14.

Diese Arbeiten in der Kirchenmusik zeigen uns ein anhaltendes und erfolgreiches Streben auf einer bereits früher eingeschlagenen Bahn selbst unter ungünstigen Umständen; auf ein neues Gebiet führen uns Mozarts Versuche in der dramatischen Musik.

Bei der außerordentlichen Neigung für die Bühne zu schreiben, welche er bei jeder Gelegenheit verrieth und die durch die mannigfachen Anregungen der Reise nur erhöhet war, werden wir uns nicht wundern, wenn selbst die theatralischen Unternehmungen in Salzburg ihm eine erwünschte Veranlassung zum Componiren boten. Als er wieder nach Hause kam, gab eine Schauspielergesellschaft unter Böhms Direction dort Vorstellungen; im Jahr 1780 finden wir Schikaneder1 mit seiner wandernden Truppe, der [379] mit der Mozartschen Familie befreundet wurde2 und schon damals Mozarts Talent für sich zu benutzen verstand3. Diesen Aufführungen verdanken, obgleich die Zeit der Entstehung nicht mehr genau zu ermitteln ist, zwei größere Arbeiten ihren Ursprung.

Die erste ist die Musik zu »Thamos, König in Egypten«, einem heroischen Drama von Gebler4, dessen Inhalt kurz anzugeben sein wird, da es so gut wie verschollen ist5. Menes, König von Aegypten, ist durch einen Empörer Ramesses vom Thron gestürzt und wie man allgemein glaubt umgekommen; [380] er lebt aber unter dem Namen Sethos als Oberpriester des Sonnentempels, nur ein Priester Hammon und der Feldherr Phanes wissen um das Geheimniß. Nach dem Tode des Ramesses ist sein Sohn Thamos Erbe des Throns; der Tag ist gekommen, wo er, mündig geworden, mit dem Diadem geschmückt werden und sich eine Gemahlin wählen soll. Vergebens suchen die Freunde Menes zu bestimmen, daß er seine Ansprüche auf den Thron geltend mache, er will dem edlen Jüngling, den er achtet und liebt, nicht entgegen treten. Aber Pheron, ein Fürst und Vertrauter des Thamos, hat gegen ihn im Bunde mit Mirza, der Vorsteherin der Sonnenjungfrauen, eine Verschwörung angestiftet und bereits einen Theil des Heeres gewonnen. Tharsis, die Tochter des Menes, welche von Allen (auch von ihrem Vater) todt geglaubt wird, ist von Mirza unter dem Namen Sais erzogen; sie soll als die rechtmäßige Thronerbin ausgerufen werden, und da sie dann ihren Gemahl zu wählen das Recht hat, so will Mirza sie im Voraus für Pheron gewinnen. Da sie entdeckt daß Sais den Thamos liebt, – so wie dieser sie – verleitet sie dieselbe durch eine Täuschung zu dem Wahn, daß Thamos vielmehr ihrer Gespielin Myris seine Neigung schenke, und Sais ist edelmüthig genug ihre Liebe und die Hoffnung auf den Thron der Freundin zu opfern. Ebenso edelmüthig weist Thamos jeden Verdacht gegen Pheron zurück und überträgt ihm vielmehr den Oberbefehl. Da nun die Zeit der Ausführung naht, entdeckt zuerst Pheron dem Sethos, den er für einen treuen Anhänger des Menes und demnach für einen Feind des Thamos hält, das Geheimniß wer Sais sei und seine Pläne; dieser trifft sogleich in der Stille Vorbereitungen um Thamos zu retten. Auch Sais wird darauf durch Mirza und Pheron, nachdem sie mit einem Eid Schweigen gelobt hat, in das Geheimniß eingeweiht und soll erklären [381] daß sie Pheron wählen werde. Da sie eine bestimmte Antwort ablehnt, spricht Pheron gegen Mirza seinen Entschluß aus im äußersten Fall sich des Thrones mit Gewalt zu bemächtigen. Sais, die sich von Thamos nicht geliebt glaubt und ihn deshalb nicht zum Gemahl wählen, aber auch ihn nicht vom Thron stoßen will, thut das feierliche und unwiderrufliche Gelübde sich dem Dienst der Sonne als Jungfrau zu weihen; Thamos kommt dazu, und nun entdeckt sich zu ihrem Leid ihre gegenseitige Liebe. Sethos, der zu ihnen tritt, klärt jetzt Thamos über die Treulosigkeit Pherons auf, ohne ihm die Herkunft der Sais zu entdecken. Pheron, den die sich verbreitende Nachricht daß Menes noch lebe bestürzt macht, kommt um mit Sethos Rath zu pflegen und bleibt fest bei seinem verrätherischen Plan. In feierlicher Versammlung soll Thamos als König bestätigt werden, da beweist Mirza daß Sais die todt geglaubte Tharsis und die Erbin des Thrones sei: Thamos ist der erste, der ihr als Königin huldigt. Als sie darauf gedrängt wird zwischen Thamos und Pheron zu wählen erklärt sie daß sie durch ein Gelübde gebunden und Thamos der nächste dem Thron sei. Nun ruft Pheron seine Anhänger zu den Waffen, als Sethos dazwischen tritt und sich als Menes zu erkennen giebt: Alles stürzt ihm in freudiger Rührung zu Füßen, Pheron wird entwaffnet und abgeführt, Mirza ersticht sich selbst. Menes entbindet als Herrscher und Vater Sais ihres Gelübdes, vereint sie mit Thamos und hebt beide auf den Thron. Den Beschluß macht die Botschaft, daß Pheron unter Gotteslästerungen vom Blitz erschlagen sei6.

[382] Zu diesem Drama hatte Mozart zunächst vier Instrumentalsätze geschrieben, welche zwischen den Aufzügen, und einen, welcher zum Schluß des Ganzen gespielt werden sollte7. Es war kein neuer Gedanke zu bedeutenden Dramen eine entsprechende Musik zu componiren statt der damals wie heute gewöhnlich zu Anfang und in den Zwischenacten ohne verständige Wahl abgespielten gleichgültigen oder störenden Instrumentalsätze. Schon Scheibe8 hatte im Jahr 1738 für das [383] Theater der Neuberin Musik zum Polyeukt und Mithridat geschrieben und sich dann ausführlich über diese Gattung von Musik erklärt9, ihm waren Hertel10 mit der Musik zu Cronegks Olint und Sophronia und andere gefolgt, unter ihnen[384] Agricola11 mit einer Musik zur Semiramis (nach Voltaire), welche Lessing einer Analyse würdig geachtet hat12. Auch in Salzburg hatte M. Haydn im Jahr 1777 eine Musik zur Zaire gemacht, welche mit großem Beifall aufgenommen war13.

Die Musik zum König Thamos14 hat auffallend genug keine Ouverture, was vielleicht darin seinen Grund hat daß das Drama mit einem Chor beginnt, also schon mit Musik eingeleitet wird und durch eine Ouverture nicht noch verlängert werden sollte15. Jeder Entreact schließt sich an die [385] Schlußscene des vorhergehenden Acts an und sucht die in derselben erregten Empfindungen musikalisch auszudrücken; Mozart hat jedesmal kurz darüber geschrieben was ihm das leitende Motiv war. So steht über dem ersten Satz: »Der erste Akt schließt mit dem genommenen Entschluß zwischen Pheron und Mirza den Pheron auf den Thron zu setzen.« Auf die Schlußworte der Mirza: »Mirza ist ein Weib und zittert nicht. Du ein Mann: herrsche oder stirb!« fällt das Orchester mit drei feierlichen, durch Pausen gehobenen Accorden ein; dann beginnt ein unruhig bewegtes Allegro (inC-moll). Dieses hat allerdings etwas von einem aufregenden Gespräch und wer im Theater saß konnte wohl Mirza als die den Pheron aufstachelnde, leidenschaftliche Frau in demselben heraushören; übrigens ist die Charakteristik – was bei einer so allgemein gehaltenen Situation nicht zu verwundern ist – nicht sehr bedeutend. Bemerkbar ist nur daß die einzelnen Glieder der Motive kürzer und contrastirender sind als sonst gewöhnlich bei Mozart, übrigens haben wir einen in gewöhnlicher Weise geordneten, nur nicht ausgeführten Satz in zwei Theilen mit einer Coda vor uns. Der zweite Entreact hat womöglich eine noch allgemeinere Aufgabe. »Thamos guter Charakter zeigt sich am Ende des zweiten Aufzugs; der dritte Act fängt sich mit Thamos und dem Verräther Pheron an« – mit jener Unterredung, wo Thamos dem Pheron seinen festen Glauben an dessen Treue ausspricht und seinetwegen auf Sais verzichtet, während dieser fortfährt zu heucheln. Auch hier hat Mozart einen ganz ähnlich gegliederten zweitheiligen Satz (Andante, B-dur) geschrieben, allein er hat zu dem Auskunftsmittel gegriffen, den Charakter der beiden Personen durch bestimmte Motive zu charakterisiren, die er auch durch Ueberschriften bezeichnet


14.

14.

14.

14.

[388] Man sieht leicht daß der musikalische Contrast die Hauptsache ist und daß die Charakteristik der Stimmung wiederum eine sehr allgemeine ist, ganz abgesehen davon daß Ehrlichkeit und Falschheit musikalisch nicht auszudrücken sind, – was auch Mozart trotz seiner naiven Ueberschriften schwerlich so gemeint hat. Die Unzulänglichkeit solcher Charakteristik zeigt sich auch im zweiten Theil, wo beide Charaktere zusammen gestellt werden


14.

Hier ist der Ausdruck der Empfindung noch allgemeiner geworden, wenn sie gleich durch einzelne Momente des Gesprächs angeregt ist, und wir haben hier die musikalische Ausbildung der einmal gegebenen Motive vor uns, nicht den Verfolg einer dramatischen Situation; anders kann freilich der Musiker auch gar nicht verfahren. Günstiger stellte sich die Aufgabe beim dritten Entreact. Hier schließt sich die Musik zunächst an die letzte Scene an – »der dritte Aufzug schließt mit der verrätherischen Unterredung der Mirza und des [389] Pheron« – in einem wild bewegten, stark accentuirten Allegro, das aber bald abbricht und verhallt. Damit wendet die Musik sich dem Anfang des vierten Actes zu, welcher mit dem Gelübde beginnt, welches die getäuschte Sais ablegt. Hierge wahrt man deutlich den Einfluß der Melodramen auf Mozart; denn er verfolgt mit seiner Musik den ganzen Monolog der Sais16 in seinen einzelnen Wendungen (die jedesmal durch eine Ueberschrift angedeutet sind), so daß man zweifeln könnte, ob er nicht an wirklich melodramatischen Vortrag gedacht habe; allein es sind keine Pausen für die Reden gelassen, und der Fluß des musikalischen Vortrags geht, obgleich in dem nicht sehr langen Satz das Tempo öfter wechselt, ununterbrochen fort. Merkwürdig ist es, daß trotz dieser Zertheilung in einzelne Momente doch der ganze, ausdrucksvolle Satz Zusammenhang und Einheit, und den durchweg festgehaltenen Charakter einer zarten Anmuth hat, welche einer schüchternen Jungfrau wohl entspricht. Uebrigens ist [390] nicht zu verkennen, daß grade diesen Satz, der die erste Scene vollständig vorwegnimmt, der Lessingsche Vorwurf am meisten trifft, obwohl er an sich der ansprechendste und wohl auch der gelungenste ist. Der vierte Entreact ist wiederum ein lebhafter Satz (Allegro vivace assai), der die »allgemeine Verwirrung« schildern soll, mit welcher der vierte Aufzug schließt; und allerdings läßt sich in dem unruhig bewegten Motiv mit dem ein anderes würdig gehaltenes zusammengestellt ist der Gegensatz der Verschwörer und des Thamos mit seinen Anhängern erkennen, aber auch nur unter der Voraussetzung daß man von dem unterrichtet ist, worauf die Musik dentet. Dies ist freilich bei den Zuhörern im Theater, welche die Kenntniß der factischen Voraussetzungen von der Bühne her der Musik entgegenbringen, der Fall, und da für diese eine so allgemein gehaltene Charakteristik ausreicht, so erfüllt diese Musik ihren nächsten Zweck. Dieser Zweck aber – das darf man nicht übersehen – ist ein für die Musik als eine selbständige Kunst untergeordneter; er bindet sie an Voraussetzungen, die außerhalb ihres Wesens liegen und deren Kenntniß doch für die richtige Auffassung unerläßlich ist, weil sie eine Darstellung veranlassen, die im Einzelnen willkührlich und übertrieben erscheinen müßte, wäre sie nicht durch jene äußere Veranlassung gerechtfertigt; die Musik wird also dadurch in eine viel stärkere Abhängigkeit gebracht als durch die Worte eines zu componirenden Textes, ohne die Vortheile, welche die unmittelbare Verständlichkeit des Wortes bringt, zu gewinnen17. Der Schlußsatz schildert »Pherons Verzweiflung, [391] Gotteslästerung und Tod«; da diese Stimmung mit einem furchtbaren Donnerwetter zusammenfällt, so lehnt sich die musikalische Charakteristik zunächst hieran an, ohne – wie schon die Ueberschrift beweist – eine eigentliche Detailmalerei zu beabsichtigen; es ist ein wildkräftiger Satz von einer der Aufgabe ganz entsprechenden Wirkung18.

Man kann nicht verkennen daß Mozart sich mit einem gewissen Behagen an die Aufgabe gemacht hat, durch die Instrumentalmusik so im Detail zu charakterisiren, wie ihn denn in Mannheim die analoge Verwendung derselben im Melodrama so sehr eingenommen hatte, und doch überwiegt bei ihm fast überall das Moment der musikalischen Gestaltung. Im Wesentlichen werden die Eindrücke, welche ihm das Drama giebt, für ihn nur Impulse die einzelnen Motive eines nach den musikalischen Normen gegliederten Satzes etwas schärfer zu betonen und miteinander in Contrast zu setzen; sie wirken also nicht wesentlich anders auf ihn als überhaupt die Erscheinungen der Außenwelt, die seine Productionskraft anregen, und im Allgemeinen tritt daher die specifische Charakteristik der dramatischen Situation vor der musikalischen Gestaltung zurück. Davon muß freilich ein Theil dem Drama selbst zugeschrieben werden, das durch seine Charakter- und [392] Situationszeichnung dem Componisten gar wenig mächtige und bestimmt wirkende Anregung bietet; eine überwältigende dichterische und dramatische Kraft hätte ohne Zweifel noch eine andere Musik hervorgerufen. Allein man darf nicht vergessen, daß wenn ein solches Drama damals Beifall und Theilnahme fand19, wenn es Mozart zu seiner Composition veranlaßte, wir darin ein Zeugniß haben für die Richtung des Geschmacks jener Zeit. Shakespeare und Göthe hatten damals die geistige Atmosphäre, in welcher Mozart groß geworden war, noch nicht durchdrungen; durch die Poesie mußte die Forderung einer das individuellste Leben zur Anschauung bringenden Charakteristik erst ausgesprochen und erfüllt werden, ehe dieselbe auf dem Gebiet der Musik sich geltend machen konnte20.

Gebler hat seinem Drama noch eine besondere Würde zu geben gesucht, indem er Chöre in demselben anbrachte; wobei ihm Racines Athalia wohl zum Vorbild gedient haben mag. Das Schauspiel beginnt mit einem feierlichen Opfer im Sonnentempel, an welchem die Priester und Sonnenjungfrauen Theil nehmen und während desselben eine Hymne an die Gottheit singen; ebenso wird zu Anfang des fünften Aufzugs die Krönung des Königs durch ein Opfer eingeleitet, bei welchem die Priester und Jungfrauen wiederum eine [393] Hymne singen21. Diese Chöre haben Mozart zu großartigen und mit allem Glanz auch der äußeren Mittel ausgestatteten Compositionen Veranlassung gegeben; es sind die allgemein bekannten Hymnen mit lateinischem Text, welchen er selbst ihnen später untergelegt hat, und dem dann wieder eine deutsche Uebersetzung substituirt worden ist22. Das Urtheil über Auffassung und Stil derselben wird natürlich etwas anders ausfallen, wenn man weiß daß diese Chöre für das Theater bestimmt waren als wenn man sie für Kirchenmusik hält, und doch haben grade diese Hymnen, die durch unzählige Aufführungen in Kirchen weit verbreitet sind, als Hauptzeugen für Mozarts Richtung in der Kirchenmusik dienen müssen. Ohne Frage sind sie ihrer ganzen Auffassung nach großartiger, [394] freier, bedeutender als irgend eine seiner Messen aus dieser Zeit, weil er sich hier nach keiner Seite hin durch irgendwelche Convention gebunden fühlte; ein feierlicher Gottesdienst wurde auf der Bühne vorgestellt, der Ausdruck der Ehrfurcht vor dem höchsten Wesen erhielt durch das ägyptische Costüm eine eigenthümliche Färbung, welche die Phantasie anregte: so suchte er diese Empfindung auch musikalisch mit möglichster Wahrheit und Kraft wieder zu geben. Aber er war sich wohl bewußt, daß es sich um dramatischen Ausdruck handle; daher ist nicht allein in den Formen alles vermieden was direct an die Kirche erinnern könnte – jetzt liebt man derartige Anspielungen als Mittel der Charakteristik –, es ist nicht allein durch die Anwendung äußerer Mittel ein Eindruck von Glanz und Pracht gegeben, welcher in dieser Weise der Kirche fremd war, sondern das subjective Moment der Empfindung ist möglichst stark hervorgehoben und lebhaft ausgedrückt. Wenn zwischen diesen Chören und der gleichzeitigen Kirchenmusik Mozarts ein wesentlicher Unterschied unverkennbar ist, wird man dagegen in der Art, wie das Feierliche, Bedeutsame der ernsten Ceremonie hier und in der Zauberflöte wiedergegeben ist, die bestimmte Verwandtschaft wahrnehmen23. Freilich zeigt dort Vieles, namentlich die Kraft in der knappsten Form sich zu concentriren, die reife Vollendung, während wir hier den jugendlichen Künstler vor uns sehen, der über die Gelegenheit erfreuet ist aus vollem Maaße [395] sein Bestes herzugeben und sich selbst ein rechtes Genüge zu thun. Diesen Chören gegenüber begreift man seine Freude als er nach Paris ging (S. 185), daß das Orchester dort gut und stark sei, und man Chöre, seine Hauptfavorit-Composition dort gut aufführe und etwas darauf halte; man kann sich danach vorstellen, wie er die Chöre behandelt haben würde, wenn er in Paris eine große Oper geschrieben hätte. Für die Aufführung sind sie ohne Zweifel zu groß und breit angelegt und ausgeführt; sowie sie den Text Geblers weit hinter sich zurück lassen24, so daß Musik und Dichtung ihrer künstlerischen Bedeutung nach gar nicht derselben Zeit anzugehören scheinen, so drücken sie das ganze Drama mit ihrer Wucht zu Boden. Der Eindruck des Feierlichen und Erhabenen, wie ihn die prachtvolle Majestät symbolischer Ceremonien hervorzurufen bestimmt ist, kann durch die Musik kaum mit mehr Würde und zugleich Feuer und Kraft wiedergegeben werden; Chor und Orchester wirken in großartiger Weise zusammen, wie ein mächtiger Strom fließt es unaufhaltsam dahin, schöne und überraschende Harmonien in Fülle verbreiten rings einen eigenthümlichen Glanz; nur die leichteren Nebensätze – für Männer- und Frauenstimmen getheilt, auch für Solostimmen – sind minder bedeutend. Haltung und Stimmung dieser Chöre ist später vielfach maßgebend für verwandte Aufgaben geworden; ebenso hat die Art und Weise, wie hier zuerst der Chor und ein vollstimmiges Orchester vereinigt sind, um bei seiner Ausführung und Gliederung im Einzelnen, als [396] ein Ganzes massenhaft zu wirken, für alle späteren Leistungen dieser Art den Weg gewiesen. Mozart selbst hat später keine Gelegenheit gefunden in großem Maaßstab Chor und Orchester zu vereinigen und auf dieser Bahn weiter fortzuschreiten; Haydn hat in seinen Oratorien nach dieser Seite hin Mozarts Erbschaft angetreten, und seitdem ist man vielfältig bemüht gewesen diese Aufgabe zu lösen. Bei aller Anerkennung vor den Verdiensten und Erfolgen dieser Bestrebungen darf man sagen, daß Mozart das Wesentliche festgestellt hat und daß seine Leistungen seitdem öfter überboten als übertroffen worden sind. Sein Orchester ist mit allen Mitteln ausgestattet, welche ihm in Salzburg zu Gebote standen25; es fehlten von den später üblichen Instrumenten nur die von ihm so lebhaft vermißten Clarinetten. Dasselbe ist aber vollständig so organisirt und gegliedert, wie wir es später finden, die Holzblasinstrumente, die Blechinstrumente und die Saiteninstrumente sind zu bestimmten Gruppen vereinigt, aber vollkommen frei die verschiedensten Associationen selbständig einzugehen. Auffallend ist besonders der Fortschritt in der Behandlung der Blechinstrumente. Die Posaunen gehen nicht mehr mit den Singstimmen; wo sie dieselben unterstützen, geschieht es in selbständiger Weise meist in gehaltenen Accorden, allein ebensowohl treten sie denselben gegenüber, allein oder mit dem übrigen Orchester. Die Hörner und Trompeten gesellen sich ihnen zu und wir finden sie alle zu einem Chor vereinigt, das nicht selten schon ganz allein, oder doch als eine Gesammtmasse auftritt; dann lösen sich aber die Hörner auch ab und vereinigen sich mit den Holzblasinstrumenten, sowie die Trompeten mit den Pauken auch wieder ihren eigenthümlichen [397] Charakter selbständig für sich bewahren. Ebenso ist es mit den übrigen Blasinstrumenten, welche sowohl unter sich als mit den anderen Instrumenten auf verschiedene Weise combinirt werden; daß ihnen die feinere Detailausführung hauptsächlich zufällt, ist in ihrer Natur begründet. Auf die Behandlung der Saiteninstrumente mußte die so viel weiter ausgebildete Anwendung der Blasinstrumente natürlich von Einfluß sein; sie sind selbständig und kräftig ihnen gegenübergestellt, so daß sie, wie glänzend und lebhaft jene auch das Colorit erhöhen, doch den eigentlichen Charakter desselben bestimmen und die Einheit des Tons festhalten. Kurz, wir finden hier alle wesentlichen Wirkungen, welche durch die verschiedenen Combinationen der Instrumente ihrer Klangfarbe nach hervorgerufen werden, bereits zur Anwendung gebracht, auch sind es nicht die bloßen Klangwirkungen, welche durch den mechanischen Wechsel der Tonfarben Effect machen sollen, sondern insofern sie das musikalische Motiv zur richtigen Geltung bringen. Dem so organisirten Orchester gegenüber nimmt auch der Chor eine veränderte Stellung ein. Er ist nicht mehr in dem Sinne die Hauptperson, als alles andere nur dazu dient ihn zu stützen; dadurch daß das Instrumentale selbständig neben ihn trat wurde er selbst freier in seiner Bewegung: indem Manches dem Orchester auszudrücken überlassen wurde, konnte der Chor das was seinem Wesen gemäß war um so schärfer und bedeutender charakterisiren, und dem vielgegliederten, stark wirkenden Orchester gegenüber mußte der Chor alle Kraft aufbieten um festen und sicheren Schrittes einher zu gehen. Dieses zu erreichen war abgesehen von dem Gehalt und der Bedeutung der Motive vor allen freie, sangmäßige Behandlung der einzelnen Singstimmen erforderlich, auf welcher die Entfaltung eines naturgemäßen kräftigen Klanges beruht; denn je stärker die instrumentale [398] Wirkung des Orchesters zur Geltung kam, um so mehr mußte auch das vocale Element, die Macht der menschlichen Stimme ihrem Klange nach ihr Recht behaupten. Diesen verschiedenen Bedingungen im Einzelnen gerecht zu werden und sie zur Gesammtwirkung harmonisch vereinigt zu halten, ist auch hier Mozarts eigenthümliche und große Leistung. Will man sich den außerordentlichsten Fortschritt klar machen, so vergegenwärtige man sich jene früheren Werke, in welchen die Singstimmen zu einer fortlaufenden Geigenfigur und einem Basso Continuo die Harmonien ausfüllen, und halte diese Hymnen dagegen, in welchen einem selbständig auf sich selbst ruhenden Chor ein vielstimmiges, im Detail belebtes Orchester ebenso selbständig entgegensteht, beide so eng mit einander verbunden, daß erst aus dieser Vereinigung ein Ganzes entsteht.

Durch die großartige Wirkung dieser beiden Chöre26 scheint es veranlaßt zu sein, daß man dem Drama durch [399] einen Chor auch einen bedeutenden Abschluß zu geben suchte. An die Stelle des Instrumentalsatzes, welcher Pherons Tod ausdrückte, trat eine kurze Ermahnung des Obelpriesters zu ehrfurchtsvoller Scheu vor der Gottheit, welche der Chor aufnimmt um sich dann mit freudiger Zuversicht in den Schutz derselben zu geben. Mozarts Composition der von einem Salzburger Localpoeten, wahrscheinlich von Schachtner, verfaßten Worte27 ist der beiden ersten Hymnen durchaus würdig; namentlich der erste Theil drückt den Schauer demüthiger Verehrung auf die ergreifendste Weise aus und steht dem Großartigsten was Mozart je geschrieben ebenbürtig zur Seite, auch der würdig heitere Schlußsatz ist durchaus an seinem Platz, wenn man bedenkt daß der Chor für die Bühne und nicht für die Kirche bestimmt war.

In die Zeit dieses Salzburger Aufenthalts fällt auch die Composition einer deutschen Operette, zu welcher der [400] ehrliche Schachtner den Text gemacht hatte. Sie war beinahe fertig, als Mozart im November 1780 nach München reiste, denn er bittet seinen Vater (18. Jan. 1781) »die Operette von Schachtner« mit zu bringen, er wolle sie mit nach Wien nehmen. Der Vater antwortete (11. Dec. 1780), jetzt sei der Landestrauer wegen in Wien nichts mit dem »Schachtnerschen Drama« zu machen; das sei auch besser, da »die Musik ohnehin nicht ganz fertig« sei. Später erinnerte er Wolfgang selbst daran, die Operette in Wien wo möglich auf die Bühne zu bringen, worauf er zur Antwort erhält (18. April 1781): »Wegen dem Schachtner seiner Operette ist es nichts, – aus der nämlichen Ursache die ich oft gesagt habe. Ich habe dem Stephanie nicht Unrecht geben können; ich habe nur gesagt, daß das Stück – die langen Dialogen ausgenommen, welche aber leicht abzuändern sind – sehr gut seye; aber nur für Wien nicht, wo man lieber komische Stücke sieht«.

Ohne Zweifel ist dies die bis auf die Ouverture und den Schlußsatz vollendete, in Mozarts Originalpartitur noch vorhandene28 Oper in zwei Acten29, welche von André mit [401] dem passenden Titel Zaide herausgegeben ist30. Handschrift, Stil und Instrumentation, sowie einige besondere gleich zu erwähnende Umstände beweisen dies deutlich. Der Gang der Handlung ist wenigstens im Allgemeinen aus den durch die Musikstücke gegebenen Spuren zu errathen31.

Gomatz (so schreibt Mozart) ist in die Gewalt des Sultan Soliman gerathen und muß schwere Sklavendienste thun; er hat hier die Liebe der Zaide gewonnen, welche sich im Serail des Sultans befindet, aber dessen Leidenschaft beharrlich Trotz bietet. Als sie Gomatz von der Arbeit erschöpft im Garten eingeschlafen findet, läßt sie ihm ihr Bild zurück; dies führt zur Erklärung ihrer gegenseitigen Liebe. Mit ihnen verbindet sich Alazim, ein Günstling Solimans und wie [402] es scheint der Aufseher der Sklaven, welcher den humanen und aufgeklärten Muselmann repräsentirt; er verschafft ihnen türkische Kleider und begiebt sich mit ihnen auf die Flucht. Zu Anfang des zweiten Acts finden wir den Sultan im heftigsten Zorn über die so eben entdeckte Verrätherei, er wüthet gegen die Flüchtigen, welche Zaram ihm wieder einzuholen verspricht. In der That werden sie bald darauf eingebracht; Soliman läßt sich weder durch Zaides Bitten noch ihre Standhaftigkeit, nicht durch Alazims Ermahnungen noch die unerschütterliche Treue der Liebenden bewegen. Auf welche Weise endlich eine glückliche Lösung herbeigeführt wurde, läßt sich nicht ersehen32.

Diese ernsthafte Operette ist im Wesentlichen ganz in der Weise und nach dem Maaß des damaligen Singspiels geschrieben; es ist nicht auf große, virtuosenhaft gebildete Sänger gerechnet, überhaupt nicht auf bedeutende musikalische Mittel33, sondern Alles ist in einem bescheidenen Maaßstab und durchgängig in knappen Formen gehalten. Ursprünglich war sie gewiß für eine Aufführung in Salzburg bestimmt, darauf weist schon die Zusammensetzung des Orchesters hin34, [403] und die Behandlung der einzelnen Partien hatte wohl in den grade vorhandenen Persönlichkeiten ihren nächsten Grund. Die Partie der Zaide macht fast allein, und auch sie nur in geringem Grade, auf einige Geläufigkeit Anspruch; die des Sultans setzt eine starke, anhaltend durchdringende Stimme voraus, im Uebrigen gehen die Anforderungen weder dem Umfang noch der Ausbildung nach über das hinaus, was man bei gewöhnlichen Theatersängern erwarten durfte. Was man nicht immer fand noch findet, musikalisches Gefühl und natürlichen Takt für das Rechte setzt freilich Mozart immer voraus, weil er selbst es zu verläugnen gar nicht im Stande war.

Was die Form der Arien anlangt, so ist die alte Norm der italiänischen Arie hier nicht mehr die maaßgebende; das Gesetz welches dort zu Grunde lag, die Gegenüberstellung contrastirender Motive, welche zu einem Ganzen verbunden werden, ist als ein allgemein gültiges auch hier wirksam, aber die Ausführung ist nicht mehr an ein bestimmt überliefertes formales Schema gebunden, sondern die bewußte Aufgabe ist jetzt, aus dem individuellen Charakter der Person und der dramatischen Situation die contrastirenden Elemente ebensowohl als die Einigung derselben zu einem Ganzen zu [404] gewinnen. Die formale Behandlung war also frei geworden, indem sie sich einem höheren Princip unterordnete. Wenn daher auch ähnliche Erscheinungen vorkommen, wie in der alten italiänischen Arie z.B. der Wechsel des Tempos, – entweder so daß ein Mittelsatz eingeschoben wird, oder daß ein einleitender langsamer Satz dem Allegro vorangeht35 – die Trennung der einzelnen Motive durch förmliche Abschnitte u. ähnl., so haben diese nicht mehr in der Befolgung einer äußeren Norm allein ihren Grund, sondern sie gehen auch schon aus der bestimmten Situation hervor. Hier läßt uns die Zaide eine eigenthümliche Beobachtung machen.

Je bestimmter der Musiker sich die Aufgabe stellt die dramatische Situation charakteristisch auszudrücken, um so wichtiger wird für ihn die Art, in welcher der Dichter ihm nicht nur im Allgemeinen dieselbe vorgebildet, sondern durch die Fassung in Worte bereits einen bestimmten Weg vorgezeichnet hat; dieses ganz besonders da, wo seine eigene Natur ihn dem gegebenen Stoffe gegenüber eine Schwäche oder wohl gar ein Widerstreben fühlen läßt. Denn jeder Künstler, wie vielseitig seine Begabung auch sei, wird durch seine innerste Natur nach gewissen Richtungen getrieben, in welchen seine schöpferische Kraft sich durchaus frei und eigenthümlich offenbart, während andere Seiten ihm fremd oder wohl gar verschlossen bleiben. Erfahrung und Bildung im Leben und in der Kunst vermögen viel um hier auszugleichen, die ursprüngliche Anlage zu ändern vermögen sie nicht, und eine wahrhafte, kräftige Künstlernatur wird sich auch darin bewähren, daß sie weder die individuelle Anlage zur abgeschlossenen [405] Einseitigkeit entwickelt, noch das derselben Widerstrebende gewaltsam ihr aufzudringen sich abmüht. Die dramatische Darstellung wird nun in der Regel dem Künstler Aufgaben bieten, zu deren Lösung er zwar nicht die Schranken seiner Individualität überschreiten – was Keiner ungestraft unternimmt – aber bis an die Grenzen derselben sich zu steigern suchen muß. Hier ist es, wo er ganz besonders bei dem Dichter Hülfe sucht; die Kraft und Lebendigkeit mit welcher derselbe Situationen und Charaktere hinstellt, die Farbe und der Ton, welchen er der Sprache giebt, tragen hier am Wesentlichsten dazu bei den Musiker seine Schwäche überwinden zu lassen, während es in der Richtung, welche seiner Natur gemäß ist, nur eines Geringen bedarf die musikalische Stimmung in ihm auch productiv zu machen. Wir finden die Bestätigung bei Mozart, der, ein junger Mann, zum erstenmal in diesem Sinn dramatische Musik zu schreiben versuchte. Der erste Act der Oper hat wesentlich nur das Liebesverhältniß von Gomaz und Zaide zum Gegenstande, das durch die Beimischung von Mitleid mit den unschuldig Leidenden, durch die im Hintergrunde drohende Gefahr einen eigenthümlichen, aber das eigentliche Wesen nicht beeinträchtigenden Charakter erhält. Hier ist nun Mozart ganz in seinem Element, Zartheit und Innigkeit der Empfindung, Adel und Feinheit sind die Grundzüge seines eigenen Wesens, die er unwillkührlich ausspricht, und dieser erste Act ist durchweg so gelungen, so abgerundet, daß er von seinem Reiz auch heute kaum verloren hat: wie wenig auch der poetische Ausdruck des Textes grade von den Charakterzügen verräth, welche die Musik auszeichnen36. Ganz anders im zweiten Act. Der in Eifersucht rasende [406] Sultan, Zaide welche ihm anfangs mit Bitten dann ebenso wüthig entgegentritt, Alazim moralisirend – das sind Charaktere und Situationen, welche an sich trivial nur durch eine eigenthümliche poetische Behandlung Inte resse gewinnen konnten, denen gegenüber Mozart sich fremd und unbehaglich fühlte und vom Dichter für dieselben gewonnen sein wollte. Und grade hier läßt ihn dieser vollständig im Stich; die Personen äußern sich im Stil des gemeinsten Marionettenspiels und man glaubt beim Lesen den ganzen Druck der Salzburger Luft von damals zu empfinden37. Unter diesem [407] erlahmt denn auch die Musik des zweiten Actes. Alle diese Arien sind zwar wohl angelegte und gut ausgeführte Musikstücke, sie sind auch charakteristisch; allein die Charakteristik ist äußerlich, zum Theil unglücklich durch einzelne Züge des Textes hervorgerufen38, im Ganzen fehlt ihnen edle, maßvolle Haltung ebensowohl als Schwung und Wärme, so daß einzelne, wirklich schöne Gedanken zu keiner Wirkung kommen. Bezeichnend ist es dabei, daß grade diese Arien auch der Ausdehnung nach nicht Maaß halten; sie sind alle zu lang und namentlich auch in den mehrmals eintretenden halben [408] und ganzen Cadenzen gedehnt, als sollte die Länge den Inhalt ersetzen. Und ferner, daß ebenfalls in diesen Arien ein Anlehnen an die alte Arienform noch am meisten bemerklich wird39; wie wenn da, wo die musikalische Gestaltung nicht unmittelbar aus den Impulsen der dramatischen Situation hervorging, die alte Formel unwillkührlich sich geltend gemacht habe40.

Interessant ist es dagegen zu sehen, wie gegen diese Arien wiederum das Quartett (16) absticht, in welchem sich das dramatische und musikalische Interesse concentrirt. Die handelnden Personen stehen sich, jede ihrem Charakter gemäß, gegenüber: der Sultan unerbittlich in seinem Zorn, die Liebenden ergeben – Gomaz bemüht Zaide zu trösten, während diese durch ihren Tod sein Leben zu erkaufen sucht –, Alazim von tiefem Schmerz ergriffen, daß er in dieser Noth, die er herbeigeführt hat, nicht zu helfen vermag. Hier ist also ein Conflict verschiedenartiger Empfindungen, die wahr und berechtigt, verschieden nuancirt, alle auf einen Mittelpunkt gerichtet sind, es ist eine Situation, welche die wesentlichen [409] Bedingungen musikalischer Darstellung erfüllt. Hier ist denn auch Mozart an seinem Platz. Mit sicherer Hand werden die verschiedenen Charaktere gezeichnet, jede Empfindung bestimmt und individuell ausgedrückt, und die so gewonnenen Elemente als die Motive zur Gestaltung eines Ganzen verwendet, welches den Gesetzen der Organisation eines musikalischen Kunstwerks in gleicher Weise entspricht, wie dem Ausdruck der dramatischen Situation. Denn daß diesen beiden Anforderungen gleichmäßig genügt werde, daß die Lösung beider in jedem wesentlichen Punkt zusammenfalle, ist die eigentliche Aufgabe der dramatischen Musik. In dem bloßen Freiwerden von bestimmten, veralteten Formen ist das Ziel so wenig erreicht als durch das Aufstellen eines Princips, welches wie das der dramatischen Charakteristik nur ein, allerdings wesentliches und unabweisbares, Moment der musikalischen Darstellung zur Geltung bringt. Vielmehr wird es nun die Aufgabe das als solches anerkannte Princip in vollkommenen Einklang mit den Gesetzen zu bringen, welche aus dem Wesen der Musik als einer selbständigen Kunst mit Nothwendigkeit hervorgehen, und dadurch zu dem Mittelpunkt zu gelangen, von wo aus die musikalische Gestaltung möglich wird, die in jedem Moment der musikalischen Darstellung die dramatische Bedeutung vollkommen ausdrückt. Nirgends wird diese Forderung gebieterischer als im Ensemblesatz. Das künstlerische Mittel, wodurch die contrastirend einander gegenübertretenden Elemente zusammengehalten werden, wodurch das Nacheinander der dramatischen Handlung in das Nebeneinander wechselnder Stimmungen umgewandelt wird, ist das der musikalischen Darstellung und von dieser muß daher die eigenthümliche Organisation, die Formgebung ausgehen. Wir finden nun bereits in diesem Quartett das Wesen der künstlerischen Natur vollständig ausgesprochen, [410] welche in der Vereinigung dieser verschiedenen Elemente zu einem harmonisch durchgebildeten Ganzen das Höchste leistet. Es ist ein vortrefflich gegliedertes Musikstück, in welchem jedes einzelne Motiv an und für sich schön und sprechend und dem Zusammenhang angemessen ist, das durch Abwechslung und Steigerung das Interesse fortwährend wach erhält und durch die kunstgemäße Behandlung der rein musikalischen Formen uns ein lebendiges dramatisches Gemälde vorführt. Wenn man beachtet, wie die Singstimmen in verschiedener Weise bald einzeln, bald mit einander gruppirt abwechseln, so wird man darin eine symmetrisch angeordnete musikalische Zeichnung, wie nach einem festen Grundriß, erkennen, zugleich aber, wie die im Grunde einfache Situation nach den verschiedensten Nuancen der Stimmungen, welche sie hervorruft, in ihrem lebendigen Fortschritt entwickelt wird, so daß die Musik das was das Wort nur andeutet in den feinsten Regungen des Gemüths und der Seele verfolgt und ausführt. Selbst ganz bestimmte musikalische Formen bringen dabei in der rechten Weise angewendet eine unmittelbar lebendige Wirkung hervor, als seien sie für diesen Fall gemacht41. So bewährt es sich auch hier daß die künstlerische Freiheit in der Behandlung der Form nicht darin besteht, die Gesetze derselben zu negiren und für jeden Moment ein unerhörtes Neues schaffen zu wollen, sondern so in das Wesen derselben bis zum Grunde einzudringen, daß sie mit dem Keim des Gedankens zugleich empfangen der lebendigen Entwickelung [411] desselben folgt und so in der That der nothwendige Ausdruck desselben wird. – Was die Grundstimmung anlangt, auf welcher die Haltung des Quartetts ruht, so würde dieselbe, wenn die heftige Wuth des Sultans als das bestimmende Moment aufgefaßt wäre, leidenschaftlicher und bewegter sein können, ohne daß der Wahrheit des Ausdrucks zu nahe getreten wäre; Mozart hat aber vielmehr die innigere und gehaltnere Empfindung der Uebrigen den Grundton anschlagen lassen, dem nun auch der Ausdruck des Zorns angemessen sein mußte. Diese Auffassung ist wohl zum Theil dadurch hervorgerufen daß die nothwendig eintretende Versöhnung auf diese Weise am besten eingeleitet wurde; theils mochte nach den lebhaft erregten Arien, welche in diesem Act vorherrschen, ein mehr ruhig gehaltenes Musikstück von besserer Wirkung erscheinen; sicherlich war aber diese Auffassung die, welche Mozarts künstlerischer Natur am meisten entsprach und ihm am nächsten lag.

Nicht so tief und bedeutend, aber deshalb doch der Situation durchaus entsprechend ist das Terzett (8), welches den ersten Act beschließt. Dort ist kein eigentlicher Conflict; Zaide, Gomaz und Alazim sind glücklich in dem Gefühl der gegenseitigen Zuneigung und Freundschaft, welche sie verbindet, und in der Hoffnung auf eine nahe Befreiung, die Furcht daß ihr Rettungsplan scheitern könne wirst nur einen vorübergehenden Schatten auf die heitere Stimmung42. Daher drückt denn auch die Musik innige Zufriedenheit und ruhiges Glück mit großer Zartheit und im reinsten Wohllaut aus. Dieselbe Heiterkeit eines reinen Glücks spricht sich in dem Duett zwischen Zaide und Gomaz (5) aus. Ihre Liebe [412] ist überhaupt nicht als eine stürmische Leidenschaft, sondern als die innige Zuneigung zweier edler Menschen aufgefaßt, welche in schweren Tagen sich finden und mit der Sicherheit des gegenseitigen Verständnisses sich über alles Ungemach hinausgehoben finden; diese reine Klarheit eines glücklichen Seelenfriedens spricht das Duett auf das Anmuthigste aus.

Uebrigens sind es nicht allein Ensemblesätze, welche die Aufgabe bieten, contrastirende Stimmungen zu einem Ganzen zu verschmelzen, sondern auch Arien. Als Beispiel kann die Arie des Gomaz (6) dienen. Nachdem Alazim ihm seine Hülfe zugesagt und ihm geboten hat, Zaide herbeizuführen, damit sie zusammen die Flucht vorbereiten können, beginnt Gomaz:


Herr und Freund, wie dank ich dir!

Laß mich deine Knie umfassen –

Doch ich muß dich schnell verlassen,

Denn ich brenne vor Begier.

Laß dich küssen, laß dich drücken –

Ach! im Taumel von Entzücken

Weiß ich selbst nicht was ich thu,

Denn die Triebe meiner Liebe

Rauben mir der Sinne Ruh.


Die verschiedenen Momente, in welchen die Aufregung und Unruhe sich ausdrückt, sind jeder durch ein charakteristisches, scharf abstechendes Motiv bezeichnet, und diese dann, scheinbar nur nach musikalischen Rücksichten, in anderer Folge und in verschiedenen Wendungen, so daß jedes derselben wie in einer neuen Beleuchtung erscheint, zusammengestellt, wodurch aber in Wahrheit die Situation psychologisch erschöpft wird. Zu bemerken ist dabei auch der humoristische Zug, welcher in der Darstellung der Unruhe und Verwirrung, besonders bei den Worten: »doch ich muß dich schnell verlassen« und »laß dich küssen, laß dich drücken« unverkennbar hervortritt, ohne den innigen [413] Ausdruck des Gefühls im Ganzen zu beeinträchtigen43. Sehr artig ist beides im Schluß zusammengefaßt; während die Begleitung das letzterwähnte Motiv fortführt, kehrt Gomaz, der in voller Hast abgegangen war, zurück und singt mit aller Herzlichkeit: »Herr und Freund, wie dank ich Dir!«44

Die Factur in dieser Oper ist, was die Behandlung der Singstimmen wie des Orchesters anlangt, wie sich das nicht anders erwarten läßt, vollkommen sicher und meisterlich. In manchen Einzelnheiten wird man schon an spätere Arbeiten Mozarts erinnert; doch sind dies meist einzelne Wendungen, die Behandlung der Begleitung u. dgl. Eine bestimmte Reminiscenz ist nicht ohne Interesse. Das Quartett wird durch einen kurzen Satz der Blasinstrumente eingeleitet, der im Verlauf desselben mehrmals wiederkehrt, wo dann die Singstimmen hinzutreten


14.

14.

14.

[414] Dieses Motiv nun ist ihm in der Entführung wieder in den Sinn gekommen, wo es in der Arie der Constanze »Traurigkeit ward mir zum Loose« (10) so erscheint


14.

14.

[415] Das gegenseitige Abnehmen des Motivs von Singstimme und Begleitung, die Abwechslung zwischen den Blasinstrumenten geben demselben hier einen anderen Reiz; auch ist es wohl berechnet daß es hier weniger voll instrumentirt ist45.

Noch ist eine Eigenthümlichkeit dieser Oper zu erwähnen. Mozart hat nämlich seine in Mannheim gefaßte Ansicht, daß das Melodram in der deutschen Oper die Stelle des obligaten Recitativs vertreten müsse, hier ausgeführt. Zwei große Monologe, des Gomaz zu Anfang des ersten und Solimans im Beginn des zweiten Aufzugs sind melodramatisch behandelt46. Das Muster der Bendaschen Compositionen ist nicht [416] zu verkennen; in kleinen Perioden, oft nur mit einzelnen Accorden folgt die Musik den einzelnen Wendungen des Monologs und sucht den leisesten Nuancen der Empfindung einen Ausdruck zu geben. Die Analogie mit dem obligaten Recitativ ist einleuchtend, doch ist es ein wesentlicher Unterschied für die musikalische Behandlung daß dort die selbständigen Instrumentalsätze auch musikalisch mit einander verbunden werden, theils durch das Recitativ selbst, das immer doch gesungen wird, theils durch die begleitende Harmonie, welche die Uebergänge vermittelt, während im Melodram jeder, auch der kleinste Satz von Neuem unvermittelt ansetzt. Und dies führt zu einem ferneren Uebelstande in der Behandlung der Worte. Beim Recitativ ist es, eben weil es gesungen wird, möglich die leichteren Nuancen der Empfindung herauszuheben und zu betonen, durch Tonfall, Rhythmus oder Harmonie, ohne jedesmal einen Instrumentalsatz einzuschieben. Im Melodram ist das nicht möglich und es muß deshalb die zusammenhängende Rede zerstückelt werden, so daß um das Einzelne zu accentuiren das Ganze zerrissen wird; auch ergiebt sich daraus fast mit Nothwendigkeit der Uebelstand, daß die Charakteristik sich an die Einzelnheiten hängt und sie eben deswegen unverhältnißmäßig betont. Wenn auf diese Weise dem gesprochenen Wort das geschmälert wird, wodurch es seinem Wesen nach am eindringlichsten wirkt, der stetige Zusammenhang, so ist dagegen die musikalische Einheit, welche [417] durch das Festhalten der Stimmung für jenen Mangel einen Ersatz geben könnte, ebenso wenig gewonnen. Denn wie sehr auch Mozart der ganzen Richtung seiner Natur nach darauf aus ist die zerstückten Glieder dieser musikalischen Darstellung, besonders durch die rhythmische Zusammenstellung und den harmonischen Fortschritt, als zu einem Ganzen gehörig zu behandeln und dem Zuhörer gegenwärtig zu erhalten, so ist dies doch natürlich nur in einem beschränkten Grade möglich und zu einer eigentlichen musikalischen Gestaltung kommt es nur da, wo die Musik auf kurze Zeit selbständig eintritt. Der Hauptsache nach aber läßt sich nicht verkennen, daß hier das Wort und die Musik nicht einen Bund eingehen, nicht mit einander zu einem Ganzen verschmolzen werden, in dem jeder Theil das was er für sich aufgiebt durch die Verbindung mit dem anderen reichlich ersetzt erhält, sondern fortwährend einer gegen den anderen sein Recht geltend macht, wobei je nach Umständen beide verlieren. Dazu kommt noch der äußere Umstand, daß es ungemein schwierig ist durch die Declamation das gesprochene Wort der Musik gegenüber geltend zu machen und die Pausen durch passende Gesten und Geberden auszufüllen, und daß die dafür vorausgesetzte Kunst sich bei Sängern nur ausnahmsweise finden wird. Jene Melodramen waren dagegen als ausgesuchte Bravurstücke für ausgezeichnete Schauspielerinnen geschrieben, welche in der Declamation und Mimik ihre größte Stärke hatten, die Situation war dafür ausgewählt, die sprachliche Darstellung war darauf berechnet; endlich war es eine für sich bestehende Scene, nicht einem größeren Ganzen als fremdartiger Bestandtheil einverleibt. Bedenken dieser Art mochten auch Mozart sich später aufdrängen; wenigstens hat er das Melodram nicht wieder angewendet, auch in der Zauberflöte nicht, wo die Veranlassung dazu nahe genug lag. Uebrigens hat dasselbe [418] bekanntlich vielfach in der Oper – zum Theil ja auch im Schauspiel – Eingang gefunden, nicht selten mit großer Wirkung. Diese beruht aber in der Regel entweder auf dem materiellen Eindruck des Klanges oder darauf, daß die Zwischensätze auf seine und geistreiche Weise benutzt werden, durch Hinweisen auf schon bekannte Motive, Empfindungen und Vorstellungen anzudeuten, welche das Wort nicht ausspricht, während sie in der Seele des Sprechenden rege sind47. Allerdings sind dies auch Momente, welche an ihrer Stelle wohlberechtigt sind, nur können sie nicht als organisirende Principien für ein Kunstwerk gelten; das Melodram wird daher auch nur einen untergeordneten Platz, als ein vorbereitendes, überleitendes Glied einnehmen dürfen, wenn es in richtiger Weise wirken soll.

Mozart hat diese Oper nie wieder hervorgesucht und that recht daran. Bühnengerecht wäre sie nur durch wesentliche Umgestaltungen geworden. Der erste Aufzug, so anmuthig die Musik desselben ist, hat in seiner Handlung und auch in der durchweg festgehaltenen Stimmung zu wenig Abwechslung und spannende Bewegung, um auf dem Theater die Aufmerksamkeit rege zu erhalten; der zweite ist, wie wir sahen, sogar nicht zu ertragen. Nachdem die Entführung geschrieben war, konnte an Zaide nicht mehr gedacht werden, theils der Aehnlichkeit des Stoffes und Costums wegen, [419] theils weil sie dadurch in jeder Hinsicht so überflügelt worden war, daß sie nicht mehr daneben bestehen konnte. Daß Mozart sie nun, wie die Masse seiner früheren Arbeiten, ganz liegen ließ, nicht Einzelnes davon benutzte, überarbeitete, das ist ebensowohl ein Zeugniß für die Leichtigkeit und den Reichthum seiner Erfindung, die ihm jeder Zeit unmittelbar und frisch zu Gebote stand, als für die richtige künstlerische Erkenntniß, daß es selten frommt das unter bestimmten Verhältnissen Entstandene und Fertiggewordene zu anderer Zeit wieder vorzunehmen und durch Umarbeiten zu einem Anderen und Besseren machen zu wollen.

Fußnoten

1 Joh. Emanuel Schikaneder, geb. 1751 in Regensburg, der jüngste von zwölf Geschwistern, mußte schon als achtjähriger Knabe seinen Unterhalt durch Singen und Geigen erwerben; die Vorstellungen einer wandernden Schauspielergesellschaft, die er in Augsburg sah, machten einen solchen Eindruck auf ihn, daß er sich derselben anschloß, später die Pflegetochter des Principals heirathete und endlich die Direction der Truppe übernahm, mit welcher er in Oesterreich umherzog, bis er nach Wien kam, wo er uns wieder begegnen wird.


2 Leop. Mozart schreibt seinem Sohn nach München (18. Nov. 1780), daß Schikaneder sich auch an ihrem Bölzlschießen betheilige und ihnen für drei Personen Eintritt gebe. Die Schwester schreibt ihm ebendahin die ausführlichsten Berichte über die Aufführungen und Leistungen der Schikanederschen Truppe (30. Nov. 9. Dec. 1780).


3 Wolfgang hatte versprochen ihm eine Arie zu componiren, die noch nicht fertig war, als er des Idomeneo wegen nach München reiste; vom Vater gemahnt schrieb er mitten unter dem eifrigsten Arbeiten am Idomeneo auch diese Arie und schickte sie nach Salzburg (22. Nov. 1780).


4 Tob. Phil. Freih. v. Gebler, geb. 1726, trat 1753 in österreichische Dienste und starb 1786 als Geheimer Rath und Vicekanzler der böhm. österr. Hofkanzlei. Er betheiligte sich seit 1769 mit Eifer an der Reformation des Theaters in Wien und schrieb, um als ein angesehener Beamter mit einem guten Beispiel voranzugehen und, wie er an Klotz schreibt (Briefe an Klotz II S. 3), »andere und fähigere Genies zum Schreiben aufzumuntern« eine Reihe dramatischer Stücke, welche viel gegeben wurden. Er »brauchte in seinen Stücken alle Fügsamkeit bald in den antiken Geschmack, bald in den Diderotischen am bürgerlichen Trauerspiel, und immer in die moralische Delikatesse jener Zeit, um seine Schreibereien zu empfehlen, deren er von 1770–1773 alle Jahr drei bis vier Stücke lieferte« (Gervinus Gesch. der poet. Nat. Litt. IV S. 590).


5 Es ist gedruckt in des Freih. v. Gebler theatralischen Werken (Prag und Dresd. n 1772f.) III S. 305ff.


6 Gebler hatte im Januar 1773 Wieland den ersten Act mitgetheilt, der ihn in Weimar vorlas und dem Verfasser nicht nur bezeugt daß er das lebhafteste Verlangen nach dem Ganzen hervorrief, sondern dieses günstige Urtheil ausführlich begründet (Auswahl denkw. Briefe von Wieland II S. 14ff.). Nachdem er den dritten Band von Geblers Werken erhalten, konnte er sich nicht enthalten ihm sogleich seinen »lebhaften Beifall zuzujauchzen«; seine nicht geringe Erwartung war bis zur Bewunderung übertroffen, es verlangte ihn das Drama bald aufgeführt zu sehen (ebend. S. 26f.). Bald nachher schrieb er ihm aber doch (ebend. S. 27f.): »Was wir wünschen ist, daß Ew. Hochwohlgeboren im fünften Act einige Veränderungen machen, Ihren Bösewicht Pheron nicht in Gotteslästerungen ausbrechen, und auf diese keinen rächenden Donner fallen lassen wollten. Solche Exhibitionen sind zu wenig natürlich und bringen einem wider Willen die Zeiten, da Doctor Faust noch das Lieblingsstück unserer Nation war, ins Gedächtniß. Ueberhaupt ist es, wenn Sie mir erlauben wollen ganz frey von der Brust zu reden, ein Fehler Ihrer Trauerspiele, daß Ihre tugendhaften Leute ganz idealisch und Ihre Lasterhaften ganz Teufel sind.«


7 Daß die Musik zum König Thamos während des Aufenthalts in Salzburg 1779 und 1789 geschrieben worden ist ergiebt sich theils aus der Handschrift und dem Papier der Originalpartitur (André Verz. 48) und der Behandlung des Orchesters mit Sicherheit, theils erhält es Bestätigung durch eine Aeußerung Mozarts von Wien aus an seinen Vater (15. Febr. 1783): »Es thut mir recht leid, daß ich die Musique zum Thamos nicht werde nützen können! Dieses Stück ist hier, weil es nicht gefiel, unter die verworfenen Stücke, welche nicht mehr aufgeführt werden. Es müßte nur bloß der Musik wegen aufgeführt werden, und das wird wohl schwerlich gehen. – Schade ist es gewiß!«


8 Joh. Ad. Scheibe, geb. in Leipzig 1798, seit 1749 Kapellmeister in Kopenhagen, starb dort 1776; mehr durch theoretische und kritische Schriften als durch seine Compositionen bekannt.


9 Scheibe krit. Musicus St. 67 S. 611ff. Seine Hauptvorschriften sind: »Alle Symphonien zu Trauerspielen müssen prächtig, feurig und geistreich gesetzt sein. Insonderheit aber hat man den Charakter der Hauptperson und den Hauptinhalt zu bemerken und darnach seine Erfindung einzurichten. – Die Anfangssymphonie muß sich überhaupt auf das ganze Stück beziehen, zugleich aber muß sie auch den Anfang desselben vorbereiten und also mit dem ersten Auftritt überein kommen. Sie kann aus zweenen oder dreyen Sätzen bestehen, nachdem es der Componist für gut befindet. – Die Symphonien, welche zwischen die Aufzüge zu stehen kommen, müssen sich nach dem Schlusse des vorhergehenden Aufzuges und nach dem Anfange des folgenden richten. Sie müssen also beide Aufzüge mit einander verbinden und die Zuschauer gleichsam unvermerkt aus einer Gemüthsbewegung in die andere führen. Es ist dahero sehr gut, wenn man allemal zween Satze macht. Doch ist solches nur allein nöthig, wenn die Affecten einander allzusehr entgegen sind; sonst kann man wohl auch nur einen Satz machen, wenn er nur die gehörige Länge hat, damit die Lichter können geputzt werden. – Wenn endlich der Schluß des Schauspiels erfolget ist, so muß die darauf folgende Symphonie auf das genaueste mit demselben übereinstimmen, um die Begebenheiten den Zuschauern desto nachdrücklicher zu machen. – Da die Musik zu den Schauspielen bloß allein aus Instrumenten besteht, so ist auch leicht zu urtheilen, daß eine Veränderung derselben allerdings nöthig ist, damit die Zuschauer desto gewisser in der Aufmerksamkeit erhalten werden. Es ist aber beinahe eine Nothwendigkeit, daß die Anfangssymphonie sehr stark und vollständig ist und also desto nachdrücklicher ins Gehör falle. Die Veränderung der Instrumente muß also vornehmlich in den Zwischensymphonien erscheinen. Man muß aber wohl urtheilen welche Instrumente sich am besten zur Sache schicken, und womit man dasjenige am gewissesten ausdrücken kann, was man ausdrücken soll.«


10 Joh. Christ. Hertel, geb. 1699 in Oettingen, war seit 1720 in Eisenach angestellt, wurde 1742 Concertmeister in Strelitz und starb dort 1756.


11 Joh. Fr. Agricola, seit 1759 Kapellmeister in Berlin, wo er 1774 starb.


12 Lessing hamb. Dramat. St. 26f. (Werke VI S. 115ff.). Lessing erklärt sich namentlich dawider, daß die Zwischenmusik auch auf den folgenden Act vorbereiten solle, und verlangt daß sie nur das ausführe und abschließe, was bereits vorangegangen ist. Es wäre von Interesse Lessings Betrachtungen vom heutigen Standpunkt der Instrumentalmusik aus genauer zu würdigen.


13 I S. 431. »Die Zwischenmusiken von Haydn [zur Zaire] sind wirklich schön« schreibt Leop. Mozart (6. Oct. 1777). »Unter einem Act war ein Arioso mit Variationen für Violoncell, Flauti, Oboe etc., und ohngefähr da eben eine piano Variation vorausging, trat eine Variation mit der türkischen Musik ein, welches so gähe und unvermuthet kam, daß alle Frauenzimmer erschraken und ein Gelächter entstand. Zwischen dem vierten zum fünften Act war ein Cantabile, wo immer das englische Horn dazwischen ein Recitativ hatte, und dann das Arioso wieder eintrat, welches sehr mit der vorhergehenden traurigen Scene der Zaire und dem folgenden Act übereinkam.«


14 Die Originalpartitur ist bei André Verz. 48.


15 Man könnte vielleicht vermuthen, daß die S. 349 erwähnte Ouverture zu diesem Schauspiel bestimmt gewesen sei und dann wäre man über die Zeit der Composition bestimmt unterrichtet. Allein sie ist auf ganz anderem Papier geschrieben als die übrigen Instrumentalsätze, wofür kein Grund ist – denn daß für die Chöre ein anderes Format genommen ist war der vielen Stimmen wegen nothwendig –; Mozart ist auch in diesen äußerlichen Dingen ordentlich und sauber. Auch dürfte man wohl erwarten daß die Ouverture zu König Thamos von der feierlichen Würde, welche die Chöre charakterisirt, etwas aufgenommen haben würde; übrigens wäre sie nicht unpassend.


16 Der Monolog lautet so – ich habe die Worte hervorgehoben, welche Mozart den einzelnen Stellen der Musik beigeschrieben hat –

Sais (sieht sich um ob sie allein ist): Niemand ist da. Des Tempels Thüren sind geschlossen. Nichts hindert den Vorsatz. (nachdenkend) Aber darf ich ihn vollziehen? Gehört Sais sich selbst an? [geräth in Zweifel. Moz.] – O Menes, ists wahr daß dein Blut in diesen Adern strömt, so wirf jetzt von den Wohnungen der Unsterblichen einen Blick auf deine Tochter herab! Zertheile die Dunkelheit, die sie umgiebt! Zeige ihr, was Egyptens Wohl von ihr fordert! – Ja schon hörst du mich! schon belebt sich mein Vorsatz aufs neue. Du selbst, ja du flößtest mir ihn ein. – Ich! das Werkzeug treuloser Verräther? Durch mich dem besten Fürsten der Scepter entrissen? – Nein! er bleibe in seinen Händen! – Kann nicht mit ihm die Tochter des Menes auf dem Throne sitzen, so soll kein anderer sie darauf erheben. – Ja es sey! ich lege das feierliche Gelübde ab! Egyptens Gottheit nimm es auf! Sonne! ich weihe mich zu deiner Priesterin! [Das Gelübde. Moz.]


17 Auch die durch äußere Verhältnisse gebotene Beschränkung auf einen so geringen Umfang ist kein günstiger Umstand, da in der Regel die innere Bedeutung und Macht der dramatischen Situation, welche der musikalischen Darstellung zu Grunde liegt, im umgekehrten Verhältniß zu dem Raume steht, in welchem die Musik sich ausbreiten darf. – Es bedarf wohl kaum der Bemerkung, daß es nicht die Meinung ist, als dürfe die Musik eine solche Verbindung mit der dramatischen Poesie überhaupt nicht eingehen; nur auf die eigenthümliche Beschränkung sollte hingewiesen werden, der sie sich unterwerfen muß, welche also auch eigenthümliche Gesichtspunkte für den Künstler wie für den Beurtheiler bedingt.


18 Das Orchester für diese Sätze ist das gewöhnliche Salzburger; außer den Saiteninstrumenten sind regelmäßig Oboen, Fagotts und Hörner, und bei drei Entreacts (I. IV. V) auch Trompeten und Pauken angewendet. Die Behandlung desselben entspricht der schon mehrfach charakterisirten Weise.


19 Es wurde, wie ich bei Wieland (Auswahl denkw. Briefe II S. 30) sehe, gleich ins Französische und im Jahr 1780 von J.L. von Berghoff, Secretär des Fürsten Colloredo, in Wien ins Italiänische übersetzt. Ein prächtig gebundenes Exemplar dieser Uebersetzung, das wahrscheinlich an den Erzbischof gelangt war, liegt Mozarts Partitur bei; wahrscheinlich dachte er daran die italiänische Uebersetzung seinen Chören unterzulegen.


20 Schon deßhalb habe ich es absichtlich vermieden hier auf eine Parallele mit Beethovens Musik zum Egment einzugehen.


21 Gebler hatte die in Wien zur Aufführung bestimmte Composition der Chöre an Wieland geschickt, der darüber (19. Mai 1774) schreibt: »Unser, wie ich glaube, in seiner Art unvergleichliche Schweitzer hat in dieser Musik viel Schönes und überhaupt in dem Verfasser derselben eine große Anlage gefunden, wiewohl er gleich errieth, daß er noch ein Anfänger sein müsse.« Wer dieser talentvolle Anfänger sei ist nicht bekannt; daß nicht etwa Mozart gemeint sei, – obwohl derselbe im Sommer 1773 in Wien war (I S. 273f.) – wird Jedem ein Blick auf die Chöre zeigen. – Bei Simrock in Bonn sind »Zwei Chöre zu dem Schauspiel Thamos von Mozart im Clavierauszuge von C. Zulehner« erschienen. Diese sind aber von den in Mozarts Handschrift noch vorhandenen Compositionen völlig verschieden und, da es nicht wahrscheinlich ist daß er dieselbe zu verschiedenen Zeiten mehrmals componict hat, gewiß nicht von ihm, was auch durch die Composition selbst bestätigt wird. Zulehner hat sich durch den Eifer, womit er Mozarts Werke sammelte, ein unbestreitbares Verdienst erworben; allein daß er dabei nicht mit der nöthigen Kritik verfuhr haben wir schon wahrgenommen (I S. 672), und wird sich noch ferner bestätigen. Wahrscheinlich ist eine namenlose, für irgend eine Bühne bestimmte Composition, weil man wußte, daß auch Mozart eine solche geschrieben habe, ohne nähere Prüfung ihm beigelegt.


22 Das Nähere s. Beilage XV.


23 In dem ganzen Drama und besonders auch in diesen Chören ist die deistisch-humanistische Tendenz unverkennbar, welche sich in jener Zeit so vielfach geltend macht, und die auch in dem ägyptisirenden Costum mit der Zauberflöte zusammentrifft; wie weit das etwa mit der Freimaurerei zusammenhänge kann ich nicht sagen. Daß man damit im Sinne Josephs II zu schreiben glaubte, ist klar, auch sind vielfache Anspielungen auf ihn als aufgeklärten und tugendhaften Regenten nicht zu verkennen.


24 Und doch konnte Wieland an Gebler schreiben (a.a.O. S. 19f.): »Beynahe hätte ich vergessen zu sagen, daß der Hymnus des ersten Auftritts in seiner Art vortrefflich d.i. so beschaffen ist, daß ein Gluck was ganz Vortreffliches daraus wird machen können. Nur die Strophe Aegyptens Töchter wünschte ich fließender und der natürlichen Sprachfügung gemäßer.«


25 Außer den Saiteninstrumenten sind 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Fagotts, 2 Hörner, 3 Posaunen, Trompeten und Pauken angewendet.


26 Mozart, der diese Arbeit mit großer Liebe und Sorgfalt machte, hat die beiden Chöre zweimal componirt und es ist sehr interessant diese verschiedenen Bearbeitungen mit einander zu vergleichen. Der erste Chor hat im ersten Entwurf, der vollständig ausgeführt ist, schon im Wesentlichen die spätere Gestalt; nur die Solostellen sind anders, einfacher und ganz ohne die sein ausgeführte Begleitung, welche ihnen jetzt ihren Hauptreiz giebt. Sie machen dort einen etwas dürftigen Eindruck; belehrend aber ist es zu sehen, wie beiden Bearbeitungen doch gewisse Grundelemente gemein sind, die dann eine verschiedene Ausbildung bekommen haben. In den Hauptpartien des Chors sind, was die Singstimmen anlangt, nur Einzelnheiten geändert, durchgreifend ist die Behandlung des Orchesters einer Bearbeitung unterworfen. Es waren anfangs keine Flöten dabei und schon daher die Oboen in ganz verschiedener Weise verwendet; es ist merkwürdig zu sehen, wie das Hinzunehmen der Flöten vielfach eine veränderte Gruppirung der Instrumente veranlaßt hat; aber auch davon abgesehen ist fortwährend im Einzelnen gebessert, so daß man diese Arbeit als eine förmliche Studie der Instrumentation betrachten kann. Wesentlicher noch ist der Unterschied beim zweiten Chor. Hier stimmt nur der Anfang und später gewisse Grundzüge einzelner Motive im ersten Entwurf mit der zweiten Bearbeitung überein. Die Ausführung ist dort ganz verschieden, viel kürzer, aber auch in jeder Beziehung dürftiger und weniger bedeutend, namentlich im Orchester weit entfernt von der jetzigen reichen Durchbildung. Auch hat Mozart diesen Entwurf nicht ganz vollendet, er bricht im Nachspiel ab, obgleich wohl nur wenige Takte fehlten. Die Betrachtung dieser verschiedenen Bearbeitungen legt auch hier Zeugniß ab, daß die künstlerische Begabung sich namentlich auch in dem sicheren Takte bewährt, womit trotz alles Versuchens und Schwankens während der Arbeit, zuletzt das Bessere erkannt und gewählt wird. So zeigt es sich auch hier, und ungemein lehrreich ist es zu verfolgen, beim zweiten Chor mehr im Ganzen und Großen, beim ersten mehr im Detail, wie aus den ersten Gedanken und Entwürfen sich später das Vollkommene hervorbildet.


27 Nicht allein in Geblers Werken fehlt dieser Schlußchor, auch in der italiänischen Uebersetzung findet er sich nicht, was seinen Salzburger Ursprung beweist.


28 Die Originalpartitur (André Verz. 38) ist eine zierliche Reinschrift, welche 15 Nummern enthält. Jede Nummer ist für sich geschrieben mit Angabe des Auftritts, in welchen sie gehört, und der Stichworte, auf welche die Musik einfällt; auch sonst ist alles sorgfältig bemerkt, was die Inscenirung angeht, man sieht sie war zur Aufführung eingerichtet. Ein Titel ist nirgends angegeben.


29 Schon 1799 erschien im Intelligenz-Blatt der A. M. Z. II S. 21 die Anfrage: »Unter Mozarts hinterlassenen Werken findet sich ein teutsches Singspiel, wahrscheinlich 1778 oder 1779 geschrieben, ohne Titel, worin folgende Personen vorkommen: Gomaz, Zaide, Sultan, Zaram, Soliman, Osmin u.s.w. Sollte Jemand den Titel dieses Singspiels kennen, oder falls es gedruckt ist wissen, wo es herausgekommen ist, so wird er andurch ersucht, es den Verlegern dieser Zeitung anzuzeigen.« Es scheint keine Antwort erfolgt zu sein.


30 Zaide, Oper in zwei Acten von W.A. Mozart. Partitur [und Klavierauszug]. Offenbach Joh. André. André hat eine Ouverture und einen Schlußchor behufs der Aufführung hinzugefügt, wogegen nichts einzuwenden ist. Mozarts Composition ist unverändert genau mitgetheilt; allein leider sind mit dem Text durch C. Gollmick Veränderungen vorgenommen, der um die Oper aufführbar zu machen nicht allein einen Dialog dazu geschrieben, sondern auch die von Mozart componirten Worte hier und da geändert hat. Gewiß ist Schachtners Text unpoetisch und ungeschickt und jetzt nicht mehr zu ertragen, allein für die Beurtheilung von Mozarts Musik wäre es nöthig gewesen, die ursprünglichen Worte wenigstens neben die neu untergelegten zu setzen.


31 Ich bezweifle nicht, daß diese Operette keine Erfindung Schachtners, sondern einem, wahrscheinlich französischen, Original nur nachgebildet ist, das ich aber nicht habe auffinden können. Ein Roman Zaide von Mad. de La Fayette auf welchen mich mein College Prof. Monnard aufmerksam machte, behandelt einen ganz anderen Stoff. Demselben verdanke ich den Nachweis einer Tragödie Zaide von La Chapelle (1681) und einer Oper Zaide in drei Acten von La Mare, componirt von Royer (1739), die ich aber nicht selbst habe einsehen können.


32 Die Aehnlichkeit einiger Situationen mit der Entführung ist ebenso klar als die mindestens ebenso wesentliche Verschiedenheit im Ganzen, namentlich im ersten Act. Als Nebenperson tritt auch hier ein Osmin auf – der Name fehlt selten in den damals beliebten orientalischen Erzählungen –, der im zweiten Act eine komische Arie zu singen hat, welche in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Handlung zu stehen scheint. Die Meldung der Flucht geschieht im Original durch Zaram, nicht durch Osmin, wie bei Gollmick.


33 Es ist kein Chor dabei; zu dem Lied mit Refrain, welches die Oper eröffnet, ist bemerkt: »Der Vorsinger und drey andere«, die nur unisono singen.


34 Das Orchester ist das uns bekannte in Salzburg übliche, aber die Blasinstrumente sind sehr mäßig benutzt. Nur zweimal bei einer Arie des Sultan (12) und dem Quartett (16) sind Flöten, Oboen, Hörner und Fagotts vereinigt, sonst wechseln Flöten und Oboen, auch Hörner und Fagotts sind nicht immer beisammen; Trompeten und Pauken sind nur einmal bei der Wuthscene des Sultans (9) gebraucht. Die Art, wie sie bei dieser freiwilligen Beschränkung angewendet werden, zeigt allerdings die völlige Kenntniß und Freiheit im Gebrauch derselben, wie wir sie bei den zuletzt er wähnten Compositionen dieser Zeit beobachtet haben; der Natur der Sache nach sind sie hier mehr zu feinerer Ausführung im Einzelnen als zur Massenwirkung benutzt. Einige Arien (1. 11. 13) sind allein von Saiteninstrumenten begleitet.


35 In der unten erwähnten Arie des Alazim (15) sind sogar drei verschiedene Tempi, um den verschiedenen Nuancen der moralischen Betrachtung einen lebendigeren Ausdruck zu geben.


36 Nur die Arie des Alazim (7) ist etwas trocken und zu lang ausgedehnt.


37 Der Sultan singt (12):


Ich bin so bös als gut,

Ich lohne die Verdienste

Mit reichlichem Gewinnste;

Doch reitzt man meine Wuth,

So hab ich auch wohl Waffen

Das Laster zu bestrafen,

Und diese fordern Blut.


Zaide (14):


Tiger! wetze deine Klauen,

Freu' dich der erschlichnen Beut'!

Straf' ein thörichtes Vertrauen

Auf verstellte Zärtlichkeit!

Komm nur schnell und tödt' uns beide,

Sang der Unschuld warmes Blut,

Reiß' das Herz vom Eingeweide

Und ersättge deine Wuth!

Ach mein Gomaz! mit uns Armen

Hat das Schicksal kein Erbarmen;

Nur der Tod ach! nur der Tod

Endigt unsre herbe Noth.


Und Alazim (15):


Ihr Mächtigen seht ungerührt

Auf eure Sklaven nieder;

Und weil euch Glück und Ansehn ziert,

Verkennt ihr eure Brüder.

Nur der kennt Mitleid, Huld und Gnad',

Der, eh' man ihn zum Rang erhoben,

Des wandelbaren Schicksals Proben

Im niedern Staub gesammelt hat.


38 Dahin gehört z.B. der Luxus, welcher mit dem Ausruf »Tiger!« in der Arie der Zaide (14) getrieben wird, der bei dem emphatischen Schluß wirklich einen parodischen Eindruck hat. Und in der ersten Arie Solimans (10) sind die Worte


Der stolze Löw läßt sich zwar zähmen,

Er nimmt vom Schmeichler Fesseln an;

Doch will man sklavisch ihn bezähmen,

Steigt seine Wuth bis zum Tyrann


in einem Allegro maestoso mit einer gewissen pompösen Würde behandelt. Daß auf die letzten Worte ein großes Crescendo angebracht ist mag man sich gefallen lassen, aber zu den Worten


Er brüllet mit furchtbarer Stimme,

Und schleudert im wüthenden Grimme

In Trümmern die Ketten zur Erd',

Und was ihm entgegen

Wird von seinen Schlägen

Zum Tode verheert


brüllt auch das Orchester und man hört die Ketten herumsplittern. Mit dieser Eifersuchtsarie vergleiche man die des Grafen im Figaro, es ist ein Contrast wie vom Marionettentheater bis zum Pallast des Edelmanns; und doch wird man – aber freilich nur erst in einzelnen kleinen Zügen – denselben Geist auch hier schon spüren.


39 Der Unterschied wird z.B. klar, wenn man die beiden Arien der Zaide (3 und 14) mit einander vergleicht. In beiden ist ein langsamer Mittelsatz, auf welchen die theilweise Wiederholung des ersten folgt. In der ersten erscheint dies als eine natürliche Steigerung der Empfindung, die ebenso einfach sich wieder senkt und die Verschmelzung zu einem musikalischen Ganzen ist reizend; in der zweiten ist ein starker Contrast unvermittelter Empfindungen, und das Zurückgehen in die erste ist psychologisch und musikalisch nicht motivirt.


40 Es mag dabei auch das damals herrschende Vorurtheil, daß die Form der großen Arie »als Unterscheidungszeichen edlerer Personen, wenn die in der Gesellschaft natürlicherer Menschen auftreten« in der Operette am Ort sei (Reichardt über die deutsche comische Oper S. 8), mitgewirkt haben, sich da an sie anzulehnen, wo ein höheres Pathos ausgedrückt werden sollte.


41 Man sehe sich z.B. die Eintritte der vier Stimmen (S. 150f. 161f.), mit der herrlichen Steigerung beim Eintritt der letzten, oder die Stelle S. 167 an, um sich zu überzeugen, welche Freiheit und Lebendigkeit in der charakteristischen Bewegung den Einzelnen bei streng geschlossener Form gegeben und welche einheitliche Haltung des Ganzen dadurch gewonnen ist.


42 Diese Stelle ist, da sie den Worten und der Musik nach Mozart nicht genügte, von ihm zweimal bearbeitet worden.


43 Ein hübscher komischer Zug ist in der Arie Osmins (11), wie der rein musikalische Rückgang ins Thema zum Ausdruck des immer zunehmenden herzlichen Lachens benutzt wird (S. 94 der Part.).


44 Die Art wie hier die Tenorpartie sangbar behandelt ist hat durchaus den eigenthümlich Mozartschen Charakter der Süßigkeit und Innigkeit, wie wir ihn schon in der Arie des Polidoro in der Finta semplice (I S. 100f.) ausgesprochen fanden.


45 Es bedarf kaum erst der Bemerkung daß hierin ein deutlicher Beweis liegt, daß Zaide vor der Entführung componirt ist.


46 Bei diesen melodramatischen Scenen ist es besonders zu bedauern daß nicht der ursprüngliche Text gedruckt ist, da es hier auf den charakteristischen Ausdruck des Einzelnen ankommt. Im Monolog Solimans betreffen die Aenderungen mit einigen Ausnahmen nicht so sehr das Wesentliche, aber der Monolog des Gomaz ist dadurch völlig entstellt, dag Gollmick die ganze historische Exposition hineingebracht hat, die überhaupt für eine solche Darstellungsweise nicht paßt und jedenfalls Mozarts Intentionen gar nicht erkennen läßt. Dem ursprünglichen Text nach beschäftigt sich Gomaz nur mit den Leiden seiner gegenwärtigen Lage; die Stimmung ist in demselben, wie ungeschickt auch die Ausdrücke sind, mit richtigerem Sinn festgehalten. Wenn Gomaz um erquickenden Schlummer fleht und die Musik ausdrückt, wie er aus der Ruhe wiederholt auf, schreckt, sind ihm hier Schwärmereien für Zaide in den Mund gelegt. Als er nachher von neuem zu entschlummern sucht und dasselbe Motiv eintritt, sagt er jetzt: »Wie konnte ihr, der Edlen, umgeben von Pracht und Größe, der Fremdling solche Theilnahme einflößen«!


47 Es genügt an das wunderbar schöne Melodram im Fidelio zu erinnern, das hierfür mustergültig ist. In vielen melodramatischen Scenen ist freilich nur zu sichtbar, daß die viel größere Leichtigkeit einzelne Momente scharf hervorzuheben, kleine charakteristische Motive zu erfinden und mit einander zu verbinden, namentlich wo ein drastischer Text die Eselsbrücke hergiebt, gegenüber der Aufgabe ein innerlich und äußerlich zusammenhängendes Ganze zu bilden, die Hauptursache ist warum diese Behandlungsweise beliebt wurde.


Quelle:
Jahn, Otto: W.A. Mozart. Band 2, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1856, S. 1-2,379-421.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Gellert, Christian Fürchtegott

Geistliche Oden und Lieder

Geistliche Oden und Lieder

Diese »Oden für das Herz« mögen erbaulich auf den Leser wirken und den »Geschmack an der Religion mehren« und die »Herzen in fromme Empfindung« versetzen, wünscht sich der Autor. Gellerts lyrisches Hauptwerk war 1757 ein beachtlicher Publikumserfolg.

88 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon