Zweiundvierzigste Geschichte
Was dem Guten und dem Bösen, desgleichen einem Narren begegnet ist

[204] Der Graf Lucanor sprach also zu seinem Rate Patronius: Von meinen beiden Nachbarn bin ich[204] dem einen sehr zugetan, und wir haben vielerlei untereinander, wofür ich ihm verpflichtet bin; aber ich weiß nicht, welcher Teufel oder Zufall da im Spiele ist, daß er mich dabei häufig zwackt und durch mancherlei Beleidigungen oft in den heftigsten Zorn versetzt. Mit dem andern dagegen habe ich nur wenig freundschaftlichen Verkehr, noch auch sonst sonderliche Veranlassung zu großem Danke gegen ihn, vielmehr tut er mir gar manches an, was mir eben nicht sehr erfreulich ist. Um Eurer guten Einsicht willen bitte ich daher um Euren Rat, auf welche Weise ich mit diesen beiden Leuten zurechtkommen soll.

Herr Graf Lucanor, entgegnete Patronius, was Ihr mir da sagt, sind zwei einander gerade entgegengesetzte Dinge. Damit Ihr daher in der Sache geziemend zu Werke gehen könnt, wäre es mir lieb, Ihr vernähmet zwei Geschichten, wovon die eine dem Guten und dem Bösen, und die andere einem Bauer mit einem Narren begegnet ist. Was sind das für Geschichten? fragte der Graf.

Herr Graf, sagte Patronius, da deren zwei sind und ich Euch nicht beide auf einmal erzählen kann, so will ich mit der vom Guten und Bösen den Anfang machen und dann die vom Bauer und Narren folgen lassen.

Der Gute und der Böse also beschlossen, miteinander Kameradschaft zu machen, und der Böse, der stets betriebsam und voller Kniffe ist und[205] nicht ruhen kann, bis er nicht ein Unheil oder Schelmenstück angezettelt, sagte da zu dem Guten, es wäre wohl zweckmäßig, daß sie nun auch irgendeinen Erwerb ergriffen, wovon sie sich ernähren könnten; der Gute war damit zufrieden, und sie kamen überein, Schafe zu halten. Als sie aber die Schafe hatten, sagte der Böse, sie wollten nun wählen, was jeder von ihnen von dem Ertrage für sich beziehen sollte.

Der Gute, gut und bescheiden, wie er ist, mochte jedoch nicht wählen, sondern überließ dies dem Bösen. Darüber hatte der Böse, schlecht und betrügerisch, wie er ist, eine große Freude und sagte: der Gute solle die neugebornen Lämmer haben, er aber würde die Milch und Wolle der Schafe für sich nehmen; und der Gute war mit der Teilung zufrieden. Nun meinte der Böse, es wäre vorteilhaft, wenn sie Schweine hätten; dem Guten war es recht; als es aber zur Teilung kam, sagte der Böse, da bei den Schafen der Gute die Jungen und er die Milch und die Wolle genommen, so solle jetzt der Gute die Milch und Wolle von den Schweinen und er die Jungen haben, und der Gute nahm die Teilung an. Darauf schlug der Böse vor, Gemüse zu bauen, und sie steckten Rüben. Als sie aber heranwuchsen, sagte der Böse zum Guten: Was man nicht sähe, kenne man nicht; damit der Gute nun sähe, was er habe, solle er das Kraut der Rüben, das über der Erde wüchse, nehmen, er wolle sich mit dem unter der[206] Erde begnügen; und der Gute nahm es an. Sodann pflanzten sie Blumenkohl, und als er aufging, sagte der Böse: Da der Gute das vorigemal genommen, was über der Erde war, so möge er vom Blumenkohl jetzt das unter der Erde nehmen; und der Gute nahm es ebenfalls an. Nun meinte der Böse, sie müßten doch auch ein Weib zur Bedienung haben, und da es dem Guten recht war und sie das Weib hatten, sagte der Böse zum Guten, sie wollten den Nutzen von ihr gleichfalls untereinander teilen, der Gute solle die Vorteile vom Gürtel aufwärts haben, welches der beste Teil des Körpers sei, er dagegen wolle den schlechtern Teil, vom Gürtel abwärts, nehmen. Und so geschah es denn: Die obere Hälfte besorgte dem Guten, was im Hause nötig war, und die Hälfte des Bösen war mit diesem verheiratet und mußte bei ihm schlafen. Nun wurde das Weib schwanger, gebar ein Knäblein und wollte es säugen. Da aber dies der Gute sah, sagte er: Sie dürfe das nicht tun, denn die Milch wäre von seinem Teil, und er würde es auf keine Weise zugeben.

Als nun der Böse erfuhr, daß sie niedergekommen, kam er sehr vergnügt, sein neugebornes Söhnchen zu sehen; da er es aber weinend fand, fragte er die Mutter, warum es weine, und die Mutter erwiderte: weil es nicht säugen könne. Da sagte der Böse, sie solle ihm die Brust geben, doch das Weib entgegnete, der Gute hätt es ihr[207] verboten, indem er behaupte, die Milch gehöre ihm. Als der Böse dies vernommen, ging er zu dem Guten und sagte höhnisch und spöttisch zu ihm, er solle doch das Kind säugen lassen; doch der Gute erwiderte, die Milch sei sein und er werde das nicht tun. Nun fing der Böse an zu zanken, da der Gute ihn aber so heftig sah, rief er: Gemach, gemach, Freundchen! Glaubt nur nicht, daß ich so einfältig bin und nicht gemerkt habe, was für Anteile Ihr jederzeit für Euch und für mich ausgewählt, dessenungeachtet habe ich jedoch nie etwas von dem Eurigen verlangt, sondern mich erbärmlich genug mit dem beholfen, was Ihr mir überließet, während Ihr niemals weder Mitleid noch Mäßigung gegen mich zeigtet. Hat Euch daher Gott jetzt in die Lage gebracht, so verwundert Euch nicht, wenn ich's Euch nicht geben mag, sondern gedenket des Schadens, den Ihr mir zugefügt. Genug: da der Böse einsah, daß der Gute die Wahrheit sprach und daß sein Söhnlein auf diese Weise umkommen müßte, wurde er sehr betrübt, legte sich aufs Bitten und fing an, den Guten inständigst anzuflehen, daß er sich doch um Gottes willen des armen Wurms erbarmen und seiner Übeltaten nicht weiter gedenken möge, er wolle auch von jetzt ab stets nur auf sein Bestes Bedacht nehmen.

Da erkannte der Gute Gottes Gnade, die den Bösen zu der Einsicht gelenkt, daß nur bei des Guten Güte Rettung sei. Er erachtete dies als[208] einen großen Schritt zur Besserung und sagte daher zu dem Bösen: wenn er seine Zustimmung dazu haben wolle, daß das Weib dem Kinde die Brust gebe, so müsse er den Jungen auf den Rücken nehmen und so durch die Stadt gehen und ausrufen, daß es alle hörten: Lieben Leute, seht da, also hat der Gute durch Güte den Bösen überwunden! Da freute sich der Böse, daß er in der Sache so wohlfeilen Kaufes davonkam, der Gute aber hielt es für eine heilsame Züchtigung, es geschah nach seinem Begehr, und so erfuhren denn alle, daß der Gute allezeit durch Güte Sieger bleibt.

Ganz anders dagegen erging es dem Bauer mit dem Narren. Das war nämlich so: Ein Bauer hielt ein Badehaus, und in derselben Gegend wohnte ein Verrückter, der war täglich der erste in dem Bade, und wenn andre Leute dasselbe gebrauchen wollten, schlug er mit Steinen, Prügeln und was er fand auf die Eintretenden ein, so daß es kein Mensch mehr wagte, das Bad zu besuchen. Da nun der Bauer sah, daß ihm dieser Narr allen Gewinn von dem Bade verstörte, stand er eines Tages sehr frühe auf und begab sich, ehe noch der Verrückte kam, mit einem Kübel heißen Wassers und einem großen Scheit Holz in das Badehaus. Der Narr kam auch gar bald, um nach seinem Gebrauch die Badenden durchzuprügeln, und schritt, wie gewöhnlich, gerade darauf zu. Sowie er aber eintrat, stürzte der Bauer, der schon auf ihn lauerte, mit[209] erschrecklicher Wut ihm entgegen, goß ihm den Kübel mit heißem Wasser über den Kopf, erwischte das Holz und versetzte ihm damit so tüchtige Hiebe und in solcher Menge über Kopf und Leib, daß der Mann des Todes zu sein glaubte und nicht anders meinte, als der Bauer wäre verrückt geworden. Er entlief mit großem Geschrei und stieß draußen auf einen ehrlichen Tropf, der fragte ihn, was er denn so lärmte und heulte. Nehmt Euch in acht, Freund, rief ihm der Narr zu, es ist noch ein zweiter Narr im Bade!

Ihr aber, Herr Graf Lucanor, solltet Euch mit Euren beiden Nachbarn so stellen, daß Ihr dem, mit welchem Ihr, um Eurer Verpflichtungen willen, jedenfalls in gutem Vernehmen zu bleiben wünschet, immerdar Gutes erweiset; läßt's ihm hingehen, wenn er Euch auch manchmal Verdruß macht, und helft ihm, wo er's bedarf, aber gebt ihm dabei jederzeit zu verstehen, daß Ihr alles aus Liebe zu ihm und nicht etwa aus Pflicht tut. Dem andern dagegen, dem Ihr nicht soviel Dank schuldig seid, sehet um alle Welt durchaus nichts nach, zeigt ihm vielmehr, daß, was er auch gegen Euch unternähme, alles auf seinen eignen Kopf zurückfallen würde; denn glaubt nur, falsche Freunde wahren den Freund nicht aus Neigung, sondern nur aus Gewinnsucht oder Furcht.

Der Graf hielt das für ein treffendes Beispiel, richtete sich darnach und fuhr wohl dabei, und da Don Juan dasselbe gleichfalls gut fand, ließ er[210] es in dieses Buch schreiben und dichtete folgende Verse:


Dem guten Rechte muß der Schlechte weichen,

Drum spare die Geduld bei seinen Streichen.

Quelle:
Don Juan Manuel: Der Graf Lucanor. Übertragen von Joseph von Eichendorff. Leipzig: Insel, 1961, S. 204-211.
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