3.

[195] Einen armen Bauer traf ein großes Unglück: der Hagel richtete sein Feld so arg zu, daß kein einziger Halm ganz blieb. Der Bauer ging traurig bei seinem Felde umher, sein Zustand grenzte an Verzweiflung. Da begegnet ihm ein Bursche, der ihn anhält und fragt: »Wollt Ihr mich nicht als Knecht in Euren Dienst nehmen?« Der Bauer blickt ihn an und spricht: »Werde selbst nichts zu essen haben. Da sieh meine heurige Ernte!« und dabei zeigt er auf das vom Hagel heimgesuchte Feld. »Nehmt mich nur auf,« redet ihm der Bursche zu, »Ihr werdet es nicht bereuen.« Es war Rarasch. Der Bauer ließ sich endlich bereden und nahm ihn auf.

Als sie nach Hause kamen, sagte der Knecht: »Herr, ich will in die Mühle fahren!« – »Was willst Du denn mahlen? Hab' ja kein Körnchen Getreide,« entgegnete der Bauer. – »Ihr habt auf der Emporscheune oben Stroh. Gebt mir nur zwölf Säcke.« – »Nun, wenn Du aus dem Stroh etwas herauszudreschen meinst, in Gottes Namen!« Der Knecht ging, schnitt das Stroh zu Häckerling, füllte den Häckerling in die Säcke, lud diese auf den Wagen und fuhr. Es war schon spät Abends und hübsch dunkel, als er in die Mühle kam. Der Müller hatte auf dem Schüttboden zwölf in Säcke gefüllte Scheffel Getreide, das er den Mahlgästen weggestohlen: er wollte damit Morgens auf den Markt. Rarasch schüttete das Getreide in seine Säcke, und in des Müllers Säcke schüttete er den Häckerling. Dann mahlte er, bezahlte das Mahlgeld und fuhr nach Hause.

Der Bauer hatte zwei Pferde; sie waren jedoch so schlecht, daß sie kaum die Füße schleppten. »Herr,« sagte eines Tages der Knecht zu ihm, »wollt Ihr für die Mähren nicht bessere Pferde kaufen?« – »Ei warum nicht!« entgegnete der Bauer, »aber wie?« – »Dafür laßt mich sorgen!« Der Bauer willigte ein. Der Knecht ging, schlug die beiden alten Pferde todt und zog ihnen die Haut ab. Dann nahm er die Häute auf die Schulter und begab sich geraden Weges [195] in das Wirthshaus. Es war schon Abend, als er hinkam. Im Wirthshaus gab's Lärm und Rauch genug, auf dem langen Tische brannte ein Licht, und dabei standen viele Gläser, volle und leere; bei dem einen saß der Lohgerber des Ortes. »Kauft die Häute da!« sagte der Knecht zu dem Lohgerber. »Das möcht' ich wohl, hab' aber kein Geld bei mir.« – »Ich will mit Euch nach Hause gehen, wir wollen des Handels schon einig werden,« erwiederte der Knecht. Der Lohgerber erhob sich und ging.

Der Lohgerber hatte eine hübsche Frau, und wenn er des Abends nicht zu Hause war, pflegte sie der Herr Amtmann zu besuchen; die Lohgerberin briet ihm Hühner, ohne das ihr Mann davon wußte. Eben heute saß der Amtmann wieder bei ihr, als der Lohgerber außen an das Thor klopfte. »Wer ist's?« – »Ich bin's, mach' auf!« Die Lohgerberin erschrak. »Um des Himmels willen, mein Mann!« Der Amtmann sprang in den alten, leeren Schrank, die Lohgerberin versperrte ihn, zog den Schlüssel ab, steckte das Huhn in die Röhre und ging dann öffnen. Der Lohgerber trat ein, und musterte die Häute: »Nun, was ist der Preis?« – »Gebt mir da den alten Schrank dafür!« – »Wenn er Euch recht ist, meinethalben!« – »Um des Himmels willen, Mann,« schrie die Lohgerberin, »gieb nicht den alten Schrank her! Er ist ein Andenken der seligen Großmutter, der Segen kommt aus unsrem Hause!« – »Wirst Du schweigen?« donnerte der Lohgerber. »So viel Wesen mit dem alten Rumpelkasten!« Und der Bursche trug den Schrank davon.

Er trug ihn vor das Dorf bis auf die Brücke bei der Mühle. Die Mühlräder klapperten und das Wasser unter dem Wehr rauschte. Der Bursche stellte den Schrank auf die Brustlehne und sprach: »Du stehst nicht dafür, daß ich Dich weiter trage.« Dann klopfte er an den Schrank: »He, Brüderchen, kannst Du schwimmen?« Der Amtmann im Schrank begann zu bitten, er solle ihn hinauslassen, er wolle ihm hundert Stück Ducaten geben. »Her damit!« sagte der Bursche, öffnete den Schrank, und der Amtmann zählte ihm die Ducaten auf den Hut. »Danke Gott, daß Du so wohlfeil weggekommen,« sagte der Bursche, und strich das Geld zusammen. »Ein andermal [196] kriech' nicht in fremde Schränke, daß Dir nichts Aergeres widerfahre!« Der Herr Amtmann verschwor sich, das Haus des Lohgerbers in seinem ganzen Leben nie mehr zu betreten.

Hierauf nahm Rarasch den Schrank und trug ihn wieder zu dem Lohgerber. »Damit Eurer Frau nicht das Herz wehthue,« sprach er, »so bring' ich den Schrank wieder. Ich hab' mich anders besonnen. Gebt mir lieber Geld, oder stellt mir die Häute zurück!« Der Lohgerber ward mit ihm Handels einig und ging in die Kammer, um das Geld zu holen. »Die Schaale ist rein, der Teufel hat den Kern geholt!« raunte der Bursche der Lohgerberin zu. – »Um des Himmels willen, Ihr habt ihm doch nichts angethan?« – »Nein, doch soll's geschehen,« sprach der Bursche, »wenn Ihr den Schrank noch einmal vor Eurem Manne versperrt.« Indessen kam der Lohgerber und zählte das Geld auf den Tisch. »Fürwahr, Ihr habt eine wackere Frau,« sagte der Bursche zu ihm. »Ich soll Euch zureden, Ihr möchtet hübsch zu Hause bleiben und nicht in's Wirthshaus gehen; sie würde manchmal gern ein Hühnchen für Euch braten. Heut' hat sie eins für Euch gebraten, fürchtet sich aber, Ihr möchtet böse sein.« – »Hm, was sollt' ich böse sein!« meinte der Lohgerber. – »Nun, so geht Frau, geht, und bringt ihm das Huhn aus der Röhre!« Die Lohgerberin mußte gehen und das Huhn bringen, das sie für den Amtmann gebraten. Der Lohgerber war froh, daß seine Frau ihn so lieb habe, und nahm sich vor, nicht mehr in's Wirthshaus zu gehen; und die Lohgerberin war froh, daß sie so gut weggekommen, und verschwor sich, niemals wieder für wen Hühner zu braten, ohne daß ihr Mann davon wüßte.

So verschaffte Rarasch dem Bauer Geld. Der Bauer kaufte sich junge Pferde, richtete seine Wirthschaft gehörig ein, und solang er den Burschen bei sich hatte, gebrach es ihm an Nichts. Aber der Bursche war auch nicht wählerisch, er aß Alles gern, was er bekam; nur Erbsen wollte er nicht essen, und zwar deshalb, weil auf jedem Erbsenkorn ein Kelch ist.

Quelle:
Wenzig, Joseph: Westslawischer Märchenschatz. Leipzig: Lorck 1857, S. 195-198.
Lizenz:
Kategorien: