Courtray.

[14] Wie ich an diesem Orte anlangte, welches die erste Stadt von Belang in den österreichischen Niederlanden ist, fand ich einen merklichen Unterschied in der Sprache, den Sitten und der Musik des Volks. Die Verlegenheit ist nicht gering für einen Fremden auf einem Wege von ungefehr etlichen zwanzig Meilen, nicht weniger als vier sehr verschiedene Sprachen anzutreffen: Französisch, Flämisch, Wallonisch und Holländisch. Zu Courtray spricht der gemeine Mann die wallonische Sprache; ich redete verschiedene Leute auf der Gassen auf Französisch an, aber man verstund mich nicht; das Vorgeben des Abts Du Bos,und die Folgerung, die er daraus ziehet, daß Französich die allgemeine Sprache der Flamänder sey, ist also unrichtig, denn es ist Etwas ganz gewöhnliches, sogar zu Lille, das zwey Leute in zwey verschiedenen Sprachen mit einander sprechen. Die Einwohner von Lille fragen die Landleute, die Etwas zu Markte bringen, auf Französisch nach dem Preise, und bekommen die Antwort auf Flämisch; und jeder versteht den Dialekt des andern, ob er ihn gleich nicht sprechen kann.[14]

In Courtray ist die Orgel in der CollegiatkircheNotre Dame auf eine sonderbare Art angebracht, sie steht auf eine Gallerie an der Abendseite in dem Gebäu; allein, um das Fenster beyzubehalten, welches nöthig war, um dem Schiffe der Kirche Licht zu geben, hat man die Orgel in zwey Theile getheilet, den einen an die eine Seite des Fensters, und den andern an der Seite gegen über; die Bälgen gehn unter dem Fenster weg, und geben beyden Theilen der Orgel Wind. Es ist ein grosses sechzehnfüssiges Werk mit Pedal, und scheint noch nicht lange gebauet zu seyn. Die Claviere liegen in der Mitte unter dem Fenster, doch so, daß man solche Unten nicht sehen kann. Das Chor wird selbst, wenn die Orgel schweigt, mit einem Serpent, wie zu Paris, und mit einem Contreviolon, wie zu Rom, begleitet. Hier in dieser Stadt ward ich zum Erstenmale der Leidenschaft für Carrillons oder Glockenspiele gewahr, welche durch die ganzen Niederlande allgemein ist. Ich kam um Eilf Uhr an, und um halb Zwölf spielten die Glocken eine Menge lustiger Stücke, in verschiedenen Tonarten, welches meiner Neugierde für diese Art dergestalt rege machte, daß ich beschloß, als ich nach

Quelle:
Carl Burney's der Musik Doctors Tagebuch einer Musikalischen Reise. [Bd. II]: Durch Flandern, die Niederlande und am Rhein bis Wien, Hamburg 1773 [Nachdruck: Charles Burney: Tagebuch einer musikalischen Reise. Kassel 2003], S. 14-15.
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Tagebuch einer musikalischen Reise: Durch Frankreich und Italien, durch Flandern, die Niederlande und am Rhein bis Wien, durch Böhmen, Sachsen, Brandenburg, Hamburg und Holland 1770-1772