Nach äußerlichen Gesichtspunkten unterscheidet man bei der Totenbestattung das Aussetzen, Verbrennen, Beisetzen, Mumifizieren und Skelettieren. Die verschiedenen Methoden sind nicht immer scharf getrennt, Übergangs- und Erinnerungsformen kommen häufig vor; oft bleibt eine alte Methode bestehen, während sich das innere Verhältnis zu den Toten ändert, manchmal ist auch das Umgekehrte der Fall.
Gerade das Aussetzen des Toten, offenbar eine der ältesten, wenn nicht die älteste Form der Bestattung, die im allgemeinen nur bei sehr tiefstehenden Stämmen noch gebräuchlich ist, liefert den Beweis, wie zuweilen auch von kultivierten Völkern mit Zähigkeit am Alten festgehalten wird. Die verhältnismäßig hochstehenden Perser, deren Lichtreligion zu den edlern Glaubensformen gehört, hielten an der Gewohnheit fest, ihre Toten in der Wildnis auszusetzen und den Raubtieren preiszugeben; noch heute bestatten die Anhänger Zoroasters, die Parsen, ihre Verstorbenen in den oben offenen Türmen des Schweigens (Fig. 1), wo sie als Fraß für die Geier dienen. Eine andre, früher anscheinend vielverbreitete Form des Aussetzens ist die in fließendes Wasser oder ins Meer. Man wirft den Toten kurzweg ins Wasser; gewöhnlich aber setzt man ihn in ein Schiff, das man den Wellen überläßt, eine noch jetzt in Hinterindien und dem Malaiischen Archipel weitverbreitete Sitte. In den Sagen vom Totenschiff oder in dem Brauche, dem Sarge die Gestalt eines Bootes zu geben (Tafel I, Fig. 4 u. 6, und Tafel II, Fig. 7 u. 8), hat sich noch eine Spur der Wasserbestattung erhalten.
Das Verbrennen der Leichen (Tafel I, Fig. 8) kommt fast in allen Gebieten der Erde vor. Gewöhnlich verbrennt man gleichzeitig einen Teil der Besitztümer des Verstorbenen, wohl auch seine Weiber und Sklaven. Zuweilen wird nach der Verbrennung die Asche in alle Winde gestreut oder ins Wasser geworfen, in der Regel aber sammelt man die verbrannten Reste und setzt sie in Gefäßen bei. In Deutschland gehören die tönernen Totenurnen zu den häufigsten vorgeschichtlichen Funden. Manche scheinen den Verstorbenen selbst darstellen zu sollen (Gesichtsurnen, s. Vorgeschichtliche Gefäße, Fig. 6 u. 7), andre seine Wohnung (Hausurnen, s. Tafel Bauernhaus I, Fig. 1. bis 3). Im alten Peru gab man den mumifizierten Toten große Mengen leerer, künstlerisch reich verzierter Tongefäße mit. Vereinzelt formt man auch aus der mit Lehm vermischten Asche Ahnenbilder.
Die sehr verschiedenen Formen der Beisetzung haben in der Regel den Zweck, dem Toten eine Wohnstätte zu bereiten, die seiner bisherigen ähnlich ist; oft wählt man das Haus des Verstorbenen selbst zu einer Grabstelle. Viele Stämme Alaskas, auch die Aino (Tafel II, Fig. 10), errichten zierliche kleine Totenhäuschen (Tafel I, Fig. 9); in Borneo hat die Totenwohnung oft die Gestalt eines Pfahlbaues (Tafel I, Fig. 10). Wenn dennoch die Wohnungen der Verstorbenen denen der Lebenden oft sehr unähnlich sind, so entspringt das zum Teil aus dem konservativen Zuge, der allen auf den Totenkult bezüglichen Sitten innewohnt: die Toten ruhen in Wohnungen, die in älterer Zeit auch als Zufluchtsstätten Lebender gedient haben, jetzt aber nicht mehr benutzt werden. In diese Gruppe gehören vorzüglich die Höhlengräber; man hat, nachdem man begonnen hatte, sich im freien Felde Hütten zu errichten, die Höhlen den Verstorbenen überlassen. Wo keine Höhlen vorhanden sind, errichtet man, oft mit unerhörter Anstrengung, künstliche Höhlen: die Dolmen Europas (vgl. Tafel Vorgeschichtliche Gräber I, Fig. 13, 57); die Mastabas und später die Pyramiden der Ägypter gehören hierher. Indem man die Dolmen mit Erde überschüttete, entstanden die großen Grabhügel, die in Nordamerika als Mounds (Fig.2; vgl. Amerikanische Altertümer), in Rußland und Sibirien als Kurgane bezeichnet werden. Wahrscheinlich ist auch das einfache Begraben ursprünglich aus dem Wunsche hervorgegangen, dem Toten seine alte Wohnstätte zu lassen, denn zweifellos wohnte ein Teil der alten Bevölkerung Europas in Erdgruben. Aus der Furcht vor dem Toten heraus vermauerte man dann die Höhlen, schüttete die Erdgruben zu und erbaute die künstlichen Grabstätten aus den wuchtigsten Steinblöcken, die man dann wohl noch mit einem schützenden Steinkreis (vgl. Tafel Vorgeschichtliche Gräber I, Fig. 6 u. 7) umgibt (Kromlech). Oft wünscht man den Toten vor der unmittelbaren Berührung mit der Erde zu schützen; man schafft dann mit Hilfe von Balken oder Steinen eine unterirdische Höhlung. In Südafrika wird diese Höhle in der Seitenwand der eigentlichen Erdgrube angelegt und alles zugeschüttet (Tafel I, Fig. 5). Sehr verbreitet ist die Beisetzung über der Erde (Luftbestattung): der Sarg oder ein Totenhäuschen mit der Leiche steht auf Pfählen hoch über dem Boden (Tafel I, Fig. 6, u. Tafel II, Fig. 1). Als einfachste Grundform ist wohl das Beisetzen im Geäst hoher Bäume zu betrachten, das in Australien, bei den Schwarzfuß-Indianern und andern vorkommt (Tafel II, Fig. 3).
Der Wunsch, den Körper des Toten möglichst lange zu erhalten, führt zur Mumifizierung (Tafel II, Fig. 2), als deren einfachste und gebräuchlichste Form das Räuchern der Leiche zu bezeichnen ist. Im alten Ägypten und in Peru war das Mumifizieren der Leichen allgemein üblich. Die peruanischen Mumien wurden zusammengeschnürt und meist zu zweien in Gestalt einer Doppelmumie, die einen künstlichen Kopf erhielt, beigesetzt (s. Tafel Amerikanische Altertümer I, Fig. 3, 4 u. 9). Bei der Skelettierung werden nur die Knochen dauernd aufbewahrt. Zuweilen wird unmittelbar nach dem Tode das Fleisch entfernt, meist aber (wie in vielen Teilen Indonesiens und Polynesiens) begräbt man zunächst die Leiche, um später die Knochen zu reinigen und aufzubewahren. Die Unbequemlichkeit, ganze Mumien oder Skelette aufbewahren zu müssen, führt oft dazu, daß man nur einen Teil der Leiche zurückbehält, in der Regel den Kopf. Die Maori und manche südamerikanische Stämme verstehen es, Köpfe ausgezeichnet zu mumifizieren, meist aber hängt man den fleischlosen Schädel als Reliquie im Haus auf, wie allgemein im Malaiischen Archipel. Die hohe Verehrung der Schädel hat dann dazu geführt, auch die Schädel erschlagener Feinde aufzubewahren, ja förmlich Sammlungen von Schädeln anzulegen (Kopfjägerei); aber die Wurzel der ganzen Erscheinung ruht dennoch im Ahnenkultus. Schädel christlicher Heiligen sind sogar, wie das in Afrika heute noch vorkommt, zu Trinkgefäßen umgeformt worden. In Melanesien fertigt man auch Masken aus den Schädeln Verstorbener.
Bei allen höhern Bestattungsformen ist wieder zu unterscheiden, ob jeder einzelne für sich beigesetzt wird, oder ob Sammelgräber vorhanden sind. Auf manchen polynesischen Inseln wird jeder auf seinem Grundstück begraben, anderswo bestattet man den Toten im Boden der eignen Hütte. Viel häufiger bringt man die Toten an bestimmte Stellen, meist von den Ortschaften entlegene Waldlichtungen. In Polynesien begräbt man gern die Toten auf den umfriedigten öffentlichen Versammlungsstätten (Marae), die dann allmählich ihrem ursprünglichen Zweck entzogen und zu wirklichen Friedhöfen umgewandelt werden (Tafel II, Fig. 4 u. 6). Bei manchen Stämmen der malaiischen und der amerikanischen Rasse geht dem Sammelbegräbnis das Einzelbegräbnis voraus. Erst die wiederausgegrabenen Knochen werden in einer Höhle oder Erdgrube mit denen der früher Verstorbenen vereinigt. Bei der Erdbestattung legt man gern die Grabstätten regelmäßig nebeneinander (Reihengräber).
Der Wunsch, die Erinnerung an den Toten zu bewahren und zugleich die Grabstätten zu bezeichnen, führt zur Errichtung von Grabdenkmälern. Oft deckt ein liegender Stein oder Mauerwerk, das in seiner Form einem Sarg ähnelt, die Grabstätte, so bei den meisten Mohammedanern und anderwärts (Tafel II, Fig. 9). Mächtige Steine (Menhirs, Bautasteine) bezeichnen in Europa oft die Stelle vorgeschichtlicher Grabstätten, manchmal vielleicht mit dem Nebenzweck, den Toten durch ihr Gewicht am Entweichen zu hindern. Grabpfähle sind weit verbreitet (Tafel I, Fig. 7); in Nordwestamerika haben sie oft Ähnlichkeit mit den Haus- und Wappenpfählen, die sich auf die Genealogie des Besitzers beziehen, bei den Aino deuten sie durch ihre Form an, ob ein Mann oder ein Weib neben ihnen bestattet ist, bei manchen nordamerikanischen Indianerstämmen (Tafel II, Fig. 5) enthalten sie Anspielungen auf die Taten des Verstorbenen. Oft dienen mehrere, durch Stricke oder Stöcke verbundene Pfähle zugleich zum Aufhängen von Grabbeigaben (Tafel II, Fig. 4), oder eine kleine Plattform ist für die Opfergaben bestimmt (Tafel II, Fig. 6). Steinhaufen auf Gräbern kommen häufig vor, gewöhnlich in der Art, daß jeder Vorübergehende einen Stein hinzuwirft (Prager Judenfriedhof). Ahnenfiguren stellt man dagegen seltener auf Gräbern auf, sondern bewahrt sie öfter innerhalb der Hütte oder des Dorfes (Tafel I, Fig. 1 u. 3). In Indonesien bringt man Figuren von Menschen und Tieren auf den Särgen (Tafel II, Fig. 7) oder den Grabstätten (vgl. die gemalten Drachen, Tafel I, Fig. 10 u. 7) an, die den Toten als Sklaven dienen oder sie auf der Fahrt ins Jenseits beschützen sollen. Diese Figuren sind wohl nur ein Ersatz für die Grabbeigaben, in denen oft unsinnige Verschwendung getrieben wird. Man scheut sich, die Besitztümer des Toten zu übernehmen und gibt sie ihm lieber mit. Die Totenopfer nehmen einen furchtbaren Charakter an, wenn man auch das lebende Eigentum des Toten, Weiber und Sklaven, diesem nachsendet. Da nun oft noch lange Zeit dem Toten Nahrung geliefert wird und sich überdies die Menschenopfer bei alljährlichen Erinnerungsfesten wiederholen (so in Aschanti, Dahomé, Benin), so können diese beständigen Opfer zu einem wahren Fluche für die Bevölkerung werden. Im Malaiischen Archipel können mehrere aufeinanderfolgende Todesfälle selbst wohl, habende Familien an den Bettelstab bringen. Die blutigen Totenopfer von Dahomé waren dagegen die Ursache unaufhörlicher Raubkriege, um Menschenopfer herbeizuschaffen. Überall hat sich denn auch das Bestreben gezeigt, die ungeheuern Anforderungen des Totenkultes zu verringern, wobei man in charakteristischer Weise immer zunächst den Versuch macht, die Verstorbenen um ihr Recht zu betrügen und ihnen wertlose Surrogate unterzuschieben. Statt der Menschen opfert man Tiere (Tafel I, Fig. 2), oder aber man beläßt es bei einem untergeordneten Eingriff am Körper (s. Trauerverstümmelung), oder man begräbt Puppen, die Frauen und Diener vorstellen sollen, mit dem Verstorbenen; statt wirklicher Speisen gibt man ihnen ungenießbare Dinge etc. Die Speiseopfer wandeln sich auch noch in andrer Weise um: da man natürlich bemerkt, daß der Tote die Speisen unberührt läßt, nimmt man an, daß er nur den geistigen Teil der Mahlzeit genießt, während der körperliche ungestraft von den Nachkommen gegessen werden kann. So entstehen die Leichenschmäuse, die sich in Deutschland bis zur Gegenwart erhalten haben.
Viele Bestattungsgebräuche dienen dazu, das Gespenst des Toten teils abzuschrecken, teils zu versöhnen. Wilder Lärm und Scheinkämpfe am Grabe sind besonders beliebt; manche Kämpfe sind allerdings eher als Nachklänge von Menschenopfern zu betrachten, z.B. die römischen Gladiatorenspiele, die ursprünglich nur bei Totenfesten stattfanden. Masken spielen bei den Bestattungsbräuchen eine große Rolle, indem bald der Tote selbst mit einer Maske versehen wird, bald ein Teil der Leidtragenden maskiert allerlei Tänze und Spiele aufführt, die wohl auch meist den Verstorbenen irreführen oder erschrecken sollen. Die Totenklagen sind natürlich zunächst ein Ausbruch wirklichen Schmerzes, der sich bei Naturvölkern zügelloser äußert als bei uns; weit verbreitet ist die Sitte, sich das Haar und die Kleider zu zerraufen, sich Gesicht und Körper mit spitzen Steinen oder Messern wund zu ritzen, sich Fingerglieder oder ganze Finger abzuschneiden, unmäßig zu schreien und zu heulen etc. Sicher wirkt auch hier der Wunsch mit, dem Toten zu zeigen, wie sehr man ihn betrauert, um dadurch andres Unheil abzuwenden. Klageweiber, die den Jammer um die Toten als Beruf treiben und die Nachkommen von dieser schweren Pflicht etwas entlasten, finden sich in allen Erdteilen. Das ebenfalls viel beliebte Fasten hängt auch mit der Furcht zusammen, daß der Geist des Toten mit der Speise in den Mund schlüpfen könnte; Trauerbemalung und Trauerkleidung sind zugleich Mittel, sich dem Toten gegenüber unkenntlich zu machen. Manche Bräuche beziehen sich auf das Leben im Jenseits, so die fast in allen Erdteilen vorkommende Totenmünze, die meist dazu bestimmt ist, die Überfahrt ins Totenreich zu bezahlen; auch werden dem Verstorbenen wohl noch Belehrungen über sein Verhalten im Jenseits nachgerufen oder schriftlich mitgegeben, wie im alten Ägypten.
Brockhaus-1911: Totenbestattung
Meyers-1905: Totenbestattung
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