Siebenunddreissigste Geschichte
Von dem Rat, den Patronius dem Grafen Lucanor gab, als dieser ruhen und sich ergötzen wollte, wobei das Beispiel von der Ameise entnommen war

[179] Ein andermal sprach der Graf Lucanor zu seinem Rate Patronius: Gott sei Dank, Patronius, es fehlt mir nicht an Reichtümern; da raten mir denn einige, da ich's hätte, sollte ich mich aller Sorgen entschlagen, mich ergötzen, essen und trinken und lustig sein, denn ich besäße ja dessen doch genug für mich und meine Erben. Da Ihr aber so verständig seid, so bitte ich Euch, sagt mir, was Ihr dazu meint.

Herr Graf, erwiderte Patronius, sich lustig machen[179] ist ein gut Ding, damit Ihr aber hierin handelt, wie es Euch am besten frommt, wär es mir lieb, Ihr vernähmet, was die Ameise für ihren Lebensunterhalt tut. Der Graf bat, es ihm mitzuteilen, und Patronius sagte:

Herr Graf Lucanor, Ihr wißt, was für kleine Tierlein die Ameisen sind, man sollte nicht meinen, daß sie große Voraussicht hätten; und doch werdet Ihr finden, daß sie jedesmal zur Erntezeit aus ihren Haufen hervorkommen, auf die Felder gehen, dort zu ihrem Unterhalt so viel Getreide, als sie nur können, zusammenschleppen und es in ihre Wohnungen legen, beim ersten Regen aber wieder herausbringen. Die Leute sagen, sie täten dies, um das Getreide abzuspülen. Aber die Leute wissen nicht, was sie sprechen. Dem ist keineswegs so; denn es ist Euch nicht unbekannt, daß zu der Zeit, wo die Ameisen ihre Vorräte aus den Haufen heraustragen, das Regenwetter eintritt und der Winter beginnt. Da hätten sie nun viel zu tun, wenn sie bei jedem Regen das Getreide zum Abspülen auslegen wollten, überdies würde ihnen auch hierzu die Sonne fehlen, die im Winter nicht oft genug scheint, um es zu trocknen. Der Grund vielmehr, warum sie es beim ersten Regen herausbringen, ist dieser: Sie häufen in ihren Wohnungen auf, soviel nur darin Platz hat, und denken an nichts anderes, als zusammenzutragen, was sie irgend finden, und wenn es in Sicherheit ist, meinen sie dann, für den Unterhalt[180] dieses Jahres gehörig gesorgt zu haben. Sobald aber der Regen kommt und die Körner naß werden und zu keimen anfangen, da merken sie, daß das Getreide, wenn es in dem Ameisenhaufen aufginge, sie, statt zu ernähren, ersticken und also sie selbst hierdurch ihr Verderben herbeiführen würden. Darum tragen sie es heraus und fressen das Auge ab, das sich an jedem Korn befindet und woraus dasselbe schoßt, lassen aber sonst das Körnchen ganz; und dann mag es regnen, soviel es will, es kann nicht auswachsen, und sie erhalten sich davon das ganze Jahr hindurch. Auch werdet Ihr bemerken, daß sie, obgleich sie haben, was sie brauchen, doch bei gutem Wetter noch jedes Bröslein auflesen, aus Besorgnis, daß ihr Vorrat nicht ausreichen könnte; denn sie mögen, während sie Zeit haben, nicht müßig sein oder irgend etwas Nützliches verderben lassen, das ihnen Gott beschert.

Hat nun aber, Herr Graf Lucanor, ein so armselig Ding wie die Ameise soviel Verstand und läßt es sich so sauer werden, sich zu ernähren, so möget Ihr daraus abnehmen, daß es keinem Manne, und am wenigsten denen, die Land und Leute zu regieren haben, geziemt, stets nur auf das Verzehren des Erworbenen zu denken; denn seid versichert, so groß auch das Vermögen sei, nimmt man täglich davon, ohne etwas dazuzutun, so kann es nimmer lange dauern; überdies scheint mir auch so ein Leben sehr langweilig und feige.[181]

Mein Rat ist also der: Wollt Ihr schmausen und lustig sein, so tut es immerhin, aber sorgt dafür, wovon Ihr's bestreitet, und haltet dabei Land und Ehre aufrecht, denn wer Gutes tun will, und hätte er auch noch soviel, wird Gelegenheit genug finden, es zu seinem Ruhme zu verwenden.

Der Graf war mit diesem Rate sehr zufrieden, richtete sich darnach und befand sich gut dabei. Don Juan aber, der an dem Beispiel Gefallen fand, ließ es in diesem Buche aufnehmen und dichtete folgenden Reim:


Verpraß nicht stets, was du erwirbst,

Auf daß du einst in Ehren stirbst.

Quelle:
Don Juan Manuel: Der Graf Lucanor. Übertragen von Joseph von Eichendorff. Leipzig: Insel, 1961, S. 179-182.
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