getreu und anlockend, doch in schwülstigem, die eigentliche natur dieser einfachen, kindlichen erzählungen[7] überschreitendem vortrag aufzeichnete. auch in diesem halbhundert serbischer erzählungen macht sich eine verschiedenheit der anlage und des tons bemerkbar, je nachdem sie, gleich den liedern, von männern oder von frauen ausgehn, und danach eine auf heldenstreiche gerichtete, fester gewirkte und ausführlichere, nicht selten prahlerische, ironische haltung in ihnen vorwaltet, oder eine sanftere, losere auf liebesabenteuer gewandte darstellung. überall aber, in beiden, flieszt die sprache in einfacher, natürlicher weise, die nicht, wie in deutschen und nordischen märchen, da wo die handlung sich drängt, durch eingestreute reime unterbrochen wird, weil ja die serbische poesie insgemein nicht zum reim neigt; wol aber mangelt es auch hier keineswegs an kraftvollen wiederkehren und alliterationen, die in der verdeutschung begreiflich zu grunde gehn, z.b. das nije on doschao da te vidi, nego da te vodi, seite 39 des originals, kam nicht dich zu sehen sondern zu holen, oder in no. 8 das kurze drschi ne daj, fasz, lasz nicht! den stil beurtheile man z.b. nach no. 24, wo es zu eingang, aber in den serbischen worten schöner als in deutschen heiszt:[8] ein mädchen, nicht von vater und mutter gezeugt, Wilen hatten es von schnee gebildet, den sie im hohen sommer aus grundloser grube holten, der wind belebte, der thau säugte es, der wald that es mit blättern an, die wiese schmückte und putzte es mit ihren blumen. eine schöne wiederkehr ist auch s. 224 nosim ti studene voditze i zelene travitze, ich bringe dir kühles wasser und grünes gras.
Man kann von selbst erwarten, dasz fast alle, oder doch die meisten triebfedern, welche in deutschen märchen spielen, auch hier erscheinen: die drei brüder, unter welchen der jüngste der beste und glücklichste ist; die beiden gleichen brüder, an denen selbst die ehfrau keinen unterschied findet, und wo dann das schwert zwischen sie und den bruder, der nicht ihr mann ist, gelegt wird; der bruder, der sein schwesterchen in der weiten welt, oder die geliebte, die ihren gatten aufsucht; die hülfreichen oder zürnenden gestirne; das abstreifen der schlangenhaut oder der bärenhaut; das hüten des apfelbaums; das abhauen der hände und wieder anheilen; die böse stiefmutter, ein gegenstand, der unter allen am häufigsten behandelt wird und die[9] schmerzhafteste empfindung in den zuhörern aufregt; der zerschnittene fisch, auf dessen genusz alle weiblichen wesen zwillinge tragen (wie im schwedischen märchen); die goldne gluckhenne mit den küchlein; das braten und essen des vogelherzens; der raub der königstochter in dem schif, das kostbare waaren auslegt, und solches gemeingut aller märchen mehr, meist aber von neuen schönen wendungen eingeleitet oder anders angeknüpft. Aschenputtel, hier Aschenzuttel verdeutscht, heiszt Pepeljuga, doch sehr eigen und anziehend ist, dasz die mutter in eine kuh verwandelt wird, die dem armen mädchen seinen flachs kaut und sich aus dem ohr die fertigen faden ziehen läszt. das blut im schnee findet sich auch hier no. 19, wie in den norske eventyr no. 33 (vgl. meine vorr. zu Liebrechts pentamerone s. XXII). der bekannte schwank vom bösen weib und der gemähten wiese no. 37 empfängt ganz besondere wendung. merkwürdig sind auch die pfauinnen statt der schwäne.
Wodurch sich aber die serbische eigenheit vorzugsweise ankündigt, das ist das auftreten der Wilen. in no. 16 kommen badende Wilen zur quelle, deren[10] wasser dann einen kranken heilt; mit dem hankrat verschwinden sie. in 22 fliegt die Wile und der Wilenik herzu, und er nennt die 77 quellen, deren zahl gesucht wird. die Wilen haben ein kind von schnee gebildet, wie schon vorhin aus 24 angeführt wurde. in 30 Wilenwald oder gebirge (gora), in 33 schön wie die Wile des gebirgs. zumal anziehend ist die sage von dem geflügelten pferd und vom schlafenden, wachenden glück 13; bloszes bruchstück scheint die vom brautlauf 24.
Sehr mythologisch klingt 18 vom teufel, der die sonne stilt, und dem engel, der sie ihm wieder abgewinnt. 38 ist die riesensage von Polyphem, 39 Trojan (bei welchem namen an Trajan gedacht wurde) ist der Midas, Salomon in 42 hängt überaus merkwürdig zusammen mit unserm alten lied von Morolt und Salomon, dessen ungetreue frau sich entführen läszt, er schneidet ihr aber den finger ab, statt die hand zu durchbrennen, der kommende wald bei der hinrichtung ist wie in könig Grünewald und Macbeth, und hier ein gewis alter, der deutschen dichtung mangelnder zug. Dukljan in 40 soll Diokletian sein, das lachen, weil die eine felge sinkt, die[11] andere sich hebt, gleicht der sage von Cyrus und den rädern (mythol. s. 825). 49 und 50 sind thierfabeln, deren erste ich bereits im Reinhart fuchs seite CCXCI mittheilte, deren zweite aber sehr eigenthümlich eine menge echter und uralter motive an einander reiht, solcher musz es eine unerschöpfbare fülle geben. wie viel wäre noch heraus zu heben, wenn das buch einer empfehlung bedürfte. man wird es oft nachzulesen und mit den andern überlieferungen zu vergleichen haben.
Die willkommne verdeutschung, gefertigt von dem beider sprachen kundigen fräulein Wilhelmine Karadschitsch verdient lob, dasz sie sich getreu an den urtext schlieszt, auf dessen unkosten sie sonst hätte gekürzt und geschmeidigt werden können; es ist so besser, und das zu Wien erschienene serbische original wird desto stärker anziehen.
Die angehängten sprichwörter zeigen, welch ein schatz von lebensweisheit und sinnreichen anschauungen diesem volke beiwohnt.
Berlin, 10. Juli 1853.
Jacob Grimm.[12]
Buchempfehlung
Die zentralen Themen des zwischen 1842 und 1861 entstandenen Erzählzyklus sind auf anschauliche Konstellationen zugespitze Konflikte in der idyllischen Harmonie des einfachen Landlebens. Auerbachs Dorfgeschichten sind schon bei Erscheinen ein großer Erfolg und finden zahlreiche Nachahmungen.
554 Seiten, 24.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro