Sechzehnte Geschichte
Was der Graf Ferran Gonzalez zu Nuño Lainez gesagt

[105] Einst sprach der Graf Lucanor in folgender Weise zu seinem Rate Patronius: Ihr wißt, daß ich eben nicht mehr jung bin und bisher gar manche Beschwerde erfahren habe; ich kann wohl sagen, ich möchte endlich auch einmal ausruhen, auf die Jagd gehen und mich der Mühe und Arbeit entschlagen.[105]

Herr Graf, erwiderte Patronius, obgleich Ihr da ganz richtig sprecht, so wollte ich doch, Ihr vernähmet, was einst der Graf Ferran Gonzalez zu Nuño Lainez sagte. Was war das? fragte der Graf Lucanor, und Patronius fuhr fort:

Der Graf Ferran Gonzalez war in Burgos und hatte in der Verteidigung seines Landes große Fährlichkeiten überstanden. Als er nun eines Tages etwas mehr Ruh und Frieden hatte, sagte Nuño Lainez zu ihm: es schiene ihm wohlgetan, wenn er sich künftig nicht mehr in solche Unruh stürzte und sich und den Seinigen auch einmal Erholung gönnte. Doch der Graf antwortete darauf: es möchte kein Mensch in der Welt lieber als er die Hände in den Schoß legen, wenn er's nur könnte; so aber wüßte er wohl, daß es Krieg gebe mit den Mohren und Leonern und Navarresern, und daß, wenn sie da viel ausruhen wollten, sich seine Feinde sogleich gegen ihn wenden würden. Freilich, auf die Jagd ziehen mit schönen Falken, auf guten feisten Maultieren bergauf und bergunter, und Land Land sein lassen – das kann ich auch; dann aber würde mir geschehen, wie das alte Sprichwort sagt:


Der Mann ist hin,

Sein Name mit ihm.


Wollen wir dagegen unsere Gelüsten vergessen und uns tüchtig wehren und das Panier unserer Ehre immer höher pflanzen, so wird es nach unserm Tode von uns heißen:
[106]

Der Mann vergeht,

Sein Name besteht.


Und da wir, müßig oder geplagt, doch alle sterben müssen, so scheint es mir sehr unrecht, aus Trägheit nicht dafür zu sorgen, daß bei unserm Tode der Ruhm unserer Taten nicht mit uns untergeht.

Und da auch Ihr, Herr Graf Lucanor, wohl wisset, daß Ihr sterben müßt, so entschlagt Euch nimmer aus Sucht nach Vergnügen und Ruhe solcher Taten, die nach Eurem Tode Euren Namen unvergänglich ma chen.

Dem Grafen gefiel des Patronius Rede, er handelte darnach und befand sich wohl dabei. Don Juan aber, dem das Beispiel gut schien, ließ es in dieses Buch eintragen und machte folgenden Reim:


Jagst du, abhold höherm Streben,

Müßig nur den Lüsten nach:

Wie so schnell verfliegt das Leben,

Und dir bleibt nichts als die Schmach.

Quelle:
Don Juan Manuel: Der Graf Lucanor. Übertragen von Joseph von Eichendorff. Leipzig: Insel, 1961, S. 105-107.
Lizenz:
Kategorien: