V.

Beginn der Komposition des ›Siegfried‹.

[121] Vergebliche Hoffnungen. – Liszts Besuch in Zürich, mit der Fürstin Wittgenstein. – ›Dante-Symphonie‹ am Klavier und St. Galler Ausflug. – Zerwürfnis zwischen Liszt und Karl Ritter. – Der Neuenburger Putsch und dessen Wirkungen. – Komposition des ersten Aktes ›Siegfried‹ vollendet. – Das Asyl auf dem ›Grünen Hügel‹. – Erste Skizzierung der ›Parsifal‹-Dichtung. – Umbau, Auszug und Einzug.


Wenn ich so eine stumme Partitur nach der anderen vor mich hinlegte, um sie selbst nicht wieder aufzuschlagen, kam auch ich wohl zu Zeiten mir wie ein Nachtwandler vor, der von seinem Tun kein Bewußtsein hätte.

Richard Wagner.


Eine nicht belanglose Aussicht hatte Liszts letzter Brief – nach Mornex – dem verbannten Meister hinsichtlich seiner Rückkehr nach Deutschland eröffnet. Mochte auch dessen Begnadigungs-Angelegenheit durch die Hartnäckigkeit des sächsischen Justizministeriums nach wie vor in der Schwebe bleiben, so war ihm dafür doch die Hoffnung erweckt, unter dem besonderen Schutze des Großherzogs Karl Alexander noch für diesen nächstbevorstehenden Winter Wagner als seinen Gast in Weimar begrüßen zu können. Er war seiner Sache so gewiß, daß er den freudigen Zusatz beifügte: ›ich bereite Dir einstweilen Dein Logis auf der Altenburg.‹ Noch in den letzten Tagen des August erfuhr der Meister mündlich Näheres über diese vorläufige streng vertrauliche Nachricht durch den Regierungsrat Franz Müller, der eigens, um die persönliche Bekanntschaft des verehrten Künstlers zu machen, die Reise nach Zürich angetreten hatte.1 Dieser teilte ihm mit, der Großherzog habe auf Liszts wiederholentliche Anregung auf das ernstlichste vor, ihn auf jede Weise nach Weimar zu ziehen. Von seinem dringenden Bedürfnis eines ungestörten, durchaus ruhigen und erfrischenden häuslichen [121] Aufenthaltes unterrichtet, gedachte er ihm einen solchen entweder auf der Wartburg oder auf einem seiner Lustschlösser zu bieten. So verlockend eine solche Möglichkeit sich ausnahm, so wenig ließ sich Wagner dadurch blenden, so weit entfernt war er von irgendwelchem voreiligen Aufjubeln seines sorgenbelasteten Herzens. Liszts eigenes Verhältnis zu seinem fürstlichen Gönner machte es ihm nur allzu augenscheinlich, wie sehr es sich bei einem solchen fürstlichen Anerbieten mehr um den Ruhm eines materiellen Besitzes des Künstlers, als um eine wahre innere Genugtuung an der Förderung seines Schaffens handle! So manche ähnliche Beobachtung hatte ihn gelehrt, daß ›die Fürsten, welche am ersten dazu gemacht seien, dem Künstler gegenüber die Welt in einem würdigen Sinne zu vertreten, weil sie über die eigentlichen Bedürfnisse des Lebens und die Notwendigkeit ihrer Beschaffung erhaben sind, diese Schutzverhältnisse häufig in verletzender oder auch eitler Weise zum Ausdruck bringen.‹ ›Auf den möglichst glücklichen Ausnahmefall hin es seinerseits trotzdem wieder zu wagen, sei er am wenigsten gemacht, weil es ihm auf die Äußerlichkeit, die dort einzig im Sinne liege, eben ganz und gar nicht ankomme.‹2 Wie richtig sein Vorgefühl war, lehrte die Erfahrung der nächsten Zeit. Die angebahnte Aussicht zerschlug sich zunächst zwar noch nicht sobald. Die Verhandlungen darüber zogen sich noch durch einige Jahre, ja es kam gelegentlich einer Schweizer Reise des Großherzogs zu einer persönlichen Besprechung. Selbst die Nachricht von einer ersten Aufführung des ›Ringes‹ in Weimar unter Wagners Leitung tauchte wiederholt in den Zeitungen auf. Aber anstatt einer definitiven Berufung des Meisters auf einen wohl vorbereiteten Boden geschah von Allem das Gegenteil, und selbst die eigene Stellung Liszts in Weimar erlitt eine Erschütterung nach der anderen, bis das Verhältnis endlich dauernd sich löste.

Einstweilen schickte er sich, mit frohem Mut dem Besuche des langentbehrten Freundes entgegensehend, zur Komposition seines ›Siegfried‹ an, dessen ersten Akt er am Montag den 11. September in Angriff nahm. Mit höchster Lust machte er sich nach so langer Unterbrechung an diese Arbeit. Nach der furchtbaren Tragik der ›Walküre‹ betrat er den Boden des ›Siegfried‹ mit nie gefühlter Frische, und in den nächsten drei Wochen wurde der größte Teil der ersten Szene fertig. Um die Mitte Oktober traf der Langerwartete ein, kurze Zeit darauf auch die Fürstin Wittgenstein mit ihrer Tochter. An solchen Freudenfesten eines seltenen Zusammenseins hatte Wagner nur das Eine zu beklagen, daß es in dem ununterbrochenen rauschenden Fluß einer betäubenden Geselligkeit nur so äußerst selten und ausnahmsweise zu einem intimen und ruhigen Verkehr kam. Die Veranlassung dazu lag in den eigentümlichen Neigungen der Fürstin begründet, die es für nötig hielt, [122] während ihres mehrwöchentlichen Aufenthaltes in Zürich mit allen gelehrten Notabeln Zürichs: Vischer, Moleschott, Semper, Köchly etc, Freundschaft zu schließen. So berichtet Gottfried Keller mit dem Hinzufügen, sie sei ›übrigens eine gescheite Frau,‹ und alle die gelehrten ›Eisenfresser und Brutusse‹ seien ihres Ruhmes voll. Sie hielt ihren Hofstaat in der allerschönsten Lage von Zürich, in der ersten Etage eben desselben Hôtel Bauer au lac, wo sonst Wesendoncks ihren Sitz hatten, die für diesen Winter in Paris weilten. Keller gedenkt in seiner derben Weise mit eben nicht sonderlicher Befriedigung der ›großen Schwindeleien, wo alle möglichen Leute zusammengetrommelt wurden.‹ Es seien ›alle Kapazitäten Zürichs herbeigezogen worden, um eine Hofhaltung zu bilden‹. ›Ich wurde versuchsweise auch ein paarmal zitiert, aber schleunigst wieder freigegeben. Bei den anderen Brutussen hingegen machte die Fürstin entschieden Glück.‹3 ›In den Sälen des Hotel Baur vereinigte sich öfters abendlich, was Zürich an Persönlichkeiten von Bedeutung zählte: mit Andacht wurde daselbst den Tönen gelauscht, die Liszt dem herrlichen Flügel entlockte.‹4 Wie wenig dieser geräuschvolle Trubel den wahren Bedürfnissen des Meisters entsprach, das beweisen in beredtester Sprache mehrere schriftliche Zeugnisse aus diesen bewegten Tagen. Es sind fast lauter Entschuldigungen seines Fernbleibens von sinn- und zwecklosen Veranstaltungen dieser Art. Einmal heißt es darin, datiert vom ›Freitag Abend‹: ›Daß ich Dir fortlief, achte ich für völlige Inspiration, die Dir und mir segensreiche Früchte tragen soll: Um neun Uhr gehe ich zu Bette, – tue ein Gleiches, schlafe nach Noten, und zeigen wir uns morgen Vormittag ein paar rüstige Gesichter, die es mit der Welt aufnehmen kön nen.‹ Ein anderes Mal handelt es sich um ein von der Fürstin protegiertes Orgelkonzert des von ihr mitgebrachten Musikers Würterberger, oder auch Kirchners aus Winterthur. Wagner schreibt beschwörend und beteuernd: ›Bei allem, was Dir und mir heilig ist, glaube mir und meiner Versicherung, daß ich krank bin und heute der vollsten Ruhe und Pflege bedarf, um hoffentlich morgen Dich wieder genießen zu können: in die kalte Kirche mich setzen wäre unter solchen Umständen doch wohl mehr als vermessen.‹ Und wiederum: ›Nun muß ich es für ein wahres Glück halten, daß Du diesmal hier auch einige andre Bekanntschaften pflegst, und ich somit, ohne zu großes Auffallen, auf kurze Zeit verschwinden kann. Für heute bin ich noch strenger Patient und an den Besuch bei Herwegh kann ich gar nicht denken.‹ Wieder einmal, am Vorabend von Liszts Geburtstag, erfahren wir sogar, daß der Meister mit Liszt im Züricher Theater einer Aufführung der ›Jüdin‹ beigewohnt habe: die Titelrolle war dabei in den Händen eben derselben, für diesen Winter in Zürich engagierten Sängerin, [123] Frau Pollert ert, die einst im Magdeburger ›Liebesverbot‹ seine Isabella gesungen. Sie hatte sich in den seitdem verflossenen zwanzig Jahren hinreichend wohl konserviert, um auch jetzt noch nicht bloß das Züricher Publikum, sondern auch den Meister durch ihre gesanglichen Leistungen zu befriedigen.5 Die eigentlichen Höhepunkte dieses Zusammenseins bildeten die bruchstückweisen Vorführungen von Akten oder Szenen der ›Walküre‹ unter Liszts Begleitung, nebst den Vorstudien dazu. Hatte ihn zuvor manche Kundgebung einer immerhin noch unzureichenden Auffassung des Werkes durch den großen Freund in eine gewisse Beklemmung versetzt, so schwand diese bei solchen gemeinsamen Studien vollends dahin. Der liebenswürdige Eifer Liszts, mit dem er ihm schließlich bekannte, seiner noch sehr bedurft zu haben, um in die Tiefen seiner Schöpfung eingeführt zu werden, löste ihm jede ähnlich beengte Empfindung, so daß er selbst die Frage, wie jene Auffassung möglich war, sich freundschaftlich zu erklären vermochte.

Die Hauptvorführung dieser Art war die des ersten Aktes der ›Walküre‹ an Liszts, mit besonders festlichem Aufwand von der Fürstin gefeiertem, fünfundvierzigsten Geburtstage (22. Oktober). Zu seiner Verherrlichung war fast das ganze künstlerische und gelehrte Zürich in die Räume des Hotel Baur eingeladen: Sulzer, Herwegh, Wille, Semper, Vischer, Ettmüller, Moleschott, Köchly, Heim, Baumgartner, Keller etc. etc. nebst dem entsprechenden Damenflor. Die begeisterte Anhänglichkeit, deren Liszt allenthalben bei seinen Freunden und Verehrern genoß, manifestierte sich bei diesem Anlaß durch die zahlreichen von auswärts eingetroffenen brieflichen und telegraphischen Grüße in Prosa und in Versen. Justizrat Gille in Jena übersandte zu dem festlichen Tage das Ehrendiplom eines dortigen akademischen Musikvereins, Professor A. Stern aus Dresden ein ›schönes, sinnreiches, mit zartmächtigem Flügelschlage hochschwebendes Festgedicht‹.6 In den Sälen der Fürstin Wittgenstein brachte bei der Tafel Wagner mit kräftiger Stimme seinen Trinkspruch auf Liszt aus, den er als denjenigen bezeichnete, der in Deutschland bahnbrechend für seine Werke gewirkt habe. Dann öffnete sich der Flügel; zum ersten Male seit ihrer Komposition sollte der vollständige erste Akt der ›Walküre‹ vor einer größeren Versammlung zum Vortrag gebracht werden. Während Liszt in bewundernswerter Weise die Begleitung hierzu spielte, sang Wagner selbst die Partien des Siegmund und des Hunding, Frau Heim die Sieglinde. Noch heute wissen einige damals anwesende Zeitgenossen mit wahrem Enthusiasmus von der dramatischen Entfaltung Wagners hierbei zu sprechen, und Frau Heim, als der allerersten Sieglinde, fehlte es [124] nicht an schmeichelhaften Bezeigungen.7 An einem weiteren Abend gelangte, ebenfalls in den Gemächern der Fürstin Wittgenstein, die Todesverkündigungsszene aus der ›Walküre‹ durch Wagner als Siegmund und Frau Heim als Brünnhilde unter Begleitung Liszts zum Vortrag. Da zwischen fanden zu Ehren Liszts kleinere Ausflüge in die Umgebung statt: namentlich wird eine Spazierfahrt auf die nahe ›Waid‹ (Aussichtspunkt ungefähr eine Stunde von Zürich entfernt) erwähnt, auf welcher wiederum Wagner besonders ehrend seines Freundes Liszts gedacht haben soll.8

Es sind dies Erinnerungen recht von außen her, wie sie sich in der Überlieferung der zahlreichen Teilnehmer dieser Tage erhalten haben. Die inneren Vorgänge in diesem freundschaftlichen Verkehr beider Meister meldet uns kein Chronist. Sie fanden nicht unter den Augen der Menge statt. Aber, wenn Wagner in seinen Rückblicken auf jene Tage nicht genug über die ewige Unruhe und Aufregung der Umgebung klagen kann, die sich zwischen ihren persönlichen Verkehr stellte,9 so bewahrte er in seinem Gedächtnis doch auch noch andere – spärliche, aber geweihte – Momente ihres Zusammenseins. Er war eines Abends in Liszts Hotel gewesen und hatte gegen ihn über manches seiner intimsten Leiden sein Herz eröffnet. Liszt begleitete ihn nach Hause, unterwegs umarmte er ihn plötzlich und drückte ihm schweigend einen Kuß auf die Lippen. ›Mag Vieles‹, sagt Wagner von diesem Augenblick ›seinen Eindruck auf mich verlieren: was Liszt mir an jenem Abend war, die wundervolle Teilnahme, die in seinen Mitteilungen auf jenem Nachhauseweg lag, dieses Himmlische in seiner Natur wird mir als herrlichste Erinnerung in jedes Dasein folgen!‹ Nur Eines könne er Dem zur Seite stellen: das, was er ihm in seinen Werken, und namentlich in seinem ›Dante‹ mitteilte. Von höchstem lebendigstem Interesse war für ihn die in diesen allzu ruhelosen Tagen unter Liszts eigenem Vortrag gemachte nähere Bekanntschaft mit des Freundes symphonischen Dichtungen. Vor Allem der ungeheueren,[125] alles überragenden ›Dante-Symphonie‹, – die er so gern ›seinen‹ oder ›unseren‹ Dante nannte10 und deren Dedikation er sich im voraus von ihm erbat. Die Partitur war noch ungedruckt, vor kaum vier Monaten (8. Juli 1856) hatte Liszt den letzten Federstrich daran gemacht. Neben der ›Faust-Symphonie‹ blieb sie stets in hervorragendem Maße unter sämtlichen Lisztschen Tonschöpfungen Wagners eigentliches Lieblingswerk. Er nannte es den ›Schöpfungsakt eines erlösenden Genius‹, durch welchen ›Dantes unaussprechlich tiefsinniges Wollen aus der Hölle seiner Vorstellungen durch das reinigende Feuer der musikalischen Idealität in das Paradies seligst selbstgewisser Empfindung befreit‹ sei, ›die Seele des Danteschen Gedichtes in reinster Verklärung.‹11 Seine Begeisterung dafür teilte sich allen Züricher Freunden bis zur Hingerissenheit mit. Ihrem weltentrückenden Eindruck auf sämtliche Zuhörer gab Herwegh, in dessen Hause (der ›Falkenburg‹ im hochgelegenen Sonnenbühl) sie an einem schönen Abend (30. Oktober) durch Liszt eigenhändig am Klavier verkörpert wurde, in den beredten Versen Ausdruck:


Die lichte Blum' im dunklen Kranz, den aus Geschicken Du gewunden,

Francesca war's, o Meister Franz, drin ich Dein Wesen tief empfunden.

Hinan, hinaus zieht uns der Klang, wo Erd' und Himmel sich berühren,

Zum wonnevollsten Untergang läßt sich das Herz durch Dich verführen.

Die namenlose Trauer klärt sich auf in Paradieses-Weise,

Der Engel senkt sein flammend Schwert und öffnet uns die Pforten leise.

Ich hör' und möchte, nimmersatt, den Atem in der Brust beschwören,

Als könnt' ein fallend Rosenblatt den Frieden, den Du bringst, zerstören.


Leider war die Ursache der Verlängerung von Liszts Züricher Aufenthalt über die dafür angesetzte Zeit hinaus für ihn selbst von recht beschwerlicher Natur. Mit den ersten Tagen des November befiel ihn eine langweilige und langwierige Krankheit und verspätete seine Abreise um mehrere Wochen. Noch von Weimar aus gedenkt er ›der Flora seiner Züricher Clous‹ die ihn durch ihre belästigende Wiederkehr noch im folgenden Sommer in die Bäder von Aachen trieben. Vierzehn Tage mußte er völlig zu Bette liegen, und sich dann erst allmählich wieder an die Luft gewöhnen. ›Ungeachtet meines Unwohlseins‹, meldet er, als er erst wieder schreiben kann, brieflich an A. Stern ›verlebe ich hier mit Wagner prächtige Tage und durchsättige mich an seiner Nibelungenwelt, von welcher unsere Handwerks-Musiker und leeres Stroh dreschenden Kritiker noch keine Ahnung haben können.‹12 Hoffentlich wird dieses [126] kolossale Werk im Jahre 1850 zur Aufführung gelangen, und meinerseits werde ich nichts vernachlässigen, um diese Aufführung baldmöglichst einzulenken. Wagner bedarf dazu eines ganz eigenen Theaterbaues und eines nicht gewöhnlichen Darsteller- und Orchesterpersonales. ›Selbstverständlich kann das Werk nur unter sein er eigenen Leitung in die Welt treten, und falls dies, wie es so wünschenswert ist, in Deutschland geschehen sollte, müßte vor Allem seine Begnadigung erzielt werden.‹13 Was den letzterwähnten Punkt anbetrifft, so gedachten wir bereits zuvor (S. 113 Anm.) des Züricher Zeitungsklatsches, der in diesen erregten Tagen das Gerücht in die Welt setzte: ein Begnadigungsgesuch des Meisters an den König von Sachsen sei schon abgegangen; auch Semper und Köchly hätten plötzliche Begnadigungsgelüste verspürt und wären seinem Beispiele gefolgt. Aber während Semper und Köchly entrüstet gegen eine ähnliche Unterstellung protestierten, sei Wagner (nach Kellers Behauptung) ›in der Situation gewesen, in betreff jener Geschichte schweigen zu müssen, um sich nicht von vornherein das Spiel aufs neue zu verderben.‹ Schuldig bleibt er dabei den Beweis, welche irgend erdenkliche Vor- oder Rücksicht den Meister, wenn er sonst dazu Lust gehabt, dazu hätte zwingen können, die rein tatsächliche Zurechtstellung eines falschen Gerüchtes zu unterlassen! Vielmehr war dieser seit lange daran gewohnt, derartige auf seine Person bezügliche Zeitungsgerüchte stillschweigend zu ignorieren und ihnen gegenüber, je weniger vornehm die Presse sich gegen ihn benahm, eine desto vornehmere Zurückhaltung zu bewahren. Sogar kostete es ihn einige Überwindung, sich auf Liszts Anraten mit einem vertrauensvollen direkten Schreiben an den Großherzog von Weimar zu wenden.14 Von der Vielseitigkeit des Interesses, mit welcher dieser fürstliche Gönner seiner Kunst kürzlich noch dem Berliner ›Nibelungen‹-Komponisten, Heinrich Dorn, den Dank für die Dedikation seiner Oper durch Verleihung des Ritterkreuzes vom Falkenorden mit einem eigenhändigen Schreiben erstattet, hatte er nicht erst durch Liszt zu erfahren gehabt. Auch genügten einige bedeutungsschwere Winke des Freundes, um ihn dem bisher gehegten dringenden Wunsch einer Weimarischen – oder weiter kombinierten – Pension oder Subvention bis zur Vollendung seines Werkes entsagen zu lassen, und von dieser Seite seine einzige Hoffnung lediglich auf einen zu ermöglichenden Besuchin Weimar und eine etwaige zukünftige Aufführung seines Werkes in der Großherzoglichen Residenz zu beschränken! Insbesondere war und blieb dieser letztere Plan Liszts eigentlicher Lieblingsgedanke. Und wie viel mußte nicht auch dem Meister an dessen Ausführung gelegen sein!

Einen besonders anregenden Abschluß nahm gegen Ende November die [127] mehr als sechswöchentliche Episode dieses Besuches durch eine gemeinschaftliche Exkursion beider Freunde nach St. Gallen. Die Veranlassung dazu war folgende. Der damalige St. Gallische Musikdirektor Sczadrowsky,15 ein feingebildeter Musiker, hatte versuchsweise während einiger Jahre mit eigenen Opfern Abonnements-Konzerte eingeführt und, um etwas Außergewöhnliches zu bieten, keine Unkosten gescheut. Eine an Liszt gerichtete Einladung zur Mitwirkung an einem dieser Konzerte wurde von diesem aus dem besonderen Grunde mit Vergnügen akzeptiert, weil er dabei – Wagner zu Ehren – zwei seiner symphonischen Dichtungen: ›Orpheus‹ und die ›Préludes‹, mit einem ihm als respektabel geschilderten Orchester vorführen konnte (20 Geigen, 8 Violen, 6 Celli und Kontrabässe). Wagner seinerseits erkärte sich bereit, die Leitung von Beethovens Eroica zu übernehmen.16 Das Konzert war ursprünglich schon für einen früheren Termin, Sonntag den 16. November, angesetzt. Da Liszts Befinden sich aber damals noch nicht so weit gebessert hatte, daß er an eine Ortsveränderung denken konnte, sandte Wagner drei Tage vorher die telegraphische Nachricht, es müsse um acht Tage verschobens werden. So fand es denn am Sonntag den 23. November im Saale des St. Gallischen Bibliothekgebäudes statt, mit nachstehendem Programm:


Erster Teil.


Unter der Direktion des Hrn. Dr. Franz Liszt.


›Orpheus‹, sinfonische Dichtung für Orchester von Franz Liszt

Zwei Romanzen von Gluck, gesungen von Frl. Stehle.

Les Préludes‹, sinfonische Dichtung von Franz Liszt.


Zweiter Teil.


Unter der Direktion des Herrn Richard Wagner.


›Simfonia Eroica‹, Satz I-IV, von L. v. Beethoven.


Von der tags zuvor stattgehabten Generalprobe der Eroica wird uns nach der Erzählung von Augenzeugen überliefert, der Meister habe sich dabei ›gewaltig erhitzt‹. ›Die Crescendi habe er so stark mit dem Fuße markiert, daß er am ganzen Leibe zitterte und den Fuß nicht mehr stille halten konnte, wenn eine längere Pause, in der Probe eintrat. Seine Stimme, hoch und grell, übertönte auch die stärksten Forti.‹ Da er seit längerer Zeit kein Konzert mehr dirigiert, habe er sich bald ermüdet gefühlt und zu seiner Umgebung [128] geäußert: ›ich bin wie ein altes Postpferd, das unerwartet wieder eingespannt wird.‹17 Wirklich bekennt er selbst in brieflichem Rückblick auf dieses Konzert, die Eroica habe ihm wenig Freude gemacht: ›in meiner unsäglichsten Anstrengung, das bereits stark ermüdete Orchester bis zu der mir genügenden Höhe fortzureißen, ging meine eigentliche Freude an der Sache unter.‹18 Desto größer war die freudige Erhebung, die er als Genießender aus der Vorführung der Lisztschen Tondichtungen unter dem dirigierenden Zauberstabe des Freundes empfing. ›Liszts Orpheus hat mich tief eingenommen; dies ist eine der schönsten, vollendetsten, ja unvergleichlichsten Tondichtungen. Der Genuß des Werkes war für mich groß. Verdienstlicher für das Publikum waren die »Préludes«, sie mußten wiederholt werden. Liszt fühlte sich durch meine ungeheuchelte Anerkennung seiner Werke sehr beglückt.‹19 Der dankbare Beifall des Publikums äußerte sich in den begeistertsten Kundgebungen. Der offene gerade Sinn der treuherzigen St. Galler, durch keine tagtäglichen Faseleien einer gewerbsmäßigen ›Kritik‹ in Schach gehalten, drückte in rührender Unbefangenheit ihre Verwunderung darüber aus, daß ihnen, ›Kompositionen, die ihnen als so wustvoll und formlos bezeichnet worden, so schnell faßlich und leicht verständlich vorgekommen wären.‹ Die beiden Konzertgeber wurden abends im Triumph in ihr Hotel ›zum Hecht‹ geführt; auch ließ man sie nicht sobald zur Abreise kommen. Sie mußten noch drei Tage in St. Gallen bleiben, da ihnen zu Ehren für den folgenden Mittwoch (26. November) im Saale ihres Gasthofes ein Festmahl angesetzt war, an welchem eine größere Anzahl St. Gallischer Künstler und Kunstfreunde teilnahmen und die Verdienste beider Meister in zahlreichen Toasten gepriesen wurden. Es war so gut gemeint und beide wurden so hoch gefeiert, daß endlich Wagner selbst, nachdem er sich lange hartnäckig dagegen gestemmt, zum Reden gebracht wurde. Mit Beziehung auf eine damals geplante Begründung eines eigenen neuen Theaters für St. Gallen soll er dabei gesagt haben: ›lieber kein Theater, als ein schlechtes!‹ Einen Anhalt zur Beurteilung des warmen Tones der Begrüßung, die beiden Meistern dabei zuteil wurde, bieten uns die begeisterungsvollen Nachklänge in den St. Galler Tagesblättern, worin es u.a. heißt: ›Es dürfte wohl eine Erscheinung sein, die kaum in Jahrhunderten wiederkehrt, daß Heroen der Tonkunst in St. Gallen Konzerte dirigieren, und daß uns der Eine dieser beiden Männer, die wie zwei musikalische Dioskuren vor uns stehen, seine eigenen Werke vorführt. Hier sind zwei Männer zu sehen, einig im Ziel und neidlos an der Größe des Andern sich freuend: der Eine, geächtet, auf fremdem Boden einen reichen vollen Ehrenkranz des Schönen brechend, – der andere, ehemals von Triumph zu Triumph fliegend, und plötzlich mit freiem, festem Entschluß sich zurückziehend, um die ungebrochene[129] große Kraft in edlen, reinen Kunstwerken sich ergießen zu lassen. So mögen die beiden edlen Gestalten als leuchtende Vorbilder vor unseren Augen stehen, wenn es uns auch nicht mehr vergönnt ist, sie leiblich in unserer Mitte zu haben!‹20

Unmittelbar von dem improvisierten St. Galler Musikfest und seinen geselligen Ansprüchen hatte der Meister seine teuren Gäste zu ihrer Abreise nach Deutschland bis nach Rorschach zu geleiten. Am Donnerstag Abend kam er ›bei schrecklichem Wetter, mit heftigem Schnupfen‹ mit dem ganzen Gefühle plötzlicher Vereinsamung nach anderthalbmonatlichem täglichem Zusammensein auf dem Zeltweg wieder an. Bei so mancher Zerrissenheit, der sein Umgang mit Liszt bei dessen diesmaligem Besuche ausgesetzt gewesen war, trotz aller, durch Anwesenheit der Fürstin heraufbeschworenen rauschenden Unruhe und übermäßigen Anspannung ihrer beiderseitigen Kräfte, fühlte er doch die Genugtuung des Bewußtseins, dieses einzig dastehende Freundschaftsbündnis, bis dahin das wichtigste und bedeutsamste Ereignis seines Lebens, habe durch dieses endlich ermöglichte Zusammensein von Person zu Person eine edle Kräftigung erfahren. Aber die Erschöpfung war groß. Tagelang setzte er keinen Schritt aus dem Hause. ›Alles, was ich tat, ist, daß ich die »Madonna« und die »Franceska« gut placiert habe, was mir viel zu schaffen machte: ich habe gehämmert wie Mime. Nun ist alles fest: die Madonna überm Arbeitstisch, und Franceska über dem Sofa unterm Spiegel, wo sie sich vortrefflich ausnimmt.21 Wenn es einmal an den »Tristan« geht, wird wohl die Franceska über den Arbeitstisch müssen; dann kommt die Madonna erst wieder dran, wenn ich an die »Sieger« gehe.‹ So schreibt er dem Freunde nach seiner nächsten Reisestation München, am Sonntag nach seiner Abreise, den er zugleich zur Erledigung aller freundschaftlichen Korrespondenzen bestimmt zu haben scheint, um tags darauf die unterbrochene Arbeit am ›Siegfried‹ wieder aufzunehmen. Drei inhaltreiche Briefe, an Liszt, an Wesendoncks nach Paris (denen er auch Liszts und der Fürstin teilnahmvolle Grüße und Erkundigungen auszurichten hatte) und an Frau Ritter nach Dresden, sämtlich von dem gleichen Datum des 30. November, und offenbar auch in der hier angegebenen Reihenfolge abgefaßt, alle atmen die gleiche Stimmung eines großen Ernstes, den er in dem Briefe an Liszt als eine ›moralische Niedergeschlagenheit‹ bezeichnet. ›Ich bin,‹ schreibt er an Wesendonck, ›gegenüber der großen Herzensgüte der Fürstin, zu größerer Milde und Beherrschung [130] meiner so sehr reizbaren Empfindung gestimmt worden, so daß ich jetzt in meine Einsamkeit wie aus einer Schule zurückkehrte, mit dem Gefühl etwas gelernt zu haben. Und wie viel,‹ fährt er fort ›hätte ich noch zu lernen, um den Forderungen, die ich aus innerster Einsicht an mich stelle, einigermaßen nachzukommen in diesem Leben des Jammers und der Schwäche? Nie ist mir klarer geworden, welcher Nachsicht gerade der Beste bedarf, und wie sehr gerade er die höchste Güte zu üben hat, um nicht der Elendeste zu sein.‹ Einen besonders zarten und schwierigen Gegenstand hatte er in dem Briefe an Frau Ritter zu behandeln. Durch Liszts auffallend heftiges Benehmen gegen den jungen Freund Karl Ritter und des Letzteren übertriebene Empfindlichkeit war nämlich sogleich in den ersten Tagen von Liszts Besuch eine unheilbare Spannung zwischen diesen beiden, dem Meister so nahestehenden Personen entstanden. Der an sich unbedeutende Zwischenfall, über den sich auch Liszt in einem Briefe an Alexander Ritter ausspricht,22 hatte dennoch für Wagner, als unschuldig Mitbeteiligten, zwischen den Parteien Stehenden, eine zwiefach belästigende Nach wirkung. Erstens, daß er im Laufe des folgenden Monates zu wiederholten eingehenden Auseinandersetzungen des peinlichen Vorganges genötigt war,23 denen dann durch ein volles Halbjahr ein schmerzlich von ihm empfundenes Schweigen folgte.24 Sodann aber den von Karl Ritter tatsächlich vollzogenen Bruch mit dem Meister und die daraus für Letzteren resultierende moralische Nötigung, der fünf Jahre lang ihm gewährten Subvention seiner edlen Wohltäterin und damit einer Hauptgrundlage seines bisherigen Haushaltes zu entsagen.25

[131] Unter diesen Umständen war es für ihn die einzige Wohltat, sich vom Montag, dem 1. Dezember, ab aufs neue in die unterbrochene Arbeit an seinem ›Siegfried‹ zu versenken. ›Ich muß sehen, wie ich morgen früh dem Siegfried die Nachricht vom Tode seiner Mutter beibringe‹, hatte er tags zuvor an Liszt geschrieben, damit zugleich die Stelle der ersten Szene bezeichnend, wo er seine Arbeit wieder aufnahm. Bereits Ende derselben Woche (6. Dezember) erfolgt die Meldung, dieser Tage werde er mit der ersten Szene fertig. ›Sonderbar! erst beim Komponieren geht mir das eigentliche Wesen meiner Dichtung auf: überall entdecken sich mir Geheimnisse, die mir selbst bis dahin noch verborgen blieben. So wird auch alles viel heftiger und drängender.‹ Er hatte bei dieser Arbeit zunehmend das sichere Gefühl, dieser ›junge Sieg fried‹ werde sich als sein populärstes Werk eine sehr schnelle und glückliche Verbreitung gewinnen, alle übrigen Stücke nach einander nach sich ziehen und somit der ›Begründer einer ganzen Nibelungendynastie werden.‹ Wie zögernd, an seinem späten Lebensabend, und weit über denselben hinaus, sollte sich dieses so richtige Vorgefühl verwirklichen! Alle Bedrängnisse und Nöte seines ganzen ferneren Künstlerlebens beruhen auf dieser schmerzlichen Verzögerung, auf dem ungeheuren Vorsprung, den er mit dieser Schöpfung und den ihr folgenden vor der ganzen Mitwelt mit ihren Kapellmeistern, Sängern, Intendanten, Theaterdirektoren und – Verlegern gewonnen hatte! ›Im ganzen gehört doch viel Hartnäckigkeit dazu, wenn ich das alles noch fertig machen soll,‹ seufzt er bereits in demselben Briefe an Liszt vom 6. Dezember. Und als ihm Wesendoncks um die Weihnachtszeit aus dem fernen Paris eine schöne Mappe für seine Skizzen übersenden, heißt es (22. Dezember): ›Kinder, was habt Ihr mir für eine prachtvolle Mappe geschickt, da kann doch unmöglich der ungezogene Siegfried hinein!‹ Und nach dem herzlichen Bedauern, daß sie ihm nicht lieber sich selbst zu Weihnachten geschenkt, fährt er mit deutlichem Hinweis auf den ›Tristan‹ fort: ›Ich kann mich nicht mehr für den »Siegfried« stimmen, und mein musikalisches Empfinden schweift schon weit darüber hinaus, da wo meine Stimmung hinpaßt: in das Reich der Schwermut.‹ ›Von unserer Einsamkeit machen Sie sich jetzt keinen Begriff, und meine Gesundheit ist auch schwer und bleiern‹.26

›Seit meiner Zurückkunft von St. Gallen‹, hatte er kurz zuvor27 an Liszt gemeldet, ›habe ich, außer Herwegh, auch nicht einen Menschen wiedergesehen. Einsame Spaziergänge, etwas Arbeit und Lektüre machen meine ganze Existenz aus, wozu nur noch einige andere verdrießliche Attacken auf meine kümmerliche Ruhe kommen, die mich kaum zu Atem kommen ließen und mein Befinden unerträglich machten. Nur Goethes und Schillers Briefwechsel [132] erbaute mich sehr; er brachte mir unser Verhältnis sehr nahe, und zeigte mir köstliche Früchte, die unter glücklicheren Umständen unserem Zusammenwirken entsprießen könnten.‹ Wir mögen den eben erwähnten verdrießlichen Attacken auf seine Ruhe auch die sonderbare erneute Zumutung der Züricher beizählen, ihnen ihre Abonnements-Konzerte zu dirigieren, wiewohl er sich über diesen Punkt schon im Vorjahr (S. 108) mit aller Schonung bestimmt und unmißverständlich erklärt hatte. Wir erinnern uns bereits aus der ersten Zeit seiner Züricher Niederlassung seiner Äußerung gegen Uhlig,28 wonach seinen ausnahmsweisen Beteiligungen an diesen Konzerten bloß die Aussicht zugrunde lag, in den ungenügenden musikalischen Verhältnissen des Ortes eine gründliche Besserung zuwege zu bringen. Nun hatte er keine Anstrengung, keinen hingebenden Eifer gescheut, um endlich zu erkennen, daß – ganz wie in Dresden! – alle seine Aufopferungen gänzlich fruchtlos blieben und ihm nicht einmal die Genugtuung verschafften, auch nur in irgend etwas die Spuren seiner Tätigkeit wiederzufinden. Im Gegenteil hatte er sich schließlich nur über den Undank hinwegzusetzen, mit dem man ihm seine Weigerung, sich zu weiterer Ausnützung in dieser Hinsicht herzugeben, in den leitenden Züricher musikalischen Kreisen einsichtslos verdachte.29

Gerade so unschuldig, wie an dem unglücklichen Zerwürfnis seiner besten Freunde, und doch empfindlich dadurch betroffen, war der arme Verbannte an den politischen Händeln seiner derzeitigen Schweizer Mitbürger mit dem König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen. Bekanntlich gab eben damals der kleine schweizerische Grenzkanton Neuenburg, mit Preußen seit 130 Jahren dynastisch verknüpft, ohne ihm doch organisch verbunden zu sein, den Ausgangspunkt einer allgemeinen Bewegung der europäischen Politik. Um die naturgemäß innige Verbindung dieses kleinen Staates mit der Schweiz vollständig zu machen, war schon wiederholt der Gedanke aufgetaucht: Neuenburg solle eine Republik werden und der Eidgenossenschaft als vierzehnter Kanton beitreten. Trotzdem konnte der unglückliche Herrscher in seinem bereits krankhaft überspannten Gefühle sich nicht darüber trösten, daß – im März 1848 – die radikale Partei daselbst die königlichen Behörden vertrieben und eine demokratische Regierung eingesetzt hatte. Die Wiedererlangung des ›stets getreuen Neuenburg, auf dessen Bewohner er stolzer sei, als auf alle seine anderen [133] Untertanen‹, aus den Klauen der Schweizer Demokraten, stand acht Jahre hindurch in der ersten Reihe seiner politischen Gedanken. Um dieselbe Zeit, als Wagner, von seiner Kur in Mornex zurückgekehrt, sich in Zürich zur Komposition seines ›Siegfried‹ anschickte, erhob sich daher (3. September 1856) eine Handvoll Neuenburger Royalisten, ein bewaffneter Hause von wenigen Hunderten, unter der Führung des Grafen Friedrich Pourtalès, bemächtigte sich in nächtlichem Überfall des Städtchens und des Regierungsgebäudes und ließen ihre Manifeste auf Herstellung der Königlichen Regierung durch das Land gehen. Die neue Wendung der Dinge war von kürzester Dauer. Mit Hilfe eidgenössischen Militärs war der politische Statusquo binnen 24 Stunden wieder hergestellt, die royalistische Bewegung allerorten erstickt, die Führer des abenteuerlichen Putsches unter Anklage des Hochverrats den zuständigen Behörden überwiesen. Aber kaum war die Kunde des unerwarteten Ereignisses durch Europa erschollen, so hingen sich überall, mit dem ganzen Gewicht ihrer Leidenschaften und Vorurteile, ihrer Hoffnungen und Besorgnisse, die Parteien daran: Kriegsdrohung und Waffenrüstung begegneten einander. Rußland, Frankreich, England, Österreich wurden nacheinander durch den König von Preußen um ihre Vermittelung angerufen: er war außer sich vor Schmerz und Zorn bei der Vorstellung, seine Getreuen als gemeine Verbrecher vor Gericht gestellt und mit Zuchthausstrafe bedroht zu sehen, und verlangte ihre sofortige Freilassung. Der Einmarsch preußischer Truppen in die Schweiz wurde durch ostensible militärische Vorkehrungen angekündigt; Militärbevollmächtigte gingen nach Stuttgart und München, um die Unterbringung und Verpflegung der durchmarschierenden Truppen zu regeln. Der schweizerische Bundesrat, sich mit der Verweigerung des königlichen Verlangens in seinem vollem Rechte fühlend, sträubte sich noch, die preußische Drohung und Napoleons erklärtes Einverständnis damit für bare Münze zu nehmen; doch erhob sich in den Schweizer Zeitungen als Antwort sofort ein gewaltiges Säbelgerassel. ›Der Kriegsspektakel‹, schreibt Gottfried Keller, ›war sehr schon und feierlich hier zu Lande, es war uns dummen Kerlen sehr ernst damit. Ich bin ein paar Monate lang30 ganz aus allem Arbeiten herausgekommen; ich habe Leitartikel geschrieben, in die Scheibe geschossen, in den Kaffeehäusern gekannegießert und lauter solches Teufelszeug getrieben.‹31 Den Höhepunkt der Erregung führte am 17. Dezember eine scharfe Note in Napoleons kaiserlichem ›Moniteur‹ herbei: sie betonte auf der einen Seite das gute Recht und die langjährige Mäßigung des Preußenkönigs, auf der anderen die Gewalttätigkeit [134] und Verstocktheit des schweizerischen Bundesrates, und kam zu dem Schlusse, die Schweiz werde sich nicht wundern können, wenn sie ferner geringeres Wohlwollen als bisher erfahre.32 Der Bundesrat beeilte sich, die Vertretung des souveränen Volkes, die Bundesversammlung, einzuberufen; und Wagner fühlte sich für den Fall eines preußischen Einmarsches als ›politischer Flüchtling‹ in der Schweiz nicht mehr sicher, vielmehr noch so recht von Grund aus ›allen Schikanen seiner Lage ausgesetzt‹. ›Vielleicht muß ich‹, schreibt er am 22. Dezember an Wesendonck nach Paris, ›mich selbst bald von hier fortmachen, wahrscheinlich nach Frankreich, wenn mir vorher der Großherzog von Weimar nicht hilft‹. Aus derselben Zeit – Ende Dezember – stammt ein undatierter Zettel an Liszt, der von seiner Sicherstellung gegen etwaige Unannehmlichkeiten bei den erwarteten Kriegsunruhen in der Schweiz handelt. ›Könnte nicht der Großherzog‹, heißt es darin ›mir vom Prinzen von Preußen, als Chef der Armee, einen Schutzbrief gegen mögliche üble Behandlung oder Gefangennehmung seitens preußischer Militärbehörden auswirken? Ist dies nicht möglich, so hätte ich mich denklichen Falles des Einrückens der Preußen nach Frankreich zu flüchten, was mir doch sehr unlieb wäre.‹ Nicht der Großherzog, wohl aber Liszt selbst ergriff mit Eifer diesen Anlaß, um die Sache zum Guten zu wenden und in einem ausführlichen Schreiben an den Prinzen Wilhelm, vom 29. Dezember 1856,33 sich im allgemeinen und besonderen über die Lage des verbannten Freundes gegen ihn auszusprechen. ›Die Kriegsgefahren der Schweiz‹, meldet er Wagner, ›scheinen mir zwar nicht extrem, jedoch hielt ich es für eine passende Gelegenheit, den Prinzen auf Dein kümmerliches Schicksal, was mit Deinem Ruhm und Deiner künstlerischen Wirksamkeit in so schreiendem Mißverhältnis steht, aufmerksam zu machen. Der Prinz ist ein ehrenhafter Charakter, und es ist zu erwarten, daß Dir seine Verwendung später zugute kommt.‹ ›Wahrscheinlich‹, fügt er hinzu, ›wird er mir antworten lassen; was ich Dir zur Zeit mitteilen werde.‹ Doch scheint, da diese Mitteilung ausbleibt, eine Antwort nicht erfolgt zu sein. Zu groß war die Erregung in Berlin. Täglich wuchs des Königs krankhafte Verbitterung; jede neue Wiener Depesche rief in seinen Nerven einen [135] Sturm hervor. Der Ausgang der Angelegenheit war bekanntlich von seiten der Schweizer Bundesversammlung: Genehmigung des Antrags auf Niederschlagung des Prozesses und Freilassung der Gefangenen; von seiten des Königs völliger bedingungsloser Verzicht auf Neuenburg, wenn gleich die Verhandlungen über den letzteren Punkt sich in wechselnden Phasen und unter fortgesetzter Erregung aller Beteiligten noch bis in das vorgerückte Frühjahr (Ende Mai 1857) hinzogen.

Unberührt von allem umgebenden Kriegsgetöse war inzwischen der erste Akt des ›Siegfried‹ im Kompositions-Entwurf zu Ende geführt und nach der eigenen Empfindung des Meisters ihm über alles Erwarten gelungen. Doch fühlte er sich nach Beendigung dieser Arbeit in seiner Gesundheit wieder so angegriffen, daß er buchstäblich nicht einen Takt mehr niederschreiben konnte, ohne durch die ängstlichsten Kopfschmerzen davon fortgejagt zu werden. Außerdem hatte ihm dieses letzte Jahr in seiner Wohnung ganz besondere Qualen bereitet. ›Ich litt‹, schreibt er darüber an Klindworth ›so furchtbar von fünf nachbarlichen Klavieren und einer Flöte, daß ich fast rasend wurde und den mit Not und Qual beendeten ersten Akt des Siegfried als einzige Ausbeute des Winters davontrug.‹34 Mit einem ihm gegenüber wohnenden Schmied oder Schlosser, so berichtet Frau Wesendonck, hatte er eigens einen Vertrag geschlossen, wonach dieser am Vormittage nicht hämmern durfte, weil er ›Siegfrieds Schmiede lied‹ komponiere.35 Aber was half ihm dieser Schutzvertrag gegen die musikalischen Geräusche seiner unzähligen Hausnachbarschaften? Die durch letztere verursachten Leiden wachsen während der Arbeit bis in das Unerträgliche, so daß er am Ende auf gut Glück seine Wohnung kündigte, um sich in die Lage zu bringen, für jeden Preis ein ruhigeres Logis aufsuchen zu müssen. Mit wahrer Verzweiflung brütete er während dieser ganzen Zeit, wo und wie sich ein solches zu verschaffen: – da war es der bewährte Freund Wesendonck, der ihn darüber mit der erwünschtesten Nachricht erfreuen konnte Bereits von Mornex aus, wo er zuerst den Plan der Erbauung eines eigenen Landhäuschens mit Garten ins Auge gefaßt, hatte er brieflich mit diesem Freunde über dessen mögliche Unterstützung für eine zweckmäßige Akquisition verhandelt Damals noch in der hoffnungsvollen Annahme eines sofortigen Verkaufes seines Nibelungenringes an die Härtelsche Verlagsfirma! Als diese Hoffnung ihn im Stiche ließ, gab er dennoch den einmal gefaßten Gedanken nicht auf. Um eben jene Zeit ließ sich Wesendonck an der Höhe eines schönen grünen Hügels in der sog. ›Enge‹ (einem Vororte Zürichs am linken Seeufer) in höchst malerischer Lage, mit entzückendem freiem Ausblick, eine kostbare Villa erbauen.36 Sein Pariser [136] Aufenthalt während des letzten Jahres (Sommer 1856 bis Sommer 1857) hatte, neben dem Genuß eines ›milderen Klimas‹, ganz wesentlich auch die luxuriöse Einrichtung dieses seines neuen Hauses zum Zwecke, an welchem den ganzen Herbst und Frühling hindurch gebaut wurde.37 Nun fand sich dicht neben der neuerrichteten Villa, nur durch einen schmalen Weg von ihr und einen Teil des Vorgartens getrennt, noch ein kleines Grundstück mit einem bescheidenen Häuschen darauf, das sich mit einigen Umbauten wohl soweit herrichten ließ, um dem bedrängten Meister ein Unterkommen zu bieten. Und vielleicht hätte Wesendonck noch mit der Erwerbung gezögert, wäre nicht ein günstiger Zufall zu Hilfe gekommen. Die glückliche Lage des Grundstückes war nämlich u.a. auch einem Züricher Arzte aufgefallen, der darauf eine Irrenanstalt zu errichten gedachte. Der Schreck über eine solche ebenso unvorhergesehene als unwillkommene Nachbarschaft bestimmte ihn nun in großer Eile den Kauf auch dieses kleinen Nachbargrundstückes abzuschließen und das darauf befindliche Häuschen dem Meister gegen eine mäßige Miete für alle Zeiten anzutragen. Die verheißungsvolle Nachricht davon erreichte den Empfänger gerade in dem Momente, wo er in der Komposition seines ›Siegfried‹ bis zu der Stelle gelangt war:


›Des Vaters Stahl fügt sich wohl mir:

ich selbst schweiße das Schwert!‹


›Soweit‹, schreibt er an Wesendonck ›war ich gekommen, und eben sann ich dem Motive nach, das nun die schnell eingetretene Wendung, den Beginn der wunderbaren Schmiedearbeit bezeichnen soll, da unterbrach mich der Brief mit der vertrauten Nachricht. Wollen Sie nun wissen, wie ich heute die – wirklich ganz unverhoffte – Nachricht des Gelingens Ihrer Bemühungen um dies Grundstück aufnahm? Eine tiefe, tiefe Ruhe bemächtigte sich meiner; bis auf den Grund meines Wesens wurde ich von einer wohltätigen Wärme erfaßt, ohne die mindeste Aufwallung zu erregen. Aber es ward mir auf einmal so sonnig hell vor den Augen, daß ich die ganze Welt ruhig verklärt vor mir liegen sah, bis mir eine ernste Träne dieses Bild in tausend wunderbaren Brechungen zeigte. Wie mit einem Zauberschlage ist plötzlich alles um mich her anders: alles Schwanken hat ein Ende. Ich weiß, wo ich nun hingehöre, wo ich weben und schaffen, wo Trost und Stärkung, Erhebung und Labung finden soll.‹ Dies war die freudig ermutigende Stimmung und Seelenverfassung, in welcher er, zwar unter den fortdauernden Störungen seiner geräuschvollen Umgebung, aber in der Aussicht einer baldigen dauernden Abhilfe, am 20. Januar 1857 die Kompositionsskizze des ersten Aktes seines ›Siegfried‹ beschloß, um nach kurzer Pause alsbald zur Orchestration desselben [137] überzugehen, und auch diese Arbeit, mit allerlei unvermeidlichen Unterbrechungen, im Laufe der nächsten Monate zu vollenden. Zunächst galt esnun die Herrichtung des neuen Hauses mit allen dafür nötigen Vorbereitungen. Dem Architekten Zeugherr, einem gebildeten, dem Meister sehr ergebenen Manne, fiel die Aufgabe zu, das reizende kleine Heim nach Wagners Wünschen und Angaben umzugestalten und einzurichten.38 Aber seine persönliche Mitwirkung ward während des Beginnes der Bauarbeit noch wiederholt und unablässig in Anspruch genommen. Rückblickend gedenkt er daher in seinem schon erwähnten Briefe an Klindworth der ›letzten turbulenten Zeit, wo ich seit Februar den Umbau des neuen Wohnhäuschens mit gehöriger Pedanterie überwachte und die Arbeiter antrieb.‹ ...39

Eben dieser ›turbulenten‹ Umbau- und Einrichtungszeit gehört die Entstehung eines schönen Denkmals des soeben mit dem großen Freunde gepflogenen menschlichen und künstlerischen Verkehrs an, des eigentlichen Inbegriffs und Auszuges dessen, was ihm in diesem Umgang zuteil geworden war. Der herrliche Brief ›über Franz Liszts symphonische Dichtungen‹, das wundervolle Erzeugnis eines gleicherweise durch Schopenhauer und Plato gebildeten Künstlergeistes bleibt für alle Zukunft der beredte Ausdruck für den eigentlichen Inhalt der musikalischen Kunst (das ›Geheimnis der Individualität‹) und insofern das Fundament für jede fernere Ästhetik der Tonkunst.40 Er trägt im Original das Datum des 15. Februar 1857 und ist an die Prinzessin Marie Wittgenstein gerichtet. Auch kam es zu wiederholten häuslichen Vorführungen zusammenhängender Szenen aus dem Nibelungenwerke, vorzugsweise der ›Walküre‹, die er mit einer Züricher Sängerin, eben derselben Frau Pollert, deren wir bereits (S. 123) gedachten, sich selbst einstudierte und von einem tüchtigen Klavierspieler begleiten ließ. ›Mit einer hiesigen Theatersängerin, die Du in der »Jüdin« hörtest‹, schreibt er an Liszt ›studierte ich die letzte große Szene aus der Walküre ein; Kirchner akkompagnierte. Wir haben [138] sie dreimal bei mir gemacht, und nun bin ich ganz zufrieden.‹ Aber auch die Außenwelt regte sich: von Wien aus, das sich bis dahin hartnäckig seinen Werken verschlossen, gelangte die Aufforderung an ihn, seinen ›Tannhäuser‹, mit dessen Aufführung die Hofoper immer noch zögerte, einem dortigen Vorstadttheater zu überlassen. Angeblich sollte die Direktion der Hofoper höheren Ortes wiederholt vergeblich um die Aufhebung des Interdiktes sollizitiert haben, das in der Kaiserstadt immer noch auf den Werken des großen ›Revolutionärs‹ lastete, – trotzdem eine ganze Reihe österreichischer Provinzbühnen die Oper schon längst gegeben hatten. Inzwischen war der unternehmende Direktor des Josephstädter und des Thaliatheaters auf den gescheidten Einfall gekommen, sich die Fortdauer dieser törichten Verschleppung zunutze zu machen. Es war der alte Rigaer Freund, Johann Hoffmann,41 der bereits während seiner vorhergegangenen Theaterleitung zu Frankfurt a. M. für die Werke des Meisters einen redlichen Eifer bezeigt. Die bewährte Persönlichkeit Hoffmanns fiel für die zustimmende Entscheidung Wagners wesentlich mit ins Gewicht. Prinzipiell freilich war er dem geplanten Unternehmen ebensowenig abgeneigt, als er es vier Jahre zuvor für Berlin gewesen war, als Direktor Wallner unter ähnlichen Umständen den gleichen Vorsatz für das dortige Krollsche Theater gefaßt hatte. Im Gegenteil: er erwartete hier für sein Werk einen populäreren Erfolg als auf der Bühne des K. K. Kärntnertortheaters. Nun hatte er aber bei Liszts letzter Anwesenheit von der Wiener Hofopernsängerin Luise Meyer (nachmals Meyer-Dustmann) gehört, daß sich diese junge Künstlerin, ihm bereits von den Prager Aufführungen seines Werkes her vorteilhaft bekannt, nunmehr auch in Wien besondere Mühe gebe, den ›Tannhäuser‹ an der Hofoper zur Aufführung zu bringen. Ungewiß, ob eine vorhergehende Vorstellung im Thaliatheater oder in der Josephstadt ihrem löblichen Vorhaben nicht nachteilig sein werde, hielt er sich daher für verpflichtet, sogleich nach Empfang des Hoffmannschen Antrages bei ihr anzufragen, ja die Entscheidung in ihre Hand zu legen42. Doch verzögerte sich ihre Antwort um einen vollen Monat; zu lange, um darauf warten zu können. Er verständigte sich inzwischen mit Hoffmann und ward mit ihm unter beiderseitig befriedigenden Bedingungen handelseins. Dagegen benutzte er andererseits die gebotene Gelegenheit, um sich für die immer noch verhoffte Weimarische Aufführung des Nibelungen-Ringes im Jahre 1859 in herzlicher Weise der Mitwirkung der geschätzten Sängerin im voraus zu versichern, [139] wie er es kurz zuvor für die Partieen des ›Siegmund‹ und des ›Loge‹ mit Tichatschek getan.43 Dem Frl. Meyer gedachte er die ›Sieglinde‹ anzuvertrauen; für die Darstellung des ›Siegfried‹ dachte er an den, soeben zu rühmlicher Bekanntschaft gelangten jungen Heldentenor Albert Niemann in Hannover. Für ›Brünnhilde‹ an Johanna, die ihm durch Bülow ihre höchste Freude darüber melden ließ, wenn er sie noch dazu nehmen wolle. Zu keiner Zeit hatte er sich so hoffnungsvoll für die Durchführung seines großen Werkes gefühlt, das ihm alsdann, einmal maßgebend zur szenischen Verwirklichung gebracht, notwendig das unbeanstandete Supremat auf den deutschen Opernbühnen und eine für alle Zeit gesicherte Grundlage seiner Existenz gewähren mußte. So nahm er denn, durch Liszts Vermittelung, gleichzeitig auch die abgebrochenen Verhandlungen mit dem Breitkopf und Härtelschen Hause wieder auf, dessen tatkräftige Unterstützung ihm auf die früher angedeutete Weise (S. 118) die Vollendung seines Werkes ermöglichen sollte, und fuhr fort, guten Mutes die langsam vorrückenden Arbeiten am Um- und Ausbau seines Landhäuschens zu beaufsichtigen, unter dessen schützendem Dache die musikalische Ausführung seines Werkes ihre Fortsetzung und ihren verhofften baldigen Abschluß finden sollte.

Hier gab es freilich noch genug zu tun, um ein bisher nur im Sommer bewohnbares Häuschen durch Heizungsvorrichtungen und allerlei innere Veränderungen zu einem dauernden Jahresaufenthalt umzugestalten und einen annähernd rechtzeitigen Einzug zu ermöglichen. Zu Ostern, wie er es erhofft, ging es schon nicht mehr an. Von seinen damaligen häufigen Spaziergängen auf den ›grünen Hügel‹ blieb ihm ein Eindruck bis in die spätesten Tage im Gedächtnis. Es war am Karfreitag, den 10. April, ein vorzeitiger Frühlingstag verklärte alles mit seinem sonnigen Glanze. Des Feiertags wegen schwieg das Pochen und Hämmern der Arbeiter. In feierlicher Stille lag die lieblichste aller Landschaften vor ihm, die er von der Zinne seines (noch im Baue befindlichen) Hauses übersah. Wir möchten kein Wort an der Wiedergabe dieses inneren Erlebnisses ändern, das uns in späteren Jahren Hv. Wolzogen so überliefert hat, wie er sich entsann, es aus des Meisters eigenem Munde gehört zu haben. ›Ein herrlicher Morgen war aufgestiegen über See und Gebirg des Züricher Landes, und hinaus blickte er vom Altane seines eben gewonnenen stillen Asyls in die sonnigen Zauber der frühlingsfrischen Natur.‹ ›Du sollst nicht Waffen tragen an dem Tage, da der Herr am Kreuze starb!‹ So schallte es ihm da entgegen wie mit Engelszungen aus dem großen Frieden dieser feierlichen Welt, – eine Stimme aus weiter Ferne, ein Gralsklang aus den Tagen seines ›Lohengrin‹, eine lange verklungene Erinnerung aus der Zeit, da er einst im böhmischen Walde das Gedicht vom[140]Parzival‹ gelesen. Vor ihm schwebte das Bild des Gekreuzigten; und Wehr und Waffen der philosophisch geklärten Weltkritik, der historisch geschärften Weltverachtung, die legte er still zur Seite. Der Dichter des Wotan, der Sänger des Siegfried, der Denker des Buddha, – er erfuhr an sich den schöpferisch bestimmenden Eindruck des heiligen Karfreitagswunders; er entwarf die erste Skizze des Dramas vom ›Parsifal‹.44

Dem sonnigen Karfreitag folgten allerdings noch rauhere Apriltage und Wochen, und dem schließlichen Einzug in das Asyl gingen mancherlei große Unannehmlichkeiten voraus. Gleichzeitige Briefe an Liszt und Frau Ritter gewähren uns ein ziemlich vollständiges Bild von dieser Übergangsperiode. ›Die Einrichtung des Häuschens, die übrigens sehr nett und mir entsprechend ausgefallen ist, bedurfte langer Zeit, so daß wir mit dem Auszuge gedrängt waren, ehe die Möglichkeit des Einzuges zustande kam. Nun wurde auch meine Frau krank infolge einer Erkältung, so daß ich sie immer nur von jeder Einmischung abzuhalten, und dafür alle Auszugsmühe selbst und allein zu übernehmen hatte Zehn Tage wohnten wir im Hotel, und endlich zogen wir bei furchtbarem Wetter und Kälte ein.‹ Und auch jetzt gab es manche Not. ›Böses Wetter und große Kälte, bei noch nicht vollständig eingerichteter Heizung, kamen dazu; frierend kauerten wir zwischen den wüst umherstehenden Möbeln etc. zusammen und warteten unser Schicksal ab.‹ Da kam als erstes Ereignis im neuen Hause ein Brief der edlen Dresdener Freundin, deren nun bald halbjähriges Schweigen, nach dem erwähnten Zerwürfnis zwischen Liszt und Karl Ritter, dem Meister inzwischen so manchen stillen Gram bereitet hatte. ›Mit großer Sorge,‹ so erzählt er selbst in seiner Antwort, ›öffnete ich ihn und mit hellen Tränen im Auge las ich es, welch herrliche, erhabene Liebe Sie, teure Frau, mir schenken. Dieser Brief erwärmte uns durch und durch und erhellte uns unseren Einzugstag in unserem Asyl zum strahlenden Sonnen-Festtag!‹ Wirklich konnte es nach allem Vorausgegangenen kein schöneres Einzugsgeschenk für ihn geben, als die vollständige Wiederherstellung dieses edlen Verhältnisses, welches von beiden Seiten seit seinem ersten Beginn so rein und hoch gehalten war, daß jeder entfernteste Mißklang ihm bis dahin fern bleiben mußte und in dem ganzen früheren und ferneren Leben des Künstlers kein nur annähernd ähnliches ihm an die Seite zu setzen ist. Die neue Umgebung galt ihm durch diese glücklich wieder hergestellte Harmonie vollends als eingeweiht, und wenn auch in der ersten Zeit manche Störung durch immer noch einbrechende Arbeiter verursacht wurde (ein ›sächsischer [141] Schlosser‹ wird unter diesen besonders von ihm erwähnt), so war doch im wesentlichen alles glücklich überstanden. ›Alles ist nach Wunsch und Bedürfnis für die Dauer hergerichtet und eingeräumt; alles steht am Platz, wo es stehen soll‹, meldet er an Liszt am 8. Mai, zehn Tage nach dem unerfreulichen ersten Einzug. ›Mein Arbeitszimmer ist mit der Dir bekannten Pedanterie und eleganten Behaglichkeit eingerichtet; der Arbeitstisch steht an dem großen Fenster mit dem prachtvollen Überblick des Sees und der Alpen; Ruhe und Ungestörtheit umgibt mich. Ein hübscher, bereits sehr gut gepflegter Garten bietet mir Raum zu kleinen Promenaden und Ruheplätzchen, und meiner Frau die Beschäftigung zur Abhaltung von Grillen über mich; namentlich nimmt ein größerer Gemüsegarten ihre zärtlichste Sorge in Beschlag. Ein ganz hübscher Boden für meine Zurückgezogenheit ist gewonnen, und wenn ich bedenke, wie sehr ich seit lange nach einem solchen verlangte, und wie schwer es mir wurde, nur eine Aussicht dafür zu gewinnen, so fühle ich mich gedrängt, in diesem guten Wesendonck einen meiner größten Wohltäter zu erkennen. Anfang Juli hoffen nun auch Wesendoncks ihr Gut beziehen zu können; die Nachbarschaft verspricht mir Freundliches und Angenehmes. – Nun denn: das wäre erreicht! –‹

Vielleicht in keinem Moment von Wagners Leben kommt dessen dämonische Tragik uns so zum Bewußtsein, als in diesem Augenblick seiner hoffnungsvollen Niederlassung in der, seit Jahren ersehnten, ländlichen Häuslichkeit, die er nun, wenn auch nicht als Besitzer, so doch unter den erwünschtesten äußeren Umständen, als Mieter bezog. Nach gänzlicher Ruhe und Zurückgezogenheit war seit lange sein Seufzen und Wünschen gegangen; wie sollte er es nun nicht als ein Glück erachten, diese Ruhe und ländliche Zurückgezogenheit in einer herrlichen Naturumgebung in der nächsten Nähe einer ihm wohltätig wert gewordenen Familie genießen zu können? Wäre ihm die letzte vierjährige Zwischenstation am Zeltwege, mit allen ihren mannigfachen Sorgen und Beunruhigungen, dem Londoner Unternehmen und allen daraus fließenden üblen Folgen für seine Gesundheit, erspart geblieben und ein ruhiger Landaufenthalt mit Fernhaltung aller Sorgen sogleich und rechtzeitig zuteil geworden: sein großes Werk wäre wohl schon vollendet oder der Vollendung nahe und er jetzt, wo bereits drei neue Stoffe sein Innerstes erfüllten, statt mit dem ersten Akte des ›Siegfried‹, mit dem letzten der ›Götterdämmerung‹ beschäftigt gewesen Wohl hatte er anfangs sich zweifelnd gefragt, ob er es auf sich nehmen dürfe, nach wiederholten Erfahrungen von der großen Schwierigkeit seiner Lage, ›diese ganze Last seines Daseins auf den einen großmütigen Freund zu wälzen.‹ Aber gerade die Bereitwilligkeit Wesendoncks, auf alle seine Wünsche einzugehen, die mehrjährigen guten Beziehungen zu ihm und seinem ganzen Hause hatten jedes Zweifeln und Schwanken in ihm beseitigt. ›Ich weiß nun‹, ruft er aus (in dem bereits zitierten Briefe [142] vom Januar d. J.), ›wo ich hingehöre, und kann getrost allen Wechselfällen meiner künstlerischen Laufbahn, allen Mühen und Anstrengungen entgegensehen.‹ Er bezog das freundliche Häuschen in der ›Enge‹ in gutem Vertrauen darauf, für alle Zeiten das ihm nötige trauliche Heim gefunden zu haben. Nur ein einziges kurzes Lebensjahr, und alles, alles war aus; der Ruhebedürftige hatte den ruhelosen Wanderstab wieder auf unbekannten Boden zu setzen!

Selbst auf die bevorstehende Aufführung seines großen Werkes sah er um diese Zeit mit den gleichen hoffnungsvollen Gefühlen. Zürich war dafür aufgegeben; Weimar bot noch manche Schwierigkeit. Aber er durfte hoffen, dem Freundeseifer Liszts werde die Besiegung aller Hindernisse gelingen. War ja die Durchführung dieses gemeinsamen Werkes für Liszt der ihm noch fehlende Edelstein in der Krone seines Gelingens, der unentbehrliche Abschluß seiner ganzen Weimarer Tätigkeit. Dem freudigen Wahn dieser Frühlingshoffnung, die ihn sogar schon zum vorläufigen Anknüpfen der ihm nötigen Engagements ermutigte, verdankte auch die Parzival-Skizze ihre Entstehung. Aber an wie schwachen Fäden hing jede seiner Hoffnungen! Nur allzubald sollte ein erstarrender Frost diese allzufrühen Knospen ertöten und das Verhoffte, schon Nahegeglaubte wiederum in eine unabsehbar weite Ferne hinausrücken.

Fußnoten

[143] 1 An Liszt II, S. 130: ›Franz Müller hat mir sehr rührend zum Geburtstag gratuliert: ich kann ihm heute nicht noch besonders schreiben, aber ich bitte Dich ... ihn zu versichern, daß seine Freundschaft mir sehr wohl tue.‹ Vgl. über ihn Band II, S. 373.


2 Brieflich an Wesendonck 1. Sept. 1856.


3 Baechtold, Kellers Leben II, S. 368, 374 und 378


4 Bélart, Richard Wagner in Zürich, aus Mitteilungen von Zeitgenossen, Allgemeine Musikzeitung 1886, S. 442.


5 Notiz der ›Eidgenössischen Zeitung‹ bei Bélart a. a. O. S. 364; vgl. übrigens Briefwechsel II, S. 163, wo der in dieser Aufführung der ›Jüdin‹ gehörten Sängerin ein Jahr später noch in anerkennendem Sinne gedacht wird.


6 Vgl. Liszts darauf bezügliche Dankäußerung in der La Maraschen Sammlung von ›Franz Liszts Briefen‹ Band I, S. 242.


7 Vgl. dazu die Notiz des Beiblattes der ›N. Zürcher Ztg.‹ vom 25. Okt. 1856: ›Am 22. Oktober wurde in Zürich Liszts Geburtstag bei der Frau Fürstin von Wittgenstein durch Aufführung des 2. Teiles aus dem großen Nibelungendrama »Die Walküre« von Richard Wagner gefeiert. Wagner, Liszt und Frau Heim waren die Dolmetscher des Riesenwerkes, das, einzig in seiner Art, zu dem Großartigsten gehört, was die musikalische Kunst je geschaffen hat. Mit dieser Tondichtung treten die reformatorischen Bestrebungen Richard Wagners im Gebiete des musikalischen Dramas, durch Aufstellung einer neuen Kunstform in vollendeter Weise zutage. Seine vielgeschmähte Idee des »Kunstwerkes der Zukunft« war keine kunstphilosophische Träumerei: sie ist zur Tat geworden und wird epochemachend die ganze musikalische Welt bewegen!‹ (Vgl. auch die Leipziger ›Signale‹ 1856, S. 509, Züricher Korrespondenz vom 23. Okt.)


8 H. Bélart, a. a. O. S. 442/43.


9 Briefwechsel II, S. 183: ›Alles tritt mir so mühsam und allmählich ein, um am Ende gar noch mit einem Heere Züricher Professoren geteilt zu werden!‹ S. 184: ›Alle Schwärmerei für unsere Fürstin bringt mich nicht dazu, dieses Teufelsvolk von Professoren zu goûtieren‹.


10 Briefwechsel II, S. 135. 182.


11 Wagner, Ges. Schriften X, S. 135.


12 Vgl. den gleichfalls vom 14. November, nach kaum überstandener Krankheit, datierten Brief an Dr. Gille: ›Von Wagner erzähle ich Ihnen vieles mündlich. Wir sehen uns natürlich täglich, den ganzen lieben Tag. Seine Nibelungen sind eine ganz neue und herrliche Welt, nach welcher ich mich längst gesehnt habe, und für die die besonnensten Leute sich noch begeistern werden etc.‹ (La Mara, Liszt-Briefe I, S. 241.)


13 Liszt-Briefe, gesammelt und herausgegeben von La Mara I, S. 242.


14 An Liszt Band II, Seite 141.


15 Nachmaliger Seminarlehrer in St. Gallen.


16 ›Gereicht die Mitwirkung dieser beiden Meister‹, heißt es in der Anzeige des St. Galler Tageblattes ›an und für sich einer jeden Stadt zur Ehre, so schlagen wir sie um so höher an, als sich bekanntlich die Herren Liszt und Wagner ganz aus dem Konzertbereiche zurückgezogen haben, und lediglich nur um der Sache der Kunst Willen ihre Mitwirkung einem Konzertinstitute zu Teil werden lassen. Es wird deshalb kaum nötig sein zu bemerken, daß dieses Konzert weit von dem Gedanken einer Spekulation entfernt ist‹. (H. Bélart, a. a. O., S. 443.)


17 H. Bélart, a. a. O., S 432.


18 An Wesendonck, 30. Nov. 1856.


19 Ebendaselbst.


20 Mitgeteilt nach dem St. Galler ›Tagblatt‹ durch H. Bélart, a. a. O., S. 443.


21 Unter der ›Madonna‹ dürfte vielleicht die Kopie (Kupferstich?) einer Murilloschen zu verstehen sein, die ihm Wesendoncks aus Paris geschickt hatten, und die ihn ›eines herrlichen Sonntagmorgens‹ (wohl noch im September?) durch ihr Eintreffen freudig überraschte. ›Dies reine aufsteigende Wesen soll mir ein schönes Omen sein!‹ schreibt er in einem undatierten Briefchen an die ›treuen Wohltäter‹; ›ein völliger Zauber strahlt nun von der Wand auf mich herab.‹


22 La Mara, Liszt-Briefe I, S. 246: ›Mit Wagner habe ich herrliche Tage verlebt, und das »Rheingold« und die »Walküre« sind unglaublich vollendete Wunderwerke. Ihren Bruder Karl habe ich zu meinem aufrichtigen Bedauern nur in den ersten Tagen meines Aufenthaltes in Zürich ein paarmal gesehen. Ich erzähle Ihnen mündlich, wie dies negative Verhältnis so ganz gegen meinen Wunsch und Erwarten durch eine gereizte Empfindelei Ihres Bruders eintrat. Daß ich durchaus keine ernstliche Veranlassung dazu gegeben habe, bedarf wohl Ihnen gegenüber keiner Versicherung. Fernerhin muß ich aber stillabwarten, bis sich Karl eines Besseren und Richtigeren besinnt.‹


23 Der Brief an Frau Julie Ritter vom 30. November bringt als Episode die erste Erwähnung dieser Angelegenheit; ihm folgt am nächsten Sonntag (7. Dezember) eine eingehende Behandlung derselben auf sieben Briefseiten, nebst einer Seite Nachschrift, und einem Schreiben Karl Ritters an den Meister als Beilage, und Ritters bestätigenden Zeilen an die Mutter, worin er sich mit Wagners Bericht ›ziemlich einverstanden erklärt‹; sodann vom 24. Dezember ein 8 Seiten langer Brief, von denen die 4 ersten sich mit Karl Ritters fernerem Verhalten gegen ihn, die 4 letzten mit den zartsinnigsten Bedenken darüber beschäftigen: ob er, nach erfolgtem Bruch mit einem Gliede der Familie, die ihm gewährte Subvention derselben noch annehmen könne.


24 ›Mit welcher Wehmut ich die Zeit her auf Sie blickte, welch innerer tiefer Kummer mich dabei nagte, muß mein Geheimnis bleiben‹, schreibt er am 6. Mai an die edle Freundin.


25 Band II, S. 354. 406 und S. 6 des vorliegenden Bandes. Vgl. auch Briefwechsel mit Liszt II, S. 151: ›Seitdem du von mir fort bist, hat sich bei mir etwas Wichtiges verändert: ich habe der R.schen Rente mit Bestimmtheit entsagt.‹


26 An Liszt, Briefwechsel II, S. 143.


27 Ebendaselbst S. 148 (16. Dezember)


28 Band II, S. 379: ›Ich denke, ich bringe den hiesigen, sehr reichen Kaufleuten ein wenig Scham- und Schandgefühl bei und bewege sie ihre Geldsäcke zu öffnen, um etwas Ordentliches für ein gutes Orchester zu tun.‹


29 Vgl. die Züricher Zeitungsnotiz der N. Berl Musikzeitung vom 17. Dez. 1856: ›Die Konzerte der Allg. Musikgesellschaft beginnen nächste Woche. Richard Wagner hat abermals jede Beteiligung an denselben abgelehnt. Dies, wie der Umstand, daß er jetzt mit Liszt, der sich längere Zeit hier aufhielt, einen Triumphzug nach St. Gallen angetreten, wird ihm natürlich (!) von seinen hiesigen Verehrern sehr übelgenommen.‹ – Das waren nun die ›Züricher Verehrer‹!


30 Mitte November 1856 bis Mitte Januar 1857.


31 Baechtold, Gottfried Kellers Leben und Briefe II, S. 374. Vgl S. 379: ›Wir waren fest entschlossen, die Preußen mit Mann und Maus auszufressen. Denken Sie sich z.B. mich kleinen Kerl mit einem langen Leutnant vom ersten Garderegiment im Rachen! Ein Glück, daß jeder solcher Braten wenigstens gleich den Zahnsiomer auf dem Kopf mitbringt.‹


32 An diese Haltung des französischen Kaisers der Schweiz gegenüber knüpft wohl die Erwähnung jenes Gespräches über Napoleon zwischen Wille und Liszt, während der Anwesenheit des letzteren in Zürich, welches Frau Wille in ihren Erinnerungen in das Jahr 1853 (erster Besuch Liszts in Zürich!) verlegt. ›Als von dem Kaiser, den Liszt hoch stellte, damals die Rede war, prophezeite Wille, Louis Napoleon werde doch noch in der Gosse, umkommen, was Liszt, der den Kaiser persönlich kannte, sehr zu verschnupfen schien.‹ Die in seiner Gegenwart getane Äußerung blieb Wagner bis zum September 1870, dem Tage der Schlacht bei Sedan, im Gedächtnis, und er schreibt mit Beziehung darauf: ›Das kommt nun täglich bei uns zur Sprache, und Wille muß es sich gefallen lassen, hier als Prophet angesehen zu werden.‹


33 Bisher unveröffentlicht; Erwähnung desselben im Briefw. II, S. 150.


34 Vgl. die Erwähnung des, verfluchten Klaviergeräusches schon auf S. 117.


35 Allg. Musikz. 1896, Nr. 7, S. 94.


36 Vgl. die briefliche Notiz Gottfried Kellers auf S. 110.


37 A. Heintz, Allg. Musikzeitung 1897, Nr. 7, S. 97.


38 A. Heintz, Allgem. Musikzeitung 1896, Nr. 3, S. 36/38. Mit demselben Architekten Zeugherr gemeinschaftlich hatte Wesendonck noch im vorigen Sommer von Paris aus einen Ausflug ins Berner Oberland unternommen (S. 120 dieses Bandes), worauf sich Wagners an letzteren gerichtete briefliche Notiz bezieht: ›Es vergnügt mich sehr, Sie für Ihre bevor stehende Bergtour in so guter Gesellschaft zu wissen, wie die des Herrn Zeugherr. Das ist ein wohlwollender, tief innerlich gebildeter seiner Mensch, den ich Vielen – wenn auch nicht gerade Ihnen – zum Begleiter auf den Pfaden des Lebens, wie des Oberlandes, wünsche.‹ (Briefl. an Wesendonck, 7. August 1856.)


39 Briefl. an Klindworth, 18. Mai 1857.


40 Vgl. dazu die beiden balchbrechenden und grundlegenden Schriften Dr. Friedrich v. H. Hauseggers: ›Die Musik als Ausdruck‹ (1885) und ›Das Jenseits des Künstlers‹ (1863), von deren einmal gewonnenen Ergebnissen uns wieder zur ›absoluten Idee schlechthin‹ zurückzubekehren, selbst Herrn Arthur Drews mit aller Beredsamkeit seiner scharfsinnigen und geistreichen Schrift: ›Der Ideengehalt von Richard Wagners Ring der Nibelungen‹ (1898) nicht recht gelingen will.


41 Band I, S. 264. 273 s. 279.


42 Charakteristisch ist in diesem Briefe vom 23. Febr. (1857) das Zutrauen, welches der Meister damals noch zu seinem alten Bekannten Heinrich Laube hegt. ›Glauben Sie‹, heißt es darin, ›eines Rates zu bedürfen, so bitte ich Sie, sich an Laube zu wenden. Er ist mein alter Freund, und wenn ich auch seit langem aus aller Berührung mit ihm gekommen bin, so nehme ich doch an, es werde in Wien Ihnen niemand für mein Interesse besser raten als er.‹


43 Brief an Luise Meyer vom 26. März, an Tichatschek vom 9. Februar 1857.


44 Hans v. Wolzogen in den ›Bayreuther Blättern‹ 1885, S. 48/49. Vgl. 1886, S. 74/75, wo noch außerdem hervorgehoben wird, daß es sich für damals ausschließlich um die Skizze der Dichtung gehandelt habe, nicht aber, wie man wohl gemeint, auch schon der (um 20 Jahre jüngeren!) Karfreitags-Musik!

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 3, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 121-144.
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