Dreiundzwanzigste Geschichte
Was mit dem König und seinem Günstling sich begeben

[130] Als der Graf Lucanor sich einmal heimlich mit seinem Rate Patronius besprach, sagte er zu ihm: Ein sehr angesehener und mächtiger Mann, der sich schon immer als mein Freund gezeigt hat, vertraute mir vor wenigen Tagen ganz insgeheim, daß er, gewisser Vorfälle wegen, entschlossen sei, dieses Land zu verlassen und nimmer zurückzukehren; aus Liebe und großem Vertrauen zu mir aber wolle er alles, was er durch Kauf oder zu Lehen an Ländereien besitze, mir überlassen. Dieser Antrag scheint mir sehr ehrenvoll und vorteilhaft[130] für mich, und bitte ich Euch daher, mir zu raten, was ich in dieser Sache tun soll. Herr Graf, erwiderte Patronius, ich merke wohl, daß Euch hierbei mein Rat eben nicht sonderlich not tut; da Ihr aber meine Meinung darüber verlangt, so will ich gehorchen, und muß Euch denn vor allen Dingen sagen, daß Euer vermeintlicher Freund alles das nur tut, um Euch zu prüfen, und scheint es Euch mit ihm ebenso zu gehen, wie es einmal einem Könige mit seinem Günstling ergangen. Der Graf bat, ihm dieses zu erzählen, und Patronius sagte:

Es war einmal ein König, der hatte einen Günstling, in den er großes Vertrauen setzte, und wie denn ein jeder, dem es gut geht, seine Neider hat, so erweckte auch hier die Stellung und das Glück dieses Günstlings den Neid der andern Hofleute, die ihn bei seinem Herrn zu verschwärzen suchten. Was sie aber auch vorbringen mochten, sie konnten den König niemals bewegen, ihm irgend ein Leid zuzufügen oder auch nur Verdacht oder Zweifel in seine Dienste zu setzen. Da sie nun sahen, daß sie auf keine andere Weise ihr Ziel erreichen konnten, so gaben sie dem Könige zu verstehen, wie jener Günstling ihm nach dem Leben trachte, um sein kleines Söhnchen in seine Gewalt zu bekommen, und wenn er sich so im Reiche erst festgesetzt, dann auch das Knäblein zu töten und alleiniger Herr des Landes zu werden. Hatten sie auch nun bisher den König durchaus[131] nicht irrezumachen vermocht, bei dieser Nachricht konnte er's doch nicht übers Herz bringen, einiges Mißtrauen zu fassen; denn in so wichtigen Dingen, die, einmal vollbracht, nie wieder gutzumachen sind, wird kein verständiger Mensch es auf die Probe ankommen lassen; und so, einmal dem Argwohn verfallen, geriet er in große Unruhe, wollte aber gegen den Günstling nichts merken lassen, bis er einige Gewißheit hätte. Da schlugen die Verleumder ihm tückisch ein Mittel vor, die Wahrheit ihrer Aussage zu prüfen, wie Ihr dies alles sogleich aus den folgenden Gesprächen des Königs mit seinem Günstling ersehen werdet. Der König nahm sich auch wirklich insgeheim vor, den Anschlag auszuführen, und als er nach einigen Tagen den Günstling sprach, und sie ein Weilchen erst von andern Dingen geredet hatten, spielte er von fern darauf an, daß ihn das Leben dieser Welt anekle und ihm alles eitel erscheine; mehr aber sagte er für jetzt noch nicht. Ein paar Tage darauf aber knüpfte er, scheinbar aus andern Gründen, wieder ein vertrauliches Gespräch mit ihm an und kam abermals darauf zurück, wie er des Lebens und Treibens dieser Welt täglich überdrüssiger werde. Und dies wiederholte er zu so verschiedenen Zeiten und so oft, bis der Günstling endlich überzeugt war, der König finde wirklich keinen Gefallen mehr an Ehre und Reichtum noch sonst an den irdischen Gütern und den Freuden, die sie ihm boten.[132]

Da nun aber der König sah, daß sein Günstling diese Meinung gefaßt, sagte er eines Tages zu ihm, er gedenke die Welt zu verlassen und in fremden Landen, wo ihn niemand kenne, einen öden und abgelegenen Aufenthalt aufzusuchen, um dort durch Bußübungen Verzeihung seiner Sünden, Gottes Gnade und die ewige Seligkeit zu erwerben. Als der Günstling ihn so reden hörte, erstaunte er sehr und machte ihm vielerlei Vorstellungen gegen sein Vorhaben. Unter anderm sagte er ihm, wie er damit Gott einen gar schlechten Dienst erweisen würde, wenn er Land und Leute, die er bisher in Zucht und Frieden gehalten, sich selbst überließe; denn sobald er den Rücken kehrte, würde Zwist und Empörung unter ihnen ausbrechen, zu Gottes Mißfallen und des Landes Verderben. Und wenn ihn dies alles noch nicht bestimme, so möge er wenigstens seiner Gemahlin und seines kleinen Sohnes gedenken, welche dadurch sicherlich an Leib und Gut in die größte Gefahr kämen. Doch der König erwiderte hierauf, bevor er noch den Entschluß gefaßt, aus dem Lande zu scheiden, habe er bei sich schon eine Vorkehrung ersonnen, um Frau und Kind sowie sein Land zu sichern. Er sei nämlich überzeugt, wie er, der Günstling, den er erzogen, mit Wohltaten überhäuft und stets ehrlich befunden habe, ihm auch ferner treu und gebührlich dienen werde. Darum vertraue er ihm auch mehr als irgend jemandem in der Welt und habe beschlossen,[133] Frau und Sohn in seine Gewalt zu geben und ihn über alle Städte und festen Plätze des Landes zu setzen, damit niemand etwas gegen seinen Sohn unternehmen könne. Kehrte er dann einst zurück, so wäre er gewiß, alles, was er zurückgelassen, in Ordnung wiederzufinden, stürbe er aber indes, so stürbe er mit der Beruhigung, für seinen Sohn und dessen Erbe auf das beste gesorgt zu haben, bis die Zeit gekommen, wo er selbst die Regierung übernehmen könnte; und also halte er in solcher Weise das Seinige für gut bestellt.

Als der Günstling hörte, daß der König Reich und Sohn in seine Hand geben wolle, hatte er, wiewohl er sich's nicht merken ließ, eine große Freude darüber, denn er wußte wohl, daß, wenn alles in seiner Gewalt stünde, er auch mit allem nach Belieben schalten könnte.

Dieser Günstling aber hatte einen Gefangenen im Hause, der sehr gelehrt und weise war und den er bei allen seinen Unternehmungen zu Rate zog. Sobald er daher vom König Abschied genommen, begab er sich zu dem Gefangenen und erzählte ihm mit großer Freude, was ihm mit dem König begegnet und wie glücklich er sei, daß ihm dieser Reich und Sohn überlassen wolle. Da der weise Gefangene aber den Vorgang hörte und daß sein Herr auf den Vorschlag des Königs eingehen wollte, sah er sogleich den Mißgriff desselben ein, begann ihn heftig auszuschelten und sagte: es sei kein Zweifel, sein Leben und Gut stehe in der[134] größten Gefahr, denn alles das habe der König nicht etwa in der Absicht gesagt, es auszuführen, sondern weil einige Mißgünstlinge ihn angestiftet hätten, nur so zu sprechen, um ihn zu prüfen, und wenn der König sein Gefallen daran bemerke, so stehe, wie gesagt, sein Leben und Gut dabei auf dem Spiele. Bei diesen Worten geriet der Günstling in große Angst, denn er mußte anerkennen, daß der Gefangene wirklich recht habe.

Da nun dieser seinen Herrn in solcher Verwirrung sah, riet er ihm folgende List an, um der Gefahr, in der er schwebte, zu entgehen. Noch dieselbe Nacht nämlich ließ der Günstling sich Kopf und Bart abscheren, suchte eine schlechte, ganz zerlumpte Kleidung, Pilgerstab und zerrissene, mit Eisen beschlagene Schuhe, wie sie die bettelnden Pilger zu tragen pflegen, hervor, und verbarg in die Nähte der Lumpen eine große Summe Dublonen. So erschien er noch vor Tagesanbruch an der Türe des Königs und hieß den Pförtner, den er dort fand, dem Könige melden: Er möge sich erheben, damit sie fortkämen, ehe die Leute erwachten, er erwarte ihn hier draußen; alles dies befahl er aber dem Könige ganz insgeheim zu sagen. Der Pförtner war höchst erstaunt, ihn in solchem Aufzuge zu erblicken, ging aber doch zum Könige hinein und richtete aus, was ihm der Günstling aufgetragen. Darüber verwunderte sich der König sehr, befahl ihn einzulassen, und als er ihn so eintreten sah, fragte er ihn, was das heißen[135] sollte. Da erwiderte der Günstling: er erinnere sich wohl, wie der König auswandern wolle, da möge denn Gott verhüten, daß er jemals vergäße, was er Gutes an ihm getan! Habe er Glück und Ehre mit ihm geteilt, so sei es billig, daß er nun auch an der Armut und Verbannung, die er erwählt, seinen Teil habe, und wenn den König weder Weib noch Kind, noch Reich gereuten, so wolle auch er das Seinige nicht achten, sondern mit ihm ziehen und ihm dienen, wie kein andrer es vermöge; auch führe er in diesem Kleide so viel mit sich, daß es für sein ganzes Leben hinreiche, und müßt es denn einmal geschieden sein, so möchten sie bald aufbrechen, bevor es noch ruchbar würde.

Als der König alle diese Dinge vernahm, zweifelte er keinen Augenblick, daß er es aufrichtig meine, dankte ihm sehr und erzählte ihm nun seinen ganzen Anschlag, und wie er das alles nur getan, um ihn auf die Probe zu stellen; und also wäre der Günstling aus schlimmer Habsucht in die Schlinge gerannt, hätte ihn Gott nicht durch den Rat des gefangenen Weisen davor behütet.

Und ebenso nehmt auch Ihr, Herr Graf Lucanor, Euch wohl in acht, daß Euch jener vermeinte Freund nicht überliste, denn seid versichert, er tut alles nur, um zu prüfen, was er an Euch habe; Ihr müßt ihm daher durch Eure Erwiderung die Überzeugung geben, daß Ihr nichts als seinen Vorteil und seine Ehre im Auge und kein Gelüsten[136] nach dem Seinigen habt; denn wo ein Freund dem andern jene beiden Dinge nicht wahrt, da wird die Freundschaft nimmer lange bestehen.

Der Graf fand den Rat des Patronius gut, tat, wie er ihm geraten, und fuhr wohl dabei, und da Don Juan das Beispiel für vortrefflich hielt, ließ er es in dieses Buch schreiben und kleidete den Sinn desselben in folgende zwei Reime:


Keiner schenkt sein Kleid dem andern,

Um dann selber nackt zu wandern.


Der andre Reim aber lautet also:


Durch Freundes Rat führt Gottes Hand

Aus Sturm dich ans ersehnte Land.

Quelle:
Don Juan Manuel: Der Graf Lucanor. Übertragen von Joseph von Eichendorff. Leipzig: Insel, 1961, S. 130-137.
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