An Joseph Haydn.

Bei Aufführung der Schöpfung im Universitäts-Saale zu Wien den 27. März 1808.

[111] Du hast die Welt in deiner Brust getragen!

Der Hölle düstre Pforten stark bezwingen,[111]

Den freien Flug in Himmelsräume Wagen,

Hört man dich auf der Töne kräft'gen Schwingen.

Drum sollst du, theurer Greis, nicht trauernd klagen;

Daß mit dem Alter deine Kräfte ringen.

Zwar weicht der Leib den düstern Zeitgewalten;

Was du gewirkt, wird ewig nie veralten.


Wie nun in dieses Musentempels Hallen

Erwartungsvoll sich frohe Schaaren drängen;

So sieht man einst die späten Enkel wallen

Zu deiner Schöpfung hohen Himmelsklängen;

So hört man noch der Enkel Jubel hallen

Bei deiner Engel Hallelujasängen.

Was rein der Mensch aus reiner Brust gesungen,

Ist wohl nie leicht in Menschenbrust verklungen.


O lausche lang' entzükt den eignen Tönen

In deiner Freunde dichtgedrängtem Kreise,

So wirst du sanft der Erde dich entwöhnen,

So froh dich rüsten zu der großen Reise.

Die Erde mit dem Himmel zu versöhnen

War deiner Kunst erhabne Lebensweise.

Noch schallt dir Dank tief von der Erde Klüften,

Empfängt dich Halleluja in den Lüften.
[112]

Wenn wir Mozart und Haydn zusammenstellen, so zeigt uns ein erfreulicher Blik, eine heilige Einheit in der individuellsten Mannigfaltigkeit, und die verschiedenen Verhältnisse Beider stören das Fortschreiten der Geister nicht; wenn schon wir in der Bestimmung des Schiksals Beider auf merkliche Verschiedenheiten stoßen.

Musik der Väter wekte den Tonsinn der Söhne.

Mozart war der Sohn eines musikalischen Vaters; Haydn wekten die Gesänge und Akkorde der ländlichen Zither seiner Eltern.

Der Sohn des Musikers, dessen Genie früher gepflegt, sich früher entwikkelte, hatte mit weniger Hindernissen zu kämpfen, als der Sohn des Radmachers, er schritt früher zur Vollendung, und wurde aber auch früher vollendet.

Mozarts Genius wurde früh unter den gefälligen Musen des fröhlichen Wiens gepflegt, sonnte sich in Hesperiens üppigen Gefilden.

Haydn lebte auch in Wien, aber seine Jugend verwundeten nur die Dornen, während Mozart auf ihren Rosen gewiegt wurde. Nach[113] Italien kam Haydn nie. So ernst wie sein ganzes Leben, führte ihn auch das Schiksal in das Land des tiefsinnigsten Ernstes – nach England.

Dennoch behielten beide Genien ihre Originalité, und wirkten wohlthätig auf den Genius ihrer Umgebung.

Mozart zeigte in seinen frühern Komposizionen einen düstern Ernst, strengen Kontrapunkt, und es wär ein zweiter Sebastian Bach aus ihm geworden, hätten ihn Wiens gefällige Musen nicht umgeben, Italiens Zaubermelodien mit ihren Blumenketten nicht umwunden. Aber dabei wirkte seine Kraft wohlthätig auf die Anmuth seiner Umgebungen, theilte sich ihnen mit, und so ward Mozart Schöpfer jenes neuen Stils, der italienische Anmuth mit deutscher Kraft verbindet.

Haydns frühere Komposizionen sind leicht, melodisch, tändelnd; denn er hörte nichts als gefällige Musik, und Porpora war ein Italiener. Mit diesem heitern Genius, mit dieser melodischen Seele reiste er nach England. Die Grazie seiner gefälligen Melodieen umwand den düstern Ernst der englischen Musik, ebnete ihr rauhes Wesen, und so ward er, wie Mozart[114] in Süden, in Norden der Schöpfer eines neuen Styls, der die Anmuth des Südens mit der Kraft des Nordens vereinigte.

Mozart gab der Anmuth des Südens die Kraft des Nordens.

Haydn beschenkte die Kraft des Nordens mit südlicher Anmuth.

Beide bekamen ihre eigne Popularité, die sich in dem Maximum des Idealen umarmte.

Mozart gab der südlichen Popularité nordische Gelehrsamkeit.

Haydn der nordischen Gelehrsamkeit südliche Popularité.

Demungeachtet wuchsen beide Blüthen auf einem Stamme – des ästhetisch Schönen. – Beide Künstler verbanden Kraft mit Anmuth den Doppelkranz des Schönen in sich und den Nazionen, deren Geschmak sie bildeten.

In beiden war vereint vorhanden, was sie einzeln zu geben schienen.

[115] Mozart wird wegen seiner tiefen gründlichen Harmonien geschüzt, Haydn wegen seiner Popularitá. Dennoch sind beide in der Harmonie gleich groß, gleich stark und kräftig.

Mozart sucht seine Melodien mit der Kraft der Harmonien zu bekleiden. Haydn verstekt seine tiefen Harmonien unter Rosen und Mirthengewinde seiner Melodien.

Mozart drängt unaufhaltsam durch Tonströme, kämpfend wie der jugendliche Held.

Haydn wandelt gemächlich wie der ruhige Weise auf Blumengefilden der erquikkenden Ruhestätte zu.

Mozart erscheint plözlich, prächtig und groß, majestätisch wie der Bliz oder die Sonne, wenn sie unerwartet aus dem Wolkendunkel hervortritt.

Haydn bereitet vor wie ein heitrer Frühlingstag aus sanftem Morgenlicht. Er schafft sich erst rings umher den Himmel, in dem sich seine Erwählten freuen sollen, wenn Mozart wie ein Sohn des Lichts plözlich unerwartet unter die Sterblichen tritt, und sie mit allmächtigem[116] Arm, im unaufhaltsamen Fluge hoch zum Olimp emporreißt.

Haydns Genius sucht die Breite, Mozarts Höhe und Tiefe.

Haydn führt uns aus uns heraus. Mozart versenkt uns tiefer in uns selbst und hebt uns über uns. Daher malt Haydn auch immer mehr objektive Anschauungen, und Mozart die subjektiven Gefühle. Zum Beleg: Haydns Malereien in den Oratorien die Schöpfung und Jahrszeiten, und Mozarts in seiner Zauberflöte, Titus und sein Seelengemälde des verklärten und vollendeten Geistes im Requiem.

Aber beide Genien stehen gleich kraftvoll, gleich anmuthig da, und wandeln so unter den Schatten, wie sie von uns ausgegangen sind.

Mozart starb in seiner schönsten Blüthenzeit, und sein Geist schuf ein vollendetes Meisterwerk des höchsten Ernstes.

Haydn gieng als lebenssatter Greis von hinnen, und schuf als solcher – ein Jüngling am Geiste, eine neue Schöpfung und einen neuen Frühling, einen glühenden Sommer (in den Jahrszeiten) im Winter seines Erdenlebens.

[117] Mozart behauptete in seinem lezten Werke den Karakter, der sich in seinen frühern ausspricht – hohen Ernst in tiefer Harmonie.

Haydn nahm Abschied wie er kam; denn seine lezten Produkte des vollendeten Greises athmen die Fülle und Anmuth des Jünglings.

Beide bleiben sich gleich in der Entführung wie imRequiem herrscht Mozartische Musik, und in den Simfonien wie in den Jahrszeiten lebt Haydn'sche Musik. Jeder von Beiden behauptet seine Originalité; aber beide sind die Schöpfer eines guten Geschmaks.

Quelle:
Arnold, Ignaz Ferdinand Cajetan: Wolfgang Amadeus Mozart und Joseph Haydn. Nachträge zu ihren Biographien und ästhetischer Darstellung ihrer Werke. In: Gallerie der berühmtesten Tonkünstler des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts. Erster Teil, Erfurt 1810, S. 111-118.
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