Unfallversicherung

Unfallversicherung in Deutschland und ţden wichtigsten übrigen Ländern.

I. Die (öffentlich-rechtliche) Arbeiterunfallversicherung.

Zunächst erschien das (gewerbliche) Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884; ihm folgen die sogen. Ausdehnungsgesetze vom 28. Mai 1885 betreffend die Betriebe der Transportanstalten, der Marine- und Heeresverwaltung, vom 15. März 1886 betreffend Fürsorge für Beamte, Personen des Soldatenstandes, das landwirtschaftliche Unfallversicherungsgesetz vom 5. Mai 1886, das Bauunfallversicherungsgesetz vom 11. Juli 1887, das Seeunfallversicherungsgesetz vom 13. Juli 1887. Alle diese Gesetze gelten heute in der Fassung vom 30. Juni 1900. Durch besonderes Gesetz vom 30. Juni 1900 ist die Unfallversicherung für Gefangene geregelt; das Gesetz vom 15. März 1886 betreffend die Fürsorge für Beamte und Personen des Soldatenstandes ist durch ein neues vom 18. Juni 1901 ersetzt worden.

Die Grundzüge der reichsrechtlichen Unfallversicherung sind die folgenden. Dem Versicherungszwange sind unterworfen Arbeiter (Gegensatz: Gesinde) und Betriebsbeamte, und zwar letztere, sofern ihr Jahresarbeitsverdienst an Lohn oder Gehalt 3000 Mk. nicht übersteigt, in Bergwerken, Salinen, Aufbereitungsanstalten, Steinbrüchen, Gräbereien (Gruben), auf Werften und Bauhöfen, in Fabriken, Hüttenwerken und gewerblichen Brauereien, ferner in Gewerbebetrieben, deren Gegenstand die Ausführung von Maurer-, Zimmer-, Dachdecker-, Steinhauer- und Brunnenarbeiten ist, im Schornsteinfegergewerbe sowie in allen sonstigen Unternehmungen, in denen Dampfkessel oder durch elementare Kraft bewegliche Triebwerke zur Verwendung kommen; ferner in sämtlichen Betrieben der Heeres- und Marineverwaltung, gewerbsmäßigen Fuhrwerks-, Binnenschiffahrts-, Flößerei-, Prahm- und Fährbetrieb im Betrieb des Schiffziehens, der Baggerei, Spedition, Lagerei und Kellerei, in gewissen Gewerbebetrieben bei der Seefahrt (Güterpacker und_-lader, Schaffer, Bracker u. dgl.), in Lagerungs-, Holzfällungs- oder der Personenbeförderung dienenden Betrieben, sofern deren Inhaber im Handelsregister eingetragen sind, ferner in den durch Beschluß des Bundesrats für versicherungspflichtig erklärten Bauarbeiten (soweit sie es nicht schon sonst sind). Auf Grund des landwirtschaftlichen Unfallversicherungsgesetzes sind versicherungspflichtig alle in der Land- und Forstwirtschaft (einschließlich der gewerbsmäßigen Gärtnerei) und deren Nebenbetrieben beschäftigten Personen, auf Grund des Bauunfallversicherungsgesetzes die Arbeiter etc. in sämtlichen Baubetrieben und Bauarbeiten, soweit sie nicht schon nach einem der andern Gesetze versichert sind, also insbes. in Tiefbaubetrieben und bei Regiebauten, endlich auf Grund des Seeunfallversicherungsgesetzes die in der Seeschiffahrt und deren Hilfsbetrieben (Lotsendienst etc.) beschäftigten Personen. Die Versicherungspflicht kann erstreckt werden auf kleinere Unternehmer, deren Jahresarbeitsverdienst 3000 Mk. nicht übersteigt oder die regelmäßig nicht mehr als 2 Lohnarbeiter beschäftigen, die hausgewerbetreibenden Unternehmer, höher besoldete Betriebsbeamte und die landwirtschaftlichen Betriebsunternehmer. Ausgenommen von der Versicherungspflicht sind unbedingt die Beamten des Reiches und die Personen des Soldatenstandes (Beamtenfürsorgegesetz vom 18. Juni 1901) sowie Staats- und Kommunalbeamte, die mit festem Gehalt und Ruhegehaltsberechtigung angestellt sind, oder denen durch Landesgesetz (preußisches Gesetz vom 18. Juni 1887, bez. 2. Juni 1902, sächsisches vom 9. April 1888, württembergisches vom 23. Mai 1890, bayrische Verordnung vom 26. Juni 1894), bez. durch Ortsstatut bei Betriebsunfällen eine den Vorschriften der Unfallversicherung mindestens gleichwertige Fürsorge zuteil wird; bedingt ausgenommen durch Beschluß des Bundesrats gewisse an sich versicherungspflichtige Betriebe. Handlungsgehilfen sind nicht versicherungspflichtig. Freiwillige Selbstversicherung ist zulässig für Kleinmeister und Unternehmer mit einem höhern Jahresarbeitsverdienst und kann statutarisch stattfinden für im Betrieb beschäftigte oder verkehrende, aber nicht versicherte Personen sowie Beamte und Organe der Berufsgenossenschaften. Voraussetzung für das Eintreten der Versicherung ist ein bei einem Betriebe sich ereignender Unfall, also ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Unfall und Betrieb. Träger der Unfallversicherung sind Zwangsunternehmerverbände. Die Unternehmer, die einem oder mehreren verwandten Berufen angehören, bilden mit räumlicher Ausdehnung über das ganze Reich oder auch nur über Teile desselben Berufsgenossenschaften, die innerhalb des gesetzlichen Rahmens ihre Angelegenheiten durch Genossenschaftsstatut regeln und dieselben durch Generalversammlung und selbstgewählten Vorstand verwalten. Die land- und forstwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften sind nur örtlich abgegrenzt (in Preußen nach Provinzen, in Bayern nach Regierungsbezirken). Die Genossenschaftsversammlung kann einem besondern Ausschuß Aufstellung und Abänderung des Gefahrentarifs, bei See-Berufsgenossenschaft und Land- und Forstwirtschaft auch Prüfung und Abnahme der Jahresrechnung übertragen. Damit die Verwaltung nicht so schwerfällig werde, können die Genossenschaften, die sich über größere Bezirke ausdehnen, durch Statut die Einteilung in Sektionen sowie Einsetzung von Vertrauensmännern als örtliche Genossenschaftsorgane vorschreiben, die vorgekommene Unfälle untersuchen, insbes. auch bei Aufstellung von Unfallverhütungsvorschriften (s.d.) seitens der Berufsgenossenschaften tätig sein sollen. Oft sind sie zugleich Organe für Überwachung der Durchführung dieser Vorschriften, oder es sind dafür besondere ›Beauftragte‹ bestellt. An Stelle des Sektionsvorstandes kann ein Ausschuß desselben zur Feststellung der Unfallentschädigungen bestellt sein. Zu den bisherigen 65 gewerblichen Berufsgenossenschaften ist 1902 noch eine weitere (Schmiede-Berufsgenossenschaft) getreten, so daß es deren nunmehr 66 gibt, von denen 31 das ganze Reich umfassen. Sie zerfallen in 52 industrielle, eine Seeberufs-, eine Tiefbau- und 12 Baugewerksgenossenschaften für Hochbauten. Die 13 letztern versichern auch Arbeiter, die bei nicht gewerbsmäßig ausgeführten, also bei Regiebauten, beschäftigt werden, und zwar durch besondere Bauunfallversicherungsanstalten. Ausnahmsweise ist leistungsfähigen Unter-Unternehmern die Unfallfürsorge unmittelbar überlassen, als die Reich und Staat (Marine-, Heeres-, Post- und Telegraphenverwaltung, staatliche Baggerei-, Binnenschiffahrts- und ähnliche Betriebe, Bauverwaltung, Seeschiffahrtsbetriebe), höhere und niedere Gemeindeverbände (Provinzen, Städte) in Betracht kommen, welche die Geschäfte der Unfall Versicherung an Stelle der berufsgenossenschaftlichen Organe durch Ausführungsbehörden erledigen. Die hohen Kosten der genossenschaftlichen Bauunfallversicherung haben neuerdings starke Inanspruchnahme dieser Bestimmung veranlaßt. In Bayern traten Staat und die betreffenden Gemeinden in einen besondern Verband zusammen. Weiteres s. Berufsgenossenschaften.

Die Genossenschaften stehen unter Aufsicht des Reichsversicherungsamtes (s.d.). Für Berufsgenossenschaften, deren Gebiet nicht über die Grenze eines Staates sich erstreckt, was insbes. hinsichtlich land- und forstwirtschaftlicher Berufsgenossenschaften der Fall ist, können in der Hauptsache an Stelle des Reichsversicherungsamtes tretende Landesversicherungsämter errichtet werden (geschehen in Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, beiden Mecklenburg und Reuß ä.L.).

Die Gesamtbedürfnisse einer Genossenschaft setzen sich zusammen aus den jährlich zu zahlenden Entschädigungen, den Verwaltungskosten und einer jährlichen Rücklage in den Reservefonds; unter Umständen kommen dazu Prämien zur Rettung Verunglückter, Ausgaben für Unfallverhütung und zur Errichtung von Heil- und Genesungsanstalten. Die Kosten der Unfallversicherung tragen ausschließlich die Genossenschaften, bez. bei öffentlichen Betrieben die an Stelle der Berufsgenossenschaften tretenden öffentlichen Korporationen (Reich, Staat, Gemeinde). Die Genossenschaften erheben ihrerseits Jahresbeiträge von ihren Mitgliedern, den einzelnen Unternehmern, und zwar postnumerando (also nach dem wirklichen Bedarf; Repartitions-, nicht Prämiensystem) und nur für die jährlich wirklich notwendigen Ausgaben (sogen. Umlagen- oder Ausgabendeckungsverfahren; nur bei der Tiefbauberufsgenossenschaft ist das Kapitaldeckungsverfahren (s. Umlageverfahren) und bei den Versicherungsanstalten der Baugewerks-Berufsgenossenschaften das Prämienreserveverfahren (s. Prämie) eingeführt. Die Folge dieses Systems ist die Notwendigkeit der Ansammlung eines starken Reservefonds und ein starkes Steigen der Lasten von Jahr zu Jahr, bis einmal durch stärkere Abgänge von Rentenberechtigten ein Beharrungszustand eintritt. Die Beiträge werden nach Maßgabe der Arbeiterzahl, der Lohnhöhe und der Gefahrenklasse bemessen. Bei Land- und Forstwirtschaft können die Beiträge in der einfachern Form des Zuschlags zur Staats- oder Kommunalsteuer erhoben werden. Die Leistungen der Genossenschaft bestehen in den gesamten Heilkosten und in einer Rente im Betrag von 662/3 Proz. des letzten Jahresarbeitsverdienstes (Vollrente), die bei teilweiser Erwerbsunfähigkeit entsprechend erniedrigt wird (Teilrente). Die Vollrente ist bis zu 100 Proz. des Jahresarbeitsverdienstes zu erhöhen, wenn der Verletzte fremder Pflege und Wartung bedarf; die Teilrente kann bei unverschuldeter Arbeitslosigkeit des Verletzten vorübergehend bis zum Betrag der Vollrente erhöht werden. Bei der Land- und Forstwirtschaft wird die Rente nach dem durchschnittlichen Verdienst land- und forstwirtschaftlicher Arbeiter des Beschäftigungswertes bemessen. Im Falle der Tötung ist zu gewähren: a) ein Sterbegeld von mindestens 50 Mk.; b) eine Rente an die Witwe bis zu ihrem Tode oder ihrer Wiederverheiratung mit 20 Proz.; schreitet sie zu einer neuen Ehe, so wird sie mit einer einmaligen Zahlung von 60 Proz. abgefunden; ein Anspruch auf Witwenrente ist ausgeschlossen, wenn die Ehe erst nach dem Unfall geschlossen wurde, jedoch kann die Berufsgenossenschaft in besondern Fällen eine solche gewähren; c) für jedes hinterbliebene Kind bis zum vollendeten 15. Lebensjahr 20 Proz., und zwar auch für Kinder alleinstehender weiblicher Personen sowie solcher Ehefrauen, die den Unterhalt ihrer Familie wegen Erwerbsunfähigkeit des Ehemannes ganz oder überwiegend bestritten hatten; d) auch für den Witwer einer solchen Ehefrau 20 Proz.; e) für Aszendenten, falls ihr Lebensunterhalt ganz oder überwiegend durch den Verunglückten bestritten wurde, 20 Proz. bis zum Wegfall der Bedürftigkeit; f) für elternlose Enkel unter der gleichen Voraussetzung bis zum zurückgelegten 15. Lebensjahr zusammen 20 Proz. Die Renten der Hinterbliebenen dürfen insgesamt 60 Proz. nicht übersteigen, eventuell tritt Kürzung ein. An Stelle der Unfallrente kann die Berufsgenossenschaft dem Verletzten Kur und Verpflegung in einer Heilanstalt oder auf Antrag desselben Unterbringung in eine Invaliden- oder ähnliche Anstalt gewähren. In diesem Falle steht den Angehörigen die Hinterbliebenenrente zu. Bei den land- und forstwirtschaftlichen Unfallversicherungen (sowie bei Trunksüchtigen) kann unter gewissen Voraussetzungen die Rente bis zu 2/3 in Naturalien gewährt werden. Hinterbliebene eines Ausländers, die zur Zeit des Unfalls nicht im Inland ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, steht ein Anspruch auf Unfallrente nicht zu; jedoch kann der Bundesrat für Grenzgebiete und für Angehörige von Staaten, die Reziprozität gewähren, Ausnahmen verfügen. Der Anspruch auf Rente jeder Art entfällt, wenn der Verletzte den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat, und kann ganz oder teilweise abgelehnt werden, wenn der Unfall bei Begehung eines Verbrechens oder vorsätzlichen Vergehens entstanden ist; er ruht während der Verbüßung einer mehr als einmonatigen Freiheitsstrafe (auch Unterbringung in einem Arbeits- oder Besserungshaus), wobei die Rente jedoch den im Inland lebenden berechtigten Angehörigen zu überweisen ist, für Ausländer, solange sie nicht im Inland ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (Ausnahmen zulässig), für Inländer, die sich im Ausland aufhalten und gewissen Kontrollvorschriften nicht genügen. An Stelle der Rente kann Kapitalabfindung treten, und zwar bei Renten von 15 Proz. oder weniger und bei Ausländern, die ihren Wohnsitz im Deutschen Reich aufgeben.

Während des Jahres werden die monatlich vorauszahlbaren Unfallrenten und die sonstigen Entschädigungen von der Post vorschußweise und ohne Anrechnung von Kosten auf Anweisung der Genossenschaften und Ausführungsbehörden ausbezahlt. Der zu leistende Schadenersatz wird von den Organen der Berufsgenossenschaft auf Grund vorausgegangener polizeilicher Untersuchung des Unfalls festgestellt; gegen diese Feststellung kann Berufung an ein Schiedsgericht, zu gleichen Teilen aus Mitgliedern der Genossenschaft und Vertretern der versicherten Arbeiter unter Vorsitz eines öffentlichen Beamten bestehend, in schwerern Fällen noch Rekurs an das Reichsversicherungsamt ergriffen werden.

Das Vorhandensein einer Karenzzeit ergibt, daß die Unfallversicherung nur die Entschädigung für die schwerern und damit nur für die Minderzahl der Unfälle zu tragen hat. Allerdings verursachen diese auch die höhern Kosten. 1905 kamen in den unfallversicherungspflichtigen Betrieben 139,787 von den Trägern der Unfallversicherung zu entschädigende Unfälle vor, gegenüber 609,160 zur Anzeige gebrachten Unfällen. Die Ausgaben der Unfallversicherung für Entschädigungen betrugen dagegen 1905: 135,7 Mill. Mk., denen als Gesamtausgaben der Krankenkassen für Unterstützungen (also für alle Krankheiten und Unfälle) nur 253,8 Mill. Mk. gegenüberstehen. Am Schlusse des Jahres 1905 waren rund 21 Mill. Personen versicherungspflichtig, von denen aber ca. 1,5 Mill., als zugleich in gewerblichen und landwirtschaftlichen Betrieben beschäftigt, doppelt gezählt sind. Der schönste Erfolg der obligatorischen Unfallversicherung für Arbeiter ist, abgesehen davon, daß immer mehr Personen dem demütigenden Verhältnis zur öffentlichen Armenpflege entzogen werden und eine Unterstützung erhalten, auf die sie ein klagbares Recht haben, die bessere Heilung der Verletzten, die dadurch erreicht wird, daß die Berufsgenossenschaften, um womöglich der dauernden Rentenlast zu entgehen, für sorgsame ärztliche Behandlung gleich von Anfang an, für Unfallstationen mit Tag- und Nachtdienst (zur ersten Hilfeleistung bei Unfällen und bei Massenunfällen zur Hilfe am Tatort), für Krankenhäuser und Rekonvaleszentenhäuser sorgen. Den Zwecken der Unfallversicherung dienen auch die bei den Reichspostanstalten auf Antrag eingerichteten, jederzeit geöffneten Unfallmeldestellen. Dieselben dienen auch der Meldung andrer Unfälle (Brand, Wassersgefahr etc.). Daß die Arbeiter an der Verwaltung der Unfallversicherung nur gering beteiligt sind, erklärt sich aus ihrer Befreiung von allen Kosten. Ihre Teilnahme beschränkt sich auf die polizeilichen Unfalluntersuchungen, Mitwirkung an den Verhandlungen über Erlaß von Unfallverhütungsvorschriften, an den Schiedsgerichten und dem Reichsversicherungsamt.

Die Ergebnisse der Unfallversicherung gestalten sich für 1905 wie folgt:


I. Betriebe, Versicherte und Verletzte.

Tabelle

Was das Ausland betrifft, so besteht eine öffentlichrechtliche Unfallversicherung nach Art der deutschen nur in Österreich und Norwegen. In Österreich wurde, nachdem die unfallstatistischen Grundlagen gewonnen waren, 28. Dez. 1887 das Hauptgesetz erlassen, das im wesentlichen die Großindustrie umfaßt. Das am 30. Juli 1894 erlassene Ausdehnungsgesetz erstreckt sich auf das Transport- und Transporthilfsgewerbe, aber auch einige sonstige Personenklassen. Träger der Unfallversicherung sind territorial abgegrenzte (in der Regel eine für jedes Kronland), auf Gegenseitigkeit beruhende, unter staatlicher Aufsicht stehende Versicherungsanstalten, neben denen aber auch Berufsgenossenschaften und Privatinstitute zugelassen sind. Die Karenzzeit beträgt nur 4 Wochen; die Leistungen sind geringer als die der deutschen Unfallversicherung. Die Kosten entfallen mit 90 Proz. auf die Arbeitgeber, mit 10 Proz. auf die Arbeiter. Sie sind abgestuft nach zwölf Gefahrenklassen und zwei Unterklassen, in welche die Betriebe durch die Regierung eingereiht werden. Die Renten werden endgültig durch das Schiedsgericht festgesetzt; die Auszahlung erfolgt durch die Post. In ähnlicher Weise ist die Unfallversicherung in Norwegen durch Gesetz vom 23. Juli 1894 mit Novelle vom 6. Aug. 1897 geregelt. In andern Ländern ist zwar ein Versicherungszwang eingeführt, aber den Unternehmern die Wahl zwischen verschiedenen Versicherungsformen (Selbstversicherung bei Großbetrieben, Versicherung auf Gegenseitigkeit, bei Privatgesellschaften und bei einer Staatsanstalt) freigestellt, so in Italien durch das Unfallgesetz vom 17. März 1897, bez. 29. Juni 1903, und in Holland durch Gesetz vom 2. Jan. 1901 (hier regelmäßige Versicherung bei der Reichsversicherungsbank, aber auch andre Versicherungsarten zugelassen); auch Frankreich (Gesetz vom 9. April 1898) und Spanien (Gesetz vom 30. Jan. 1900) gehören hierher. Auf privatrechtlicher Basis beruhen die Unfallgesetze von Großbritannien (6. Aug. 1897) und Dänemark (7. Jan. 1898). Diese normieren zwar die Unfallentschädigungen, halten aber grundsätzlich an der persönlichen Haftpflicht des Unternehmers fest.


II. Die Privatunfallversicherung.

Einer der jüngsten Zweige des Versicherungswesens, hat sie in den letzten Jahrzehnten, wenn auch mit Schwankungen, eine sehr bedeutende Ausdehnung erlangt. Ursprünglich nur dazu bestimmt, gegen die Folgen von Unfällen auf Eisenhahnen und sonstigen Transportmitteln Versicherung zu bieten, begann sie in den 1870er Jahren ihre Fürsorge den Arbeitern zuzuwenden, indem die Unfallversicherungsgesellschaften gegen die Folgen aller Unfälle, die den Arbeiter bei Ausübung seines Berufes unverschuldet treffen, Versicherung übernahmen. Insbesondere in Deutschland gewann die Arbeiterunfallversicherung bald an Umfang, als das Haftpflichtgesetz 1871 die industriellen Unternehmer verpflichtete, die in ihren Betrieben verunglückten Arbeiter durch Entschädigungen für den erlittenen Unfall zu decken. Viele Arbeitgeber übertrugen diese Verpflichtungen gegen vereinbarte Prämien auf die Versicherungsgesellschaften, deren Geschäftsumfang sich von Jahr zu Jahr steigerte, so daß das Jahr 1884 den elf größern Unfallversicherungsgesellschaften eine Prämieneinnahme von 10,656,378 Mk. brachte, von denen mehr als 9 Mill. auf die Arbeiterunfallversicherungen entfielen. Die Zahl der versicherten Arbeiter betrug 1884 rund 900,000. Die finanziellen Ergebnisse, welche die Gesellschaften aus diesen Versicherungen erlangten, waren aber höchst unbefriedigend, da die Schäden den größten Teil der Prämien absorbierten. So trat 1882 ein durchschnittlicher Verlust von 11,98 Proz. aller Einnahmen bei den Gesellschaften ein, und es verzeichneten von jenen Anstalten, die nur Arbeiterunfallversicherung betrieben: Prometheus 48,27, Chemnitzer 33,75 Proz. der Einnahmen als Verlust. Die Schadenzahlungen erforderten in den Jahren 1882–85: 73, 70, 78 und 71,8 Proz. der Prämieneinnahmen; die Spesen absorbierten rund 30 Proz. der Prämien, da der Apparat infolge der vielen Schäden, die alle Untersuchungen erforderten, ein kostspieliger war; es konnte daher von einem Gewinn keine Rede sein.

Als das erste Unfallversicherungsgesetz in Deutschland in Kraft trat, konnte man mit Recht glauben, die finanzielle Lage der privaten Unfallversicherung würde sich noch mehr verschlechtern, indem für die nunmehr zu öffentlicher Fürsorge berechtigten Arbeiter die privatrechtliche Haftpflicht der einzelnen Arbeitsherren grundsätzlich beseitigt wurde (Gesetz vom 6. Juli 1884, § 95 und 97), und mehrere gegenseitige Unfallversicherungsgesellschaften beschlossen auch die Auflösung. Allein die Wirklichkeit ergab nur das Resultat, daß die private Arbeiterkollektivversicherung (Gesamtversicherung der Arbeiter eines Betriebes), also die private Haftpflichtversicherung, zurückging. Die Mehrzahl der Gesellschaften warf sich mit aller Energie auf die Versicherung individueller Einzelrisikos (Einzelunfallversicherung) und erzielte auf diesem Gebiet unter Unterstützung des Umstandes, daß die allgemeine öffentliche Arbeiterunfallversicherung den Gedanken der Unfallversicherung außerordentlich populär machte, binnen weniger Jahre Erfolge, die man bis dahin für unmöglich gehalten hätte. Die Einnahme aus Prämien betrug 1894 gegen 1884, wo die Arbeiterversicherung noch mitzählte, 6,2 Mill. Mk. mehr (16,988,067 Mk.; 1904 ca. 21 Mill. Mk. mehr (31,635,261 Mk.). Zurzeit betreiben in Deutschland 28 Gesellschaften (darunter eine auf Gegenseitigkeit) die Unfallversicherung, allerdings nicht diese allein, sondern daneben meist die Haftpflichtversicherung, einige auch noch andre Zweige des Versicherungswesens. Aber anderseits sind infolge der durch den Wettbewerb sich erklärenden zu großen Kulanz der Gesellschaften auch die Schadenzahlungen beträchtlich gestiegen. Da mit jeder Schadenzahlung auch die Verwaltungskosten sich steigern, ist Einhalt in dieser Kulanz durch Vereinbarung erforderlich, wozu im März 1895 eine Delegiertenkonferenz der Gesellschaften in Berlin stattfand, die bisher aber keinen Erfolg brachte. Hat die Viktoria neuestens Glück mit Reise-Unfallversicherung (insbes. gegen einmalige Prämie auf Lebenszeit), wenn sich auch in Deutschland die Aufstellung von Versicherungsautomaten auf Bahnhöfen noch nicht wie in England etc. einbürgerte, so steigert sich auch wieder die Haftpflichtversicherung. Haus- oder Viehbesitzer, Gastwirte, Jäger etc., kurzum, wer leicht in die Gefahr kommt, andern haften zu müssen, versichert sich. Zur erleichterten Tragung des Seerisikos hat sich unter deutscher Führung 1. April 1895 ein mitteleuropäischer Seereise-Unfallversicherungsverband der Gesellschaften zum Zwecke gegenseitiger Rückversicherung gebildet. Namentlich ausländische (englische) Gesellschaften erweitern neuestens den Unfallbegriff und rechnen zur Unfallversicherung z.B. auch Pferde-, Wagen-, Fahrrad-, Einbruch diebstahls-, Ehrlichkeitsversicherung.

Nach den Unfallversicherungsbedingungen werden als Unfälle gewöhnlich nicht angesehen: Körperschädigungen durch Ansteckung und Vergiftung, freiwillige oder unfreiwillige Aufnahme von schädlichen Stoffen, Schlag-, Krampf- und epileptische Anfälle, Eingeweidebrüche, bez. Bauchbrüche, sowie die Folgen vorhandener Krampfadern und genannter Brüche, Erkältungen, Erfrieren, Sonnenstich, überhaupt die Folgen von Witterungseinflüssen und Temperaturverhältnissen, operative Eingriffe jeder Art, ohne daß sie nachweislich durch einen in die Versicherung eingeschlossenen Unfall bedingt waren. Es ist also manches ausgeschlossen, was an sich Unfall ist. Außerdem ist die Unfallversicherung meist räumlich beschränkt (für Europa und Seereisen auf Passagierdampfern in direkter Fahrt zwischen europäischen Häfen oder zwischen solchen und afrikanischen oder asiatischen, des Mittelländischen und Schwarzen Meeres). Für Streitigkeiten ist ferner meist die Bildung von Schiedsgerichten vorgesehen. Neuerdings wird nach dem Vorbild Englands der Versuch gemacht, Unfallversicherungen mit Zeitungsabonnements zu verbinden.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909.
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