Zweite Geschichte
Von Don Lorenzo Gallinato, Don Garciperez von Vargas und noch einem andern Ritter

[14] Als einmal der Graf Lucanor in einer geheimen Unterredung mit seinem Rat Patronius begriffen war, sagte er zu ihm: Ich hatte einst einen sehr mächtigen König zum Feinde, nach langem Zwiste aber verabredeten wir beide, unseres eigenen Vorteils willen, uns zu vergleichen; doch ob wir auch jetzt ausgesöhnt und in Frieden sind, so hütet doch noch immer einer den andern voll Mißtrauen. Überdies haben mehrere seiner Ritter und selbst einige von meiner eigenen Schar deshalb Feindschaft gegen mich gefaßt, hetzen uns gegeneinander auf und sagen, wie man nur einen Vorwand suche, um sich gegen mich zu wenden. Und obgleich ich selber schon über die Sache nachgedacht habe, so bitte ich Euch doch im Vertrauen auf Eure gute Einsicht, daß Ihr mir ratet, was ich in dieser Angelegenheit tun soll.

Herr Graf Lucanor, entgegnete Patronius, da ist aus vielen Gründen schwer zu raten. Vor allem bedarf ein jeder, der Euch gern in Zwist verwickeln möchte, sicherlich großer Überredungskünste dazu; denn wer da erklärt, daß er Euch dienen, Euch aus einem Irrtum reißen und warnen wolle, weil ihm Euer Schaden nahegehe, der wird Euch immer erst Argwohn einzureden suchen, der Argwohn aber wird zu Rüstungen veranlassen, die[15] wiederum der Anlaß zum Zwiste sind. Und doch wird kein Mensch in der Welt irgend etwas dagegen sagen können. Denn wollte Euch einer raten, Eure Person nicht zu hüten, so würde er dadurch bekennen, daß er Euer Leben nicht liebt; sagt er, Ihr sollet Eure Schlösser nicht instand setzen und befestigen, so gibt er kund, daß er Euer Erbe nicht zu bewahren trachtet; meint er endlich, Ihr möchtet nicht so viele Freunde und Vasallen werben, und nicht so Großes an sie wenden, um sie Euch zu erhalten, so verrät er, daß er Eure Ehre und Sicherheit geringachtet, denn die Unterlassung alles dessen könnte Euch in der Tat großer Gefahr aussetzen und leicht der Anfang gewissen Untergangs sein. Da Ihr nun aber einmal meinen Rat in der Sache verlangt, so wünsche ich, daß Ihr erfahret, was einmal einem sehr tapfern Ritter begegnet ist.

Als nämlich der heilige und glückliche König Don Fernando Sevilla belagerte, befanden sich unter den vielen Tapfern, die dort mit ihm waren, drei Ritter, welche man für die besten Krieger hielt, die es damals in der Welt gäbe, und war der eine von ihnen Don Lorenzo Suarez Gallinato, und der andere Don Garciperez von Vargas genannt, auf den Namen des dritten aber kann ich mich nicht besinnen. Diese drei Ritter stritten eines Tages untereinander, welcher von ihnen der beste Kriegsmann sei, und da sie sich auf andere Weise nicht einigen konnten, beschlossen alle drei, sich gut zu[16] bewaffnen und dem Tore von Sevilla sich so weit zu nähern, daß sie es mit ihren Lanzen erreichen könnten. Am folgenden Morgen nun bewaffneten sich alle drei und machten sich auf den Weg nach der Stadt. Die Mohren, welche auf den Mauern und Türmen standen, da sie nicht mehr als drei Ritter gewahrten, meinten, sie kämen als Abgesandte, es stieg daher keiner von ihnen herab, und die drei Ritter überschritten Graben und Brustwehr, kamen bis ans Tor und pochten mit dem Schaft ihrer Lanzen daran, darauf aber wandten sie die Zügel und ritten wieder nach ihrem Kriegsheere zu. Sobald nun die Mohren sahen, daß jene kein Wort zu ihnen sprachen, hielten sie es für Hohn und fingen an, sie zu verfolgen; ehe sie aber das Tor geöffnet hatten, waren die drei Ritter, obgleich sie langsam zurückkehrten, schon etwas entfernt, und es stürzten an fünfzehnhundert Reiter und mehr als zwanzigtausend zu Fuß ihnen nach. Da die drei Ritter nun wohl merkten, daß sie sie einholen würden, wandten sie die Rosse gegen sie, um sie zu erwarten, und als die Mohren schon nahe waren, griff jener Ritter, dessen Namen ich vergessen, sie an, Don Lorenzo Suarez und Garciperez aber verhielten sich ruhig. Doch als die Mohren noch näher kamen, schlug auch Don Garciperez von Vargas los, und nur Don Lorenzo Suarez blieb still, bis die Mohren ihn angriffen, dann warf er sich auf sie und begann wunderwürdige Waffentaten zu verrichten. Die[17] im Lager aber, da sie ihre Ritter mitten unter den Mohren sahen, eilten ihnen zu Hilfe, und obgleich jene in großer Bedrängnis und verwundet waren, so fügte es Gott doch so gnädig, daß keiner von ihnen fiel; der Kampf wurde jedoch so groß, daß der König Don Fernando selbst sich hineinmischen mußte, und es wurde ein glücklicher Tag für die Christen. Sobald indes der König in sein Zelt zurückgekehrt war, ließ er die drei Ritter verhaften und sagte, sie hätten den Tod verdient, weil sie so töricht gewagt, das Heer ohne seinen Befehl in solchen Aufruhr zu bringen und das Leben so vieler wackerer Ritter aufs Spiel zu setzen. Da aber die Großen im Heer für dieselben um Gnade baten, ließ er sie wieder frei, und als er erfahren, welcher Streit sie zu der Tat veranlaßt habe, berief er alle Tapfern seines Gefolges, um zu entscheiden, welcher von den drei Rittern jene Tat am besten vollbracht. Da entstand großer Streit unter den Versammelten; die einen erklärten den Ritter, der zuerst die Mohren angegriffen, für den Tapfersten, andere den zweiten, und wieder andere den dritten. Jeder führte gute Gründe für seine Meinung an, zuletzt aber vereinigten sich alle zu folgendem Ausspruch: Wäre die Schar der nachfolgenden Mohren von der Art gewesen, daß sie durch den Mut jener drei Ritter überwältigt werden konnte, so würde auch der, der sie zuerst angriff, für den besten zu achten sein, weil er einen Handel angefangen, der sich ausfechten ließ.[18] Da aber der Mohren so viele waren, daß sie dieselben auf keine Weise zu überwinden vermochten, so schlug er nicht los, um zu siegen, sondern die Scham hielt ihn von der Flucht ab, und so in seiner Herzensnot, weil er weder fliehen noch die Furcht ertragen konnte, stürzte er sich auf die Feinde. Den zweiten, welcher später als der erste angriff, hielten sie für tapferer, weil er der Furcht besser widerstanden. Den Don Lorenzo Suarez Gallinato aber, der alle Furcht ertrug und ausharrte, bis die Mohren ihn anfielen, erklärten sie für den besten Ritter.

Ebensolche Bewandtnis aber, Herr Graf Lucanor, hat es mit den Besorgnissen und Drohungen, von denen Ihr sprecht; denn sehet Ihr, daß Ihr den Kampf, wenn Ihr ihn auch anfinget, nicht zu Ende führen könntet, so erscheint Ihr nur um so mutvoller und verständiger, je beharrlicher Ihr jene Sorgen und Ängste ertragt. Habt Ihr daher das Eurige wohl bestellt, so daß man Euch nicht unversehens etwas Bedeutendes anhaben kann, so rate ich Euch, Euer Herz zu bezwingen und, da Ihr doch keinen harten Schlag erleiden könnt, abzuwarten, bis man Euch angreift. Vielleicht findet sich's dann, daß alle jene Sorgen und Drohungen, womit sie Euch jetzt beunruhigen, lügenhaft und von ganz anderer Art waren, als sie vorgeben, und daß jene bloß um ihres eigenen Vorteils willen so handelten, weil ihr Glück nur im Unheil blüht. Denn glaubt nur, dergleichen Volk von[19] Eurer wie von der andern Partei will weder rechten Krieg noch rechten Frieden. Sie wollen nichts als Verwirrung, damit sie rauben und dem Lande Übles zufügen können; sie wollen Euch und Euren Gegenpart nur im Schach halten, um beiden das eigene oder fremde Gut abzudringen, ohne eine Züchtigung befürchten zu dürfen. Wenn sie daher auch etwas gegen Euch unternehmen, es kann Euch nicht viel Abbruch tun, vielmehr, weil die Schuld bei den Gegnern, nur zu Eurem Besten ausschlagen, da Gottes Beistand, der solche Dinge schlichtet, mit Euch ist, und das Volk für Recht erkennen wird, was Ihr tut. Und vielleicht, daß sich auch Euer Feind nicht rührt, wenn sie Euch zu keiner Ungebühr beschwatzen konnten und Ihr in Frieden bleibt zu Gottes Preis und zum Heile aller Gutgesinnten.

Don Juan, der dieses Beispiel für gut hielt, machte folgende Verse dazu:


Nie treib ein Unbill dich, blind dreinzuschlagen,

Denn Sieger bleibt, wer männlich weiß zu tragen.

Quelle:
Don Juan Manuel: Der Graf Lucanor. Übertragen von Joseph von Eichendorff. Leipzig: Insel, 1961, S. 14-20.
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