52. Der soldat und der waldgeist.

[168] Es war ein mann, der sehr reich war. Seine familie ging hinaus um zu ernten. Nach der ernte setzten sie (die familienglieder) sich um zu essen. Als sie assen, kam dahin ein wirbelwind. Einer von den knaben sah ihn und ergriff sein messer. Er nahm (sein messer) und warf es nach dem wirbelwind. Darauf ging er um (nach seinem messer) zu sehen. Er schaute sich um, aber fand das messer nicht.

Nach verlauf von zwei jahren verheiratete sich der bursche. Darauf geriet er nach verlauf von fünf jahren in militärdienst und diente als soldat fünfzehn jahre. Einmal (während des dienstes) gehen die soldaten um holz zu hauen. Jener bursche entfernte sich von seinen kameraden. Er entfernte sich und sah an einer grossen fichte einen menschen. Dieser mensch war nur ein wenig kürzer als die fichte. Er war mit einer schlanken fichte an der grossen fichte festgebunden. Der soldat sah ihn und erschrak. Er fürchtet sich sowohl zu ihm als zurück zu gehen. Darauf sagt der festgebundene mann zu ihm: »Warum fürchtest du dich?« Er ruft ihn zu sich. Der soldat fragt ihn: »Wer bist du?« Er sagt: »Ich bin der sohn des waldgeistes«. Der soldat fragt: »Warum bist du festgebunden?« Er sagt: »Mein vater zog in's feld; ich folgte ihm nach. Er ergriff mich und band mich an diese fichte fest, damit ich nicht nach ihm ginge. Du – nimm deine axt und hau diese fesseln ab!« Der soldat nimmt (seine axt) und haut (die fesseln) zur hälfte ab. Darauf heisst der sohn des waldgeistes den soldaten sich zurückziehen. Darauf dreht er sich; seine fesseln springen. Der sohn des waldgeistes fing an den soldaten zu fragen: »Das wievielte jahr dienst du als soldat?«[168] Der soldat sagte: »Ich diene als soldat das fünfzehnte jahr. Es sind schon fünfzehn jahre, dass man mir keinen einzigen brief geschickt hat. Ich weiss gar nicht, wie man da zu hause lebt«. Der sohn des waldgeistes sagt zu ihm: »Ich aber weiss, wie sie leben«. Der soldat sagt: »Nach meinem dorfe sind es von hier zwölftausend werst. Wie weisst du, wie meine familie lebt?« »Ich kam eben vorgestern von deinem dorfe. Deine trau nimmt sich einen mann«. Der soldat traut ihm nicht. Der sohn des waldgeistes setzt fort: »Wenn du mir nicht traust – – –: willst du zur hochzeit nach hause gelangen?« »Ich möchte (gern) gehen, aber wie kann ich mich von hier entfernen? Ich diene ja mein letztes jahr!« Der sohn des waldgeistes sagt zu ihm: »Nimm deine axt!« Der sohn des waldgeistes zeigt ihm einen fusspfad. »Nachdem du ein stückchen gegangen bist, siehst du einen espenbaumstumpf. Versetze ihm einen hieb, so wirst du ein haus sehen. Erwarte mich in jenem hause! In dem hause kommt dir meine mutter entgegen. Sie fragt dich: ›Warum bist du hereingekommen?‹ Sage du zu ihr: ›Dein sohn hat mich geschickt‹. Sie sagt dir (darauf) nichts«.

Der soldat geht also, wie er (der sohn des waldgeistes) ihm gesagt hatte, und sieht einen espenbaumstumpf. Er nimmt seine axt, versetzt dem espenbaumstumpfe einen hieb. Es erschien ihm ein haus. Er tritt in das haus ein. Ein altes weib kommt ihm entgegen, ein dickes weib. Sie fing an ihn zu fragen: »Warum kamst du in mein haus?« »Dein sohn schickte mich hieher«. Das alte weib sprach, ausser diesen worten, nichts zu ihm. Der soldat setzt sich auf die bank. Auf dem tisch sieht er ein messer. Sein beschlag war aus messing. Er schaut, schaut und erkennt sein messer. Er verweilt ein wenig, sieht nach dem fenster hin: ein soldat kommt da. Er kommt und tritt in die stube herein. Dieser soldat war der sohn des waldgeistes. Er fragt: »Erkennst du mich?« Er nimmt von seinem busen ein (urlaubs-)billet und giebt es dem soldaten. Der soldat schaut auf das billet: er sieht seinen namen und dass er schon beurlaubt ist. Der oberbefehl hatte es ausgefertigt. Der soldat verwundert sich, aber der sohn des waldgeistes sagt zu ihm: »Verwundere dich gar nicht darüber![169] Verwundere dich aber darüber, dass es bei dir übermorgen hochzeit ist. Ich komme selbst zu jener hochzeit«.

Er ruft seine mutter und heisst sie den soldaten bewirten. Die mutter breitet die tischdecke aus; sie holt sowohl brot als salz. Sie setzen sich um zu essen. Der soldat betrachtet das messer. Der sohn des waldgeistes fragt ihn: »Warum betrachtest du das messer? Erkennst du es vielleicht?« Der soldat fängt an zu beben. »Wenn du mir nicht eine wohlthat gezeigt hättest« (sagt der sohn des waldgeistes), »so würde ich dich hier jetzt ersticken! Weisst du? Das ereignis geschah schon vor siebzehn jahren. Ich passierte ihr feld, wirbelwind spielend. Du nahmst dieses messer und warf es nach mir. Dein messer traf mich in den fuss. Ich trug es nach hause. Seitdem liegt dein messer bei mir. – Schlafe jetzt! Morgen früh stehen wir auf und gehen nach deinem dorfe«.

Der soldat geht zu bette und schläft. Am (folgenden) morgen steht er früh auf. Auch der sohn des waldgeistes stand auf, ass und bewirtete auch den soldaten. Darauf gingen sie aus. Der sohn des waldgeistes heisst den soldaten sich auf seine schulter setzen. Der soldat setzt sich, und der sohn des waldgeistes that zwei oder drei schritte und wurde so gross wie eine fichte. Sie fingen an zu fahren. Der wind schlägt ihn ins gesicht. Sie fuhren unaufhörlich, und (plötzlich) fiel die soldatenmütze des soldaten von seinem kopfe ab. Der soldat will ihn (den waldgeist) anhalten: »Halte ein bisschen ein!« »Warum sollte ich einhalten?« »Meine soldatenmütze fiel ab.« »Schau nicht mehr nach deiner mütze! Bevor deine mütze die erde erreicht, ist sie schon dreihundert werst zurückgeblieben!«

Sie fahren sowohl tag als nacht und kommen früh am morgen zu dem felde des soldaten. Der sohn des waldgeistes fragt den soldaten: »Erkennst du dieses feld?« »Es ist mir, als ob ich es erkennte, aber ich weiss nicht, ob es das meinige ist oder wessen.« Nach einer weile führt er (der waldgeist) ihn nach hause. Er führt ihn zu seinem haus; sein hof ist voll von pferden der hochzeitsleute. Darauf sagt er zu dem soldaten: »Wenn wir in das haus hineingetreten sind, wird mich – ausser dir – niemand sehen. Bitte deine familie um ein getränk. Du wirst trinken, auch[170] ich werde trinken«. Sie kamen herein und setzten sich an die thür. Der soldat bat um einen trunk. Man brachte ihm ein glas bier. Er trank das glas aus und bat um ein zweites. Nachdem er das zweite (glas) getrunken hatte, bat er um einen eimer (bier). Die hochzeitsleute fingen an zu lärmen: »Man giebt ja nicht einmal uns bier in eimern zu trinken!« Der soldat steht auf und geht zum tisch. Hinter dem tisch sitzt seine frau. Er nahm den eimer und fing an zu trinken. Ein hochzeitsgast kam hin und gab ihm eine ohrfeige. Er kehrte sich um, ergreift den hochzeitsgast und wirft ihn zum fenster hinaus. Er wirft alle zum fenster hinaus. Seine frau und seine mutter liess er in der stube. Darauf geht er auf den hof hinaus. Sogar die pferde und die schlitten wirft er zur pforte hinaus. Ihm hilft ja der sohn des waldgeistes.

Darauf geht er in die stube und fängt an zu weinen. »Wie? Fünfzehn jahre habt ihr nicht aushalten können! Du, frau, wolltest dir einen mann nehmen!« Seine frau stand auf und warf sich ihm zu füssen. Auch sein vater und seine mutter erkannten ihn, und auch sie fingen an zu weinen. Nachdem er geweint hatte, ging der soldat auf den hof. Er öffnet die pforte, lässt alle hochzeitsleute in die stube herein und sagt: »Ich bin der gatte dieser frau. Wie viel bier auch bei uns gebraut ist, lasst uns es alle zusammen austrinken! Geht darauf nach hause! Ich bleibe in meinem hause«. Die hochzeitsleute trinken (bier) und fahren nach hause. Nach zwei tagen geht der sohn des waldgeistes nach hause. Er sagt zu dem soldaten: »Du, siehe zu, dass du niemals mit mir gross thust!«

Nach zwei oder drei jahren sammelten sich die nachbarn bei jenem soldaten. Nachdem sie getrunken hatten, fingen sie an sich gross zu machen. Einer sagt: »Mein pferd läuft fünfzig werst (in einem fort)!« Ein anderer behauptet dasselbe (von seinem pferde). Der soldat sagt: »Was macht ihr euch denn da gross! Ich legte im verlaufe eines tages und einer nacht zwölftausend werst zurück!« Sie fingen an zu fragen: »Auf welche weise hast du die zurückgelegt? Mit der eisenbahn oder mit dem dampfer?« Er sagt: »Ich kam sitzend auf dem sohn des waldgeistes«.[171]

Gerade als seine nachbarn weggehen, kommt der sohn des waldgeistes. »Warum« (sagt er) »thust du mit mir gross? Deine letzte stunde ist gekommen!« »Ich mache mich nicht gross! Es ist mein branntwein, der sich gross macht!« »Wo? Was ist branntwein?« »Kennst du vielleicht nicht den branntwein?« »Nein! Ich kenne ihn nicht!« Der soldat spannt sein pferd an und begiebt sich zum kirchdorf. Aus der schenke kaufte er drei eimer branntwein. Nachdem er (den branntwein nach hause) geholt hatte, gab er dem sohne des waldgeistes einen eimer. Er trank einen ganzen eimer branntwein. Nach einer weile fing er an zu singen und springen. Darauf ging er in das darrhaus des soldaten und schlief da einen ganzen tag und eine ganze nacht. Wegen des katzenjammers steht er auf, und der soldat giebt ihm den zweiten eimer. Nachdem er diesen ausgetrunken hat, schläft der sohn des waldgeistes noch einen tag und eine nacht. Nachdem er erwacht ist, giebt der soldat ihm noch seinen dritten eimer. Nachdem er gesungen hat, schläft er zum dritten mal einen tag und eine nacht. Er erwacht und ruft den soldaten zu sich. »Wie lange habe ich schon geschlafen?« »Du hast schon drei tage und drei nächte in meinem darrhause geschlafen; der vierte tag geht schon.« Der sohn des waldgeistes erschrak: »Man schaut ja schon nach mir da zu hause! Aber jetzt habe auch ich erfahren, was der branntwein ist! Hernach kannst du dein leben lang mit mir gross thun!« Der sohn des waldgeistes kehrt sich um und geht pfeifend nach hause. Hiernach machte auch der soldat sein leben lang sich mit dem sohne des waldgeistes gross.

Quelle:
Wichmann, Yrjö: Wotjakische Sprachproben, 2.: Sprichwörter, Rätsel, Märchen, Sagen und Erzählungen, Helsingfors: 1893/1901, S. 168-172.
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