[83] 19. Ivan Aschenpuster

Es war einmal ein Mann, der war sehr reich, aber er hatte keine Kinder. Er bat den lieben Gott unablässig, daß er ihm ein Kind schenken möge, opferte Kerzen zu einem Rubel und gab den Bettlern Almosen. Gott erbarmte sich seiner und schenkte ihm ein Söhnchen mit Hühnerfüßen. Der Mann war auch damit zufrieden, denn wie es im Sprichwort heißt: Mit Gott kannst du nicht streiten. Das Kind aber wuchs nicht nach Tagen, sondern nach Stunden; es wuchs an einem Tage zu einem stattlichen Manne heran und rief: »Vater, he, Vater! Wollen wir zum Zaren auf die Freite gehn?« – »Nein«, sagte der Alte, »wie sollten wir wohl zum Zaren auf die Freite gehn!« – »Doch, Vater, wir wollen hingehn!«

Und so machten sie sich denn auf und kamen zum Zaren. Der fragte sie: »Was wollt ihr, gute Leute? Weswegen kommt ihr zu mir? Mit einer Klage vielleicht oder mit einer Bitte?«

[83] »Nein«, erwiderte der Sohn, »nicht um zu bitten und nicht um zu klagen, sondern in wichtiger Angelegenheit sind wir hier: wir haben gehört, daß du eine Tochter hast, und wollen um sie freien.« – »Freier oder nicht Freier, bist du ein braver Gesell, so übernachte bei uns, und morgen wollen wir dann sehen, was weiter wird.«

Kaum ward es hell, als der Zar erwachte und seine Gäste weckte. Und dann fragte er sie: »Welchen Standes seid ihr denn? Bojaren oder von Zarengeblüt? und wie heißt ihr?« – »Nein«, sagte der Sohn, »wir sind weder Bojaren noch Zaren, sondern einfache Bauern, und ich heiße Ivan Aschenpuster.« Dann gingen sie in die Wohngemächer und tranken und zechten. »Also, Ivan«, sagte der Zar, »wenn du meine Tochter zur Frau willst, so trink diesen Becher Gift aus; bleibst du leben, wirst du mein Schwiegersohn, wenn nicht, dann nicht.« Ivan Aschenpuster nahm den Becher entgegen, leckte und schleckte, und der Becher kollerte leer bis zur Schwelle. »Mein Schwiegersohn bist du, aber noch nicht ganz. Ich hab eine Keule: wirfst du sie über meinen Hof, so wird Gott dich segnen.« Ivan Aschenpuster ergriff die Keule, und als er sie in die Höhe schleuderte, entschwand sie ganz den Blicken. Der Zar gab ihm nun seine Tochter zur Frau.

Es schien ihr aber eine Schande, mit einem Bauern zu leben, der Hühnerfüße hatte. Sie packte die Füße und schlug sie ab. Ivan erwachte und sah, daß er keine Füße mehr hatte, geriet in großen Zorn über die Zarentochter und wanderte in die weite Welt hinaus. Er ging und ging und begegnete einem Menschen ohne Hände. Da fragte ihn Ivan: »Woher bist du, armer Kerl, [84] und wie heißt du?« – »Ich bin nicht aus diesem Zarenreich, und rufen tut man mich Torok.« – »Wo sind denn deine Hände?« fragte Ivan. »Ach, Bruder!« antwortete Torok, »meine Hände sind weit von hier in der Nähe vom Zarenhof; eine Keule hat sie mir abgerissen, sie flog über den Hof, ich aber wollte sie auffangen.« – »Wohin gehst du denn?« fragte Ivan. »Wohin die Augen schauen!« – »Nun, Bruder, dorthin geh auch ich, wir wollen beisammen bleiben.« – »Gut«, sagte Torok.

Und so gingen sie dahin, war es lang, war es kurz – rasch wird das Märchen erzählt, langsam die Tat getan – da begegneten sie auf der Straße dem Teufel. Ivan Aschenpuster packte ihn mit beiden Händen beim Schopf und schlug ihn mit den Fäusten auf den Rücken, was das Zeug hielt, und schlug und schlug ihn, bis er genug hatte. Da sagte der Teufel: »Ach, Ivan Aschenpuster! Schlag mich nicht, ich will dir ein Kraut geben, daß deine Beine wieder heil werden.« Ivan Aschenpuster ließ ihn frei. Der Teufel aber führte ihn zu einem Brunnen und sagte: »Steig hinein, gleich wirst du deine Füße wieder haben.« Ivan Aschenpuster warf aber vorher ein Stöckchen hinein – und das Stöckchen verbrannte. Da fing er noch einmal an, den Teufel zu prügeln, weil er ihn betrogen hatte. Der Teufel führte ihn zu einem anderen Brunnen, und Ivan Aschenpuster warf abermals ein Stöckchen hinein – und das Stöckchen verfaulte. Wiederum prügelte er den Teufel und ließ ihn kaum noch lebendig frei. Dann führte ihn der Teufel aber zum dritten Brunnen, Ivan Aschenpuster warf nochmals ein Stöckchen hinein – und es trieb Knospen. Da stieg Ivan selbst ins Wasser, begoß sich, und es wuchsen ihm Menschenbeine; aber auch Torok begoß sich und bekam wieder Hände. Sie schlugen [85] darauf den Teufel tot und gingen ihrer Wege: der eine auf die eine Seite, der andere auf die andere.

Ivan Aschenpuster gelangte in eine Stadt, wo man gerade Hochzeit feierte, denn der Zar wollte seine Tochter verheiraten. Ivan kaufte sich ein Pfeifchen, und als er anfing, darauf zu blasen, mußte alles tanzen. Da führten ihn die Leute auf den Zarenhof, und als er auch dort zu blasen begann, sprangen selbst die kleinen Kinder herum, nicht nur die Erwachsenen. Der Zar befahl, den Bauern zu sich in den Palast zu rufen. Man führte ihn hin, und kaum fing er an zu spielen, so mußten der Zar, die Zarin und die Zarentochter alle springen und tanzen. Als aber die Zarentochter ihn mit Schnaps bewirtete, erblickte sie ihren Ring. Da schlang sie ihre Arme um seinen Hals und küßte ihn viele Male, der Zar aber fragte sie: »Wer ist dieser Mann? warum küßt du ihn?« Nun erzählte sie ihrem Vater, wie sie ihrem Manne die Füße abgehauen hatte, und daß er in die weite Welt hinausgewandert war. Und als der Zar erfuhr, daß er sein erster Schwiegersohn sei, ließ er den anderen töten; jener aber blieb bei der Zarentochter, und er lebt noch heute, ißt sein Brot und trinkt seinen Wein.

Quelle:
Löwis of Menar, August von: Russische Volksmärchen. Jena: Eugen Diederichs, 1927, S. 83-86.
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