13. Der behaarte Mann.

[130] Irgendwo, ich weiss nicht wo, war auf der Welt einmal ein König, der hatte unter vielem anderen auch zwei Äcker mit Raps. Auf dem einen brannten jede Nacht, die der liebe Gott werden liess, ohne Ausnahme, zwei Haufen davon nieder. Da ward der König schrecklich zornig; er schickte bewaffnete Soldaten aus, dass sie den Brandstifter einfingen. Doch das nützte nichts. Keine Menschenseele konnte den erblicken. Neunhundert Gulden versprach er demjenigen, der den Brandstifter einfangen würde. Aber auch das verkündete er, dass er denjenigen, der das Feld nicht ordentlich beschütze, töten lassen werde. Es waren so viele, viele Leute! Aber keine Rede davon, dass sie es hätten beschützen können.

Neunundneunzig Leute hatte der König schon töten lassen, als ein kleiner Schweinehirtenjunge zu ihm kam. Dieser kleine Schweinehirtenjunge hatte zwei Hunde, der eine hiess »Pst,« der andere»Still«. Er sagte dem König, dass er die Haufen schon bewachen werde.

Als es dunkelte, ging er zum vierten Haufen hin, von dem aus er alles sehr schön überblicken konnte. So um die elfte[130] Stunde sah er auf einmal, dass jemand zu dem Haufen ging und ihn anzündete. Na, Gevatter, auf dich warte ich gerade! Sogleich rief er den beiden Hunden zu: »Pst, Still, greift ihn!« Darauf hatten die auch nur gewartet. Natürlich griffen sie ihn.

Am andern Morgen brachte er den Menschen gebunden zum König; das freute den König so, dass er ihm sogleich tausend Gulden in die Hand drückte. Jener Mann aber war über und über mit Haaren bewachsen, fast wie ein unvernünftiges Tier. Er wurde nun in eine feste Kammer eingesperrt; danach schickte der König überall hin Briefe an die Könige und Prinzen, dass sie kommen und dieses Wunder anschauen sollten.

Das war alles ganz gut; aber der König hatte einen zehnjährigen Sohn. Der sah sich einmal den behaarten Mann an, und da beschwor ihn dieser flehentlich, er möge ihn doch befreien. Da erbarmte er sich seiner. Er entwendete seiner lieben Mutter den Kammerschlüssel und öffnete die Thüre; dann trug er ihn wieder zurück. Der behaarte Mann aber zog in die Welt hinaus.

Da kamen nun die Könige und die Prinzen, einer nach dem anderen. Sie hätten wohl gern den behaarten Mann angesehen, aber da war nirgends einer! Der König berstete fast vor Wut. Solch Schimpf und Schande einzuheimsen! Er stellte seine Frau zur Rede; er sagte ihr, dass er sie in eine Schilfhütte setzen und darin verbrennen lassen werde, wenn sie den behaarten Mann nicht herbeischaffe. Die Frau verteidigte sich, dass sie von nichts wisse; wenn ihr Sohn nicht den Schlüssel fortgenommen habe, sie habe ihn nicht herausgelassen.

Da holten sie den kleinen Königssohn vor, nahmen ihn über alles ins Verhör, und der sagte schliesslich, dass er den behaarten Mann herausgelassen habe. Mehr bedurfte es nicht![131] Der König befahl den Dienern, dass sie den Knaben sogleich hinaus in den Wald führten, ihn dort dann töteten und ihm von seiner Lunge und Leber ein Stück brächten.

So geschah es auch. Sie führten ihn hinaus; aber der Knecht hatte Erbarmen mit ihm. Er erschoss den Hund, der mit ihm gegangen war; von dessen Lunge und Leber brachte er dem Könige etwas mit nach Hause. Der schaute es gar nicht an, sondern warf es den Hunden vor. Als die es beschnuppert hatten, schlichen sie davon.

Der Königssohn irrte nun unstät im Walde umher. Einmal wie er ging, er wanderte wohl schon fünf Jahre umher, fand er ein ärmliches Häuschen und darin einen alten Mann. Er kam ins Gespräch mit ihm und erzählte ihm sein Schicksal. Da erkannten sie sich wieder; der graue Alte war der behaarte Mann, den der Königssohn befreit hatte und der von jener Zeit an immer in diesem Walde gewohnt hatte.

Hier blieb der flüchtige Königssohn zwei ganze Jahre; dann wollte er weiter ziehen. Der Alte bat ihn sehr zu bleiben; aber er zog weiter. Da gab er dem Königssohn einen goldenen Apfel, aus dem sprang, wenn er es brauchte, ein goldmähniges Ross, dazu einen goldenen Stab, mit dem er das Ross leiten sollte, einen silbernen Apfel, aus dem kamen die schönsten Husaren heraus, und einen silbernen Stab, und auch noch einen kupfernen Apfel, aus dem kamen Soldaten zu Fuss heraus, so viele, so unendlich viele, und einen kupfernen Stab. Er band dem Königssohn auf die Seele, dass er auf die Geschenke gut Acht haben solle, und damit liess er ihn seines Weges ziehen.

Da wanderte er und wanderte, bis er einmal in eine Stadt kam. Hier verdingte er sich beim König als Diener. Niemand kümmerte sich um ihn; er lebte nur so ruhig hin.

Einstmals brachte man dem König die Nachricht, dass er[132] in den Krieg ziehen müsse. Er fürchtete sich schrecklich, denn er hatte wenig Soldaten; aber er musste ziehen.

Als sie fortgezogen waren, sagte der Königssohn zur Köchin:

»Gebt mir Urlaub, dass ich in das Nachbardorf gehen kann; ich habe dort eine kleine Schuld; die möchte ich einziehen.«

Die Köchin liess ihn fort, da nichts zu thun war.

Als er aus der Stadt war, zog er seinen goldenen Apfel hervor. Wie das prächtige, schöne Ross heraussprang, schwang er sich darauf und zog weiter. Dann nahm er den silbernen Apfel vor und den kupfernen Apfel, und mit den schönsten Soldaten stiess er zu des Königs Heer.

Als dieser ihn erblickte, erschrak er sehr; denn er wusste nicht, war das ein Feind oder was?

»Ich bringe Eurer königlichen Majestät Hilfe,« sagte der Königssohn.

Da freute sich der König sehr und fürchtete nun auch nichts mehr vom Feinde. Dort waren auch des Königs Töchter; die luden, als sie aufbrachen, den Königssohn sehr herzlich in ihren Wagen ein, um sich mit ihm zu unterhalten. Aber er stieg nicht zu ihnen ein, sondern blieb zu Pferde und unterhielt sich so mit ihnen. Mit denen konnte man sich aber auch unterhalten, denn sie waren so schön, so wunderschön! Besonders die jüngere! Der Ruf ihrer Schönheit erscholl durch alle Lande. Während der Unterhaltung nahm die jüngere ihren Ring, und die ältere riss ihr Taschentuch in zwei Hälften, das gaben sie dem Königssohn.

Aber da waren sie auf einmal schon vor dem Feind. Der König fragte, ob sein Heer vorangehen solle oder das des Königssohns. Der Königssohn zog voran und kämpfte mit seinen Husaren so tapfer, dass vom Feind nur zwei Mann übrig blieben, und auch die nur als Boten.[133]

Jetzt freute sich nicht nur der König aufrichtig, sondern auch die Mädchen. Als sie heimwärts fuhren, luden sie wieder den Königssohn zum Gespräch ein; aber er kam nicht, sondern sprengte mit seinen Husaren von dannen.

Als er nahe der Stadt war, packte er seine Soldaten und sein Ross wieder zusammen und schlenderte in die Stadt. Zu Hause schalt ihn die Köchin aus und zwar tüchtig, dass er so lange gesäumt hatte.

Damit wäre die Sache nun fertig gewesen; aber die jüngere Königstochter (wie es kam, weiss ich selbst nicht), kurzum, sie verliebte sich in den Königssohn. Der gab ihr seinen kupfernen Apfel und Stab; denn auch er liebte die Prinzessin.

Einmal, als sich die Prinzessin mit ihrem Vater unterhielt, sagte sie so von ungefähr, ob es nicht ihr Diener gewesen sei, der ihnen geholfen habe. Der König geriet darüber in Zorn und befahl, dass sogleich des Dieners Zimmer durchsucht werden sollte. Und da fanden sie denn wirklich den goldenen Ring und das halbe Taschentuch. Als sie es dem König gezeigt hatten, liess er sogleich den Königssohn zu sich rufen und fragte ihn, ob er es sei, der ihnen geholfen habe.

»Der bin ich, königliche Majestät.«

»Aber woher nahmst du dieses schreckliche Heer?«

»Wenn Sie es zu sehen wünschen, kann ich es an der Stadtgrenze zeigen.«

So geschah es auch; doch den kupfernen Apfel und den kupfernen Stab forderte er vorher von der Prinzessin zurück. Dann zeigte er ihnen alles, und es wurden so viele Soldaten, dass sie kaum Platz hatten.

Der König gab ihm in seiner grossen Freude, besonders als er auch noch erfuhr, dass er ein Königssohn sei, seine Tochter und sein Königreich. Der Königssohn packte die vielen Soldaten wieder ein, jeden an seinen Platz, und dann gingen sie in die Stadt.[134]

Nicht lange darauf hielten sie dort grosse Hochzeit; vielleicht leben sie auch jetzt noch, wenn sie noch nicht gestorben sind.

Quelle:
Sklarek, Elisabet: Ungarische Volksmärchen. Einl. A. Schullerus. Leipzig: Dieterich 1901, S. 130-135.
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