Die biologische Gruppe der Stammfrüchtler oder Kaulifloren ist in der einheimischen Flora nicht vertreten. Allenfalls findet man als Zierstrauch in Anlagen den aus dem Mittelmeergebiet eingeführten Judasbaum (Cercis siliquastrum, Fig. 2), der selbst an den dickern Ästen unterhalb der Laubblattkrone im Frühling Büschel von großen, rosenroten Schmetterlingsblüten und später von mehrsamigen Hülsen trägt. Er bildet neben der in den Mittelmeerländern vielfach angebauten, ebenfalls zu den Leguminosen gehörigen Ceratonia siliqua das einzige Beispiel einer kaulifloren Pflanze in Europa. Die meisten Stammfrüchtler gehören der Tropenflora an. Ihr seltsames Aussehen gehört mit zu den Erscheinungen, die dem europäischen Reisenden den Anblick der Vegetation der warmen Länder fremdartig und ungewöhnlich macht, und ist deshalb schon früh beachtet und in Reisebeschreibungen eingehend geschildert worden. Schon Dioskorides gedenkt der Kauliflorie bei der Sykomore (Ficus sycomorus), spätere Reisende, wie Ibn Batuta, Rumphius u.a., sprechen in allen Ausdrücken des Erstaunens über den ungewohnten Anblick. Auch Humboldt gedenkt in seinen Reiseschilderungen der Erscheinung, die um so auffälliger wirkt, als nicht selten die stammbürtigen Früchte sehr beträchtliche Dimensionen erreichen. In neuerer Zeit haben G. Haberlandt in seiner Botanischen Tropenreise (Leipz. 1893) und W. Schimper in seiner Pflanzengeographie (Jena 1898) über die Stammfrüchtler aus eigner Anschauung eingehender berichtet.
Man findet in der Literatur etwa 130 verschiedene Arten kauliflorer Pflanzen erwähnt, die sich auf 77 Gattungen verteilen, Vertreter von 34 Familien aus den verschiedensten Abteilungen der Dikotylen. Als besonders reich an kaulifloren Arten können die Familien der Artokarpazeen, Annonazeen, Leguminosen und Myrtazeen bezeichnet werden. Die bereits erwähnten europäischen Stammfrüchtler Cercis siliquastrum und Ceratonia siliqua sind Leguminosen aus der Unterfamilie der Cäsalpinioideen. Zu der gleichen Gruppe gehört die javanische Cynometra cauliflora (Fig. 1), die den Stamm, von den Wurzeln bis zur Mitte der dicken Äste, selten höher hinauf, aber häufig bis zu den unterirdischen Vegetationsorganen herab mit den Büscheln ihrer rötlichen Blüten bedeckt und dann einen herrlichen Anblick gewährt. Die kürbisgroßen, bis 12,5 kg schweren Früchte des Brotbaumes Artocarpus integrifolia aus der Familie der Artokarpazeen erscheinen am Stamm und den stärkern Ästen, bei Ficus Roxburghii (Fig. 5) brechen ganze Büschel von Blüten und Früchten aus dem Stamm hervor. Andre Ficus-Arten, wie Ficus Minahassae, entwickeln an dem Hauptstamm und den dickern Ästen lange, rutenartige, nach abwärts hängende Zweige, die mit Schuppenblättern besetzt sind, in deren Achseln zahlreiche kleine Feigen köpfchenartig zusammengedrängt sind, oder es bilden sich, wie bei Ficus rhizocarpa, nur am Fuß des Hauptstammes lang am Boden hinkriechende Zweige aus, die mit Scheinfrüchten in dichten Gruppen besetzt sind. Der in Mittelamerika kultivierte Kürbis- oder Kalabassenbaum (Crescentia Cujete, Fig. 6) aus der Familie der Bignoniazeen entsendet die einzelnstehenden Blüten, aus denen sich wuchtige, über kopfgroße Früchte entwickeln, ebenfalls aus dem niedern Stamm und den stärkern Ästen. Bei einer afrikanischen Sapotazee, der Nabelfrucht (Omphalocarpum procerum), sitzen die braunen, fußgroßen Früchte so dicht am Stamm, daß sie mächtigen Rindenschwämmen gleichen, bei Averrhoa Bilimbi (Oxalideen) bekleidet sich der Stamm von der Wurzel bis zu den dickern Ästen gleichzeitig mit Blütenbüscheln und großen Früchten und gewährt dann einen prächtigen Anblick. Auch die ziemlich großen, wohlschmeckenden, aber übelduftenden Früchte des Zibetbaumes (Durio zibethinus) kommen nur aus den stärkern Ästen hervor, und bei Anona rhizantha gehen die Blütensprosse am Stamm bis zum Erdboden herab. Bei einigen Stammfrüchtlern aus der Familie der Myrtengewächse, bei der Perigara (Gustavia augusta, Fig. 3) und dem Kanonenkugelbaum (Couroupita guianensis, Fig. 4) wird die Erscheinung dadurch besonders anmutig, daß nicht nackte Blütenzweige, sondern beblätterte Sprosse aus dem alten Holz hervorbrechen, die den Stamm lianenartig bekleiden und die großen Früchte tragen. Auch zahlreiche Eugenia-, Jambosa- und Syzygium-Arten sind stammblühende Myrtengewächse. Aus der Familie der Sterkuliazeen verdient der als tropische Kulturpflanze so wichtige Kakaobaum (Theobroma Cacao) Erwähnung, dessen spannenlange, gurkenförmige, rotbraune Früchte an dem alten Holz der dickern Zweige und des Stammes hängen.
Über die biologische Bedeutung der Erscheinung sind mancherlei verschiedene Ansichten geäußert worden. Johow meinte, die Erscheinung trete vorwiegend bei Gewächsen mit großen und schweren Früchten auf, wie sie von den schwankenden jüngsten Zweigen kaum getragen werden könnten. Indessen dürfte hierbei wohl eine Verwechselung von Ursache und Wirkung vorliegen, sofern bei Stammfrüchtlern eben die Früchte erheblichere Größen erlangen konnten, ohne die tragenden Äste abzureißen; denn einerseits gibt es Bäume mit schweren Wipfelfrüchten, wie z.B. die Affenbrotbäume und der Derwischbaum (Kigelia pinnata) mit mehrpfündigen Früchten, und anderseits erscheinen manchmal bei getrenntblühenden Bäumen, wie z.B. bei Boehmeria ramiflora, nur die leichten männlichen Blüten an den ältern blattlosen Zweigen, die weiblichen, aus denen die Frucht entsteht, dagegen an den jüngsten Verzweigungen. Auch die von Wallace aufgestellte Erklärung, daß die Blüten der Kaulifloren meist der Befruchtung durch Schmetterlinge angepaßt seien, die in den Tropen im Baumschatten, also unter dem Wipfel, fliegen, hat wenig Wahrscheinlichkeit für sich, denn viele Stammfrüchtler, wie z.B. Feigen-, Brot- und Melonenbäume, gehören nicht zu den von Schmetterlingen befruchteten. Wir finden auch Stammfrüchtler bereits unter den blütenlosen farnartigen Gewächsen des Steinkohlenwaldes, z.B. unter Schuppenbäumen (Lepidodendren und Lepidophloien), bei Sigillarien u.a. Eine allgemeinere Geltung wird man daher nur der von G. Haberlandt in seiner Botanischen Tropenreise ausgesprochenen Erklärung beimessen können, der bei den Stammfrüchtlern eine Art Arbeitsteilung annimmt, die auch sonst in den Tropen mannigfaltiger an Pflanzenorganen hervortritt. Man gewahrt hier häufiger die Ausbildung besonderer Assimilationssprosse, die sich ausschließlich der Ernährung des Gewächses widmen, an dem sie vorkommen. Bei den Bäumen mit stammbürtigen Blüten nimmt nun gewissermaßen die gesamte Laubkrone einen solchen spezifisch assimilatorischen Charakter an, und in schärferer Arbeitsteilung wird dann den ältern Ästen und dem Hauptstamm mit ihren schlafenden Knospen die Nebenfunktion des Blühens und Fruchtreifens übertragen.
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