Vorbemerkung.

Fernan Caballero ist überzeugt, daß die volksthümlichen Erzählungen, welche er in demselben Bande, dem die Originale zu meiner poetischen Uebersetzung entnommen sind, mittheilt, durchaus unübersetzbar sind, indem der Reiz derselben zum großen Theil in der Particularität des Ausdruckes, in der Grazie der Wendung, im unübersetzbaren Witz und dergleichen beruhe. Doch ist aber auch das Stoffliche dieser Erzählung so anziehend, so originell und frisch, daß ich im vollen Bewußtsein, die formellen, meist sprachlichen Vorzüge darangeben zu müssen, einige dieser Erzählungen zu übersetzen unternahm, überzeugt, daß der deutsche Leser selbst aus meinem schwachen Bilde etwas vom tiefen Sinne, von der praktischen Weisheit, vom schlagenden Witze und von der wirksamen Komik dieser einfachen,[137] lustigen Geschichten erkennen und die Augenblicke, die er der Lectüre derselben gewidmet, nicht bereuen würde. Was die spanischen Originale anbetrifft, so ist es unmöglich, dem Volksmunde treuer nachzuerzählen, als es Fernan Caballero gethan, ein Verdienst, das für den Freund volksthümlicher Poesie sehr hoch steht und das unserm Dichter von allen seinen Landsleuten unbedingt zugestanden wird.

Die mir zu meiner Arbeit von Fernan Caballero zugesagte Hilfe erreichte aber sehr bald durch das freundliche Entgegenkommen dieses Dichters einen so hohen Grad, daß meine eigene Arbeit dabei ganz zurücktrat und ich es jetzt nicht mehr wagen durfte, meinen Namen unter die deutsche Bearbeitung der folgenden spanischen Volks- und Kindermärchen zu setzen.

Fernan Caballero theilt diese volksthümlichen Erzählungen in drei Classen: 1) Erzählungen von religiösem Inhalte mit besonderer moralischer Tendenz, in Spanien Ejemplos genannt; 2) Kindermärchen und 3) eigentliche Volkserzählungen im engeren Sinne. Von den beiden ersten Classen hat Fernan Caballero verschiedene in seine größeren und kleineren Novellen und Erzählungen eingeflochten[138] und der Leser wird sie zum Theil noch im Gedächtniß haben. Die Proben, welche hier mitgetheilt werden, gehören, wie man sich bald überzeugen wird, allen drei Classen an, und sind, so viel mir bekannt, noch nicht in deutscher Bearbeitung erschienen. Hoffentlich werden sie nicht verfehlen, das Interesse der der spanischen Sprache kundigen Leser auf die Originale zu lenken und so zum eingehenderen Studium der spanischen Volkspoesie auch nach dieser Seite hin von Neuem anzuregen.

Die Wahrnehmung, daß die Schriften Fernan Caballero's in Deutschland so große Theilnahme erweckt haben, beweist zur Genüge, daß in Fernan Caballero etwas der deutschen Geistes- und Gemüthswelt Verwandtes lebt; und nachdem es bekannt geworden, daß der Vater des Dichters der in Spanien lebende und um spanische Literatur so verdiente, deutsche Gelehrte Böhl von Faber war, der als Kind von Campe unter dem Namen Johannes in die Erzählung von Robinson Crusoë eingeführt wurde, haben wir uns mehr und mehr gewöhnt, Ansprüche auf geistiges Anrecht an die Werke Fernan Caballero's zu erheben. Die gegenwärtige kleine Veröffentlichung des spanischen Dichters in deutscher Sprache wird dies Gefühl nationaler Verwandtschaft[139] unzweifelhaft erhöhen und ich darf gewiß auf den Dank meiner Landsleute rechnen, daß ich demselben eine Veranlassung geworden bin, seine deutschen Freunde und Verehrer einmal in deutscher Sprache zu begrüßen.

W. Hosäus.

Quelle:
Caballero, Fernan: Spanische Volkslieder und Volksreime; Spanische Volks- und Kindermärchen; Einfache Blüthen religiöser Poesie. Paderborn: Ferdinand Schöningh, 1862, S. 137-140.
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