7. Die zwei mädchen.

Ein mann nahm sich eine frau. Seine frau starb. Die verstorbene frau hinterliess eine tochter. Der mann nahm sich wieder eine zweite frau. Die zweite frau bekam eine tochter. Die zweite frau hiess ihren mann und die tochter der ersten frau holz holen. Der mann nahm die tochter seiner ersten frau und ging.

Der vater des mädchens ging sehr weit. Das mädchen hörte das krachen der bäume und sagte: »Mein vater haut wahrscheinlich holz«. Das mädchen fing an, nach der seite hin, von wo sie[71] das krachen der bäume hörte (eig. gegen das baumkrachen), zu gehen, sie ging und traf plötzlich ein kleines haus an. In dem kleinen hause war ein altes weib. Das alte weib hiess das mädchen die badestube heizen. Das mädchen heizte die badestube, und das alte weib sagte: »Hole wasser, mädchen, dort, dort ist ein fuchsrotes pferd, es lässt sein wasser!« Das mädchen holte aber (richtiges) wasser. »Geh, mädchen«, sagte das alte weib, »dort ist ein nadelbaum, hole ihn herbei!« Das mädchen ging und brachte mit sich einen badebesen. Das alte weib sagte: »Nun, mädchen, gieb mir einen fusstritt in den after, so gehe ich selbst«. Das mädchen aber hob sie auf die schulter und trug sie fort, ohne den fusstritt zu geben. Sie gelangten in die badestube, und das alte weib sagte: »Nun, mädchen, schlage mich jetzt mit dem besenstiel!« Das mädchen aber schlug sie nicht mit dem stiel, sondern mit dem besenreis. Nach dem baden sagte das alte weib: »Nun, mädchen, gieb mir einen fusstritt in den after, so kehre ich selbst zurück!« Das mädchen aber hob sie auf die schulter und trug sie zurück.

Nachdem sie geschlafen hatten, standen sie morgens auf, und das alte weib sagte: »Geh, mädchen, in der speicherkammer giebt es kisten; nimm die, welche »žoŋ-žoŋ« (»kling-kling«) lautet!« Das mädchen nahm die klingende kiste.

Das alte weib sagte: »Mädchen, ich lasse einen knäuel rollen, kehre du zurück nach diesem knäuel! Der knäuel geht geraden weges nach deiner wohnung«. Das mädchen kehrte zurück nach dem knäuel. Bei ihrer heimkunft bellte der hund also: »Wow, wow, unser mädchen bringt geld, wow, wow, unser mädchen bringt geld!« Die tante (schwiegermutter) des mädchens befiehlt dem hunde: »Belle also: ›sie bringt schlangen und frösche‹, belle: ›sie bringt schlangen und frösche‹!« Der hund aber bellt wieder, sagend: »Wow, wow, unser mädchen bringt geld!« Und das mädchen brachte wirklich geld (in der kiste).

Die tante des mädchens schickte wieder am folgenden tage ihre (eigene) tochter und ihren mann um holz zu holen. Der vater des mädchens ging sehr weit. Das mädchen blieb allein. Das mädchen hörte das knistern der bäume und sagte: »Mein vater haut ja holz!« Das mädchen ging nach der seite hin, von wo[72] sie das krachen der bäume hörte. Sie ging und traf plötzlich ein kleines haus an. Das mädchen ging in das kleine haus hinein, und da war ein altes weib. Das alte weib hiess das mädchen die badestube heizen. Das mädchen heizte die badestube, und das alte weib sagte: »Geh, mädchen, da lässt ein fuchsrotes pferd sein wasser, hole das wasser herbei!« – Noch hiess sie einen nadelbaum holen zum badebesen. Das mädchen holte auch einen nadelbaum. Darauf sagte das alte weib: »Nun, mädchen, gieb mir einen fusstritt in den after!« Das mädchen gab den fusstritt, und das alte weib ging selbst (in die badestube). »Nun, mädchen, schlage mich jetzt mit dem besenstiel!« Das mädchen schlug mit dem besenstiel. Nach dem baden sagte sie (das weib): »Nun, mädchen, gieb mir einen fusstritt in den after, so kehre ich selbst zurück!« Das mädchen gab den fusstritt, und das alte weib kehrte selbst zurück.

Nachdem sie geschlafen hatten, standen sie morgens auf, und das alte weib sagte: »Geh, mädchen, in der speicherkammer giebt es kisten; nimm die, welche »dɯp-dɯp« lautet (d.h. einen dumpfen laut giebt)!« Das mädchen ging in die speicherkammer hinein und nahm die kiste, welche »dɯp« lautete.

Darauf sagte das alte weib: »Mädchen, ich lasse einen knäuel rollen; dieser knäuel geht geraden weges nach deiner wohnung; kehre nach diesem knäuel zurück!« Das mädchen kehrte nach dem knäuel zurück geraden weges nach ihrer wohnung. Bei ihrer heimkunft bellt der hund also: »Wow, wow, unser mädchen bringt schlangen und frösche!« Die mutter des mädchens sagt: »Sage: ›sie bringt geld‹!« Aber der hund bellte wieder, sagend: »Wow, wow, unser mädchen bringt schlangen und frösche!« Die tochter der zweiten frau gelangte nach hause, öffnete ihre kiste, schaute, und nur schlangen und frösche krochen heraus. Sie frassen auch das mädchen selbst und brachten sie um's leben.

Quelle:
Wichmann, Yrjö: Wotjakische Sprachproben, 2.: Sprichwörter, Rätsel, Märchen, Sagen und Erzählungen, Helsingfors: 1893/1901, S. 69-73.
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