XVI.

Zweite Wiener Tristan-Periode.

[404] Vorlesung der ›Meistersinger‹ bei Standhartner. – Seltsames Erlebnis mit Dr. Hanslick. – Herausgabe der Dichtung vom ›Ring des Nibelungen‹. – Falsches Spiel der Hofoper hinsichtlich des ›Tristan‹. – Drei Konzerte im Theater an der Wien. – Konzerte in Prag. Petersburg und Moskau. – Rückkehr über Berlin: Herrn v. Hülsens Weigerung, Wagner zu empfangen. – Niederlassung in Penzing bei Wien.


Die Welt begreift nur den Virtuosen und bezahlt ihn; an der Spitze eines Orchesters mit meinen wenigen Kompositionen erscheine ich als ein solcher, und in dieser Qualität muß ich denn jetzt für mich sorgen.

Richard Wagner.


Wagners Eintreffen in der Kaiserstadt war auf die ausdrückliche Versicherung der Direktion erfolgt, daß der Wiederaufnahme der Proben kein Hindernis mehr im Wege stünde. Wirklich fand er dieselben bei seiner Ankunft unter Heinrich Essers Leitung (zunächst noch am Klavier) im besten Gange. Sehr sonderbar lautete die mündliche Erklärung, die er auf nähere Erkundigung über die Vorgänge empfing, welche sich seit seinem Fortgange hier zugetragen und seine erneuerte Einladung zur Aufführung seines ›Tristan‹ verursacht hätten. Kurz vor jenem letzten Abschiede von Wien hatte die zuvor näher geschilderte Begegnung mit dem berühmten Kritiker und ›artistischen Beirat‹ der Hofoperndirektion Dr. Hanslick und dessen dabei bewirkte auffällige Umstimmung gegen den Meister stattgefunden. ›Diese Veränderung habe nun, wie auf die Sänger der Oper, so namentlich auch auf einen Hofrat Raymond, den Ratgeber des kaiserl. Oberhofmeisters, welche Beide bei ihrer Unfähigkeit sich vor Hanslick fürchteten, in der Weise gewirkt, daß endlich von oben herab die Durchführung des »Tristan« als eine Ehrensache für Wien angesehen werden sollte. Dies der Grund der jetzt erneuerten Berufung.‹ Im Anschluß an diese eigentümlichen Enthüllungen ereignete sich sogleich nach seiner Ankunft ein fernerer sonderbarer Vorfall, [404] welcher ebenfalls den großen Wiener Kritiker zum Helden hatte. ›Ich wollte‹, so erzählt der Meister selbst, ›der mir so befreundeten Familie Standhartner das seit unserer Trennung ausgeführte Gedicht meiner »Meistersinger« vorlesen; da mich Herr Hanslick seit jenem Abende (bei Frau Meyer-Dustmann S. 352) wirklich interessierte, glaubte ich gut zu tun, auch ihn hierzu einladen zu lassen. Nun bemerkten wir im Verlaufe der Vorlesung, daß der gefährliche Rezensent immer verstimmter und blässer wurde, und auffallend war es, daß er nach dem Beschlusse derselben zu keinem längeren Verweilen im gesellschaftlichen Kreise zu bewegen war, sondern alsbald in einem unverkennbar gereizten Tone Abschied nahm. Meine Freunde waren darüber einig, daß Hanslick die ganze Dichtung als ein auf ihn gerichtetes Pasquill ansähe, und unsere Einladung zu ihrer Vorlesung von ihm als eine Beleidigung empfunden worden sei. Wirklich veränderte sich seit jenem Abende das Verhalten dieses Rezensenten gegen mich auffällig, und schlug alsbald zu einer verstärkten Feindschaft um, von deren Einträglichkeit er bis auf den heutigen Tag (1877) in vergnüglicher Beschränktheit seiner Individualität lebt‹. Nach dem audiatur et altera pars, das wir hier gern, und gewiß auch im Sinne unserer Leser, sogar auf den Dr. Hanslick anwenden wollen, sei hier die Tatsache festgestellt, daß Letzterer nachmals gegen die vorstehende heitere Geschichte protestiert und es versucht hat, sie für ein Produkt von Wagners ›aufgeregter (?!) Phantasie‹ zu erklären! Für eine ›aufgeregte Phantasie‹ bietet der höchst einfache Sachverhalt gar zu wenig Spielraum, und dann wäre es doch jedenfalls nicht die Phantasie Wagners, sondern die seiner Freunde gewesen, gegen die sich der Vorwurf einer üblen Auslegung richten konnte.1 Wer aber, wie er, gerade nach der Anhörung der zugleich humorvollsten und weltversöhntesten Dichtung in der geschilderten Weise den gastlichen Kreis verließ, dem sie zum ersten Male dargeboten wurde, gab den Zurückbleibenden unzweifelhaft eben dadurch das unbestreitbare Recht zu jeder ihnen beliebenden Auslegung seines sonderbaren Gebahrens, – somit auch derjenigen, welche allerdings die Voraussetzung der ungeheuerlichsten, selbstüberhebenden Eitelkeit in sich schließt! Den besten Beweis für ihre Richtigkeit hat der große Kritiker selbst durch sein ganzes späteres Verhalten, durch die konsequente Bekundung einer beispiellos erbitterten Feindschaft, eines unversöhnlich giftigen Hasses gegen den deutschen Meister abgelegt, mit dem er von jetzt ab – ohne Ausnahme – einen jeden seiner Schritte verfolgte und das öffentliche Urteil, soweit dies nur irgend in seinen Kräften stand, dawider einzunehmen versuchte. [405] Welchen nachteiligen Einfluß diese erneute Verstimmung schon damals auf das Wiener Künstlerpersonal ausübte – leider selbst Frau Dustmann nicht ausgenommen! – hatte der Schöpfer des ›Tristan‹ bald genug an sich zu erfahren.

Im Anschluß an die Vorlesung der ›Meistersinger‹-Dichtung im Standhartnerschen Hause wurde deren erster Akt – Ende November oder Anfang Dezember – in der Wiener Zeitung ›Der Botschafter‹ abgedruckt. Ungefähr um die gleiche Zeit muß auch die, noch mit der Jahreszahl 1862 versehene erste Druckausgabe der gesamten Dichtung durch den Schottschen Verlag publiziert worden sein.2 Um die gleiche Zeit zeigte die Buchhandlung von J. J. Weber in Leipzig die Dichtung des ›Nibelungenringes‹ als unter der Presse befindlich an. Zu ihrer Veröffentlichung als bloßes Literaturprodukt – zehn Jahre nach ihrem ersten Abdruck für den engeren Freundeskreis – bestimmte den Meister die im Laufe der letzten Jahre, seit der Vollendung seines Tristan, gewonnene tiefe Resignation. ›Ich hoffe nicht mehr, die Aufführung meines Bühnenfestspieles zu erleben: darf ich ja kaum hoffen, noch Muße und Lust zur Vollendung der musikalischen Komposition zu finden‹, heißt es in dem einleitenden Vorwort. Noch einmal stellt er darin seinen großen Festspielgedanken in vollem Umfang dem deutschen Publikum vor das geistige Auge, als eine dem deutschen Wesen entsprechende formgebende Institution, die mit allem Bestehenden füglich Hand in Hand gehen könnte: ›aus den besten Kräften desselben würde sie sich eben nur ernähren, um diese Kräfte selbst andauernd zu veredeln und zu wahrem Selbstgefühle zu stärken.‹ Zur Beschaffung der materiellen Mittel für ein so bedeutendes und erfolgreiches Ergebnis stellten sich ihm zwei Wege dar. Zunächst: eine Vereinigung kunstliebender vermögender Männer und Frauen, zunächst zur Aufbringung der für eine erste Aufführung nötigen Geldmittel. ›Bedenke ich, wie kleinlich die Deutschen gewöhnlich in solchen Dingen verfahren, so habe ich nicht den Mut, von einem hierfür zu erlassenden Aufrufe mir Erfolg zu versprechen Sehr leicht fiele es dagegen einem deutschen Fürsten, der hierfür keinen neuen Satz auf seinem Budget zu beschaffen, sondern einfach nur denjenigen zu verwenden hätte, welchen er bisher zur Unterhaltung des schlechtesten öffentlichen Kunstinstitutes, seines, den Musiksinn der Deutschen so tief bloßstellenden und verderbenden, Operntheaters bestimmte‹. – ›Wird dieser Fürst sich finden?‹ mit dieser, ganz ins Unbestimmte gerichteten Frage an das Schicksal seines großen Werkes, beschließt er jenes, von vollster Entsagung diktierte Vorwort, mit welcher er dasselbe für jetzt ton- und klanglos der ›bücherlesenden Öffentlichkeit‹ übergab. ›Schon von dieser es beachtet zu sehen, dürfte [406] mir nicht leicht fallen, da es keinen eigentlichen Markt hat. Der Literat legt den »Operntext« beiseite, weil er nur den Musiker angehe; der Musiker, weil er nicht begreift, wie dieser Operntext komponiert werden solle. Das eigentliche Publikum, das sich so gern und willig für mich entschied, verlangt die »Tat«. Die steht leider nicht in meiner Macht!‹3

Trotz aller resignierten Stimmung, wie sie aus diesem Schriftstück mit all seiner geschichtlichen Bedeutung in ergreifender Weise zu uns spricht, war er doch, selbst in den niedergedrücktesten Stunden, weit davon entfernt, seinen großen Plan durch Preisgebung der einzelnen vollendeten Teile seines Werkes an die Theater im voraus entweihend zu schädigen. Eine sogleich näher mitzuteilende Äußerung gegen den jungen Freund Dr. Gustav Schönaich bezeugt dies. Das Weitestgehende, wozu ihn das Versagen aller anderen Hilfsquellen nötigen konnte, war, daß er für eine Konzertaufführung aus seinen Partituren einige Bruchstücke herausschnitt. An dem noch in Biebrich gefaßten Vorhaben der Veranstaltung großer Orchesterkonzerte, zunächst in Wien, hielt er fest. ›Es war, glaube ich, in dieser Angelegenheit‹, so berichtet Schönaich, daß wir uns eines Tages von seiner Wohnung im Hotel zur ›Kaiserin Elisabeth‹ zu Peter Cornelius begaben, um mit ihm irgendein Detail wegen der Orchesterstimmen zu besprechen. Der hatte damals sein bescheidenes Heim in der Pfefferhofgasse unter den Weißgärbern, lebte ein äußerst dürftiges, von ein paar Musiklektionen kümmerlich gefristetes, aber dank seiner weltabgewandten Künstlernatur, im Grunde genommen frohes Dasein. Mit seinem Milderich angetan – so nannte er einen, bereits in bedenklichem Stadium der Altersschwäche befindlichen Samtrock, den ihm Liszt einst geschenkt – empfing er uns, hinter mächtigen, den kleinen Raum erfüllenden Rauchwolken kaum sichtbar, umgeben von Partituren, Manuskripten, Büchern, in seiner einzig herzlichen Weise. Das Geschäftliche war bald abgetan und wir plauderten ungezwungen über dies und das, als während einer Pause im Gespräch Wagner eine Leipziger Musikzeitung, die über anderen Papieren am Tische lag, mechanisch ergriff und ihren Inhalt überflog. Sein Blick fiel auf jene Stelle, welche das vor wenigen Tagen stattgehabte Konzert Weißheimers und das Vorspiel der ›Meistersinger‹ besprach: ›es sei reizlos, wüst und unüberschaulich‹ etc.4 Wagner las uns dieses hinrichterliche Urteil ganz akzentlos vor und legte dann das Blatt ruhig wieder auf den Tisch. Er ging sogleich auf ein anderes Gesprächsthema über, aber die Lektüre hatte unverkennbar einen Ekel in ihm hervorgerufen. Eine tiefe Verachtung hatte sich seiner bemächtigt, daß ein solcher Ruf ein solches Echo hervorrufen konnte. Wir gingen gemeinsam nach der Stadt zurück. Ich hatte das Bedürfnis, durch irgendein Mittel seine Verstimmung zu verscheuchen. [407] ›Sie haben es ja in der Hand, Meister‹, sagte ich zu ihm, ›Alles zu Ihren Gunsten zu wenden. Geben Sie unserer Oper die »Walküre«. Ihre Aufführung macht geringere Schwierigkeiten als die des »Tristan«, überwältigt das heutige Publikum viel leichter und ich bin überzeugt‹ (meine Ausdrucksweise war damals noch eine jugendlich vehemente), ›nach dem ersten Akt werden alle Kritiker erschlagen.‹ Wagner hielt im Gehen inne. ›Unmöglich‹, rief er, ›und wenn ich betteln gehen müßte! Die »Nibelungen«, wenn es mir bestimmt ist, sie zu vollenden, führe ich nur an einem, von landläufigen Opernunternehmungen entlegenen Orte, in einem für diesen Zweck erbauten Haus und mit Künstlern auf, die ich mir zusammenrufen werde. An einen Kompromiß, an eine Verzettelung meines Lebenswerkes denke ich nicht!‹ – So sprach Wagner 1862, mittellos, verschuldet und von allen autoritativen Faktoren seiner Kunst im Stich gelassen.5

Allerdings bezeugen es uns die ferneren eigenen Angaben Schönaichs auf das Deutlichste, daß eben diejenigen Hindernisse, welche sich damals in Wien dem ›Tristan‹ entgegenstemmten, mit gleicher Wucht einer jeden anderen seiner Schöpfungen sich widersetzt haben würden. Sie waren eben nicht in dem einen besonderen Werke begründet, sondern in der ›erdrückenden Masse an Miserabilität und Unfähigkeit, dem Intriguengeiste und der Doppelzüngigkeit, unter welcher die Ausführung der durch fast zwei Jahre beabsichtigten »Tristan« – Aufführung begraben wurde‹. Diese Wirren hätten sich bei Wagners Ankunft in Wien, anstatt sich zu lösen, nur gesteigert. ›In Wien angelangt, fand er die Karten schon wieder so gemischt, daß an eine wirksame Förderung des schwierigen Unternehmens nicht gedacht werden konnte. Der Tenorist Ander, unter den damaligen Personalverhältnissen des Hofoperntheaters der Einzige, dem eine solche Leistung seiner dramatischen Begabung nach annähernd zugemutet werden konnte, hatte sich eben wieder krank gemeldet, und die Direktion mußte den Komponisten, genau so wie ein Jahr früher, auf die Genesung des Unentbehrlichen vertrösten. Ander – mit seiner Gesundheit und Stimme in voller Dekadence – hatte sich schon seit langem überzeugt, daß die Rolle des Tristan bei dem derzeitigen Zustande seiner Mittel eine für ihn unlösbare war. Hätte dieser der Wahrheit die Ehre gegeben und offen bekannt, was ja auch für andere kein Geheimnis geblieben, so mußte, konnte und sollte die Direktion sich um einen anderen Vertreter der schwierigen Rolle umsehen. Er war ja auch schon gefunden und Wagner in seiner vollen Leistungsfähigkeit bekannt – Schnorr von Carolsfeld! Aber »Offenheit und Wahrheit« haben zu keiner Zeit den charakteristischen Programmpunkt der Theaterleiter und ihrer Mitglieder gebildet. Wir wollen hier den einzelnen Phasen dieses durch und durch falschen Spieles, das mit Wagner [408] getrieben wurde, nicht weiter folgen, wie lehrreich auch dieser unerquickliche Weg sich erweisen könnte. Aber auch hier sei nicht vergessen hervorzuheben, daß zu jener Zeit doch ein Mann an dem Institute wirkte, der als weißer Rabe unter dieser dunklen Gesellschaft weithin kenntlich war – Heinrich Esser, goldtreu und wahr als Mensch, eminent als Musiker und Dirigent und Wagner ein stets aufrichtig ergebener Freund.‹6 Aber was vermochte dieser Eine gegen die vollkommene künstlerische und moralische Unzuverlässigkeit des übrigen Personales, vor allem der Träger der beiden Hauptrollen! Denn leider hatte er nur allzubald zu erfahren, daß selbst die Vertreterin der Isolde, Frau Meyer-Dustmann, im Laufe eines Jahres ihre Gesinnungen gegen ihn aus unbekannten Gründen wesentlich geändert hatte, und ihr alles andere näher am Herzen lag als der Meister und sein schutzloses Werk! Zur Charakteristik der wahren Gesinnungen dieser Künstlerin gegen Wagner liegen uns, auf Grund der Aussagen absolut glaubwürdiger Zeitgenossen und Augenzeugen, die bestimmtesten unwidersprechlichen Zeugnisse vor.

Die ›einzelnen Phasen jenes falschen Spieles‹, welche uns Schönaich nicht näher schildert, markieren sich desto deutlicher in Wagners gleichzeitigen brieflichen Nachrichten. Am 22. Nov heißt es: ›nächster Tage beginnen die ernstlichen Proben des »Tristan« mit – Ander. Es wird diesmal allerdings werden: die oberste Behörde ist scharf dahinter.‹ Fünf Tage später (27. Nov.): »Ander ist wieder auf vierzehn Tage krank!!! Glücklicherweise ist's nun mit Schnorr entschieden: somit Januar, ›Tristan‹!«7 Am 10. Dezember: ›Das Studium des »Tristan« geht so weit vorwärts, daß ich gewiß noch auf spätestens Mitte Januar rechne.‹8 Am 12. Dez.: ›Mitte Januar erste Aufführung des »Tristan«: gesichert damit ein Gastspiel Schnorrs (vorzüglich).‹9 Diese, dem Wiener Personale mißliebige Mitwirkung Schnorrs zu vereiteln, bedurfte es nun aber keiner sehr umständlichen Mittel: es galt nur, Proben und Aufführung über den Termin seiner freien Zeit, den Monat Januar, hinauszuschieben. Und so mußte denn Schnorr, dem einzig dieser Monat zur Verfügung stand, bei voller Begier, dem Meister in dieser entscheidenden Angelegenheit zu dienen, sehr bald durch die traurige Nachricht überrascht werden: der Tristan werde ›nach dem Urteil der Sachverständigen erst in den letzten Tagen des Januar seine erste Aufführung erleben und man könne demgemäß auf seine Mitwirkung nicht mehr rechnen‹. ›Dieser gelinde Keulenschlag auf mein Haupt‹, schreibt Schnorr, ›hat mir wieder recht deutlich gezeigt, daß selbst in Wien – Wagner verraten wird. Was die eigentlichen Gründe sind, die meine Mitwirkung unmöglich machen, weiß ich nicht; mich kränkt nur das so unaussprechlich, daß gerade Ander, dieser blasse, blonde, [409] blöde Brillenträger, der keine Idee von Wagner hat, das Glück hat die erste Aufführung zu singen. Gott gebe nur, daß alles noch recht zustande kommt! Ich fühle mich so eng verwachsen mit diesem Werke, daß eine lebendigere Teilnahme, als ich sie empfinde, undenkbar ist.‹10 Eine eigentümliche Erscheinung gewährte während dieses peinlichen Hinziehens das Verhalten der Wiener Publizistik von der ›Neuen freien Presse‹ bis zur ›Donauzeitung‹. Sie warf sich aus allen Kräften gegen den Meister und sein Werk in die Schranken, und suchte das letztere im voraus in jeder Weise unmöglich zu machen, indem es die Meinung des Publikums dagegen bearbeitete und die in Umlauf gesetzten Irrtümer über seine Person, seine Kunst und seine Absichten mit beispielloser Sorgfalt vor jeder Klärung aushütete. ›Hier in Wien hatte, seit den ersten Verzögerungen des »Tristan«, die musikalische Presse sich mit besonderer Vorliebe der Aufgabe hingegeben, zu beweisen, daß mein Werk überhaupt unausführbar sei Kein Sänger könne meine Noten treffen, noch behalten: dieses Thema war (wie früher von Karlsruhe aus) zur Losung für alles, was man über mich berichtete, schrieb oder sprach, durch ganz Deutschland geworden.‹11 In jedem Betracht schien seine Lage somit eine aussichtslose; allerorts hatten zünftlerische Feinde das Heft in Händen. ›Wenn sich Wagners in dieser Lebensperiode – er hatte die Fünfziger bald hinter sich – nicht die äußerste Verbitterung bemächtigte, so schätzte ihn davor‹ (nach Schönaich) ›lediglich die unversiegbare Kraft, die er aus seinem idealen Streben schöpfte, und die künstlerische Frohnatur, die ihm, wie allen wahrhaft Großen, verliehen war.‹12

Unter diesen Umständen gewannen die geplanten Wiener Konzerte für ihn noch ein besonderes Interesse: als das Mittel, sich über die verleumderischen Berichte der Presse hinaus in eine direkte Relation mit dem Publikum zu setzen, wie ihm dies in London und Paris gelungen war.13 ›Man muß sich [410] rühren und persönlich (durch die Konzerte) mit dem Publikum verkehren, sonst geht das Sekretieren der Zunftgenossen ungestört fort.‹14 So schreibt er um die Zeit, da die ›Tristan‹-Aufführung ihm durchaus noch gesichert erscheint; gerade die Konzerte sollten die rechte Einführung dazu bilden. ›Die Zeit von letzter Woche Dezember bis Ende Januar wird doch sehr merkwürdig und – ich glaube – für die Kunstgeschichte sehr namhaft und entscheidend werden.‹15 Die Stimmen dazu, aus der Partitur des ›Rheingold‹, der ›Walküre‹, des ›Siegfried‹ und der ›Meistersinger‹ waren zum Teil schon unter Weißheimers Aufsicht in Leipzig ausgezogen und kopiert worden, zum größeren Teil mußte diese Arbeit an Ort und Stelle in Wien vorgenommen werden. Sie hatten sich bereits zu einem ganz ansehnlichen Berg von Noten aufgehäuft. Viel Schwierigkeiten veranlaßte besonders der ›Rheingold‹-Schluß mit seinen sechs Harfen, welche aus Mangel an den nötigen Instrumenten auf vier Stimmen reduziert werden mußten; auch die Extrablechinstrumente mußten neu nachgeschrieben, transponiert und arrangiert werden. ›Gern käme ich zu Ihnen nach Italien‹, schreibt er inmitten dieses Arbeitswustes (12. Dez.) an Malvida, ›ja vielleicht komme ich. Es geht mir sehr durch den Kopf: auf solchen Trödel kann mich eigentlich nur Italien wieder herstellen und belohnen. Gegenwärtig vollständig aufgelöst, unsäglicher Lebensüberdruß, tägliche Verwunderung darüber, daß ich noch lebe, – dämonische Bewandtnis damit!‹ Seine Lage war eine so schwierige, daß ihm nur die ununterbrochene Betätigung darüber hinweghalf, indem sie seinen Sinn in anderer Richtung in Anspruch nahm. Seine einzige sichere Hoffnung war das ›Tristan‹-Honorar, welches ihm am Tage nach der ersten Aufführung ausgezahlt werden sollte. Von einem ansehnlichen Ertrag der Konzerte konnte um so weniger die Rede sein, als die Kosten, welche der große Orchesterapparat und die notwendigen Proben dazu verursachten, ganz geeignet waren, selbst bedeutende Einnahmen zu verschlingen. Als Lokal dazu war das k. k. privilegierte ›Theater an der Wien‹ ausersehen,16 weil es als das größte Haus Wiens nächst dem Opernhause, ca. 2000 Personen faßte. Allein die bloße Saalmiete für jeden einzelnen Abend erheischte namhafte materielle Opfer. Dazu – größte Erschöpfung durch die anstrengenden Proben, die sich in der Unterschrift eines Telegrammes vom 20. Dezember bekundet, worin er sich als vor Übermüdung ›halbtot‹ bezeichnet.

Am Vormittag des 23. Dezember hatte die Hauptprobe stattgefunden, tags darauf traf Weißheimer ein, der uns über seine Erlebnisse am Weihnachtsabend 1862 ausführlichen Bericht gibt. Nachmittags vier Uhr angekommen, eilte er sogleich in die Weihburggasse nach Hotel ›Kaiserin Elisabeth‹ [411] und traf daselbst Wagner mit Tausig und Cornelius. Es habe sich zwischen ihnen ein so lebhaftes Durcheinander von Frage und Antwort entwickelt, daß Wagner schließlich mit einem gebieterischen ›Halt!‹ dazwischen fuhr. Wir verschoben die Fortsetzung auf ein andermal, und ich begleitete ihn zu seinem Freunde Standhartner. Der hervorragende Arzt und, wie man sagte, Leibarzt der Kaiserin (?), Dr. Standhartner, welcher ein großes Haus machte, stand im kräftigsten Mannesalter, hatte ein äußerst intelligentes Gesicht mit hoher, breiter Stirn, die den Anfang einer würdigen Glatze bildete und seiner imposanten Figur eine womöglich noch höhere Bedeutung verlieh. Er war die Liebenswürdigkeit selber und hatte für Wagner eine fast unbegrenzte Verehrung. In dem zahlreich vertretenen Verwandtschaftsresp. Freundeskreise der Schönaich und Mauro etc. etc. fiel besonders die bildhübsche Seraphine Mauro auf, in deren Adern italienisches Blut floß. Ihr marmorbleiches Antlitz war mit den denkbar schwärzesten Locken umgeben. Nach Tisch wurde etwas musiziert und im Salon der Mokka gereicht. Hier siel mir sogleich Wagners eingerahmte Photographie auf, unter welcher zu lesen stand: ›Seinem Freund Standhartner – Richard Wagner.‹ Damit aber nicht Standhartner betont würde, wie es im Wiener Dialekt nicht anders geschah, hatte Wagner über obige Dedikation Noten gesetzt, die folgendermaßen zu der richtigen Betonung zwangen:


16. Zweite Wiener Tristan-Periode

Am Freitag, 26. Dezember, dem zweiten Weihnachtsfeiertage, ging das erste Konzert vonstatten. Die Programme dazu enthielten zu jedem einzelnen Fragment eine eingehende, über den dichterischen Zusammenhang belehrende Einleitung mit nachfolgendem Gesangstext. Ein Blick auf die lange steil ansteigende Fläche voll tüchtiger Musiker, in imposanter Macht den Meister umgebend, jedes Winkes gewärtig und gewohnt, alle Schwierigkeiten siegreich zu überwinden, und gegenüber auf das dichtgedrängte erwartungsschwere Publikum, worunter sich auch die Kaiserin befand, belehrte über die Bedeutung des bevorstehenden Ereignisses. Als Wagner erschien, brach ein ungeheurer Sturm des Beifalls los. Die Kaiserin bog sich applaudierend aus ihrer Loge. ›Es war eine Szene, die fünf bis sechs Minuten spielte und immer wieder losbrach, so daß er schließlich nicht mehr wußte, wie er danken sollte, und mit ausgebreiteten Armen ergebungsvoll stehen blieb, bis dieser unglaubliche Empfangssturm sich endlich gelegt hatte.‹17 Den Beginn machte das Meistersingervorspiel, nach dessen jubelnden Schlußklängen dem Tondichter ein Lorbeerkranz [412] überreicht wurde. Es folgte die ›Versammlung der Meistersingerzunft‹ (als Orchestersatz) und Pogners Ansprache: ›Das schöne Fest, Johannistag‹; beide vom Publikum mit lebhaften Kundgebungen aufgenommen. Am zündendsten wirkten die Bruchstücke aus der ›Walküre‹, die mit dem ›Walkürenritt‹ begannen, worauf dann ›Siegmunds Liebesgesang‹ und ›Wotans Abschied und Feuerzauber‹ sich anschloß. Nach dem ›Walkürenritt‹ wollte der Jubel kein Ende nehmen, eine förmliche Berauschung hatte sich des ganzen Auditoriums bemächtigt. Es folgten als Bruchstücke aus dem ›Rheingold‹ die zweite Hälfte der ersten Szene unter dem Titel: ›der Raub des Rheingoldes‹ und zum Schluß der ›Einzug der Götter in Walhall‹, mit Donners Gewitterzauber beginnend. In dem Rheingoldschluß sollen die Damenstimmen der Rheintöchter vorzüglich gewirkt haben, die, von Cornelius einstudiert, hinter der Szene von diesem dirigiert wurden.18 Wie oft Wagner in diesem Konzert von der begeisterten Menge hervorgejubelt wurde, meldet uns keiner der Teilnehmer dieses denkwürdigen Abends, da es nicht zu zählen war; Lorbeer- und Blumenspenden gaben bei den Hervorrufen dem allgemein hochwogenden Enthusiasmus einen sichtbar festlichen Ausdruck. Sollte es dem Meister nicht verwunderlich dünken, diese Bruchstücke einer Musik, die, wie keine andere, nur im Hinblick auf ein großes dramatisches Ganzes entstanden war, selbst in dieser – wie er selbst sagte – ›verwahrlosenden‹ (weil unzusammenhängenden) Vorführung mit dem reichsten und lebhaftesten Beifall vom Publikum aufgenommen zu sehen? Gewiß war dies eine Erfahrung, wohlgeeignet, die sorgsam gepflegte Ansicht zu berichtigen, wonach er mit der Konzeption seiner neueren Werke in das Chaos der Unverständlichkeit und Unmöglichkeit verfallen sei. Trotzdem hielt die Wiener musikalische Presse an der letzteren Ansicht fest. ›Ein dankbareres Publikum als das hiesige‹, lautet eine dieser Stimmen, ›findet Richard Wagner sicher in der ganzen Welt nicht; wir sahen mit Staunen, wie man in alle seine Ideen mit Überzeugung einging, ja, wie man ihm auf halbem Wege entgegen kam.‹ ›Das Gesamturteil über Wagner wird durch das gestrige Konzert nicht wesentlich modifiziert: diejenigen, welche bis jetzt in den Wagnerschen Werken keine Melodie gefunden haben, werden sie auch weiter nicht finden, sowie im Gegenteil für diejenigen, welche bis hierher mit Wagner gegangen, auch in den neuesten Werken eine Fülle von Schönheiten sich offenbaren wird. Wir halten es mit den ersteren; für uns gibt es keine Zukunftsmusik.‹19 – Unter den zahlreichen mißgünstigen Äußerungen fällt uns diejenige des Nichtmusikers Hebbel auf20.

[413] Was den Konzertgeber, ganz abgesehen von den ungeheuren Kosten der ganzen Veranstaltung, unbefriedigt ließ, war vor allem die erst am Konzertabend selbst von ihm erprobte akustische Beschaffenheit des Saales. Die Proben hatten in einem anderen Lokal stattgefunden, und erst bei der Aufführung selbst ergab sich, aus Mangel einer gehörigen Dämpfung des Schalles, eine betäubende Sonorität, welche die feindlich gesinnte Kritik gehörig für ihre Zwecke auszunutzen wußte, während sie doch niemand zu größerem Leidwesen gereichen konnte, als dem Komponisten selbst. Bereits zu dem für den 1. Januar 1863 angesetzten zweiten Konzert sah er sich daher bewogen, hinter dem Orchester eine Schallwand aufrichten zu lassen, die ›zwar die vortrefflichsten Dienste leistete, aber – zweihundertunddreißig Gulden ko stete‹.21 Das Haus war wegen des Neujahrstages schwächer besucht, als das erste Mal, aber der Beifall zeigte einen fast noch verstärkten Enthusiasmus; sowohl der Walkürenritt als Siegmunds Liebesgesang mußten auf allgemeines rauschendes Verlangen wiederholt werden.22 Das Programm des zweiten Konzertes umfaßte, außer den Fragmenten aus ›Walküre‹ und ›Rheingold‹, auch Siegfrieds ›Schmiedelieder‹ – leider ohne den wahren Siegfriedsänger Schnorr! Das Orchester verrichtete unter dem befeuernden Taktstabe des Komponisten Wunder von Tapferkeit. Wie immer, dirigierte er alles auswendig, und selbst eine gegnerische Kritik rühmte die seiner Leitung eigene ›glückliche Mischung von Feuer und Kaltblütigkeit‹. ›Diesmal‹, so erzählt Weißheimer, ›war auch der Minister v. Schmerling in seiner Loge anwesend, der lebhaft applaudierte. Der Ertrag beider Konzerte belief sich auf 3000 Gulden und wäre sicherlich höher gewesen, wenn man nicht die gewöhnlichen Theaterpreise beibehalten hätte. Leider wurde die ganze Einnahme von den enormen Kosten verschlungen. Wagners Hoffnung richtete sich daher vornehmlich auf das dritte Konzert.‹ Für dieses, das am 8 Januar vor sich ging, waren die ›Rheingold‹-Fragmente vom Programm abgesetzt und dafür, außer den ›Schmiedeliedern‹, die ›Faust‹-Ouvertüre und die ›Tannhäuser‹-Ouvertüre aufgenommen. ›Der [414] Jubel, den die Tannhäuser-Ouvertüre erregte‹, so berichtet Weißheimer, ›übersteigt alle Begriffe, und nicht minder die Faustouvertüre, die unter Wagners Leitung die vollendetste Orchesterleistung wurde, welche ich jemals gehört habe. Nicht weniger als drei Nummern mußten da capo gespielt werden, und – diesmal hatte ich's gezählt – wurde Wagner dreiundzwanzigmal hervorgerufen. Zuletzt hielt er eine Ansprache an das versammelte Publikum, – dann glich der Beifall der Menge wieder einem Orkan. Noch lange beobachtete die Kaiserin unter ihrer Logentür diese Szene und ließ sich von einer Hofdame den Inhalt von Wagners Ansprache wiederholen. Neben mir in der Loge saß Johannes Brahms, den ich bei Cornelius kennen gelernt; er blieb während des ganzen Konzertes kühl und zurückhaltend. Als ich ihn nach der hinreißenden Wiedergabe der Faust-Ouvertüre durch Zeichen zum Mitapplaudieren animierte, sagte er: »Ach, Herr Weißheimer, Sie zerreißen sich ja Ihre weißen Glacéhandschuhe.«23 Trotz des außerordentlichen Erfolges dieses Konzertes fuhr die gegnerische Presse fort, Wagner mit allen Mitteln zu bekämpfen. Er bekam die gehässigen Artikel angestrichen zugeschickt und auch eine Quantität anonymer Briefe, die er sofort dem Kamin übergab. Demgegenüber erhielt er aber auch fast täglich glühende Verehrungsbriefe, Lorbeerkränze und von zarter Damenhand gestickte Kissen usw. zugesandt.‹ Ganz Wien war in Erregung. Besonders lebhaft bekundete die Studentenschaft ihre Teilnahme – die Jugend ist stets auf Wagners Seite gewesen!24 Inzwischen hatten, wie vorausgesehen, die Konzerte ein materielles Erträgnis nicht eingebracht, und auch der ›Tristan‹ war durch Anders Schwächlichkeit fortdauernd in der Schwebe. ›Daß sich‹, fährt Weißheimer fort, ›die Aufführung dieses seines Schmerzenskindes nicht ermöglichen ließ, bildete für Wagner eine Quelle peinlicher Sorge und Verlegenheiten. Er war schon zwei Monate im Hotel, immer in der Hoffnung auf das »Tristan«-Honorar, – da wurde der Wirt besorgt und sandte Rechnung auf Rechnung (?). Der geforderte Betrag war ein recht ansehnlicher, da außer den Aufenthaltskosten noch das ziemlich ausgedehnte und splendide Diner zu bezahlen war, welches Wagner nach den Konzerten für die Hauptmitwirkenden und Freunde veranstaltet hatte. Es war daher eine recht große Verlegenheit, als Wagner nicht [415] zahlen konnte; als ich am Abend mit Tausig bei ihm war, jammerte und klagte er über seine elende Lage. Wir hörten ihm teilnahmsvoll zu und saßen niedergedrückt auf dem Sofa, während er in nervöser Hast auf-und abging. Plötzlich blieb er stehen und sagte: »Halt, jetzt hab ich's, was mir fehlt«, lief an die Tür und klingelte energisch. Tausig raunte mir zu: »Was hat er vor? er sieht ja gerade aus wie Wotan, der zu einem großen Entschluß gekommen!« Langsam kam der Kellner zum Vorschein – und war nicht weniger erstaunt als wir Beide, als Wagner befahl: »Bringen Sie gleich zwei Flaschen Champagner in Eis!« »Um Gottes willen – in dieser Lage!« riefen wir, als der Kellner wieder gegangen war. Er aber hielt uns eine eifrige Auseinandersetzung über die Unentbehrlichkeit des Champagners in verzweifelten Situationen: »Trinkt nur mit, wir sind die Sieger, und unser ist die Welt!« – Als ich am folgenden Morgen in sein Zimmer trat, zeigte er mir 1000 Gulden, die ihm die Kaiserin (?) – wohl auf Veranlassung Dr. Standhartners (?) – gesandt hatte.‹25

Aus diesen Tagen hochwogender Begeisterung weiß uns Julius Fröbel, damals neben Uhlan der Herausgabe des Wiener ›Botschafter‹ beschäftigt, von einem Zusammensein mit dem Meister zu berichten. ›Im Januar 186326 brachte ich bei Friedrich Uhl einen Abend in Gesellschaft Richard Wagners zu. Anwesend waren u.a. noch der Graf Anton Auersperg (Anastasius Grün) und Rudolf Gottschall.‹ Wagner erhielt hier im Laufe der Unterhaltung Gelegenheit zu einer Darlegung seiner, auf die Hebung und Reform des Institutes der k.k. Wiener Hofoper bezüglichen Ansichten und Ratschläge; und diese dünkten seinen Zuhörern so leichtfaßlich und praktisch, daß Uhl den lebhaften Wunsch daran knüpfte, Wagner möchte das Gesagte schriftlich für den ›Botschafter‹ näher ausführen. Über sich selbst bemerkt dabei Fröbel. ›Seit 1847 und 48 in Dresden hatte ich mich mit dem großen dramatischen Komponisten nicht wieder zusammengefunden. Er konnte mich als einen Freund seiner reformatorischen Richtung betrachten; schon in Dresden war ich mit ihm in der Ansicht über das Verhältnis des Theaters zum öffentlichen Leben zusammengetroffen. Wagner brachte jetzt in Konzerten Bruchstücke seiner letzten großen Werke zur Kenntnis des musikalischen Publikums der österreichischen Hauptstadt. Ohne Zweifel,‹ fügte er hinzu, ›war die mögliche Popularität dieser Werke damit auf eine kühne Probe gestellt‹. Er rühmt sich bei derselben Gelegenheit für Wagner ›eine harte Lanze gebrochen‹ und einigen gemeinen und gehässigen Angriffen der ›Donauzeitung‹ im ›Botschafter‹ nach Verdienst die Spitze geboten zu haben.27

[416] Auch die Angelegenheit des ›Tristan‹ scheint immerhin durch das erregte Aufsehen der Konzerte eine Förderung erhalten zu haben. Wenigstens berichtet Weißheimer, Kapellmeister Esser sei eines Morgens mit der Bitte zu Wagner gekommen: er möge sich jetzt direkt mit Ander befassen, der nun allen Fleiß aufbieten wolle. Von ›oben‹ seien Befehle gekommen; die Oper müsse bald heraus, und Ander wolle ganz bestimmt darin singen. Die Rollenverteilung war die folgende: König Marke – Beck; Tristan – Ander; Kurwenal – Hrabanek (dessen kolossale Baßstimme uns besonders gerühmt wird); Isolde – Frau Meyer-Dustmann; Brangäne – Frl. Destinn; Melot – Herr Lay; ein Hirt – Herr Campe; der Steuermann – Herr Bähr. Weißheimer behauptet nun, er habe von jetzt an täglich mit Ander studiert, und dieser habe sich wirklich viel Mühe gegeben, diese schwierige Partie in seinen Kopf zu bringen, die ›entschieden für seine Stimme zu tief, für seinen musikalischen Horizont aber zu hoch war‹. Schon vorher will nun aber Weißheimer mit dem ›famosen lyrischen Tenor Walter‹ die Partie des Tristan studiert haben, damit dieser ›eventuell einspringen könne‹. ›Aus Rücksicht für Ander mußte das natürlich im Geheimen geschehen. Vom Ehrgeiz getrieben, unter leicht vorherzusehenden Umständen der erste Tristan zu werden, sei Walter mit einem wahren Feuereifer ans Werk gegangen, und schon nach wenigen Wochen hatte er die schwierige Partie inne (?). Als ich dies‹, so fährt er fort, ›Wagner mitteilte, war er sehr froh (?) und wunderte sich nicht wenig, daß dies so schnell gegangen.‹ Diese ganze Mitteilung hat ihre starken Bedenken. Ob Walter die Partie wirklich inne hatte oder nicht, läßt sich jetzt nachträglich schwer feststellen; sicher aber ist, daß dem Meister dieser Sänger jederzeit, nicht bloß als darstellerische Persönlichkeit, sondern auch hinsichtlich seiner vielgerühmten Stimmüppigkeit durchaus unsympathisch war, indem er seine Stimme, das Entzücken der Wiener, bereits damals, mithin ›zu der Zeit, wo solche schlecht gebildete Gaumenstimmen eigentlich verführen, als durchaus widerwärtig erkannte‹.28 Dementsprechend hat er die wiederholt an ihn gerichtete Zumutung, Walter die Partie des ›Tristan‹ anzuvertrauen, stets beharrlich abgewehrt. Da nun Schnorrs Gastspiel sich vor dem Monat Mai auf keine Weise ermöglichen ließ, blieben alle Hoffnungen für Wien einzig auf Ander gestützt, der nun schon seit über einem Jahre dem Studium dieser Rolle oblag. Unter diesen Umständen war es für den bedrängten Meister momentan von der größten Bedeutung, daß ihm seitens der St. Petersburger Philharmonischen Gesellschaft die Einladung zuging, im Februar zwei ihrer Konzerte zu dirigieren, die ausschließlich aus seinen Kompositionen zusammengestellt [417] sein sollten, und dafür ein Honorar von zweitausend Rubeln zu empfangen.29 Die erste Anknüpfung dazu hatte schon Anfang Dezember stattgefunden, als er mitten in den Vorbereitungen für die Wiener Konzerte steckte, und war von ihm (12. Dezember) mit einer vorläufigen bedingten Annahme beantwortet worden.30 Die Rücksicht auf das Schicksal des ›Tristan‹ verzögerte die Entscheidung. Eine Einladung zu einem Konzert in Breslau (durch Leopold Damrosch) für den 9. Februar, für welches ihm die Einnahme von 40 Friedrichsd'or garantiert war, wird aus demselben Grunde von ihm abgelehnt: ›weil ich um diese Zeit wahrscheinlich stark mit Tristan hier beschäftigt bin‹.31 ›Ich gebe mir alle Mühe, hier noch mit dem »Tristan« fertig zu werden, und hoffe dies etwa medio Februar zustande zu bringen. Die ernstlichsten Proben fielen dann in die erste Hälfte Februar, und ich kann dann hier nicht fort. Werde ich noch zur rechten Zeit fertig, so habe ich mich aufzumachen, um in Petersburg am 23. Februar das erste Konzert zu dirigieren. Etwas ändert es sich, wenn ich den Tristan nicht zur rechten Zeit herausbringe und mich auch nicht entschließen kann, ihn ohne mich laufen zu lassen. Dann müßte ich allerdings Petersburg aufstecken.‹32 Endlich, auf erneutes Drängen von Petersburg her, um eine kurze bejahende oder verneinende Antwort, erfolgte am 31. Januar seine telegraphische Zusage für den 22. Februar, immer in der Hoffnung, ›Tristan und Isolde‹ bis zu diesem Termin an das Licht gebracht zu haben. Die berechtigte Ungeduld der Petersburger wurde dabei schließlich noch auf eine harte Probe gestellt: infolge des inzwischen ausgebrochenen polnischen Aufstandes und einer dadurch verursachten Unterbrechung des Depeschenverkehrs war das Telegramm vier Tage lang unterwegs, bevor es sein Ziel erreichte33

Inzwischen war aus größerer Nähe, von Prag aus, eine ähnliche Aufforderung an ihn gelangt Sie war durch eine, der Zahl nach nicht allzugroße Gruppe ergebener Verehrer veranlaßt, unter denen hauptsächlich der vortreffliche Heinrich Porges durch seinen begeisterten Eifer eine hervorragende Stelle einnahm. Auch hier handelte es sich, nachdem das Wiener Beispiel gezündet, um ein Konzert ausschließlich aus den Werken des Meisters. Aber [418] das Prager Konzert war durch die sorgfältige, ziel- und zweckbewußte Vorbereitung nach der künstlerischen und finanziellen Seite ein Unikum unter den von dem Meister dirigierten Konzerten, das einzige, das ihm – statt eines Defizits – eine Bareinnahme zuführte. ›Dort hatten mir einige gute Freunde einfach das nötige Orchester engagiert, den Saal gemietet, die zwei erforderlichen Sänger eingeladen, und das so vorbereitete Konzert trug mir, nach Abzug aller Kosten und Auslagen, etwas über 1000 fl. ein.‹34 Hätte er sich auch hier, aus Mangel befreundeter Mitarbeiter, ›in die Arme einer Theaterdirektion werfen sollen‹, so wäre der Erfolg ein anderer gewesen! Anfangs Februar begab er sich nach der Moldaustadt, wo er im ›schwarzen Roß‹ Wohnung nahm. Das Programm des am Sonntag, den 8. Februar stattfindenden Konzertes war das nachfolgende:


I. 1. Eine Faust-Ouvertüre.

2. a) Versammlung der Meistersingerzunft (für Orchester allein).

b) Pogners Anrede an die Versammlung (gesungen von Herrn Rokitansky).

3. Vorspiel zu den ›Meistersingern.‹

II. 4. Vorspiel zu ›Tristan und Isolde‹.

5. Siegmunds Liebesgesang (gesungen von Herrn Bernard)

6. Ouvertüre zu ›Tannhäuser‹.


Hatten die Schöpfungen des Meisters hier stets volle Anerkennung gefunden, so äußerten die Prager auch diesmal ihre Sympathieen in lebendigster Weise. Enthusiastischer Applaus, Lorbeerkränze mit schwarz-rot-goldenen Bändern35 dienten als Ausdruck derselben; mehrere Verehrer überreichten ihm einen aus Silber gearbeiteten Lorbeerkranz, auf dessen einzelnen Blättern die Namen seiner Werke verzeichnet waren. Der rauschende Beifall ruhte auch hier nicht eher, als bis er in wenigen Worten den gerührten Dank für die Teilnahme ausgesprochen, welchen seine Werke hier schon seit Jahren gefunden. Dem vielfach bekundeten Verlangen, nun auch sein jüngstes vollendetes Werk, seinen in Wien immer noch mit so unerhörten Schwierigkeiten ringenden ›Tristan‹ zu hören, stand er so wenig entgegen, daß er sogar schon von Wien aus, im Laufe des Monats Januar, darüber mit der Prager Direktion und dem Kapellmeister Jahn Verhandlungen gepflogen hatte. Da in Wien sich alles gegen ein Auftreten Schnorrs verschwor, so hatte er für die Zeit von Mitte Mai bis Ende Juni ein Gastspiel des Schnorrschen Paares als Tristan und Isolde in Prag in Vorschlag gebracht, und Direktor Thomé war mehr als bereit, ihm dafür die Hälfte der jedesmaligen Einnahme zu bewilligen.[419] Unglücklicherweise ging diesmal das Hindernis von Schnorrs Seite aus: dieser teilte ihm, als alles mit Prag auf dem besten Wege war, einen, nach Wagners Ausdruck, ›sehr eigentümlichen, in seinen Familienverhältnissen beruhenden Grund mit, der, wie er fürchtete, ihn abhalten dürfte, zunächst das vorgeschlagene Engagement anzunehmen‹.36 Einstweilen gab der Meister die Hoffnung noch nicht auf, dieses seltsamste aller Hindernisse beseitigt zu sehen, und mindestens plante man in Prag, auf Grund der enthusiastischen Aufnahme des ersten Konzertes, demselben sogleich nach seiner Rückkehr von St. Petersburg ein zweites mit dem gleichen Erfolge nachfolgen zu lassen.

Während somit über dem ›Tristan‹ nach jeder Richtung hin ein völlig dämonisches Fatum zu walten schien, ward ihm doch bei seiner Rückkehr nach Wien die Genugtuung zuteil, einen wirklichen Fortschritt in dem Studium seines Werkes wahrzunehmen. Die Ensembleproben des Streichquartetts mit den Solisten hatte ihren Anfang genommen, und er ward Zeuge einiger vielversprechenden Klavierproben. ›In Wahrheit war es mit meinen Wiener Sängern gar nicht so schlimm bestellt: sie machten mir endlich, durch meines werten Freundes, Kapellmeister Esser, ungemein intelligenten Fleiß und Eifer angeleitet, die große Freude, die ganze Oper mir fehlerfrei und wirklich ergreifend am Klavier vorzusingen. Wie es ihnen später beikommen konnte, wiederum zu behaupten, sie hätten ihre Partieen nicht erlernen können37 – denn so ist mir berichtet worden –, bleibt mir ein Rätsel, über dessen Lösung ich mir den Kopf nicht zerbrechen will! Vielleicht geschah es aus Gefälligkeit gegen unsere berühmten Wiener und anderweitigen Musikkritiker, denen nun einmal auffallend viel daran gelegen war, mein Werk für unausführbar angesehen zu wissen, und welche die dennoch ermöglichte Aufführung geradesweges beleidigen mußte. Vielleicht aber auch ist, was mir berichtet worden, selbst wieder unwahr – alles ist möglich, denn in der deutschen Presse geht es heutzutage nicht immer ganz christlich her.‹ Unter diesen hoffnungsvollen Umständen konnte er Wien mit einiger Ruhe verlassen; von seiner Petersburger Fahrt hoffte er dann, bei fortgesetzten Proben, gerade noch rechtzeitig zu der [420] ersten Aufführung seines Werkes zurück zu sein. Für den Monat Mai war dann ›Tristan‹ in Prag geplant, sobald Schnorr das seiner Mitwirkung entgegenstehende Hindernis überwunden haben würde.

Noch vor seiner Reise nach St. Petersburg mußte er vorübergehend nach Biebrich, um dort seine Sachen auszuräumen und anderswo unterzubringen, – sein dortiger Hauswirt hatte ihm die Wohnung gekündigt. Mit seinen Mainzer Freunden hatte er auch von Wien aus die Beziehungen unterhalten; einen rührenden Zug davon teilt uns Frl. Mathilde Maier inbezug auf den Hund ›Leo‹ mit. In den kältesten Tagen dieses in Wien verlebten Winters hatte er aus der Ferne seines Biebricher Schützlings gedacht und sich darüber Sorge gemacht, daß dieser bei der strengen Kälte in seiner Hütte keine warme Decke habe, – ›so daß ich ihn beruhigen mußte, indem ich selbst zu diesem Zweck einen warmen Teppich nach Biebrich brachte.‹38 Durch die Prager Einnahme mit den nötigsten Mitteln versehen, und einigermaßen hoffnungsvoll für die Wiener Aufführung seines Werkes, reiste er am 12. Februar von Wien ab, nachdem ihm Dr. Standhartner, Cornelius, Tausig und Weißheimer auf den dortigen Münchener Bahnhof das Geleite gegeben. Bevor er die unvermeidliche Reise antrat, hatte er, um seine Reiseroute danach zu bestimmen, in Karlsruhe telegraphisch nach dem Stande eines dort für ihn geplanten Konzertunternehmens angefragt. Da eine abschlägige Antwort erfolgte, ›beschloß er nun, statt über Karlsruhe (wo immer etwas für ihn geschehen sollte – nie aber etwas geschah), über München und Frankfurt an den Rhein zu reisen‹.39 Die Biebricher Angelegenheit war in Kürze erledigt; die Kündigung seines Hausbesitzers kam nur seiner eigenen Absicht entgegen. Seine dauernde Niederlassung zur Vollendung seiner ›Meistersinger‹ gedachte er nichtsdestoweniger in einer passenden Umgebung am Rhein zu nehmen, und wartete hierfür nur die Höhe der in Petersburg dafür zu gewinnenden Mittel ab. Über Frankfurt und Berlin gelangte er dann gegen Ende des Monats Februar über die russische Grenze und fuhr so seinem Ziele, der nordischen Metropole, entgegen. Hier hatte er noch vor dem Ziele ein kleines Abenteuer zu bestehen, welches wir hier wörtlich so wiedergeben, wie es uns der geniale Cellovirtuose Arved Poorten40 wiederholt in heiterer Rückerinnerung daran erzählt hat. Dieser und sein Freund, der Konzertmeister Albrecht, hatten es nämlich mit einigen anderen jungen Musikern vor Ungeduld, die Bekanntschaft des berühmten Meisters zu machen, in Petersburg nicht aushalten können und waren ihm bis Gatschina entgegengefahren, um den mit Spannung Erwarteten als die ersten zu begrüßen. Von Coupé zu Coupé gehend, treffen sie endlich auf einen [421] Herrn, von dem sie sich sagen: ›Der und kein Anderer muß es sein.‹ Dennoch, ihrer Sache nicht gewiß, wagen sie ihn nicht anzureden; fixieren ihn aber beständig, unter unwillkürlichen Gesten und verstohlenen Blicken, die sie einander zuwerfen. Endlich geben sie sich zu erkennen, – da erzählt ihnen Wagner mit lautem Lachen: ›Sie hätten ihn durch ihr Gebahren recht beunruhigt, – er habe sie für Geheimpolizisten gehalten und das Gefühl gehabt, er werde nicht bis nach Petersburg kommen.‹ Bei seiner Ankunft großer enthusiastischer Empfang auf der Station durch eine Deputation der Philharmonischen Gesellschaft und der Orchestermusiker sämtlicher kaiserlichen Theater41, wobei nun die beiden jungen Musiker zum höchlichen Neide der Übrigen ihnen den Meister bereits vorstellen konnten. ›Ihr, meine jungen Freunde‹, habe er sich beim Abschied noch eigens an Poorten und Albrecht gewendet, ›werdet jederzeit bei mir Zutritt haben!‹

Der ihm hier im fernen Nordosten bereitete Empfang und die daselbst gefeierten Triumphe ließen in ihren glänzenden Äußerungen alles bisher Erlebte hinter sich. Einen hochbeeiferten Anhänger und Freund fand er in dem, seinerzeit in Luzern (S. 213) ihm bekannt gewordenen russischen Komponisten Alexander Sseroff, zugleich einem der maßgebendsten und hervorragendsten Vertreter der Petersburger musikalischen Kritik. Einen gewichtigen Rückhalt verlieh ihm die besondere Wohlgeneigtheit der Großfürstin Helene. Er traf aber auch ein unbefangeneres Publikum und vor allem eine unbefangenere Haltung der Tagespresse an, als in England und Frankreich und in seinem, überall vom musikalischen Parteigeist zersetzten Vaterlande. ›Nur in Petersburg und Moskau‹, sagt er selbst, ›fand ich das Terrain der musikalischen Presse von der Judenschaft noch vernachlässigt: dort erlebte ich das Wunder, zum erstenmal auch von den Zeitungen ganz so aufgenommen zu werden, wie vom Publikum.‹42 Er dirigierte in Petersburg zunächst zwei Konzerte, deren erstes am 3. März Beethovens Eroica, den Matrosenchor, die Ballade der Senta (Frl. Bianchi) und die Ouvertüre zum ›Fliegenden Holländer‹ brachte, ferner die Introduktion zum ›Lohengrin‹ und aus dem ›Tannhäuser‹ den Einzugsmarsch, die Romanze Wolframs (gesungen von Soboleff)und die Ouvertüre. Der Beifall von seiten der gewähltesten Gesellschaft der Residenz war ein außerordentlicher. Das Orchester bestand aus den 130 Musikern der vereinigten kaiserlichen Theaterorchester. Den Orchestermusikern fiel die große [422] äußere Ruhe auf, die er dabei als Dirigent an den Tag legte, die ›kleinen Bewegungen‹, die er beim Dirigieren machte; er habe die ganze große Masse der Mitwirkenden fast nur mit dem Auge magnetisch fixiert und zu gewaltigster Begeisterung hingerissen. Das ›Lohengrin‹-Vorspiel machte mit den 60 Violinen und dem breiten Zeitmaße, das ihm der Meister gegeben, einen unbeschreiblich weltentrückenden Eindruck, und die ›Tannhäuser‹-Ouvertüre am Schluß entfesselte alle Stürme eines brausenden Beifalls. Die zweite Produktion umfaßte die C moll-Symphonie Beethovens und eine fernere Auswahl aus Wagners Werken. Der glänzende Erfolg gab demjenigen des ersten Konzertes nichts nach. Ein drittes Konzert im großen Theater war zum Benefiz für den Dirigenten bestimmt. Das Programm desselben enthielt in seinem ersten Teil die ›Tannhäuser‹-Ouvertüre, die Begrüßung der Sängerhalle durch Elisabeth und das Duett mit Tannhäuser aus dem zweiten Akt; das ›Lohengrin‹-Vorspiel und Elsas Gesang an die Lüfte. Hingegen brachte der zweite Teil Fragmente der Nibelungen-Musik: den Walkürenritt, Siegmunds Liebesgesang, Siegfrieds Schmiedelieder und Wotans Abschied von Brünnhilde nebst dem Feuerzauber. Als es bei Gelegenheit dieses Konzertes Lorbeerkränze regnete, habe Wagner sogleich die beiden ersten, noch ehe er wissen konnte, daß ihnen fernere folgen würden, seinen Musikern in das Orchester hinabgereicht, mit der Erklärung: sie seien es, deren hingebender Begeisterung, mit der sie in kürzester Zeit eine fremde und schwierige Musik sich angeeignet, die Ehre gebühre, – und sich dann erst bei dem Publikum dafür bedankt. Der Beifall erhielt sich auch bei dieser Aufführung nicht allein auf der Höhe der beiden vorausgegangenen Konzerte, sondern steigerte sich zu einem bisher unerreichten Grade. Der ›Walkürenritt‹, Siegmunds Liebesgesang, Siegfrieds Schmiedelieder wurden stürmisch da capo verlangt und wiederholt. Zum Schlusse legten selbst die Musiker ihre Instrumente beiseite und schlossen sich dem allgemeinen Applause an. Bei seiner Abreise war der Wunsch und die Hoffnung allgemein, ihn im Herbst zur Inszenierung des ›Tannhäuser‹ wiederkehren zu sehen. ›Enthusiasmus ohne gleichen‹, meldet darüber Bülow an Pohl.43 ›Großfürstin Helene sich höchst anständig benommen – wird vielleicht sich noch anständiger benehmen. Wagner fast jeden Abend bei ihr. Nibelungen, Tristan, Meistersinger vorgelesen.‹ An diese Vorlesungen der Nibelungen-Dichtung und manche darüber gepflogene Unterhaltung knüpften damals deutsche Zeitungen nicht ohne spöttische Verwunderung die seltsam geheimnisvolle Nachricht, der ›Dichter-Komponist‹ habe seinen russischen Freunden angedeutet: nächstens werde ein Werk von ihm erscheinen, in welchem gar keine Menschen vorkämen, und welches in – Rußland spiele! Daß darunter das ›Rheingold‹ verstanden [423] war, unterließen jene Zeitungsschreiber hinzuzufügen da sie es vermutlich selbst nicht wußten. Für das Sensationsbedürfnis war die rätselhaftere Mitteilungsform die vorzüglichere. ›Der Dichter‹, bemerkt dazu Hans v. Wolzogen,44 ›welcher mit dem Seherblick des wahren Künstlers jene Urzüge des Mythos uns gewonnen und daraus das tragische Drama vom »Ringe des Nibelungen« gebildet hat – er wußte sehr wohl, an welchen fernen Stätten dieser sein Stoff daheim war. Nichts zu tun hatte er mit der Sagenform, welche am westlichen Rheine, aus geschichtlichen Erinnerungen der Franken und Burgunden, der mittelalterlichen Dichtung des 13 Jahrhunderts neu zugesponnen war. Aber auch nicht nach Island verlegte er seinen Isen- oder Brünnhilden-Stein; bezog sich die Edda im 11. oder 12. Jahrhundert selber auf deutsche Sagen und auf den deutschen Rhein, so tat sie dies im Anschluß an jüngeres Skalden-Wissen. An der Wolga,45 nicht am Rheine, dachte sich der Dichter des »Nibelungenringes« die Heimat seiner Götter und Helden; gerade hier, zwischen der fortgesetzten westlichen Berg- und östlichen Wiesen-Seite der Wolga, bis dahin, wo südlich von Kasan jene gewaltige Kama vom Ural einströmt: da bespült der Weltstrom des Ostens den ältesten Schauplatz der urgermanischen Sage von den Wälsungen und Nibelungen.‹

Trotz aller freudigen Anregung durch die allgemeine Begeisterung empfand der also Hochgefeierte mitten in allem enthusiastischen Trubel rings um ihn her doch vorherrschend immer nur die Sehnsucht nach Ruhe und Schaffensstille. Auch in seiner, ihm aufgedrungenen Situation als reisender ›Konzertgeber‹ besaß er nicht die geschmeichelte Eitelkeit des Virtuosen, der sich in selbstgefälliger Befriedigung auf den Wogen eines rauschenden Enthusiasmus in seinem wahren Lebenselemente befindet. ›Mitten in meinen Triumphen, mitten in der wahren Freude über die wirklich unglaublich schönen Aufführungen, die ich mit den dortigen Musikern zustande brachte – mitten unter Akklamationen, wie ich sie selbst in Wien nicht wärmer und begeisterter vernahm – hatte ich im Grunde doch immer nur die Wohnung und den Garten mit ein paar schönen alten Bäumen vor meiner Phantasie, welche zu besorgen ich bei meiner Abreise überall in Deutschland hinterlassen hatte und die ich [424] mir nun durch alles, was um mich her vorging, erobern wollte.‹46 Auch nach Moskau hin trug er seine Siege und veranstaltete auch hier Konzerte im kaiserlichen Theater mit gleichem Programm und mit ähnlichen Erfolgen, wie in Petersburg. Hier – in Moskau – erreichte ihn von Wien aus die Mitteilung der k. k. Hofoperndirektion: er habe sich mit seiner Rückkehr zu den Generalproben seiner Oper ›Tristan und Isolde‹ nicht zu beeilen. Es seien abermalige Krankheitsstörungen eingetreten, welche die Aufführung vor den Theaterferien unmöglich mach ten! Dies geschah im Monat April 1863; vor drei Jahren hatte die Wiener Hofoper die Partitur des Werkes erworben, fast zwei Jahre hindurch hatten die Vorbereitungen dazu ihn in stets erneuter Erwartung erhalten. Die Gesamtzahl der bis dahin stattgefundenen Proben wird auf sieben und siebzig angegeben, und auf die während derselben wiederholt an die Sänger gerichtete Anfrage, ob sie ihre Partieen durchführen könnten, soll jedesmal ein lautes ›Ja‹ ertönt sein.47

Wenigstens konnte sich der Meister in dem einen Punkte befriedigt von seinem russischen Feldzug in die deutsche Heimat zurückbegeben, daß die außerordentlichen Anstrengungen desselben für seine nächste Subsistenz nicht ganz fruchtlos gewesen waren. Seine in Rußland gegebenen Konzerte waren (nächst dem vorausgegangenen Prager Konzert) die allerersten, bei denen er [425] nicht aus seinen eigenen Mitteln beizutragen gehabt, sondern es zu einer wirklichen materiellen Entschädigung für seine Beschwerden gebracht hatte. Noch zehn Jahre später rühmte er sich dessen mit den Worten, er sei in Petersburg zum ersten Male in seinem Leben als Handwerker behandelt worden, der für seine Arbeit auch einen Lohn verdiene. Es darf hinzugefügt werden, daß von diesem blank- und baren Erfolge in deutschen und französischen Zeitungen allgemein mit effektvoller Übertreibung Notiz genommen wurde. Die meisten darauf bezüglichen Nachrichten ließen es nicht allein bei der Angabe eines beträchtlichen ›Bargewinnes‹, den er davongetragen, bewenden, sondern schlossen demselben aus eigenem Antrieb freigebigerweise auch noch eine in der Schweiz gelegene prächtige Villaan, welche ihm die Großfürstin Helene angeblich zum Geschenk gemacht! Auf der Rückreise verweilte er einige Tage in Berlin, um sich in Bülows Hause von den ausgestandenen Strapazen der weiten Reise zu erholen. Noch bevor er die Einladung nach Petersburg erhalten, hatte er daran gedacht, die Wiener Konzerte später in der preußischen Residenz zu wiederholen. Mit Freuden hatte Bülow alles aufgeboten, um das geplante Konzert im Berliner Opernhause womöglich noch vor seiner Petersburger Reise ›herauszudiplomatisieren‹. ›Wegen Wagner manches hier in der Schwebe‹, hatte er am 7. Februar geschrieben. ›Hoffentlich erreiche ich was. Leider Gounod-Schwindel, namentlich hofwärts, in Maienblüte.‹48 Gounod hatte damals vor kurzem Berlin passiert und war, gleichzeitig mit Offenbach (!!), den regierenden Majestäten vorgestellt worden, und wurde nun abermals erwartet, um im Königl. Opernhause persönlich seinen ›Faust‹ zu dirigieren!! Dagegen empfing nun Bülow, nach einer vorausgegangenen mündlichen Besprechung mit dem Generalintendanten Herrn v. Hülsen, die im Salon der Königin stattgefunden hatte und ganz hoffnungsvoll verlaufen war, auf eine spätere definitive Bewerbung um das Opernhaus und -Orchester für Wagners Zwecke plötzlich von demselben hochgeborenen Herrn den ganz unerwarteten Bescheid: ›es wolle ihm alles in allem nicht passend erscheinen, das Königl. Orchester für dergleichen Privatzwecke (!) zu genehmigen.‹49 Aber der Generalintendant der Königl. preußischen Hoftheater blieb bei dieser Erklärung nicht stehen: da sich Wagner, ebenfalls durch Bülow, bei ihm zu einem Besuche anmelden ließ, weigerte sich Herr von Hülsen, den Meister zu empfangen! Damit erhielt denn der Schöpfer des ›Lohengrin‹ [426] den deutlichsten und unzweideutigsten Beweis seiner persönlichen Beliebtheit bei den k. k. Generalintendanten seines Vaterlandes. Als Motiv dieser schnöden Zurückweisung führte Herr v. Hülsen sein ›persönliches Empfinden‹ an, das es ihm unmöglich mache: ›nach ihrer Begegnung in Dresden im Mai 1849 in irgendeine persönliche Beziehung zu Wagner zu treten.‹50 Dieser junkerhafte Dünkel mußte zwar die etwa beabsichtigte unmittelbar kränkende Wirkung auf den Meister durchaus verfehlen; aber er wurde Herrn v. Hülsen doch nicht ganz geschenkt. Noch fünf Jahre später mußte sein Hochmut in gegebenem Anlaß51 es sich gefallen lassen, in einem vielgelesenen Berliner Kunstblatte in gebührender Weise, wie folgt, beleuchtet zu werden: ›Hatte Herr v. Hülsen das Recht, die Amnestierungen Wagners durch den deutschen Bund, durch den König von Sachsen, zu ignorieren und auf eigene Faust eine Politik der Rache und verletzenden Grobheit zu treiben? Das heißt die Vergangenheit mit der völlig veränderten Gegenwart in einen Topf werfen und persönlichen Groll, alten unversöhnlichen Haß in eine offizielle Stellung hinübertragen; ja, es grenzt nahezu an Mißbrauch der Amtsgewalt. Nicht der exaltierte leidenschaftliche Barrikadenkämpfer (?) von 1849, der in die Ereignisse so zufällig verwickelt wurde, wie Pontius Pilatus ins Credo kam, kam zu Herrn v. Hülsen, sondern der Tondichter, der gefeierte Meister, der seinen Triumphzug durch ganz Deutschland gehalten, vom russischen, österreichischen, weimarischen, darmstädtischen Hofe fêtiert, der kurz zuvor von dem kunstsinnigen großherzoglichen Paar in Karlsruhe im engsten Cercle zum Tee geladen und mit Huldigungen überschüttet worden war. Könige konnten vergessen, aber ein Theater-Intendant konnte es nicht! Der Schwiegersohn und die Tochter Sr. Maj. des Königs von Preußen konnten Wagner empfangen, aber ein Generalintendant fand es nicht mit seiner Würde vereinbar. Es wäre dies eine Situation, eines aristophanischen Lustspiels würdig, wenn sie nicht einen zu ernsten Hintergrund hätte!‹52

Um eine seltsame Erfahrung hinsichtlich der gesellschaftlichen Bildung unserer vornehmen Herren Hoftheater-Intendanten bereichert, aber auch durch den Verkehr mit den jungen Freunden erfrischt und erheitert, begab sich der Meister direkt nach Wien, das er sich nun doch, so wenig es ihm für seine eigentliche Lebensaufgabe entgegenkam, durch seine letzten Schicksale als Wohnsitz zugewiesen sah. ›Wenn er ein hübsches Asyl auf dem Lande bei Wien findet, bleibt er dort, wegen Tristan, und geht also nicht nach Biebrich [427] zurück‹, meldet Bülow bald nach seiner Abreise. Hier war, wie vermeldet, während seiner Abwesenheit soeben sein ›Tristan‹ unter der Form eines neuen Aufschubes ›bis nach den Ferien‹ zurückgelegt. Nicht mehr Ander, sondern Frau Dustmann hatte diesmal die Verantwortlichkeit dafür auf sich genommen, und sollte ja wieder von dem Werke die Rede sein, so konnte ja wieder die Reihe an Ander kommen. Für jetzt war Isolde – ›erkrankt‹. Nach allen weiten Abirrungen verlangte er nach nichts anderem als nach einer ruhigen, zurückgezogenen Niederlassung zur Vollendung des unterbrochenen ersten Aktes seiner ›Meistersinger‹ Wie willkommen hätte ihm dazu jenes, von den Journalen so wohlwollend für ihn erdichtete Landhaus in der Schweiz sein können, das angebliche Geschenk der Großfürstin Helene! Auch seine rheinischen Freunde waren vergeblich um die Auffindung eines passenden Asyls bemüht gewesen. ›In Wien, direkt von Petersburg wieder angekommen, besuchte ich keinen Menschen, sondern spähte nur nach der ersehnten Wohnung mit dem Garten aus. Vom Rhein aus Verzögerungen – auf einmal in Penzing gefunden (in Penzing!) – Wohnung und Garten ruhig, angenehm! Ich miete und richte mich mit meinem Gelde – oder besser, was man mir davon gelassen hat – nach meinem Sinne angenehm ein, bin allein, habe eine gute sympathische Bedienung gefunden und suche nun meine Arbeit wieder hervor!

So berichtet Wagner der teilnehmenden Freundin Malvida über die Art, wie er zu seiner Wohnung in Penzing gekommen. Und er fügt dieser Nachricht eine tief charakteristische Betrachtung dazu. ›Als ich noch suchte, dachte ich mir: Gott, wenn jetzt Liszt plötzlich mir schriebe, ich habe in Rom eine schöne Wohnung mit Garten für Dich – am Ende gingst Du auch nach Rom? Doch nicht gern! Warum? Ich kann keine Anregungen mehr vertragen, nur jetzt namentlich nicht. Ich bin so furchtbar schändlich um kostbare Jahre der Arbeit und Produktivität gekommen, daß ich glaube, eine so ganz neue Eindrucksmasse, wie Italien und Rom, würde mich vollends aus meinem Gleise bringen. Proudhon sagt einmal, im Gegensatz zu denen, welche sich von den Eisenbahnen ein solches Wunder für die geistige Ausbildung der Menschen versprachen: »le génie est sédentaire«. So ists, glauben Sie mir. Wem nicht wenig genügt, sich daraus seine Welt zu bilden, der wird aus sehr vielem es noch weniger können. Doch dies alles sage ich mit einer gewissen Bitterkeit des Verzichts. Himmel! wie gern streckte auch ich mich einmal dort aus und ließe eine wundervolle Außenwelt auf mich wirken! Aber jeder hat seinen Dämon, und der meinige ist eine gräulich mächtige Bestie; er unterjocht mich um seiner Zwecke willen ganz und gar.‹

Fußnoten

[428] 1 In Betracht des letzteren wären wir geneigt, die Frage W. Tapperts zu wiederholen, weshalb Herr Hanslick, wenn er gegen die Angaben Wagners Protest einlegen wollte dies nicht zur rechten Zeit, bei ihrer ersten Veröffentlichung (i. J. 1877) getan hat, wo noch viele der Beteiligten (vor allem Wagner selbst und Dr. Standhartner) am Leben waren?! Vgl. das Nähere im Anhang.


2 ›Die Meistersinger von Nürnberg. Von Richard Wagner. Als Manuskript gedruckt. Mainz, Verlag von B. Schotts Söhnen, 1862‹ (140 Seiten 80)


3 Ges. Schr. VI, S. 294/95.


4 Siehe Seite 399 Anm. dieses vorliegenden Bandes.


5 Dr. Gustav Schönaich, Neue Musikal. Presse 1895, Nr. 43, Seite 4.


6 Dr. Gustav Schönaich a. a. O.


7 Weißheimer S. 211/12. 213.


8 Ebendaselbst Seite 212.


9 Brieflich an Malwida v. Meysenbug (Cosmopolis, Vol. III. Nr. 8, S. 567).


10 Weißheimer S. 217/218 (verkürzt).


11 Vgl. z.B. ›Sign.‹ vom 4 Dez: ›Ander wird den Tristan, Frau Dustmann die Isolde singen, wenn es bis zur wirklichen Aufführung kommt, woran viele Leute wegen der enormen Schwierigkeit noch zweifeln. Wagner selbst in natürlich von der Möglichkeit vollkommen überzeugt‹ 3. Jan 63: ›Was Tristan und Isolden im Gesang zugemutet wird, das erfordert schon beinahe Riesenkräfte und einen rücksichtslosen Feuereifer der Sänger. Ob Herr Ander und Frau Dustmann über derlei hübsche Sachen gebieten, wissen wir nicht.‹ 15. Jan: ›Trotz des Eifers, mit dem man an das Einstudieren geht, halten Sachverständige die wirkliche Aufführung der Oper für noch in Frage gestellt, weil sie eben unmöglich sein soll‹ etc. etc.


12 Dr. G. Schönaich a. a. O.


13 Um die Bewilligung des Orchesters der Hofoper für sein Unternehmen hatte er sich bereits unterm 1. Dezember in einem an Kapellm. Joseph Hellmesberger gerichteten Schreiben beworben ›Die erste Bedingung‹, heißt es darin, ›ist, daß die geehrten Mitglieder des k. k. Hofoper-Orchesters mir ihre Unterstützung zusagen ... Ist der geneigte Wille da, so wird sich alles leicht erledigen, denn es versteht sich von selbst, daß ich jede Bedingung und jede Entschädigungsforderung bereitwillig entgegennehme und erfülle.‹


14 Weißheimer S. 215.


15 Ebendaselbst.


16 Das ›Theater an der Wien‹ – 1797 bis 1800 vom Schauspieldirektor Schikaneder erbaut, an Stelle des älteren Hauses, in welchem 6 Jahre zuvor Mozart die Erstaufführung seiner ›Zauberflöte‹ dirigiert hatte!


17 Weißheimer Seite 223.


18 Mitwirkend waren in den Gesange-Szenen die Damen Passy-Cornet, Destinn und Prager, und die Herren Mayerhofer, Hrabanek und Olschbauer.


19 Wiener Korrespondenz der ›Signale‹ vom 3. u. 8 Jan. 63 (S. 22 u. 39).


20 ›Ich wage nicht zu entscheiden‹, so läßt sich dieser vernehmen, ›ob diese Musik mehr die Seele ergreift oder das Rückenmark schüttelt‹ (bekanntlich starb der unglückliche Dichter kaum zwölf Monate später an einem Rückenmarksleiden, einer Erweichung der Wirbelsäule!). ›Dem Auge wird die Oper, der dieser Walkürenritt angehört, Erstaunliches bieten, viel mehr als irgendeine von Meyerbeer ... Was sind Schlittschuhbahnen und Sonnenaufgänge gegen die theatralischen Effekte, welche das Programm des Wagnerschen Musikstückes in Aussicht stellt? ... Das pfeift, zischt, klingelt, rauscht, stürmt, als ob auch die Steine Ton und Stimme erhalten sollten und man wundert sich nur noch, daß man beim letzten Taktstrich nicht samt dem Komponisten und dem ganzen Theater in die Luft fliegt‹ (Orion, Monatsschrift für Literatur und Kunst 1863, I, S. 222.)


21 Weißheimer S. 226.


22 ›Die zweite Aufführung sah gelichtete Reihen, an diesen jedoch stand das Element der Zukunft in voller Blüte: die verwegensten Häupter der verwegensten Fortschrittspartei kommandierten, und ihrem strahlenden Beispiel folgten alle nicht mit dem Zopf der Vergangenheit Behafteten durch Dick und Dunn mit so kompakten Beifallssalven, daß jede Opposition verstummen mußte‹ etc. (Signale vom 15. Jan. 63, S. 68).


23 Noch i. J. 1875 machte E. Heckel bei einem Zusammensein mit Brahms die Beobachtung, daß es dessen Selbstgefühl schmeichelte, von den Gegnern Wagners für einen, ›Antagonisten des Bayreuther Meisters‹ ausgespielt zu werden (Briefe Richard Wagners an Emil Heckel, Berlin 1899, S. 101).


24 Über den Eifer der Wiener Studenten lautet ein Bericht von köstlicher Griesgrämigkeit. ›Sie haben bereits ein förmliches Programm fertig. Wer nicht an die alleinseligmachende Oper der Zukunft glaubt, ist Zopf, vernagelt, antinational, antediluvianisch und unmusikalisch. Es ist eine solche Gesinnungstüchtigkeit unter den jungen Herren, daß man mit einer anderen Ansicht gar nicht laut werden darf, wenn man sich nicht Injurien oder Bemitleidung zuziehen will!‹ (Signale v. 22. Jan. 1863.)


25 Weißheimer S. 331/32 (verkürzt)


26 Irrtümlich schreibt er: 1864.


27 Wie wenig er dabei von der wirklichen künstlerischen Bedeutung Wagners einen Begriff hatte und sein tatsächliches Urteil in Kunstsachen einzig von persönlicher Gunst oder Mißgunst geleitet war, beweist wohl am deutlichsten sein nachmaliges Urteil über die ›geist- und witzlosen Meistersinger, Wagners schwächstes Werk‹ (Memoiren II, S. 503) mit welchem er sich, nachdem er mit Wagner persönlich zerfallen war, als würdiger Gesinnungsgenosse an die Seite Hanslick und – Laubes stellte!


28 Brieflich an J. Herbeck, 1. April 1870.


29 Weißheimer macht daraus mit seiner gewöhnlichen Leichtfertigkeit: achttausend Silberrubel! (S. 233 seines Buches: ›die Philharmonische Gesellschaft garantierte ihm für zwei Konzerte 8000 Silberrubel!‹) Daß diese Leichtfertigkeit zugleich aber auch von einer ganz bestimmten Tendenz nicht freigesprochen werden kann, beweisen seine späteren Ausführungen (S. 248 seines Buches).


30 Vgl. die Darstellung dieser Beziehungen Richard Wagners zur St. Petersburger Philharmonischen Gesellschaft in einem durchaus zuverlässigen Aufsatz von Friedrich Röschin der ›Allgemeinen Musikzeitung‹ 1896, in welchem auch der gesamte geschäftliche Briefwechsel, so weit derselbe im Archive jener Gesellschaft sich erhalten hat (es fehlt u.a. ein Brief Wagners vom 16. Januar 1863), aktenmäßig mitgeteilt ist.


31 Brieflich an L. Damrosch, 15. Jan. 63.


32 Brieflich an denselben, 19. Jan. 63.


33 Fr. Rösch, a. a. O.


34 Brieflich an L. Damrosch, 23. Okt. 63.


35 ›Eine Dame hatte u.a. einen Lorbeerkranz, mit den deutschen Farben geschmückt, überreichen lassen, und trotzdem riefen die Czechen fortwährend ihrslavà, slavà: Czechen und Deutsche waren da einmal einig!‹ (Weißheimer S. 235).


36 Brieflich an Thomé, 31. Jan. 1863. Dieser ›eigentümliche‹ Verhinderungsgrund machte damals viel von sich reden: bald sollte es sich um einen österreichischen Onkel handeln, welcher Schnorr enterben würde, wenn er es sich unterstünde, in Prag unter seinem Familiennamen aufzutreten, bald hieß es, dieser liebenswürdige Verwandte bedrohe ihn für den angegebenen Fall mit einer ›körperlichen Unschädlichmachung in Ausübung seines Berufes‹. Letztere Angabe findet sich bei Weißheimer (S. 236) mit der Hinzufügung, diese Drohung habe bedauerlicherweise auf Schnorr gewirkt, der ›zwar seinen ungemütlichen Namensvetter gerichtlich verfolgen ließ, trotzdem aber für gut hielt in Prag nicht aufzutreten‹.


37 So behauptet Hanslick, nachdem eine Anzahl von Proben ›überstanden war‹, habe ihm Ander eines Tages gesagt: ›Es wird gehen: den zweiten Akt können wir jetzt beinahe auswendig, aber den ersten haben wir wieder vergessen.‹ (D. Rundsch., Jan. 94, S. 55.)


38 Brieflich an den Verfasser, 8. Nov. 1878.


39 Weißheimer S. 234.


40 Auch als geistreicher Musikschriftsteller bekannt durch seine Schriften: Un coin perdu de la Russie (Paris 1883), Testament d'un Musicien (Paris 1890)etc. etc.


41 Die sog. ›Philharmonische Gesellschaft‹ in St. Petersburg war kein abgesonderter Verein für sich, sondern eine Vereinigung sämtlicher Musiker des Konservatoriums und der verschiedenen kaiserlichen Theater zu dem bestimmten Zweck der Veranstaltung alljährlicher großer Musikaufführungen zum Besten der Musiker-Witwen und -Waisen.


42 Vgl. Neue Berl. Mus. Zeitung vom 1. April: ›Richard Wagner ist hier der Held des Tages, man nennt ihn schon den zweiten Beethoven. Er hat ein Konzert gegeben und alle Enthusiasten auf seiner Seite‹ etc.


43 Bülow an Pohl, 1. Mai 1863, nachdem ihn Wagner auf der Rückreise mündlich alles Nähere über seinen Petersburger Aufenthalt berichtet.


44 In seiner unvergleichlich kenntnisreichen, immer noch einer würdigen Buchausgabe harrenden Abhandlung ›Urgermanische Spuren‹, bisher zu alleinigem Abdruck gelangt in den ›Bayreuther Blättern‹ Jahrg. 1888/1890.


45 ›Die Alten gaben diesem gewaltigen Strome den Namen Rha, was ihnen als ein sarmatisches Wort galt, trotz dem Anklange an ihr hellenisches, rhein: (fließen). Zwischen jenem östlichen Ranha, dem Hauptstrome der asiatischen Arierheimat, und jenem westlichen Rhenus unseres heutigen deutschen Vaterlandes erkennen wir in diesem finnisch-sarmatischenRha nur die Wiederkehr desselben nährenden Arier-Urstromes an einer mittleren Heimstatt der nordwestwärts wandernden Germanen.‹ (Ebenda II, 2: ›An der Wolga‹.)


46 Brieflich an Malvida, 22. Juni 1863.


47 Vgl. Signale vom 19. Febr. ›aus Wien: »Von Anfang an wurde in diesen Berichten die Meinung ausgesprochen, daß, Tristan und Isolde« ... kaum zur Aufführung gelangen dürfte.‹ 9. April. ›R. Wagners »Tristan und Isolde« wurde nun definitiv zurückgelegt, da die Sängerin der Isolde erklärt hat, daß die Partie der Isolde über ihre physischen Kräfte gehe. Am Sonnabend hält Prof. Ed. Hanslick die letzte seiner 6 Vorlesungen über neuere Musik; er sprach zuletzt über Richard Wagner.‹ 16. April: ›Es scheint fast, als ob man sich nach 60 Proben aus den Umstrickungen des »Tristan« nicht losmachen könnte. Wenigstens schon zehnmal heißt es, daß man die Oper definitiv aufgegeben; dann kommt immer wieder von kompetenter Seite ein formelles Dementi; vor 8 Tagen neuerdings: kein Tristan mehr; dann doch wie der Tristan trotz alledem, Der Himmel weiß, was das Ende dieser erbaulichen Geschichte sein wird. Hanslicks Vorlesungen schlossen unlängst mit einer Besprechung der neuesten Musikrichtung Richard Wagners u.s.w.‹ S. 317: ›Der Mitteilung, daß die Aufführung von Wagners »Tristan und Isolde« definitiv aufgegeben sei, wird abermals widersprochen; die Inszenierung dieser Oper, welche bereits 57 Proben in Anspruch genommen hat, sei nur für einige Zeit hinausgeschoben.‹ 14. Mai: ›Die Befreundung der Sänger mit Richard Wagners neuester Oper scheint immer schwieriger zu werden. Frau Dustmann soll die Unmöglichkeit erklärt haben und der Tristan einstweilen ad acta gelegt sein. Natürlich wird in den nächsten Tagen das alles widerrufen und Tristan möglicher als ie.‹ Die N. Berl. Mus. Ztg. vom 29. Juni des folgenden Jahres bietet den Epilog dazu: sie spricht von der schrankenlosen Willkür der Sänger am Wiener Hoftheater; sie erinnert an die 77 Tristanproben, nach deren jeder die Frage nach der Durchführung der Partieen mit einem lauten ›Ja‹ (s. o.) beantwortet worden sei. ›Erst bei der 77. Probe, nachdem fast der ganze Winter mit dem Einstudieren hingebracht war, fanden es die Herren und Damen einstimmig für gut zu erklären, sie könnten ihre Aufgaben nicht lösen‹ (a. a. O. S. 206.)


48 Bülow an Pohl, 7. Febr. 1863.


49 ›Ich gestatte mir die Bemerkung‹, erwidert ihm Bülow auf diesen unqualifizierbaren Bescheid, ›daß ich Ew. Hochwohlgeboren so wenig als den berühmten Meister mit der bekannten Angelegenheit weiter behelligt haben würde, wenn – nach dem Gespräch im Salon J. M. der Königin am 29. Januar – eine Voraussicht des gegebenen Entscheides meinerseits hätte stattfinden können. Auch die Interpretation von »Privatzwecken« mußte mich im Hinblick auf den Vorgang Wiens und die Nachfolge Petersburgs überraschen.‹ (Bülows Briefe III, S. 515.)


50 Diese eigenhändige Erklärung Hülsens findet sich im 3. Bande von Bülows Briefen S. 514 mit abgedruckt.


51 Herr von Hülsen hatte sich nämlich nicht entblödet, dieser damals in aller Stille übergangenen Ungezogenheit sich i. J. 1868 durch einen seiner Soldschreiber in der ›Kreuzzeitung‹ nochmals öffentlich zu rühmen.


52 ›Blätter für bildende Kunst‹, herausg. v. C. Schönau, redigiert v. J. Lang, 1868, Nr. 11, vom 16. Dezember.

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 3, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 404-429.
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