Denkmaschinen

[281] Denkmaschinen – In England sind von 1869-1882 nicht weniger als drei neue Denkmaschinen erfunden worden, jede von der andern verschieden, jede bei ihrer Entstehung schon verurteilt, als Kuriosität in irgend einem Museum zu verstauben. Jevons, Venn und Marquand, angesehene Logiker unsrer Zeit, waren die Erfinder. Das Wiederauftauchen solcher Bestrebungen beweist wenigstens eins: daß die Lullische Kunst, nachdem sie vom 13. Jahrhundert an bis auf Leibniz viele der[281] besten Köpfe beschäftigt hatte und dann endlich, zusammen mit den letzten Resten der Scholastik, endgültig überwunden schien, immer noch ihr Gespensterleben weiterführt. Das ist nicht gar so verwunderlich. Unsre Gelehrtenschulen haben dafür gesorgt, daß die Scholastik in der formalen Logik und in den wissenschaftlichen Begriffen heimlich fortwuchere; und gerade die großen philosophischen Systeme hatten und haben die Neigung, aus dem konsequentesten aller Systeme, dem scholastischen, ihr terminologisches Rüstzeug zu holen. Der ängstliche Descartes sowohl als Spinoza, Kant und Schopenhauer, die freiem Befreier, haben da und dort der Scholastik und ihrer formalen Logik gehuldigt. Einzig und allein kritischer Skeptizismus darf sich rühmen, bewußt nicht mehr scholastisch zu sein. Die Lullische Kunst aber war, will man gerecht sein, der Gipfel oder die Blüte scholastischen Denkens; wäre dieses Denken lebendig gewesen, hätte die formale Logik unsre Welterkenntnis wirklich fördern können, dann hätte die Lullische Kunst oder die Ars magna nicht so absurd ausfallen müssen, wie sie ausgefallen ist.

Es geht den Erfindern von Denkmaschinen ebenso wie den ihnen gleichgesinnten Erfindern eines Perpetuum mobile; man mag ihnen die Unmöglichkeit, daß die Maschine funktionieren könne, noch so streng beweisen, sie kehren dennoch wieder zu ihrer unlösbaren Aufgabe zurück. Ein gründlicher Beweis dafür, daß eine Denkmaschine nicht den allergeringsten Nutzen haben könne, wäre trotzdem auch heute noch ein verdienstliches Werk; ich will mich aber auf die Hervorhebung einzelner Gesichtspunkte beschränken. Wer sich für die Geschichte der Lullischen Kunst interessiert, der findet eine Menge Literaturangaben, die von Raymundus Lullius bis auf Leibniz reichen, in dem »Polyhistor« des alten Morhof, im 5. Kapitel des 2. Buches (im 1. Bande).

Ich habe mir selbst einmal in jungen Jahren eine solche Denkmaschine nach dem Muster der Lullischen ersonnen; ich kann darum vielleicht über ihren Nutzen mitsprechen, weil ich glaube, daß das von mir gewählte Prinzip nicht dümmer war[282] als das der andern Erfinder. Lullius hatte zur Kombinierung der Begriffe drehbare Kreise benutzt; die Engländer unsrer Zeit wählten Lineale, Gitterwerke oder Ellipsen. Ich war aus einem Grunde, den ich gleich angeben will, darauf verfallen, mir das Selbstdenken durch Würfel abnehmen zu lassen. Und zwar so: Der erste »Würfel« hatte zwölf Flächen, jede mit einem Buchstaben bezeichnet, jeder Buchstabe vertrat eine der zwölf Kategorien Kants; der zweite Würfel war von acht Flächen begrenzt, die wieder mit Buchstaben die acht möglichen Verhältnisse von Bejahung und Verneinung bedeuteten; der dritte Würfel mußte fünf Flächen haben, um die fünf Prädikamente darzustellen (durch die Vokale bezeichnet); der vierte Würfel endlich machte seinem Namen Ehre, indem er wirklich ein Würfel war, sechs Flächen hatte, denen ich – ich will es nur gestehen – die drei Dimensionen des Raumes je in den beiden Richtungen der Zeit, Vergangenheit und Zukunft, (2 x 3 also) als Bedeutungen beilegte und mathematische Zeichen gab. Ich sagte mir nämlich, wohl nicht mit Unrecht, daß die ganze Tätigkeit der Maschine im Kombinieren von Begriffen bestehen werde, und daß die unzählbaren Möglichkeiten der Kombinationsrechnung durch Würfelspiel besser, weil zufälliger, herauskämen, als durch das Rücken von Lineal oder Zirkel, wobei doch der Wille oder die Absicht des Experimentators nicht auszuschalten ist.

Ich wußte damals noch nicht, daß die Entwicklung der Wahrscheinlichkeitsrechnung der Lullischen Kunst erst nach Ablauf vieler Jahrhunderte folgte, und daß die Ars combinatoria von Leibniz mit beiden Bestrebungen zusammenfiel.

Meine Würfel, die sehr dilettantisch und sehr mangelhaft hergestellt waren, und die ich nicht nur darum vor aller Augen verbarg, dienten nun einem närrischen Spiele. Daß es ein Spiel war, das war mir recht gut bewußt; vielleicht kam aber doch etwas dabei heraus, ein Treffer, wie beim Lotteriespiel. Ich weiß noch ganz gut, daß ich mein Gehirn gewissermaßen den fünften Würfel sein ließ; ich behielt einen bestimmten Begriff im Sinne: ich suchte diesen Begriff mit einem zweiten,[283] scheinbar ganz disparaten Begriffe durch das Würfelspiel in Zusammenhang zu bringen. Der erste Versuch galt (mein geistlicher Lehrer der Logik war schuld daran) den Begriffen Gott und wägbar. Die Würfel sollten und mußten, wenn nur oft genug geworfen wurde, einen logischen Zusammenhang zwischen beiden Begriffen herstellen. Man mag sich vorstellen, was für ein Hexeneinmaleins bei diesem leidenschaftlich getriebenen, einsamen Würfelspiel herauskam. Aber ich wußte damals doch nicht, wie blödsinnig die ganze Beschäftigung war; manche gläubigen Vertreter der Lullischen Kunst sahen die Wertlosigkeit ihrer Spielerei ebensowenig ein. Von den Charlatanen der Ars magna gar nicht zu reden.

Um die gleiche Zeit hatte ich von einem ehrgeizigen Schulfreunde, einem Tschechen, erfahren, daß er mit Hilfe eines Reimlexikons dichtete. Ich dichtete natürlich auch, und versuchte es jetzt einmal mit einem solchen deutschen Reimlexikon, das mir gern geliehen wurde. Da kam mir eine Erleuchtung, die ich der Mitteilung jetzt noch für wert halte.

1. Der Wert einer Denkmaschine steht noch tief unter dem eines Reimlexikons; aber beider Bedeutung für die Psychologie des Schaffens ist sehr ähnlich. Wer mathematisch veranlagt ist, der kann wirklich die Entstehung eines Gedichtes, wie die Entstehung einer neuen wissenschaftlichen Wahrheit, als eine unter den unzähligen Kombinationen von Worten einer Sprache auffassen. Nur daß – nach dem uralten Bilde – die Ilias nicht durch zufälliges Ausschütten von Buchstaben entstanden ist. Wer dichtet, wer die Formel einer neuen Wahrheit sucht, der kombiniert allerdings Worte; aber niemals darf er sich vom Zufall leiten lassen. Hier waltet aber ein Unterschied, der immerhin noch zu gunsten des Reimlexikons spricht, zu ungunsten der Denkmaschine. Dichter und Denker wählen bei ihrer geistigen Arbeit, blitzschnell und unbewußt, unter allen möglichen Assoziationen aus. Beim Dichter nun ist für die Wahl der Assoziation der Wortklang nicht gleichgültig; als man noch nicht reimte, spielte der Rhythmus des Wortes eine ähnliche Rolle; der Dichter hat in seinem Kopfe etwas wie ein[284] ungeschriebenes, ideales Reimlexikon, dessen Gleichklänge seine Arbeit beeinflussen, mag er wollen oder nicht. Es ließe sich das aus den Manuskripten ganz bedeutender Dichter (Schiller, Heine) recht gut belegen; mit einem Worte, der sprachgeschichtliche Zufall der Gleichklänge spielt in das Entstehen von Gedichten hinein. Der Zufall dichtet mit; selbst ein Reimlexikon kann einmal dem Zufall nachhelfen. Denken aber heißt: aus der Unzahl der möglichen Assoziationen oder Wortkombinationen die richtige auswählen, die einzige, die sachlich gegeben ist. Der Scharfsinn des Denkers besteht darin, den Endbegriff einer Gedankenreihe mit sicherem Instinkte vorauszusehen und dann diejenigen Assoziationen zu finden, die sachgemäß vom Ausgangsbegriff zum Endbegriff führen. Der Endbegriff, das Ziel, kann dem Denker oder Forscher durch einen Zufall geboten worden sein, durch ein Aperçu, d.h. durch scharfsinnige Beobachtung eines zufälligen Ereignisses. Auf dem Wege des Denkers ist der Zufall ausgeschlossen; oder: ein Reimlexikon könnte den Denker ebenso zufällig auf die richtige Assoziation führen wie eine Denkmaschine. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung lehrt, daß bei der Unzahl der Kombinationen die richtige Kombination (bei meinen Würfeln oder bei den Lullischen Kreisen) ein fast unmöglicher Einzelfall unter unendlich vielen andern wäre. Und das wäre ein elender Kopf, dessen Gehirn nicht schneller und besser arbeitete als die Maschine, die den Scharfsinn überflüssig machen soll.

2. Mein Schulfreund dichtete mit Hilfe eines tschechischen Reimlexikons; ich hatte mir ein deutsches ausgeliehen. Offenbar gab es nun in beiden Sprachen ganz verschiedene Gleichklänge, also ganz verschiedene Assoziationen. War das beim Denken etwa anders? Entsprachen sich denn die philosophischen Begriffe zweier Sprachen genau? Hatten die Begriffe nicht eine Geschichte? War nicht Kants Kategorientafel eine ganz andre als die des Aristoteles? Dann war es auch unmöglich, eine Denkmaschine zu erfinden, die auf das menschliche Denken überhaupt paßte, ohne Rücksicht auf die Verschiedenheit der Sprachen.[285]

Dieser zweite Umstand berührt sich mit einer merkwürdigen Tatsache. Schon Lullus selbst hatte die Buchstaben des Alphabetes für seine große Kunst benützt und so das Hexeneinmaleins seiner Ergebnisse jedesmal mit den einfachsten Mitteln darstellen können; die späteren Charlatane des Lullismus versprachen oft, auf Grund solcher Buchstabenzusammenstellungen eine neue Universalsprache zu schaffen. Ich mahne daran, daß der großartigste Versuch einer solchen internationalen Zeichensprache, wie er unübertroffen in des Bischof Wilkins »Essay towards a real character and a philosophical language« (von 1668) vorliegt, gar nichts andres ist als ein Versuch, die Denkmaschine des Lullius in einen Weltkatalog umzuwandeln; und es ist kein Zufall, daß Leibniz, der geniale Aneigner, sich von seiner Jugend bis ins Alter hinein gelegentlich mit beiden Problemen, einer Denkmaschine und einer Universalsprache, beschäftigt hat.

Ich kehre zum Anfang zurück. Ein solcher Weltkatalog, ein logischer, ist nicht möglich, weil die Natur nicht logisch ist; nur der Mensch hat für die Ökonomie seines Denkens die Logik erfunden und sie lange für nützlich gehalten. Wäre Welt und Natur logisch und besäßen wir einen zuverlässigen Weltkatalog, dann ließe sich vielleicht über die Möglichkeit oder Nützlichkeit von Denkmaschinen reden. So aber müssen wir nur darüber staunen, daß nicht nur ein schwärmerischer Denker wie Giordano Bruno, sondern auch der allerscharfsinnigste Leibniz günstig von einem Instrument urteilen konnte, das den Scharfsinn wertlos machen, den Leiermann an der Kurbel der Denkmaschine zu einem Philosophen umschaffen wollte.

Die Engländer, welche sich mit der Erfindung neuer Denkmaschinen abquälten, hätten Scharfsinn und Fleiß vielleicht erspart, wenn sie die harten Worte beachtet hätten, mit denen Bacon schon vor 300 Jahren an dem Urbilde aller Denkmaschinen Kritik geübt hatte. (De dignitate et augmentis scientiarum VI, 2). »Ich darf nicht unerwähnt lassen, daß einige Männer, mehr aufgeblasen als kenntnisreich, über einer gewissen Methode geschwitzt haben, die den ehrlichen Namen[286] einer Methode kaum verdient, da sie eher die Methode des Schwindels ist (methodus imposturae); die aber ohne Zweifel den geschäftigen Müßiggängern (ardelionibus) sehr genehm war. Diese Methode sprengt so einige Wissenstropfen um sich her, daß ein Halbgebildeter (sciolus) mit diesem Scheine einiger Gelehrsamkeit getäuscht werden kann. Von solcher Art war die Lullische Kunst, von solcher Art die von einigen konzipierten Typokosmien; sie waren nichts andres als eine Masse oder ein Haufe von Worten über jederlei Kunst, auf daß, wem die Kunstworte nur geläufig sind (in promptu), glauben machen könne, er habe die Künste selbst durchaus studiert (perdidicisse). Solche Sammelsurien erinnern an eine Flickwerkstatt, wo man viel Abfall findet, aber nichts Wertvolles.«

Den Kernpunkt, daß nämlich die Denkmaschinen so wie die entsetzliche Teildisziplin der alten Logik, die sog. Topik, einen einzigen Nutzen haben, den nämlich, daß der Benutzer dieses Instruments über ein gegebnes Thema endlos schwatzen könne, – diesen Punkt hat der alte ordentliche Brucker, den noch Schopenhauer mit Recht über viel modernere Historiker der Philosophie stellt, noch besser getroffen als Bacon. Brucker sagt von Lullus (Auszug aus den Kurtzen Fragen S. 399): »daß er ein feuriges, aber phantastisches Ingenium gehabt, zeigt die beruffene ars Lulliana, welche in einer besondern Erfindung bestehet, von allerley Materien, die man auch nicht versteht, ex tempore vieles Wort-Gewäsche machen zu können, woraus zu ersehen, daß sie gar nicht in die Philosophie und zur Logic, sondern zur Oratorie gehört, welche übel zu verderben sie im Stand ist.« Man vergleiche damit, wessen sich einer der späteren Lullisten rühmte: er besitze die Geheimkunst, quomodo de quacunque re proposita statim librum concipere et in capita dividere, de quacunque re ex tempore disserere,... de quocunque themate orationem formare, orationen mentalem per horam, dies et septimanas protrahere... possimus (Morhof 358).

Dieses Ergebnis der Lullischen Kunst, ein Wort-Gewäsche[287] machen zu können, ist einmal ganz lustig parodiert worden, von Laurence Sterne, gegen den Schluß des fünften Teiles von seinem »Tristram Shandy«. Man kann von Sterne behaupten, daß er das Unvermögen der menschlichen Sprache stark fühlte, nur am unrichtigen Orte. Daß die Sprache gerade für die Poesie ein vorzüglich geeigneter Stoff ist, das merkte er nicht, weil er trotz seiner entzückenden Eigenschaften kein richtiger Poet war; ein unübertrefflicher Menschenschilderer, ein Psychologe, ein Mikroskopiker der Menschengüte, was man will, nur kein Volldichter. Er durchschaut wie Goethe die Unzulänglichkeit des sprachlichen Werkzeuges; aber diese Einsicht läßt ihn mit der Sprache nicht ringen, läßt ihn nur über sie lachen. Einer der wirksamsten Faktoren seines großen Humors ist es, daß die vortrefflichsten und tüchtigsten Männer (z.B. die Brüder Shandy) einander niemals verstehen, immer aneinander vorüberreden.

Dieser Sterne läßt nun den Vater Shandy, nachdem der Sohn Tristram mühsam und jämmerlich genug geboren und getauft worden ist, ein Erziehungsprogramm aufstellen, und da fehlt eine Abrichtungsmaschine nicht, mit deren Hilfe eine Idee Millionen andrer erzeugen kann. Das wird durch fleißige Einübung der Auxiliar-Verben zuwege gebracht. Man lese im Buche selber nach, wie man über den weißen Bären, den man gar nicht gesehen hat, ganz so wie nach den Lehren der alten Topik das albernste Zeug zusammenschwatzen mag. Und Sterne selbst hat auf Lullus als auf sein Vorbild hingewiesen.

Quelle:
Mauthner, Fritz: Wörterbuch der Philosophie. Leipzig 21923, Band 1, S. 281-288.
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