21.

Wenn Mozart als Operncomponist hauptsächlich außerhalb thätig war und wenn das, was er auf diesem Gebiet in und für Salzburg schrieb, in keiner Weise maßgebend für seine Leistungen sein kann, so finden wir ihn dagegen in diesen Jahren seiner Entwickelung nach anderen Richtungen hin in einer Thätigkeit, welche ganz und gar durch die Verhältnisse seiner Vaterstadt bedingt war. Hieher gehört zunächst die Kirchenmusik.

Die Kirchenmusik war in Salzburg seit langer Zeit gepflegt und namentlich hatte Erzbischof Sigismund dieselbe mit Sorgfalt unterhalten; bei seiner strengen Frömmigkeit, welche allen weltlichen Zerstreuungen abgeneigt war, wurde sowohl bei den Sängern als dem Orchester vorwiegend der Dienst für die Kirche ins Auge gefaßt. Obgleich die Besoldung für die angestellten Musiker gering war, so reichte doch die Aussicht auf eine sichere wenn gleich mäßige Versorgung [427] für die Alternden und die Nachgebliebenen hin um tüchtige Künstler in Salzburger Dienste zu ziehen und sie denselben zu erhalten. Sigismunds Nachfolger Hieronymus bewährte sein System strenger Sparsamkeit auch an seiner Kapelle und da er durch herrisches und unfreundliches Wesen sich auch persönlich die Musiker entfremdete, so war es nicht zu verwundern wenn man fand, daß der Zustand der Salzburgischen Musik unter Hieronymus sich eher verschlechtert als gehoben hatte1, wenn er gleich, auf den Glanz des Hofes mehr als Sigismund bedacht, im Einzelnen manche Verbesserungen vornahm.

Um einen wohlbesetzten und gutgebildeten Chor zu haben war das Kapellhaus eingerichtet2, in welchem fünfzehn Kapellknaben auf Kosten des Erzbischofs unterhalten und durch eigene Lehrer ausgebildet wurden. Später traten sie entweder als Sänger in den Chor oder sonst in Hofdienste ein; wenn sie sich sehr auszeichneten, wurden sie auch wohl zu ihrer weiteren Ausbildung nach Italien geschickt und dann als Solosänger angestellt3. Früher waren auch Castraten angestellt, [428] Erzbischof Sigismund ließ dieselben absterben ohne andere anzustellen; dagegen schickte er die Tochter des Domorganisten Lippum sie als Sängerin ausbilden zu lassen nach Italien, welche nach ihrer Rückkehr im Jahre 1762 als Hofsängerin angestellt wurde und sich bald darauf mit dem jüngst nach Salzburg gekommenen Michael Haydn verheirathete. Im Jahre 1778 nahm Erzbischof Hieronymus auch wieder einen Castraten Ceccarelli4 in seine Dienste.

Neben dem Chor war ein für damalige Zeit vollständig besetztes Orchester angestellt, welchem zur Unterstützung der Singstimmen in der Kirche ein Posaunenchor beigegeben wurde, während die dort entbehrlichen Bläser zur Verstärkung der Saiteninstrumente verwendet wurden. Denn es wurde, namentlich zu den beiden Chören von je sechs Trompetern und Paukern, Niemand angenommen, der nicht auch bei den Saiteninstrumenten gebraucht werden konnte.

Unter Erzbischof Sigismund war Eberlin Kapellmeister (1750–1762), ein gründlich gebildeter Contrapunktiker und fleißiger und fruchtbarer Componist für die Kirche, dessen Werke aber kaum über den Umkreis von Salzburg hinaus bekannt geworden sind5. An seine Stelle trat Lolli (1762[429] –1777), früher Tenorist, welcher mehrere Kirchencompositionen geschrieben hat, die nicht von großer Bedeutung gewesen zu sein scheinen6. Im Jahr 1772 wurde noch Fischietti7 als Titularkapellmeister angestellt, der sich durch Opern und Kirchenmusik bekannt gemacht hatte; er scheint in Salzburg wenig mehr geleistet zu haben8.

Als Lolli 1762 zum Kapellmeister und Leopold Mozart an seine Stelle zum Vicekapellmeister befördert war, wurde Michael Haydn9 auf die Empfehlung eines Neffen vom Erzbischof Sigismund als Concertmeister und Orchesterdirector angestellt, später auch Organist an der Dreifaltigkeitskirche. Der persönliche Verkehr zwischen den Familien Mozart und Haydn war nicht lebhaft. Haydn hatte eine Neigung [430] bei einem Glas Bier10 oder Wein zu sitzen11, welche dem nüchternen und strengen Mozart um so tadelnswerther erschien, als er ihm vorwarf daß er darüber die Erfüllung seiner Amtspflichten vernachlässige12. Dazu kam daß auch der Lebenswandel der Frau Haydn nicht ohne Anstoß gewesen zu [431] sein scheint13; so daß man sich wohl erklären kann, daß Leopold Mozart sowohl für sich als für seine Kinder einen näheren Verkehr mit diesem Hause nicht zuträglich fand. Ob persönliche Reibungen und Eifersüchteleien, wie sie in kleinen Verhältnissen leicht entstehen, auch einigen Einfluß gehabt haben auf die ungünstige Beurtheilung Michael Haydns, welche in Mozarts Aeußerungen sich bemerklich macht14, ist kaum zu entscheiden. Jedenfalls erstreckt sich diese Ungunst nicht auf die Schätzung des Künstlers; als solchen stellte L. Mozart Haydn sehr hoch15 und Wolfgang studirte sowohl seine [432] als Eberlins Kirchencompositionen als Muster contrapunktischer Arbeiten, schrieb sich dieselben ab16 und sprach sich auch später über ihren Werth sehr günstig aus17. Wir werden auch [433] sehen, wie zwischen dem gereiften Mozart und Mich. Haydn ein freundschaftliches, auf gegenseitiger künstlerischer Achtung begründetes Verhältniß bestand18.

Die Obliegenheiten der Kapellmeister und Organisten beschränkten sich nicht darauf die Aufführungen der Kirchenmusik zu leiten, sondern es war ihre Pflicht und sie setzten ihre Ehre darin, daß die für den feierlichen Gottesdienst nöthige Musik auch im Wesentlichen ihr Werk sei. Nicht allein bei festlichen Gelegenheiten waren neue, für diesen Zweck besonders verfaßte Compositionen unerläßlich, sondern man war auch darauf bedacht, während des laufenden Jahrescursus durch neue Musik für Abwechslung und Mannigfaltigkeit zu sorgen. Es war daher eine ununterbrochene Thätigkeit für die Kirchenmusik, von welcher auch jüngere, talentvolle und strebsame Mitglieder der Kapelle nicht ausgeschlossen waren, da es nie an Veranlassungen fehlte Compositionen verschiedener Art zur Aufführung zu bringen. Dies wurde eine vortreffliche Schule für junge Componisten, welchen Gelegenheit geboten wurde sich zu versuchen, ihre Versuche aufführen zu lassen und so durch Hören und Vergleichen mit Erfolg zu lernen. Nicht [434] minder ersprießlich war es für ihre Schulung daß sie für bestimmte liturgische Zwecke und mit Rücksicht auf gegebene Mittel arbeiten und sich also an fest ausgeprägte Formen und an das Haushalten mit den dargebotenen, oft beschränkten Mitteln gewöhnen mußten. Die Nachtheile einer jeden künstlerischen Schule blieben auch hier nicht aus. Durch den Einfluß überlieferter Gewohnheiten, gewisser durch ein überwiegendes Talent ausgebildeter Manieren, auch wohl einer bestimmten Geschmacksrichtung hochgestellter Personen bildete sich eine locale Tradition aus, welche einer freien Entwickelung hinderlich wurde, indem sie auch für das Zufällige und Unwesentliche beschränkende Normen festsetzte. Es liegt in der Natur der Sache daß ein solcher Zwang nirgends hemmender und drückender wirkt als in allen kirchlichen Dingen, indem selbst das an sich Unbedeutende, vielleicht gar Verkehrte, weil es mit dem Heiligen in Verbindung gesetzt ist, durch eine längere Gewöhnung als mit diesem seinem Wesen nach gleichbedeutend angesehen wird. Mag man daher auch den Vortheil einer solchen, wie jeder anderen Schulung hauptsächlich darin setzen, daß das Technische fest und tüchtig ausgebildet werde, so ist grade die Sicherheit in dem was handwerksmäßig bei der Kunstübung ist auch für die Entwickelung des Genies die nothwendige Grundlage, von welcher aus es allein im Stande ist steh von allem zu befreien, was in der Tradition unwesentlich und unwahr ist. Wir werden nun sehen, wie gründlich sich Mozart durch die Schule, wie er sie auf dem Gebiete der Oper durchmachte, auch nach dieser Richtung hin durcharbeitete.

Mozart fand die Kirchenmusik, wie die Oper, in einer bestimmten Weise zu fertigen Formen ausgebildet vor. Dieselbe Schule, welcher die Oper ihre Entwickelung verdankte, die neapolitanische, hatte auch der Kirchenmusik eine Ausbildung [435] gegeben, die im Wesentlichen von denselben Impulsen ausging und derselben Richtung folgte, wie dies bei der Oper der Fall war. Den Wendepunkt bildete die Einführung der selbständigen Melodie, welche ohne Rücksicht auf ihre harmonische oder contrapunktische Behandlung an und für sich als Ausdruck einer mehr oder weniger erregten Empfindung ihre Bedeutung hatte, in die Kirchenmusik. Die Bestrebungen, durch welche die Oper ins Leben getreten war, hatten diese Weise der Melodienbildung hervorgerufen und ausgebildet; sie wurde dann auch in die Cantate eingeführt, und nachdem sie mehr und mehr allgemeine Geltung als die natürliche und verständliche Ausdrucksweise der Empfindung durch die Musik überhaupt erlangt hatte, bahnte ihr namentlich das Oratorium auch den Weg zu der Musik, welche der Kirche und dem Cultus zu dienen bestimmt war. Hiermit war eine Richtung eingeschlagen, welche in mehr als einer Weise zu einer subjectiven Einseitigkeit zu führen geeignet war. Die Kirchenmusik, wie sie vorzugsweise in der römischen Schule, deren Repräsentant bekanntlich Palestrina ist, ausgebildet war, hat den Charakter der Größe und Einfachheit wesentlich dadurch erreicht, daß sie den Chor der Singstimmen, wie viel deren auch angewendet sind – mag die Behandlungsweise vorzugsweise harmonisch oder contrapunktisch, die Darstellung ruhig oder belebt sein – als ein ungetheiltes Ganze behandelt, in welchem kein einzelnes Glied an und für sich Bedeutung hat und sich als solches geltend machen kann; sondern wie aus einem treibenden Keim die Pflanze hervorwächst, so gestaltet sich das musikalische Kunstwerk aus einer Grundempfindung, deren bildende Kraft stark genug ist um in jedem Moment alles Einzelne vollständig zu durchdringen und zu einem Ganzen zusammenzuschließen. Der Eindruck dieser Musik ist dem des Meeres vergleichbar, welches ohne Aufhören [436] Woge auf Woge wälzt, von denen keine vor der andern sich auszeichnet, und doch gewährt der Anblick dieses scheinbar einförmigen Treibens den Eindruck des wechselndsten Lebens, und einer nie ruhenden unversiegbaren Kraft, welche sich in friedlicher Ruhe und empörtem Kampf in gleicher Machtfülle offenbart und das Gemüth mit dem Gefühl der Erhabenheit und Größe erfüllt ohne je zu sättigen oder zu ermüden. Dieser Charakter wurde verändert, sowie einer Melodie das Recht eingeräumt wurde sich als Hauptmelodie geltend zu machen, wodurch jene Einheit und Geschlossenheit aller Stimmen zu einem Ganzen nothwendig beeinträchtigt werden mußte, indem nun einzelne gelegentlich hervor- oder zurücktraten, und für sich selbst eine verschiedene Bedeutung in Anspruch nahmen. Und fand dieses Princip einmal Anerkennung, so war die natürliche Folge daß es in der Weise ausgebildet wurde, daß man eine Melodie zur herrschenden machte, welche durch die anderen Stimmen hauptsächlich getragen und unterstützt wurde. Dies schließt natürlich nicht aus, daß durch sorgfältige freie Stimmführung auch den begleitenden Stimmen eine gewisse Selbständigkeit und ein bestimmter Charakter gewahrt bleibe; allein das Grundverhältniß ist ein wesentlich anderes geworden, seitdem von Ueber-und Unterordnung, von einer Hauptmelodie und ihrer Begleitung die Rede ist. Dies trat noch mehr dadurch hervor daß man auch der Instrumentalmusik Eingang in die Kirche gestattete, welche hier nur als eine begleitende sich den Singstimmen anschließen konnte. Zunächst war es die Orgel und dann die Posaunen, welche man in einer Weise anwandte, daß sie mit den Singstimmen gehend dieselben unterstützten und verstärkten und auf eine selbständige Bedeutung neben denselben oder gar ihnen gegenüber keinen Anspruch machten; allein als man auch die Saiteninstrumente und allmählich die verschiedenen Blasinstrumente [437] des sich ausbildenden Orchesters in der Kirche gebrauchte, mußte sowohl die natürliche Beschaffenheit dieser Instrumente als die Gewohnheit, welche sich in der Anwendung und Behandlung derselben bereits gebildet hatte, dahin führen, daß ihnen in ähnlicher Art die Rolle der Begleitung bei der Kirchenmusik zufiel wie in der weltlichen. Am deutlichsten sprach sich diese Richtung aus, als man auch dem eigentlichen Sologesang mit begleitendem Orchester in der Kirche Raum gönnte; aber auch wo die Instrumente mit dem Chor zusammenwirkten, bildete sich eine ihrem Charakter nach orchestrale, den Singstimmen gegenüber selbständige Begleitungsweise aus, die wiederum auf die Behandlung der Gesangpartien Einfluß gewinnen mußte. Allerdings wurde die Anwendung der strengen contrapunktischen Compositionsweise keineswegs von der Kirchenmusik ganz ausgeschlossen, im Gegentheil galt sie stets als ein Haupterforderniß und vorzüglicher Schmuck derselben; allein auch hier machte sich allmählich eine ganz veränderte Anschauung geltend. Die Aufgabe und das Ziel der contrapunktischen Behandlung ist ebensowohl die vollständige Freiheit und Selbständigkeit jeder einzelnen Stimme als die vollkommene Gleichberechtigung aller unter einander, welche nur möglich sind durch die strenge Unterordnung aller unter ein Gesetz und die freie Selbstbeschränkung der einzelnen um des Ganzen willen. Wo dies Ziel erreicht wird, sind geschlossene Einheit und lebendige Bewegung die charakteristischen Eigenschaften des musikalischen Kunstwerks. Ferner wird durch das Festhalten eines einfachen Grundgedankens, der nach allen Seiten hin gewendet und durchgeführt wird, eine Consequenz und Strenge herbeigeführt, welche wiederum dem Kunstwerk eine größere Einheit und nachdrücklichere Bedeutung zu geben vermögend sind. Es ist also einleuchtend, daß diese Form der Composition vorzugsweise [438] zum Ausdruck ernster und gewichtiger Vorstellungen geeignet ist; allein es ist eben auch nur eine Form, die erst durch den Inhalt, mit welchem sie erfüllt und den Geist, mit welchem sie beseelt wird, Charakter und Bedeutung erhält. Jedermann weiß daß selbst strenge contrapunktische Formen, wie die des Canons und der Fuge, zu komischen Wirkungen drastischer Art verwendet werden, daß sie zum dramatisch lebendigen Ausdruck sehr verschiedenartiger Leidenschaften geeignet sind, und sogar in einer Weise zierlich und elegant ausgeführt werden können, daß der Laie, welchem das Wort Contrapunkt einen ehrfurchtsvollen Schrecken einzuflößen pflegt, nicht ahnt daß es eine kunstvolle Gelehrsamkeit ist, welche ihn entzückt. An sich also ist die Form streng contrapunktischer Bearbeitung weder geistlich noch kirchlich, sondern sie wird es erst, wenn sie von diesem Geist durchdrungen und in diesem Sinne angewendet wird. Je mehr aber die nichtkirchliche Musik sich dieser strengen Formen entäußerte und die entsprechende Richtung auch in der kirchlichen Musik maßgebend wurde, um so eher konnte der Irrthum sich geltend machen, daß jene künstlerisch strengen Formen an sich das Wesen des Kirchlichen ausdrückten und deshalb in der Kirchenmusik angewendet werden müßten. Die Folge davon war, daß dies nun in einer rein äußerlichen, formelhaften Weise geschah, wobei man Gefahr lief, das künstlerische oder technische Verdienst einer gründlichen contrapunktischen Arbeit schlechthin mit kirchlichem Sinn und Geist zu identificiren und deshalb sie in einer Weise anzuwenden und zu behandeln, daß von kirchlicher Auffassung dabei so wenig die Rede war als bei der Handhabung derjenigen Formen, welche von außen her in die Kirchenmusik eingedrungen waren. Der Gegensatz, welchen man zwischen strenger und nichtstrenger Darstellungsweise empfand – ein Gegensatz der als solcher mit [439] dem Begriff des Kirchlichen nichts zu thun hat – führte dann zu einer Art von Compromiß zwischen beiden, es setzte sich ein gewisses Herkommen fest, nach welchem in den liturgischen Texten gewisse Theile in streng contrapunktischen Formen, andere dagegen frei behandelt wurden. Die Gestaltung in diesem Sinne war, da es keine eigentlichen Satzungen dafür gab, von örtlichen und persönlichen Einflüssen vielfach bedingt, im Ganzen aber ist die Auffassung und Gliederung der kirchlichen Texte, wie sie noch jetzt vorherrschend ist, durch die neapolitanische Schule festgestellt worden.

Die geistige Richtung, auf welcher diese Wandlungen der formalen Gestaltung beruheten und welche denselben ihre eigenthümliche Bedeutung gab, ist nicht zu verkennen. Durch die freie Ausbildung der Melodie in der Oper und im weltlichen Gesange überhaupt war die Möglichkeit gegeben worden, der subjectiven Empfindung in ihren mannigfachsten Nuancen und Steigerungen den entsprechenden musikalischen Ausdruck zu geben. Die Wirkung der sich nach dieser Seite hin entwickelnden Kunst auf das musikalische Publicum war außerordentlich und mußte außerordentlich sein. Es war aber keineswegs ein bloß äußerliches Streben durch neue Reizungsmittel zu wirken, wenn man auch die Kirchenmusik in diesem Sinn umzugestalten suchte, sondern es war die nothwendige Folge eines neu erwachten Lebens in der Kunst, daß sich das Bedürfniß regte die religiösen Empfindungen frei von conventionellem Zwang mit aller Kraft und Wahrheit, wie sie im Künstler sich regten, und mit allen Mitteln der Kunst darzustellen; auch gaben die liturgischen Texte vielfache Veranlassung zum lebhaften Ausdruck tief erregter, ja bis zur Leidenschaft gesteigerter Gefühle; sie boten Gelegenheit dar für eine fast dramatisch lebendige Darstellung einzelner Situationen; selbst die Pracht des Cultus mochte wohl [440] dazu einladen, alle Mittel einer glänzend sich entwickelnden Kunst in den Dienst des Heiligen zu nehmen, wie dies ja auch mit der bildenden Kunst geschehen war. So wurde dieser neue Weg betreten ebensowohl mit dem reinen Eifer eines neu belebten künstlerischen Strebens als mit dem unbefangenen Sinn einer Frömmigkeit, welche das Beste das sie besitzt und leistet zu heiligen glaubt, indem sie es der Kirche darbringt. Fortan beruhete die Heiligkeit und Würde der Kirchenmusik allein auf der individuellen Kraft und Tiefe, dem subjectiven Ernst und Genie des Künstlers. Es lag aber in dem ganzen Gange der geistigen Entwickelung jener Zeit und besonders bei den Italiänern daß die Gefahren, welche stets die aus den Schranken einer beengenden Tradition zu völliger Freiheit sich entwickelnde Kunst bedrohen, sich bald einstellten und als nicht zu überwindende erwiesen. Während die Kirche im Bewußtsein ihrer Macht und mit wohlberechneter Klugheit sich gegen die freier sich entwickelnde Kunst, soweit sie in derselben ein wirksames Mittel zu ihrer Verherrlichung erkannte, tolerant erwies, hielt sie dagegen mit unerbittlicher Strenge fest an den Satzungen und Gebräuchen, welche auch die Kunst in ihrem Wesen wie in ihrer Form an unzerreißbaren Fäden gebunden hielten. Auch lag es weder im Geist jener Zeit noch war es die Art der Italiäner mit nachdrücklicher Beharrlichkeit sich jene absolute geistige Freiheit zu erringen, welche allein aus steh selbst die Gesetze des künstlerischen Schaffens in stets erneuertem Streben und Kämpfen zu erfassen und festzustellen die Kraft schöpft; man freute sich des im raschen Anlauf Gewonnenen und ließ sich an einer gewissen Freiheit äußerlich damit zu schalten genügen. Daher tritt denn verhältnißmäßig rasch ein Formalismus ein, der sich wiederum auf die Handhabung gegebener Formen beschränkt, wie ja der Sinn der Italiäner überhaupt [441] der in ausgeprägten Formen sich aussprechenden Schönheit zugewendet ist und deshalb auch in der Kirchenmusik dieselbe in der Weise erstrebte, welche damals allgemeine Geltung hatte. Diesen Ausdruck aber hatte dieselbe auf dem Gebiet der Musik in jener Zeit entschieden in der Oper gefunden, und das geistige und künstlerische Element, welches sich in den Formen der Kirchenmusik kund giebt, ist nicht dem kirchlichen Leben entnommen, sondern dem künstlerischen der Oper; sie spricht der Hauptsache nach nicht sowohl zum kirchlichen Glauben der Gemeinde, als zum Schönheitsgefühl der musikalisch Gebildeten. Dieses Verhältniß zur Oper wurde allerdings nicht zu einer Abhängigkeit in der Weise, daß die bestimmten Formen, welche sich dort wie wir sahen ausgebildet hatten, ohne Weiteres auf die Kirchenmusik übertragen worden wären; dies verboten, von anderen Rücksichten abgesehen, schon die liturgischen Formen des Gottesdienstes, denen die Musik sich unterwerfen mußte – ein Zwang, der, wo er nicht kleinlich ausgeübt wurde, von wohlthätigem Einfluß war. Allein man gab auch den Zusammenhang mit den alten Kirchentönen auf, welchen die ältere Kirchenmusik festgehalten hatte, indem sie an die Intonation des Priesters sich anschließend, ihre Motive daher entlehnte und die Behandlung derselben auf das altüberlieferte Tonsystem gründete. Indem man dafür die Freiheit durchaus selbständiger Erfindung gewann, verzichtete man auf eine musikalische Symbolik, welche, zumal bei einer dem Cultus dienenden Kunst, schlechthin unersetzlich ist. Denn wenn auch späterhin noch mitunter einzelne Motive den Kirchentönen entnommen wurden, so hatte das keineswegs mehr dieselbe Bedeutung, theils weil dies etwas Vereinzeltes, nicht mehr im Zusammenhang lebendiger Tradition Stehendes war, theils weil die musikalische Bearbeitung derselben in Sinn und Weise der neueren Richtung [442] ausgeführt wurde. Diese aber ging hauptsächlich darauf hin, der erregten Empfindung und Leidenschaft einen starken und lebhaften Ausdruck zu geben und verschmähte es nicht durch ganz individuelle und rein subjective Auffassung der musikalischen Gestaltung eine eigenthümliche Färbung und eben dadurch einen neuen Reiz zu verleihen. War man einmal auf diese Bahn eingelenkt, so konnte es nicht fehlen daß die im musikalischen Geschmack immer stärker hervortretende Neigung für das sinnlich Reizende, für eine anmuthige Weichheit auch auf dem Gebiet des Kirchlichen sich geltend machte. Endlich erwies sich die Herrschaft der Gesangskunst, welche den Entwickelungsgang der Oper bestimmte, auch in der Kirchenmusik mächtig. Die Gewöhnung an die Art des musikalischen Genusses, welchen die vollendete Virtuosität der Sänger gewährte, vereinigte sich mit der Vorstellung, daß diejenigen musikalischen Leistungen, welche der herrschenden Geschmacksrichtung nach als die höchsten überhaupt angesehen wurden, auch am würdigsten seien dem Heiligsten zu dienen, und dem Glanze mit welchem der Cultus sich umgab am besten entsprächen. So drang auch die Virtuosität in die Kirche ein, und wir finden daher nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts die Kirchenmusik, abgesehen von manchen Unterschieden in der Behandlung des Formalen, dem Wesen nach auf derselben Stufe mit der Opernmusik und mit denselben Mitteln in gleichem Sinn und Geist wirkend wie diese.

Mit dem Einfluß, welchen die italiänische Musik durch die Oper und die Virtuosen in Deutschland gewann, drang sie auch in die Kirchen des katholischen Deutschlands ein und gelangte hier zur völligen Herrschaft. Dabei stellte sich aber ein erheblicher, wenn gleich damals schwerlich empfundener oder zum Bewußtsein gebrachter nachtheiliger Unterschied heraus. Die ganze Auffassung und Ausdrucksweise der italiänischen [443] Kirchenmusik, wie sehr sie auch verweltlicht und von kirchlicher Frömmigkeit entfernt sein mochte, war doch in ihrem Wesen national, und nicht allein insofern sie manche volksthümliche Elemente aufnahm und benutzte, sondern weil sie in den Grundempfindungen und der Art sie auszusprechen mit dem Volk in einem lebendigen Zusammenhang stand, hatte sie Anspruch auf objective Wahrheit und ein unmittelbares Verständniß beim Volk. Bei der Uebertragung dieser Kirchenmusik als einer fertigen nach Deutschland fiel die einzig gültige Voraussetzung einer lebendigen Wirksamkeit mit der nationalen Grundlage fort19; Auffassung und Darstellung mußten als fremde durch Vermittelung der künstlerischen Bildung angeeignet werden, und es wurde was in Italien im Zusammenhange mit der Entwickelung des Volkes sich ausgebildet hatte, hier zur bloßen Form. Dabei mußte der Unterschied der Nationalität nur um so mehr hervortreten; der seine Sinn für das Schöne, für Anmuth und Grazie, das leicht erregte leidenschaftliche Gefühl, welche den Italiänern eigen sind, wurden bei der Uebertragung ins Deutsche nur zu oft vermißt, und es ist sehr begreiflich, daß hier das was nur ein äußerlich Aufgenommenes und Angeeignetes war noch oberflächlicher und formeller behandelt wurde als da, wo es auf eigenem Boden gewachsen war. Ferner machte sich ein schon berührter Irrthum ebenfalls häufiger [444] geltend, die Meinung als ob contrapunktische Arbeit, namentlich in der Form der Fuge, den Charakter des Kirchlichen oder auch nur des Ernsten und Würdigen an sich besäße, weshalb auch nach dieser Richtung, da man derartige Stücke als einen unerläßlichen Schmuck guter Kirchenmusik ansah, ein geistlos routinirtes Formelwesen einriß. So vereinigten sich mehr und mehr Leichtfertigkeit und Pedanterie, Oberflächlichkeit und Trockenheit, und die Kirchenmusik verfiel rascher und sichtlicher als die Oper. Dies liegt zum Theil darin daß der Zwiespalt zwischen dem wahren inneren Wesen derselben und der mehr und mehr abgelebten Form hier, wo er tiefer liegt, auch bedeutender zu Tage tritt; zum Theil darin, daß ein viel allgemeineres und weiter gehendes Bedürfniß nach Kirchenmusik, deren der Cultus nicht wohl entrathen konnte, ungleich mehr mittelmäßige Kräfte in Anspruch nahm als dies bei der Oper der Fall war, wo schon die Rücksicht auf den Beifall des Publicums dazu nöthigte, eine Auswahl zu treffen und das Ausgezeichnete hervorzuziehen. Unter diesen Umständen war es auch auf diesem Gebiet viel schwieriger, selbst für ein hervorragendes Genie, anders als im Einzelnen sich auszuzeichnen, da durchgreifende Neuerungen und wesentliche Umgestaltungen hier nur möglich sind, wenn die Bestrebungen des Einzelnen von dem Geiste der Zeit und des Volkes getragen und gefördert werden.

Diese allgemeine Lage der Kirchenmusik wurde nun an einzelnen Orten theils durch die besonderen localen Eigenthümlichkeiten der Liturgie, theils durch die Geschmacksrichtung der Kirchenvorsteher, theils durch die Verschiedenartigkeit der Kräfte, für welche der Componist zu arbeiten hatte20, [445] mannigfach bedingt und modificirt. Die eigenthümlichen Verhältnisse, unter welchen Mozart in Salzburg schreiben mußte, deutete er selbst in einem Briefe an den Pater Martini (4. Sept. 1776) an21. »Ich lebe hier« schreibt er »an einem Ort, wo die Musik wenig Glück macht, obgleich hieselbst, auch nachdem einige fortgegangen sind, noch sehr tüchtige Musiker und besonders tüchtige Componisten von gründlichem Wissen und Geschmack sind. Mit dem Theater sind wir aus Mangel an Sängern übel daran; wir haben keine Castraten und werden deren schwerlich haben, denn sie wollen gut bezahlt sein und Freigebigkeit ist nicht unser Fehler. Ich unterhalte mich indeß damit daß ich für die Kammer und die Kirche schreibe, und es sind hier noch zwei sehr tüchtige Contrapunktiker Haydn und Adlgasser. Mein Vater ist Kapellmeister an der Metropolitankirche, wodurch ich Gelegenheit habe für die Kirche zu schreiben so viel ich will. Uebrigens da mein Vater schon 36 Jahr im Dienste dieses Hofes ist und weiß daß der Erzbischof Leute von vorgerücktem Alter nicht gern sieht, so nimmt er sich der Sache nicht allzusehr an und hat sich der Litteratur zugewendet, die schon ohnedies sein Lieblingsstudium war. Unsere Kirchenmusik ist sehr verschieden von der in Italien und wird es immer mehr. Eine Messe mit dem Kyrie, Gloria, Credo, der Sonata zur Epistel, dem Offertorium oder Mottetto, Sanctus undAgnus Dei, auch die feierlichste, wenn der Erzbischof selbst das Hochamt hält, darf nicht länger dauern als höchstens drei Viertelstunden. Diese Art von Compositionen [446] verlangt ein eigenes Studium. Und dabei muß es eine Messe mit allen Instrumenten, Trompeten und Pauken u.s.w. sein. Ach, wären wir nicht so entfernt von einander, wie viel hätte ich Ihnen noch zu sagen!«22

Nach diesen allgemeinen Bemerkungen können wir uns der Würdigung von Mozarts Wirksamkeit auf dem Gebiet der Kirchenmusik durch die Betrachtung der einzelnen Werke zuwenden23.

Fußnoten

1 [Koch-Sternfeld] Die letzten dreißig Jahre des Erzbisthums Salzburg S. 255: »Die Hofmusik [unter Hieronymus] zeichnete sich aus; soll aber die verhältnißmäßig besser bezahlte des Erzbischofs Sigismund nicht erreicht haben.« Vgl. Burney Reisen III S. 260f. Schubart Aesthetik S. 157.


2 Die »Nachricht von dem gegenwärtigen Zustande der Musik Sr. Hochfürstlichen Gnaden des Erzbischofs zu Salzburg im Jahre 1757« in Marpurgs krit. Beitr. III S. 183ff., welche wie ich vermuthe von Leop. Mozart herrührt, liegt dem von mir Angeführten zu Grunde. Die Quellen für eine genauere Kenntniß der musikalischen Zustände und Persönlichkeiten außer den Notizen, welche der Mozartsche Briefwechsel bietet, sind sehr spärlich. Ben. Pillweins Lexikon salzburgischer Künstler (Salzburg 1821) ist für die Musiker oberflächlich, ebenso die Biographien salzburgischer Tonkünstler (Salzb. 1845).


3 In der erwähnten Nachricht werden die Salzburger Jos. Meißner, Bassist, und Felix Winter, Tenorist, als in Italien gebildete Sänger genannt.


4 Ich weiß nicht, ob dies der Altist Franc. Ceccarelli ist, welcher 1752 in Foligno geboren, später bei der Oper in Dresden engagirt war und dort 1814 starb.


5 Ernst Eberlin, zu Jettenbach in Schwaben 1716 geboren, war, ehe er Kapellmeister und Truchseß wurde, Hoforganist in Salzburg. Was über ihn berichtet wird, geht auf die oben erwähnte Nachricht zurück, wo es von ihm heißt: »Wenn jemand den Namen eines gründlichen und fertigen Meisters in der Setzkunst verdient, so ist es gewiß dieser Mann. Er hat die Töne ganz in seiner Gewalt; und er setzet mit solcher Behendigkeit, daß es mancher für eine Fabel halten würde, wenn man ihm die Zeit bestimmen wollte, in welcher dieser gründliche Setzer diese oder jene beträchtliche Composition zu Stande gebracht hat. Was die Menge seiner verfertigten Musikstücke betrifft, kann man ihn den zween so sehr fleißigen als berühmten Hrn. Componisten Scarlatti und Teleman an die Seite stellen. Im Druck sind nur die Toccaten für die Orgel von ihm bekannt.« Ein Heft Orgelfugen erschien in Nägelis Sammlung class. Musik.


6 Gius. Lolli, geboren in Bologna, wurde 1748 Vicekapellmeister in Salzburg. Erwähnt werden von ihm einige Oratorien, Messen und Vespern.


7 Domenico Fischietti, geboren 1729 in Neapel, wo er seine Studien machte, schrieb eine Reihe von Opern und kam als Compositore und Maestro di musica der Operngesellschaft von Jos. Postelli 1765 nach Dresden (Hiller wöch. Nachr. I S. 35), wo er im folgenden Jahr als Kirchencomponist angestellt wurde (ebend. I S. 26).


8 Vgl. Beil. V, 49, wo Mozart über ihn spottet; auch erwähnt er seiner in dem Briefe an Padre Martini (Beil. VI, 2) nicht.


9 [Schinn und Otter] Biographische Skizze von Michael Haydn. Salzb. 1808. – Michael Haydn, Josephs jüngerer Bruder, war 1737 in Rohrau geboren und erwarb sich seine musikalische Bildung in Wien. Im Jahre 1757 wurde er als Kapellmeister nach Großwardein berufen, und kam von da nach Salzburg, das er nicht mehr verließ. Er starb dort 1806.


10 Haydn hatte die Musik für die Zwischenacte zu Zaire so gut gemacht, daß der Erzbischof ihm die Ehre anthat bei Tafel zu sagen, er hätte nicht geglaubt, daß der Haydn so etwas zu machen im Stande sei, er sollte anstatt Bier nichts als Burgunder trinken; worauf er ihm dann als Belohnung – 6 Kronthaler auszahlen ließ, wie Leop. Mozart seinem Sohne schreibt (1. Oct. und 9. Oct. 1777).


11 Seine Biographien erzählen (S. 16), daß er gewöhnlich nach einem Augustinerkloster spatzieren ging, wo er sich mit Lectüre und Musik unterhielt, »auch dabei ein gutes Glas Bier nicht ausschlug. Den steten Genuß des Weins verbot ihm das beschrankte Einkommen. Erst spät am Ende besuchte er den berühmten Keller des Stiftes zu St. Peter, welchen er auch in einem scherzhaften Liede mit Melodie besang. Am besten schmeckte ihm das Glas, mit dem er sich jedoch nie gegen die Mäßigkeit versündigte, wenn ihn ein guter Freund und vorzüglich der Herr Abt des besagten Stifts damit regalirte und er dessen unter Sang und Klang genießen konnte.« Das Haydnstübchen im Keller von St. Peter, in welchem Haydns Portrait hangt, ist besonders seit dem Mozartfeste zu großem Ruf gekommen. Haydns Neigung zu einem guten Trunk ist noch jetzt in Salzburg allgemein bekannt; wenn seine Biographen wohl allzuglimpflich urtheilen, sind die Ausdrücke Leop. Mozarts vielleicht etwas zu herbe.


12 Leop. Mozart schreibt an Wolfgang (20. Dec. 1777): »Wer meinst du wohl ist Organist bei der heil. Dreifaltigkeit geworden? – Hr. Haydn! Alles lachte. Das ist ein theurer Organist; nach jeder Litaney saust er ein Viertel Wein, zu den übrigen Diensten schickt er den Lipp, der will auch saufen.« – (29. Juni 1778): »Nachmittags spielte Haydn bei der Litaney und Te deum laudamus (wo der Erzbischof zugegen war) die Orgel, aber so erschröcklich daß wir alle erschracken und glaubten, es werde ihm wie dem seel. Adlgasser ergehen [der auf der Orgel vom Schlag getroffen wurde]. Es war aber nur ein kleiner Rausch, der Kopf und die beiden Hände konnten sich gar nicht mit einander vergleichen.« – – »Haydn wird sich in wenig Jahren die Wassersucht an Hals saufen, oder wenigstens, da er itzt schon zu allem zu faul ist, immer fauler werden, je alter er wird.« Auch in K. R[isbecks] Briefen eines reisenden Franzosen über Deutschland (1784) heißt es (I S. 357): »Joseph Haydn hat einen Bruder, welcher Kapellmeister zu Salzburg ist und ihm in der Kunst nichts nachgiebt; allein es fehlt diesem an Fleiß um sich zu dem Ruhm seines Bruders aufzuschwingen.« Dieser Vorwurf mag sich aber wohl hauptsächlich auf eine Abneigung gegen gewisse Amtsgeschäfte beziehen, denn als Componist war Michael Haydn wenigstens in späteren Jahren ungemein fleißig.


13 Wolfgang spottet in einem Briefe an Bullinger (7. Aug. 1778): »Es ist wahr, die Haydn ist kränklich; sie hat ihre strenge Lebensart gar zu sehr übertrieben; es giebt aber wenige so! – mich wundert daß sie durch ihr beständiges Geißeln, Peitschen, Ciliciatragen, übernatürliches Fasten, nächtliches Beten ihre Stimme nicht schon längst verloren hat.« Leop. Mozart schrieb seinem Sohne (11. Juni 1778) Haydn habe wenig Aussicht auf Beförderung, weil sie eine gewisse Judith, die Geliebte des Violinisten Brunetti, eines ausschweifenden Menschen, zu sich ins Haus genommen hätten.


14 Als davon die Rede war daß Haydn vom Erzbischof nach Italien geschickt werden solle, schreibt Leop. Mozart (4. Dec. 1777): »Man sagt nun es wäre auf der Guardarobba bereits ein gutes Winterkleid für Hrn. Haydn auf die Reise nach Italien angeschafft. – Den möcht ich in Italien mit den Walschen reden hören! da werden sie gewiß sagen: questo è un vero Tedesco!« Wolfgang vergleicht Schweizer mit ihm und sagt (3. Dec. 1777) er sei »trocken und glatt wie unser Haydn, nur daß die Sprache seiner ist.«


15 »Hr. Haydn ist ein Mann,« schreibt er seinem Sohne (24. Sept. 1778) »dem du seine Verdienste in der Musik nicht absprechen wirst.« Die Musik zu Zaire, von welcher noch die Rede sein wird, lobt er außerordentlich.


16 Von Wien aus erbittet er sich (4. Jan. 1783) »auf klein Papier, blau eingebunden [vgl. S. 417, Anm. 7] Contrapunkte von Eberlin und etwelche Sachen von Haydn dabei.« Dies Buch enthielt nach einer Notiz, welche Al. Fuchs sich darüber gemacht hatte, von Mozarts Hand in Partitur geschrieben:


M. Haydn, In te domine speravi, fuga a 4 voci 2

Viol. Org.

Eberlin, Missa canonica a 4 voci Organo (drei ver-

schiedene).

Eberlin, Hymnus Recessit pater noster a 4 voci.

Eberlin, Hymnus Tenebrae factae sunt a 4 voci Org.

Eberlin, Graduale pro dominica in palmis Tenuisti a

4 voci Org.

Eberlin, Offertorium pro dominica in palmis Impro-

perium a 4 voci Org.

Eberlin, Communio pro dominica in palmis Pater si

Potest a 4 voci Org.

M. Haydn, Tenebrae a 4 voci Org.

Eberlin, 3 Motetti In nomine domini; Christus factus

est; Domine Jesu a 4 voci.

M. Haydn, Ave Maria pro adventu Domini a Sopr.

solo c. rip.

Eberlin, Benedixisti a 4 voci Org.

Eberlin, Cum sancto spiritu, fuga a 4 voci.

Eberlin, Kyrie, fuga a 4 voci.

Eberlin, Cum sancto spiritu, fuga a 4 voci.


Kurze Zeit darauf schreibt er (12. März 1783): »DasTres sunt [M. Haydns] muß von meiner Hand in Partitur geschrieben sein.« In dem Nachlaß Mozarts bei André findet sich (Verz. 26) die Fuge Pignus futurae gloriae aus der gedruckten Litanei M. Haydns von Mozarts Hand abgeschrieben. Eine andere Fuge auf denselben Text, ebenfalls von Mozart abgeschrieben, befindet sich ebendaselbst (Verz. 25). Das Original der vollständigen Litanei, aus welcher diese Fuge entlehnt ist, besitzt Hr. Ruhl in Frankfurt; es trägt die Unterschrift Salisburgo 8va Aprilis 1764 und ist vermuthlich von Mich. Haydn.


17 Mozart ließ sich diese Sachen für die sonntäglichen Aufführungen bei van Swieten schicken und erbat sich für dieselben auch die neuesten Fugen Mich. Haydns: »Das Lauda Sion« schreibt er (12. März 1783) »möchte gar zu gern hören lassen – die Fuge In te Domine speravi hat allen Beyfall erhalten, wie auch das Ave Maria und Tenebrae


18 Zu erwähnen sind auch die Domorganisten. Anton Cajetan Adlgasser, geb. 1728, war ein Schüler Eberlins und vom Erzbischof zu seiner weiteren Ausbildung nach Italien geschickt worden. Im Jahr 1751 wurde er erster Hof- und Domorganist und starb 1777 vom Schlage getroffen während er die Orgel spielte. Er war ein tüchtiger Orgelspieler und Accompagnist und hatte mehrere Kirchencompositionen geschrieben, die auch später noch in Salzburg aufgeführt und geschätzt wurden. Weniger bedeutend war der zweite Domorganist Franz Ign. Lipp, der Schwiegervater Mich. Haydns.


19 Die protestantische Kirchenmusik gewann bei der Reformation durch die Aufnahme des Volksliedes in die Kirche ein frisches volksthümliches Element, welches zu einer Regeneration der Kirchenmusik hätte führen können; leider erstarrte dasselbe mit dem Verknöchern der protestantischen Theologie zu einem unlebendigen Dogmatismus zu dem unrhythmischen Choral, dessen hoher Werth auch für die kunstmäßige Kirchenmusik wesentlich nur in seiner symbolischen Bedeutung als Gemeindegesang beruht.


20 So schreibt Mozart über die Kirchenmusik in Manheim (4. Nov. 1777): »Es laßt sich eine schöne Musik machen, aber ich getrauete mir keine Messe von mir hier zu produciren. Warum? – Wegen der Kürze? – Nein, hier muß auch Alles kurz seyn. – Wegen dem Kirchenstyl? – Nichts weniger, sondern weil man hier jetzt bei dermaligen Umständen hauptsächlich für die Istromenti schreiben muß, weil man sich nichts Schlechteres gedenken kann als die hiesigen Vocalstimmen.«


21 Vgl. Beilage VI, 2.


22 Einige Besonderheiten der äußeren Einrichtung für die Kirchenmusik in der Domkirche lernen wir aus der oben erwähnten Nachricht kennen (Marpurg krit. Beitr. III S. 195): »Die hochfürstliche Domkirche hat hinten beim Eingang der Kirche die große Orgel, vorn beim Chor vier Seitenorgeln und unten im Chor eine kleine Chororgel, wobei die Chorsänger sind. Die große Orgel wird bei einer großen Musik nur zum Präludiren gebraucht; bei der Musik selbst aber wird eine der vier Seitenorgeln beständig gespielt, nämlich die nächste am Altar rechter Hand, wo die Solosänger und die Basse sind. Gegenüber auf der linken Seitenorgel sind die Violinisten u.s.w. und auf den beiden anderen Seitenorgeln sind die zwei Chöre Trompeten und Pauken. Die untere Chororgel und Violon spielen, wenn es völlig gehet, mit.«


23 Eine Uebersicht der mir bekannt gewordenen Kirchencompositionen Mozarts aus dieser Periode ist Beilage VIII gegeben; auf deren Nummern ich mich im Folgenden beziehen werde.


Quelle:
Jahn, Otto: W.A. Mozart. Band 1, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1856, S. 1.
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