Graciān

[203] Graciān. Baltasar, span. Prosaist, geb. gegen Ende des 16. Jahrh. zu Calatayud in Aragonien, gest. 6. Dez. 1658 in Tarragona, studierte auf der Universität Huesca, trat in den Jesuitenorden und wurde Rektor des Kollegiums zu Tarragona. Er ist der Theoretiker des sogen. conceptismo, d.h. des neuen Stils, den Quevedo mit seinen »Sueños« in die spanische Prosa eingeführt hatte, und der darin bestand, Doppelsinn und versteckte Nebenbedeutungen in gedankenüberladene und dadurch dunkle Sätze zu legen. Sein Werk »La agudeza, y arte de ingenio« (zuerst Huesca 1649), eine Theorie der Kunst, geistreich zu denken und zuschreiben, blieb fast das ganze 17. Jahrh. das Gesetzbuch des Modegeschmacks und fand auch in Italien, Frankreich und Deutschland Nachahmung. Sein Einfluß wirkte verderblich und gab dem an sich schon krankhaften Zeitgeschmack an Spitzfindigkeiten und künstlicher Ausdrucksweise (Gongorismus) reichliche Nahrung. Doch ist der innere Gehalt seiner Schriften bedeutend, und trotz ihrer manierierten Form vermögen sie noch heute den Leser durch eine Fülle geistvoller Gedanken zu fesseln. Die hervorragendsten Werke, die er unter dem Namen seines Bruders Lorenzo erscheinen ließ, sind: »El criticon« (Madr. 1650–64, 3 Bde.), ein allegorisches Gemälde des menschlichen Lebens in Romanform; »El heróe« (Huesca 1637), über die Erziehung zum Helden; »El discreto« (das. 1646), eine Theorie der intellektuellen Fähigkeiten (beide neu hrsg. von A. Farinelli, 1900); »El politico D. Fernando el Católico« (Sarag. 1641), eine Lobrede auf diesen König, und »Oraculo manual«, eine Sammlung von Regeln der Lebensklugheit (Huesca 1637; deutsch von A. Schopenhauer als »Handorakel«, 4. Aufl., Leipz. 1891; auch in Reclams Universal-Bibliothek). Gesamtausgaben seiner Werke erschienen Madrid 1664, 2 Bde., u. ö.; Barcelona 1757; Madrid 1773, 2 Bde.; die drei Hauptwerke auch im 65. Band der Biblioteca de autores españoles. Vgl. Borinski, Baltasar G. und die Hofliteratur in Deutschland (Halle 1894), und A. Farinelli, B. G. y la literatura de Corteen Alemania (Madr. 1896).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907, S. 203.
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