Seeschiffahrt

Geschichte der Seeschiffahrt.

Die Anfänge der Seeschiffahrt sind in vorgeschichtlicher Zeit zu suchen. Hochentwickelte Seeschiffahrt findet sich bereits bei den Ägyptern, die schon Seereisen im Roten Meer unternommen haben, bevor die Phöniker sich am Mittelmeer niederließen. Aus religiösen Gründen scheuten die Ägypter das Mittelmeer, den Verschlinger des heiligen Nils. Die phönikische Seeschiffahrt war schon 2800 v.Chr. in der Küstenfahrt bedeutend, aber die Phöniker haben sich auch zuerst auf die hohe See hinausgewagt, sie erreichten England, vielleicht die Ostsee, sie fuhren südlich nach dem Lande Ophir und sollen auch 600 v.Chr. vom Roten Meer aus Afrika umschifft haben und durch die Säulen des Herkules zurückgekehrt sein. Das von den Phönikern gegründete Karthago blieb Jahrhunderte hindurch die bedeutendste Seemacht des Mittelmeers. Die Griechen waren die ersten Nebenbuhler der Phöniker in der Seeschiffahrt, sie besetzten um 1300 bis 1000 v.Chr. die Inseln und Küsten Kleinasiens und drangen mit ihrer Seeschiffahrt auch bis Cypern und Ägypten vor, es entstand eine griechische Kaufmannsaristokratie, deren Seehandel im 7. Jahrh. v.Chr. die ganze Levante und auch das Adriatische Meer beherrschte. Vor den Perserkriegen waren die Kerkyräer und die Syrakusaner, auch die Korinther und Polykrates auf Samos sehr seemächtig und erfolgreich in der Seeschiffahrt. Athen hatte unter der Seehandelsmacht des nahen Ägina viel zu leiden. Erst unter Themistokles war Athen ein blühender Seestaat mit einer starken Flotte. Nach dem Zuge Alexanders d. Gr. segelten jährlich über 200 Schiffe nach Indien. Alexandria wurde Hauptstapelplatz des Seehandels im östlichen Mittelmeer, unter den Ptolemäern gelangten indische Waren aus dem Roten Meer durch einen Kanal in den Nil und von Alexandria nach Europa. Im 3. Jahrh. v.Chr. war Rhodos die blühendste Seestadt und Haupt eines Bundes griechischer Seestädte; die rhodischen Seegesetze blieben bis ins Mittelalter gültig. Als die Römer aber 168 v.Chr. einen Freihafen auf Delos schufen, der den ganzen Levantehandel an sich zog, minderten sich die Zolleinnahmen von Rhodos schnell so stark, daß dieser Seestaat seine Blüte verlor. Den Römern fehlte seemännische Tüchtigkeit; sie schufen aber Seegesetze und Seeversicherungen zur Unterstützung des Korntransportes von Sizilien und Nordafrika. Sie fürchteten die Winterstürme und ließen deshalb die Schiffahrt von November bis März ruhen. In den ersten Jahrhunderten n.Chr. waren die Normannen die bedeutendsten Seefahrer. Die Wikinger von den Küsten Englands, Norwegens und Dänemarks erreichten Island, Grönland, Nordamerika und fanden auch den Weg ins Mittelmeer. Ihre schnellen und kühnen Reisen zeigen eine Geschicklichkeit in der Seefahrt, durch die sie die frühern Schiffer weit übertrafen. Im 8. Jahrh. findet schon lebhafte Seeschiffahrt friesischer Seefahrer zwischen Straßburg, Köln und London statt. Die Normannen zerstörten 845 Hamburg, gelangten 864 nach Island, bedrohten 885 Paris, 893 London, wurden 975 nach Grönland verschlagen und erreichten von da 998 und 1000 Nordamerika (Winland). Um 1050 fuhren friesische Seeleute nach Island und Grönland. Während der Kreuzzüge blühten die Seestädte Venedig, Genua und Pisa auf, da sie die Überfahrt der Heere besorgten; schon Ende des 13. Jahrh. planten die Genuesen, einen Stapelplatz am Persischen Golf anzulegen und durch Wachtschiffe bei Aden den indisch-ägyptischen Seehandel zu hemmen. Großartig entwickelte sich die Seeschiffahrt in der Ostsee, als Wisby infolge der Kreuzzüge Stapelplatz für orientalische Waren wurde; in Wisby und London entstand der deutsche Hansebund, dessen einziger Zweck Ausbreitung der deutschen Seeschiffahrt und des Seehandels war. Erst nach der Zerstörung Wisbys (1361) erhielt der Hansebund in Köln auf dem Hansetage 1367 feste Form. Einen wichtigen Abschnitt in der Entwickelung der Seeschiffahrt bezeichnet die Einführung des Kompasses im 14. Jahrh. und der Seekarten, welch letztere von den Spaniern schon 1286 benutzt wurden. Genueser und Venezianer fuhren bis Brügge, Gent und Antwerpen, und in Deutschland erlebte die Hansa ihre höchste Blüte.

Den Ausgangspunkt zu wichtigen Schiffahrtsunternehmungen, die weitern Aufschwung der Seeschifffahrt herbeiführten, bildeten die Bestrebungen zur Auffindung eines Seeweges nach Ostindien. Schon die Seereisen Marco Polos hatten im 13. Jahrh. den europäischen Völkern die Ausdehnung des asiatischen Festlandes gezeigt. Der portugiesische Prinz Heinrich, »der Seefahrer«, gab die Anregung zu Entdeckungsreisen, die im 15. Jahrh. einen Umschwung in der Ausdehnung der Seeschiffahrt hervorriefen. Unter dem Prinzen Heinrich wurde 1418 Madeira entdeckt, 1441 erreichten portugiesische Seefahrer das Cabo Blanco, 1446 und 1449 entdeckten sie die Kapverdischen Inseln, und 1471 wurde der Äquator überschritten und der Grund zu Handelsniederlassungen an den Küsten von Guinea gelegt. 1486 entdeckte B. Dias das Kap der Guten Hoffnung, wagte sich aber nur eine kurze Strecke darüber hinaus, und erst zehn Jahre später gelang es Vasco da Gama, den Seeweg nach Ostindien aufzufinden. Inzwischen hatten die Versuche Kolumbus', Indien durch eine Fahrt nach dem Westen zu erreichen, 1492 zur Entdeckung Amerikas geführt. Die Portugiesen hatten zuerst die Notwendigkeit eingesehen, die Küsten zu verlassen und unter Beobachtung des gestirnten Himmels die hohe See zu suchen. König Johann II. bildete 1482 in Lissabon eine Kommission zur Berechnung von Deklinationstafeln für die Sonne und zur Konstruktion eines Astrolabiums, das man während der Fahrt gebrauchen konnte. Auch unterrichtete die Kommission die Seeleute in der Kunst, nach dem Höhenstande der Sonne zu schiffen. In diese Zeit fallen auch die ersten Verbesserungen in der Manövrierkunst der Schiffe, durch Wenden und Stellung der Segel die Bewegungen des Schiffes hervorzubringen und sich ungünstige Winde zunutze zu machen. Dazu kam die Anfertigung der Seekarten durch Mercator und die Einführung der Methoden der Längen- und Breitenbestimmung durch Pedro Nuñez und Gemma Frisius. Um diese Zeit war Lissabon nächst Amsterdam der Mittelpunkt des ganzen Seeverkehrs, doch verfiel die Seeschiffahrt, als Portugal mit Spanien vereinigt und 1594 den Holländern der Hafen von Lissabon verschlossen wurde. Seit dem 15. Jahrh. begannen die Holländer, sich in Ostindien auszubreiten (Ostindisch-Holländische Handelskompanie), und in der Mitte des 17. Jahrh. bildeten sie die erste Seemacht der Erde mit 15,000 Handelsschiffen. Inzwischen aber hatte sich auch das Seewesen Englands bedeutend entwickelt. Heinrich VIII. richtete Seeämter ein, sorgte für Ausbildung von Steuerleuten und Lotsen, regelte die Küstenbeleuchtung und baute Häfen und Werften. Eine Zeitlang (1660–92) schien Frankreich England überflügeln zu wollen, Colbert errichtete die ersten Navigationsschulen, man suchte dem Schiffbau und der Manövrierkunst eine wissenschaftliche Grundlage zu geben, der Astronom Cassini förderte die Seeschiffahrt durch seine Arbeiten, und Delisle lieferte ausgezeichnete Karten. Colbert verfügte regelrechte Aushebung der Küstenbevölkerung, zahlte Prämien für neugebaute Schiffe und schuf die berühmte Marineordnung von 1681. Dennoch wurde Englands Übermacht zur See durch die Seeschlacht von La Hogue (1692) entschieden. In England hatte Elisabeth die Seeschiffahrt mächtig gefördert, Drakes und Cavendishs Weltumsegelung, Cromwells Navigationsakte, die Erfindung des Log und Newtons grundlegende Arbeiten (Idee der Spiegelwerkzeuge, Theorie vom Widerstande der Mittel) trugen zur weitern Entwickelung der Seeschiffahrt bei. 1661 wurde die Englisch-Ostindische Kompanie gegründet. Deutschland war seit dem Niedergang der Hansa fast nur durch Hamburg auf dem Meere vertreten, und sein Seeverkehr beschränkte sich auf Spanien, Portugal, Island und Grönland. 1731 legte Hadley der Londoner Society den ersten Sextanten vor, auch wurden um diese Zeit Chronometer und die Mondtafeln zur Bestimmung der Länge durch Monddistanzen eingeführt. Seit 1618 wurden in England Patente auf mechanische Mittel und Kombinationen zur Bewegung der Schiffe ohne Handruder und Segel nachgesucht, und 1807 wurde die Dampfschiffahrt auf dem Hudson eröffnet; 1818 fuhr die Savannah von New York nach England. Die Einführung der Dampfkraft brachte eine gewaltige Entwickelung der Seeschiffahrt und führte zu zahlreichen internationalen Vereinbarungen. Auch die Hydrographie und die maritime Meteorologie leisteten der Seeschiffahrt die erheblichsten Dienste, längs der Küsten wurden Sturmwarnungsstationen errichtet, es wurden Segelanweisungen ausgearbeitet und die Seereisen erheblich abgekürzt. Die neueste Zeit kennzeichnet sich durch die schnelle Entwickelung der Dampfschiffahrt, die der Segelschiffahrt immer stärkere Konkurrenz macht. Die Gesamtzahl aller Seesegelschiffe wurde 1879 zu 118,800 mit einem Raumgehalt von 15,130,351 Reg.-Ton. angegeben, 1906 betrug sie nur etwa 90,000 mit 7,620,700 Reg.-Ton. Vgl. die Artikel Dampfschiffahrt und Marine.

Tabelle
Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909.
Lizenz:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika

Buchempfehlung

Kleist, Heinrich von

Robert Guiskard. Fragment

Robert Guiskard. Fragment

Das Trauerspiel um den normannischen Herzog in dessen Lager vor Konstantinopel die Pest wütet stellt die Frage nach der Legitimation von Macht und Herrschaft. Kleist zeichnet in dem - bereits 1802 begonnenen, doch bis zu seinem Tode 1811 Fragment gebliebenen - Stück deutliche Parallelen zu Napoleon, dessen Eroberung Akkas 1799 am Ausbruch der Pest scheiterte.

30 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon