Haydns Doktorpromozion.

[90] Doktor Burney machte Haydn bei seiner zweiten Anwesenheit in England den ersten Antrag, sich zum Doktor in Oxfort kreiren zu lassen.

Das Zeremoniel der Promozion geht in einem Dom mit vielen Feierlichkeiten vor sich; die[90] Doktoren treten in Prozession auf, und machen Fragen an die Kandidaten, ob sie wünschen aufgenommen zu werden? und dergl. mehr.

Haydn antwortete, was ihm sein Freund Salomon vorsagte. Die Wahl wird der Versammlung von einer Rednerbühne herab vorgetragen; der Sprecher verbreitete sich über Haydns Verdienste, er führte seine Werke an, und auf die Frage: ob Haydn zuzulassen wäre? entstand ein allgemeiner bejahender Zuruf.

Die Doktoren bekleiden sich mit einer Halskrause und einem Mäntelchen, und in dieser Tracht zeigen sie sich drei Tage hindurch.

»Ich hätte wohl gewünscht, daß mich meine Wiener-Bekannten in diesem Aufzuge gesehen hätten!« Die Storace und einige andere musikalische Freunde winkten ihm vom Orchester zu. Den Tag nach der Wahl dirigirte Haydn die Musik. Sobald er sich zeigte, rief alles: Bravo Haydn! – »I thank you! antwortete er, in dem er die Zipfel seines Mäntelchens in die Höhe hielt. Das verursachte großen Jubel. Dreißig Jahre hatte Händel in England zugebracht, ohne daß ihm die Ehre, Doktor in Oxfort zu werden, wiederfahren wäre.«[91]

Es begegnete Haydn einigemal, daß Engländer zu ihm traten, ihn vom Kopf bis zu den Füßen anschauten, und mit dem Ausrufe: you are a great Man! (Sie sind ein großer Mann!) verließen.

Haydn bekam in London eine runde elfenbeinerne Platte an einem blauen Bändchen mit: Prófessional-Concert 1791 auf der einen, und mit Mr. Haydn auf der andern Seite, durch deren Vorweisung ihm, der freie Eintritt in die Haupttheater gestattet war; eine Artigkeit, die ihm in Wien nie bewiesen wurde.


Haydn sagte zuweilen im Scherze, er wolle seine Titel mit goldnen Buchstaben auf eine schwarze Tafel schreiben, und vor seinem Hause aufhängen lassen. Die Tafel wäre von ansehnlicher Größe geworden, denn Haydn war Kapellmeister des Fürsten Esterhazy, (den 19ten März 1760.) Mitglied der Filarmonischen Akademie zu Modena, (den 14ten Mai 1780.) graduirter Doktor der Tonkunst zu Oxfort, (im Jahre 1793.) beständiger Beisizzer der musikalischen Wittwengesellschaft in Wien, (den 11ten Dez. 1797.) Mitglied der Akademie der Wissenschaften und Künste in Stokholm, (den 5ten[92] September 1798.) der in Amsterdam Felix meritis, (den 4ten Mai 1801.) Mitglied des Nazionalinstituts in Paris, (den 5ten Nivose 1802.) Bürger in Wien (den 1ten April 1804.) Ehren-Mitglied der Filarmonischen Gesellschaft zu Laibach (den 14ten Jul. 1805.) und Mitglied der Societé académique des enfans d'Apollon in Paris (den 30sten Dec. 1807) Mitglied der Filarmonischen Gesellschaft in Petersburg (den 25sten Jul. 1808.)


Haydn hatte sich die sehr beträchtlichen Summen aufgezeichnet, welche theils in Wien, theils an andern Orten durch die Aufführung seiner Oratorien zum Besten der Armen eingegangen waren.

»Es geschieht nicht aus Eitelkeit, aber die Welt darf wohl wissen, daß ich kein unnüzzes Mitglied der Gesellschaft gewesen sey, und daß man durch die Musik auch Gutes stiften könne.«

Haydn besaß eine Kasette, die mit Dosen, Uhren, Ringen, Medaillen, und andern Geschenken gefüllt war; die er von Kaisern und Königen, von Oesterreich, Rußland, Preussen, Spanien, Frankreich und Neapel bekommen hatte.[93]

»Wenn mir das Lehen zuweilen verdrießlich wird, so sehe ich das alles an, und es freut mich, in ganz Europa geehrt worden zu seyn.«

Als Lord Nelson durch Wien reiste, bat er sich eine abgenüzte Feder aus, welche Haydn bei seinen Komposizionen gedient hatte, und verehrte ihm dagegen seine Uhr.


In einem Briefe aus Weimar vom 8ten Febr. 1802. schrieb Herr von Kozzebue an Haydn, daß, um seinem vaterländischen Schauspiele, die Hussirten vor Raumburg, den möglichsten Werth zu geben, er jeden Kor einzeln von einem unserer besten Meister. – Weber, Reichardt, Danzi, Schuster, Vogler u.d.m. – in Musik gesezt wünschte, und er bitte daher Haydn, den Schlußkor des ersten Aufzugs zu übernehmen. Haydn antwortete, daß er als ein siebenzigjähriger, immer kränklicher Knabe sich nicht getraue, mit jenen großen Meistern einen Wettstreit zu bestehen, in welchem er leicht unterliegen könnte.

In der That wurde auch seine Gesundheit vom Jahr 1800 an immer schwankender. Er mußte sich ein ganz leicht zu behandelndes Klavier[94] zu seinen Komposizionen anschaffen, weil das Spiel auf einem alten Fortepiano, dessen er sich viele Jahre bedient hatte, seine Nerven schon zu sehr anstrengt.

Von Zeit zu Zeit verursachte ihm auch ein längst eingewurzelter Uebel mancherlei Beschwerden.

Im Sommer 1806 wurde auch das kleine Klavier aus Haydns Wohnzimmer entfernt, weil ihm der Arzt alle Anstrengung untersagte, und ihm jede Versuchung dazu benehmen wollte. Haydn fühlte selbst, wie nöthig es zur Erhaltung seiner Gesuntheit sey, diesen Rath zu befolgen, denn wenn er sich von Zeit zu Zeit an sein englisches Fortepiano sezte, um zu fantasiren, so überfielen ihn schon nach wenigen Minuten Schwindel. »Nie hätte ich geglaubt, sagte er am 3ten September 1807, daß ein Mensch so sehr zusammensinken könnte, als ich jezt es an mir fühle; mein Gedächtniß ist dahin, ich habe an dem Klaviere zuweilen noch gute Ideen, aber ich möchte weinen, daß ich nicht im Stande bin, sie nur zu wiederholen und aufzuschreiben.«
[95]

Haydn war sehr religiös gesinnt, und dem Glauben, in welchem er aufgewachsen war, treu ergeben. Sein Gemüth vor von der Ueberzeugung, daß alle Talente von oben kommen, aufs lebhafteste durchdrungen. Alle seine größern Partituren beginnen mit den Worten: in nomine Domini! und schließen mit Laus Deo, oder Soli Deo gloria!

»Wenn es mit dem Komponiren nicht so recht fort will, so gehe ich im Zimmer auf und ab, den Rosenkranz in der Hand, bete einige Ave, und dann kommen mir die Ideen wieder.«

In der Religion fand er auch den kräftigsten Trost für seine körperliche Gebrechlichkeit; er war in den lezten Jahren mit dem Gedanken an seinen Tod ganz vertraut, und bereitete sich dazu jeden Tag. Ohne über Gegenstände des Glaubens zu spekuliren, nahm er an, was und wie es seine katholische Kirche lehrte, und sein Gemüth war dabei beruhigt. So ließ er sich in den Jahren 1807 und 1808 am Feste des heiligen Peregrinus, des Patrons kranker Beine, vor das Servitenkloster fahren, und eine Messe lesen.

»Erst als ich zur Hälfte in meiner Komposizion vorgerükt war, merkte ich, daß sie gerathen[96] wäre, ich war auch nie so fromm, als während der Zeit, da ich an der Schöpfung arbeitete; täglich fiel ich auf meine Knie nieder, und bat Gott, daß er mir Kraft zur glüklichen Ausführung dieses Werkes verleihen möchte.«


Eine natürliche Folge von Haydns Religiosité war seine Bescheidenheit; denn sein Talent war nicht sein eigenes Werk, sondern ein gütiges Geschenk des Himmels, dessen er sich dankbar bezeigen zu müssen glaubte.

Seiner niedrigen Herkunft, seiner armen Verwandten, die zum Theil Schuster, Bauern und andere gemeine Handarbeiter waren, schämte sich Haydn so wenig, daß er vielmehr selbst oft von ihnen sprach.


Von seinen Werken sagte er: »Sunt mala mixta bonis«; es sind wohl und übelgerathne Kinder, und hier und da hat sich ein Wechselbalg eingeschlichen.[97]

Niemand war auch geneigter, fremden Verdiensten Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen als Haydn.

Von Emanuel Bach, gestand er laut, das meiste, was er wisse, gelernt zu haben, eben so sprach er von Gluk, von Händel, und von seinen frühern Lehrern immer mit dankbarster Verehrung. »Wo Mozart ist, kann sich Haydn nicht zeigen!« so schrieb er, als man ihn zu gleicher Zeit nach Prag zur Krönung des Kaisers Leopold II. berief, und er wiederholte mit tiefer Rührung und thränendem Auge: »Mozarts Verlust ist unersezlich; sein Spiel am Klavier vergesse ich in meinem Leben nicht; das gieng aus Herz!«


Als Cherubini im März 1806 von Wien nach Paris zurükkehrte, erbat er sich von Haydn eine seiner Original-Partituren. Haydn gab ihm die Partitur einer Simfonie, die in Paris besonders beliebt ist, und sagte ihm: »Erlauben Sie, daß ich mich Ihren musikalischen Pater, und Sie meinen Sohn nenne.«

Cherubini zerfloß in Thränen der Wohmuth.[98]

Bei aller Bescheidenheit verkannte Haydn seinen eignen Werth nicht. »Ich weiß es, pflegte er zu sagen, daß mir Gott einen Antheil verliehen hat, und erkenne es mit Dank; ich glaube auch, meine Schuldigkeit gethan, und der Welt durch meine Arbeiten genüzt zu haben; mögen nun andere dasselbe thun!«

Bei einer andern Veranlassung äußerte er: »wenn ein Meister ein oder zwei vorzügliche Werke geliefert habe, so sey sein Ruf gegründet; seine Schöpfung werde bleiben, und die Jahrszeiten giengen wohl auch noch mit.«

Er las einst die Rezension einer seiner Komposizionen, worin ihm eine falsche Quinte zur Last gelegt wurde: »Die Herren dünken sich wohl bei solchen Entdekküngen sehr weise; ach wenn ich mich auf das Kritisiren legen wollte, wie vieles fänd' ich da zu tadeln!«

Man erzählte Haydn, daß Albrechtsberger alle Quarten aus dem reinsten Sazze verbannt wissen wolle. »Was heißt das?« erwiederte Haydn; die Kunst ist frei, und soll durch keine Handwerksfesseln beschränkt werden. Das Ohr, versteht sich ein gebildetes, muß entscheiden, und ich halte nicht für befugt, wie irgend einer, hierin Gesezze zu geben. Solche[99] Künsteleien haben keinen Werth; ich wünschte lieber; daß es einer versuchte, einen wahrhaft neuen Menuet zu komponiren.

Eine arglose Schalkheit, oder, was die Britten Humour nennen, war ein Hauptzug in Haydns Karakter. Er entdekte leicht und vorzugsweise die komische Seite eines Gegenstandes, und wer auch nur eine Stunde mit ihm zugebracht hatte, mußte es bemerken, daß der Geist der österreichischen Nazionalheiterkeit in ihm athme.

In seinen Komposizionen zeigt sich diese Laune ganz auffallend, und besonders sind seine Allegro's und Rondo's oft ganz darauf angelegt, den Zuhörer durch leichtfertige Wendungen des anscheinenden Ernstes in den höchsten Grad des Komischen, zu nekken, und fast bis zur ausgelassenen Fröhlichkeit zu stimmen.

Selbst körperliche Leiden konnten Haydns heitern Sinn selten ganz niederschlagen, und wenn man ihn auch anfangs verdrüßlich fand und eben mit gepreßtem Herzen Abschied nahm, so rief er wenigstens beim Weggehen noch: »Viele Grüsse an alle schönen Weiber!« oder irgend einen drolligen, mit seiner Lage kontrastirenden Einfall nach.[100]

Den Frauenzimmern hatte er immer etwas Artiges zu sagen; es ergözte den alten Mann, wiewohl ganz in den Schranken der Bescheidenheit, die Rolle eines verliebten Näschers mit ihnen zu spielen, und dann sezte er hinzu: das gehört schon zu meinem Metier!


Haydn hielt in allem, was er that, und was ihn umgab, viel auf Ordnung und Regelmäßigkeit. Seine Zimmer waren immer reinlich und sauber, jedes Geräthe stand an seiner Stelle, und sogar auf dem Fortepiano lagen die Papiere und Noten nicht verworren untereinander. Er kleidete sich des Morgens gleich nach dem Aufstehen ganz an, so daß er nur Huth und Stok zu fodern brauchte, um überall so gleich erscheinen zu können; eine Gewohnheit, welche er sich in frühern Jahren zu eigen machte, wo ihn sein Fürst öfters unvermuthet zu sich rufen ließ. Wenn er Besuche erwartete, stekte er einen brillantenen Ring an den Finger, und schmükte sein Kleid mit dem rothen Bande, woran die Bürgermedaille getragen wird. Alle Abende sah er seine Wirthschaftsrechnungen selbst durch; »damit meine Leute nicht aus den Schranken treten.«[101]

Mit den Sparpfennigen unterstüzte er seine Blutsfreunde. Seinem Bruder Michael in Salzburg, hatten die Franzosen im Jahre 1800 seine wenige Baarschaft und zwei silberne Uhren genommen. Haydn schikte ihm dafür eine goldne Uhr und Dose, und versprach auch Geld, sobald seine Interessen einlaufen würden.

Einem andern Bruder, der noch im 60sten Jahr als Tenorist bei der fürstl. Esterhazyschen Kapelle in Eisenstadt angestellt war, gab er fünf und zwanzig Jahre hindurch einen Beitrag zu einer Reise ins Bad nach Baden.

»Ich lebe weniger für mich,« hörte ich ihn einst sagen, »als für meine armen Verwandten, denen ich nach meinem Tode etwas zu hinterlassen wünschte.«

In seinem Testamente waren alle Nachkommen seiner Geschwister bedacht; seiner Wärterin und seinem Bedienten, dem Sohn eines Notenschreibers bei der fürstlichen Esterhazyschen Kapelle, der ihm seit achtzehn Jahren diente, war ein einjähriger Gehalt und eine lebenslängliche Pension ausgesezt.
[102]

Seine theoretischen Raisonnements waren höchst einfach, nämlich: ein Tonstük soll haben einen fließenden Gesang, zusammenhängende Ideen, keine Schnörkeleien, nichts Ueberladenes, kein betäubendes Akkompagnement und dergleichen mehr.

Wie diesen Forderungen Genüge zu leisten sey? das, gab er selbst zu, lasse sich durch keine Regeln erlernen, und hänge blos von der natürlichen Anlage und Eingebung des Genius ab.

Haydn dichtete seine Werke immer vor dem Klaviere.

»Ich sezte mich hin, fieng an zu fantasiren, je nachdem mein Gemüth traurig oder fröhlich, ernst oder tändelnd gestimmt war. Hatte ich eine Idee erhascht, so gieng mein ganzes Bestreben dahin, sie den Regeln der Kunst gemäß auszuführen und zu souteniren. So suchte ich mir zu helfen, und das ist es, was so vielen unserer neuen Komponisten fehlt; sie reihen ein Stükchen an das andere, sie brechen ab, wenn sie kaum angefangen haben: aber es bleibt auch nichts im Herzen sizzen, wenn man es angehört hat.«[103]

Auch tadelte er, daß jezt so viele Tonmeister komponiren, die nie singen gelernt hätten: »das Singen sey beinahe unter die verlornen Künste zu rechnen, und anstatt des Gesanges lasse man die Instrumente dominiren.«

Dem italienischen Gesang räumte er den Vorzug ein, und er rieth angehenden Künstlern, in Italien den Gesang, in Deutschland die Instrumentalmusik zu studiren. Schon das Klima Italiens trage zur Biegsamkeit der Stimme bei. Italienische Sänger und Sängerinnen, welche bei der fürstlichen Esterhazyschen Kapelle angestellt waren, änderten ihre Stimmen nach dem Aufenthalt von einigen Jahren in Ungarn; mehrere reisten nach Italien zurük, sie kamen wieder, und siehe da, ihre Stimmen hatten ihre vorige Schönheit wieder erlangt.

Händel sey groß in seinen Kören, aber mittelmäßig im Gesange; Gluk sey wegen seiner richtigen Intenzionen und seiner Stärke, Piccini wegen seiner Anmuth und wegen seines lieblichen Gesanges vorzuziehen. In der Kirchenmusik verdienen die Arbeiten seines Bruders, Michel Haydn, eine der ersten Stellen; es sey aber nur schade, daß dieses Fach so schlecht bezahlt werde, denn man könne sich mit einem Dudelsak mehr verdienen, als mit Offertorien und Messen. –[104]

Aus der Menge seiner Komposizionen sollte man schließen, daß Haydn sehr leicht gearbeitet haben müsse.

Da war aber nicht der Fall. »Ich war nie ein Geschwindschreiber, und komponirte immer mit Bedächtlichkeit und Fleiß. Solche Arbeiten sind aber auch für die Dauer, und einem Kenner verräth sich das sogleich aus der Partitur. Wenn Cherubini einige meiner Manuskripte durchsah, so traf er immer auf die Stellen, welche Auszeichnung verdienen.«

Auf jede der zwölf Simfonien, welche Haydn in England komponirte, verwendete er, freilich neben andern Beschäftigungen, einen Monat, auf eine Messe drei Monate; doch erinnerte er sich, eine auch in einem Monat geschrieben zu haben, weil er damals Krankheitshalber nicht ausgehen konnte.

Haydn verfertigte seine Komposizionen immer in einem Guß; er legte bei jedem Theil den Plan zur Hauptstimme ganz an; indem er die hervorstechenden Stellen mit wenigen Noten oder Ziffern bezeichnete; nachher hauchte er dem trokkenen Skelet durch Begleitung der Nebenstimmen und geschikte Uebergänge Geist und Leben ein. Seine Partituren sind rein und deutlich geschrieben,[105] »und es finden sich nur selten Korrekturen darin: das rührt daher, weil ich nicht eher schreibe, als bis ich meiner Sache gewiß bin.«

Haydn äußerte zuweilen, er hätte, anstatt der vielen Quartetten, Sonaten und Simfonien, mehr Musik für den Gesang schreiben sollen, denn er hätte können einer der ersten Opernschreiber werden, und es sey auch weit leichter, nach Anleitung eines Textes, als ohne denselben zu komponiren. Er beklagte sich übrigens, daß unsre deutschen Dichter nicht genug musikalisch dichteten: denn eine Melodie, welche für die erste Strofe passe, füge sich selten zu den folgenden; oft sey der Sinn in der einen Zeile geschlossen, aber nicht in der, welche ihr korrespondiren sollte, man sey auch nicht sorgfältig genug, in der Wahl der Vokalen. Die Dichter aus der neusten Periode konnte Haydn nur wenig, und gestand es gern daß er sich in ihre Ideenreihen und in ihren Ausdruk nicht mehr finden könne.

Haydn empfahl jedem Tonsezzer die praktischen Uebungen nicht zu vernachlässigen, weil er aus eigner Erfahrung mußte wie sehr dieses der Theorie zu statten komme. »Ich war auf keinem Instrumente ein Hexenmeister, aber ich kannte die Kraft und die Wirkung aller; ich[106] war kein schlechter Klavierspieler und Sänger und konnte auch ein Konzert auf der Violine vortragen.«

Als seine besten und dankbarsten Schüler pflegte er Pleyl, Neukomm und Lessel zu rühmen.


Wenn wir Joseph Haydn nennen, so denken wir uns einen unsrer größten Männer; groß im Kleinen und noch größer im Großen – Die Ehre unsers Zeitalters. Immer reich und unerschöpflich; allzeit neu und überraschend; allzeit erhaben und groß, wenn er nur zu lächeln scheint. Er hat unsern Instrumentalstükken, namentlich den Quadros und Simfonien eine Vollendung gegeben, die vor ihm unerhört war. Alles spricht, wenn er sein Orchester in Bewegung sezt. Jede, sonst unbedeutende Füllstimme in den Werken andrer Komponisten wird oft bei ihm zur entscheidenden Hauptparthie. Jede harmonische Künstelei, sey sie selbst aus dem gothischen Zeitalter der grauen Kontrapunktisten, steht ihm zu Gebote. Aber sie nimmt statt ihres ehemaligen steifen Wesens, eine gefälligere Gestalt an, sobald Er sie für unser[107] Ohr bereitet. Er besizt die große Kunst, in seinen Säzzen öfters bekannt zu scheinen. Dadurch wird er, troz allen kontrapunktischen Künsten, die sich darin befinden, populär und jedem Liebhaber angenehm. Seine Thema tragen durchaus das Gepräge der Originalité, und machen dem aufmerksamen Zuhörer ihrem Verfasser unter Tausenden unverkennbar.

Oefter scheint aber auch in seinen Werken nur das Ungefähr die Noten aufs Papier gebracht zu haben. Aber welche Wendung nehmen diese, dem ersten Ansehn nach nichts sagenden Noten unter seinen Meisterhänden in der Folge? Man wird mit fortgerissen! Eine abwechselnde Beklemmung und Freude über die Verwikkelungen und Auflösungen seiner großen Ideen, bemächtigt sich des Zuhörers, und macht, daß er sich selbst vergißt. Die junge Schöne sowohl, als der bei Partituren grau gewordene Kontrapunktist hören seine Werke mit Vergnügen. Beweises genug, wie sehr ihm Natur und Kunst zu Gebote stehen.

Schon seine ersten Quadros, welche um das Jahr 1760 bekannt wurden, machten allgemein Sensazion. Man lachte und ergözte sich auf der einen Seite an der außerordentlichen Naiveté und Munterkeit, welche darin herrschte,[108] und in andern Gegenden schrie man über Herabwürdigung der Musik zu komischen Tändeleien und über unerhörte Oktaven. Er war es nämlich, der die Manier, die Melodie durch die Oktave zu verstärken, oder erste und zweite Violine in Oktaven fortschreiten zu lassen, welche in großen Orchestern, bei ausdruksvollen Stellen, so große Wirkung thut, in diesen seinen Quadros zuerst einführte. Aber bald, troz alles Schreiens, gewöhnte man sich an diese Manier.

Diejenigen Werke, in welchen Haydn sich vor allen Komponisten ausgezeichnet hat, bestehen besonders in Simfonien und Quartetten, zu deren Einrichtung er sich eine ganz neue Bahn gebrochen hat, die vor ihm kein musikalisches Stük hatte. Diese Simfonien und Quartetten sind eine Suite von Stükken, deren Theile in keiner Verbindung untereinander siehen: erst ein Allegro, dann ein Adagio, dann ein Minuett und zulezt ein Rondo, oder sonst ein lebhafter Saz. Die Allegros sind kräftig, lebhaft, geistvoll und sehr fließend; die zweiten Hälften derselben sind mehrentheils gedacht, gelehrt, und auf das Eigenthümlichste entwikkelt. Es giebt keinen musikalischen Gedanken, sey er auch noch so einfältig oder bunt, der nicht durch Verkehrungen, Zertheilungen, Versezzungen und[109] Aehnlichkeiten interessant würde. Die Sicherheit und Gewandtheit in den Künsten des Kontrapunkts, von einer nie erschöpften Gedankenquelle unterhalten, führen das Ohr unvermuthet in Wildnisse und Tiefen, wohin es einer so sichern Leitung gern folgt und immer dafür reichlich belohnt wird. Haydn macht es wie ein schlauer Redner, der, wenn er uns zu etwas überreden will, von einem allgemein als wahr anerkannten Sazze ausgeht, den jeder einsieht, jeder begreifen muß, bald aber diesen Saz so geschikt zu wenden versteht, daß er uns zu allen überreden kann, wozu er will, und wärs zum Gegentheil des aufgestellten Sazzes. Seine Musik geht dem Gehöre glatt ein, weil wir wähnen etwas Leichtfaßliches, schon Vernommenes zu vernehmen; allein bald finden wir, daß es nicht das wird, nicht das ist, was wir glaubten, daß es sey, daß es werden sollte; wir hören etwas neues und staunen über den Meister, der so schlau Unerhörtes uns unter dem Anstrich des Allbekannten zu bieten wußte. Eben diese liebenswürdige Popularité giebt seinen Komposizionen bei aller Fülle von Harmonieaufwand und Instrumentazion eine so unendliche Klarheit, Allgemeinfaßlichkeit und Verständlichkeit, daß wir mit Leichtigkeit das Schwerste vernehmen. Daß gewisse Gattungen der Komposizionen ihm vorzüglich entsprechen, liegt; so[110] wie bei jedem andern Künstler in der Individualité seines persönlichen Karakters und dessen Einfluß auf den Künstlerkarakter. Frohsinn gelingt ihm im Durchschnitt mehr, als Schmerz und Verzweiflung. Auch hat er für alle und jede Gattungen der Freude die verschiedensten Sprachen. Die Gebiete der triumphirenden Jovialité, des Prächtigen, des Komischen überhaupt, des Naiv-Frohen, des Naivzärtlichen beherrscht er mit unwiderstehlicher Gewalt.

Die hohe Einheit seines Styls, zeigt den gebildeten Künstler, wie den verständigen Mann, der immer nur Gedachtes sagt und zu rechter Zeit, dem nie Gemeines entschlüpft. –

Quelle:
Arnold, Ignaz Ferdinand Cajetan: Wolfgang Amadeus Mozart und Joseph Haydn. Nachträge zu ihren Biographien und ästhetischer Darstellung ihrer Werke. In: Gallerie der berühmtesten Tonkünstler des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts. Erster Teil, Erfurt 1810, S. 90-111.
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