Wenn wir Mozart in früherer Zeit durch die eigenthümlichen Verhältnisse, welchen er sich in Salzburg fügen mußte, vielfach beschränkt und zurückgehalten sahen, so war dagegen auch nicht zu verkennen, daß die strenge Schule, in welcher er sich dort befand, für den sich heranbildenden Jüngling in vieler Beziehung eine Wohlthat war. Jetzt konnte man dies nicht sagen; seitdem er von seiner Reise zurückgekehrt war, fand er in dem Salzburger Aufenthalt nur Hemmung und Druck. Der Schule war er entwachsen; was ihm jetzt noth that war Freiheit, bedeutende Aufgaben an denen seine Kraft sich bewähren und stärken konnte und die Mittel, um das was er wollte und konnte, auch wirklich darzustellen. Von allem was dazu gehörte war in Salzburg keine Rede, wohl aber wurde ihm außer der Beschränkung in allen künstlerischen Dingen, durch Mißgunst und Geringschätzung oder doch durch Mangel an Verständniß und Theilnahme Stimmung und Laune je länger je mehr verdorben, und wir dürfen uns wohl wundern, daß er nicht ganz erlahmte. Natürlich waren [420] seine Blicke sehnsüchtig nach auswärts um Erlösung gerichtet und er sah es als ein großes Glück an, als ihm der Antrag geschah die große Oper für das Carneval 1781 in München zu schreiben. Bei dem Interesse, welches Karl Theodor und seine Gemahlin für ihn hatten, wurde es wohl Mozarts Freunden unter dem Sänger- und Orchesterpersonal nicht schwer die Wahl auf ihn zu lenken, der Erzbischof hatte zu bestimmt versprochen Mozart reisen zu lassen, wenn er bestimmte Anträge der Art erhalten sollte, und war auch wohl dem Münchner Hof zu viele Rücksicht schuldig, um die Erlaubniß zu verweigern. Man wünschte in München eine ganz neue Oper zu haben, und so erhielt der Abbate Varesco in Salzburg1 den Auftrag das Libretto zu verfassen; er konnte mit Mozart, der das Münchner Personal genau kannte, jede Rücksprache nehmen um ihm den Text ganz zu Dank zu machen, und so durfte man etwas den glänzenden Verhältnissen der Münchner Oper entsprechendes erwarten. Als später eine Uebersetzung nöthig befunden wurde, schlug Mozart seinen alten Freund Schachtner vor, der auch angenommen wurde; und Leop. Mozart konnte mit einigem Stolz an Breitkopf schreiben (10. Aug. 1781): »Das Merkwürdige war, daß Alles von in Salzburg stehenden Personen war: die Poesie vom hiesigen Hofcapellan Abbate Varesco, die Musik von meinem Sohn, die teutsche Uebersetzung von Hrn. Schachtner.«
[421] Varesco hat seinen Idomeneo einer französischen Tragödie nach einem von München ihm gelieferten Plan nachgebildet2, und demselben, wie es einer Oper damals einzig angemessen galt, einen heiteren Schluß gegeben. Der Inhalt ist kurz folgender.
Idomeneo, König von Creta, ist nach der Zerstörung Trojas durch Irrfahrten von der Heimath lange fern gehalten, wo sein Sohn Idamante, während des Vaters Abwesenheit herangewachsen, in kindlicher Liebe seiner harrt. Zu ihm hat Electra, die Tochter Agamemnons, welche nach dem Muttermorde des Orestes von den aufrührerischen Argivern verbannt ist, ihre Zuflucht genommen und ist von heftiger Leidenschaft für ihn ergriffen. Auch Ilia, die Tochter des Priamus, welche mit anderen troischen Gefangenen von Idomeneo nach Creta geschickt ist, hat zu Idamante eine Neigung gefaßt, welche von diesem erwiedert wird. Beim Beginn der Oper finden wir Ilia im Kampf mit sich selbst, da sie als Troianerin ihre Liebe zu dem Feinde ihres Vaterlandes verdammen muß (Arie 2). Idamante naht sich ihr erfreuet; er hat Nachricht erhalten daß die Flotte seines Vaters in Sicht ist und den alten Vertrauten Arbace abgesandt um nähere Nachricht zu bringen; an diesem frohen Tage schenkt er den troischen Gefangenen die Freiheit und erklärt Ilia seine Liebe, die ihn obwohl widerstrebend zurückweist, worauf er seine Klagen in einer Arie (3) ausspricht. Die gefangenen Trojaner werden nun herbeigeführt und von ihren Fesseln befreiet, was zu einem heiteren Chor (4) Veranlassung giebt. [422] Electra kommt und drückt ihre Unzufriedenheit über diese Begünstigung der Feinde aus, da naht Arbace der – eine falsche Nachricht – vernommen hat daß Idomeneo im Schiffbruch umgekommen sei; voll Schmerz entfernt sich Idamante, Electra bleibt zurück und spricht ihre Eifersucht und Hoffnungslosigkeit aus (Arie 5). Die Scene verändert sich. Man sieht von der Küste aus die Flotte des Idomeneo vom Sturm bedroht und im Scheitern begriffen, die Schiffsleute jammern und flehen um Hülfe. Da erscheinet Neptun aus dem Meer und gebietet den Winden sich zu entfernen, Idomeneo fleht ihn um Hülfe an, der Gott aber wirst ihm drohende Blicke zu und verschwindet. Nachdem das Meer beruhigt ist, kommt Idomeneo ans Land; man erfährt nun, daß er während des Sturmes dem Neptun gelobt habe den ersten Menschen, der ihm begegnen werde, zu opfern; er schaudert selbst vor seinem Gelübde zurück und sieht mit Angst seinem Opfer entgegen (Arie 6). Da kommt Idamante, der mit seiner Trauer die Einsamkeit sucht; er bietet dem Fremden, den er nicht erkennt, seinen Schutz an, im Verlauf des Gesprächs ergiebt sich daß er um seinen Vater trauert, daß dieser Idomeneo ist – da giebt sich ihm Idomeneo zu erkennen, aber überwältigt von seiner furchtbaren Lage entfernt er sich gleich und verbietet Idamante ihm zu folgen. Dieser, der die Ursache nicht kennt, ist trostlos daß der Vater seine treue Liebe unwillig zurückweise (Arie 8). – Auf den ersten Act folgt ein Intermezzo, dessen Inhalt der Oper angepaßt ist. Unter einem Marsch (9) steigen die Krieger des Idomeneo von den Schiffen aus Land, werden von Frauen und Kindern begrüßt »und geben ihre außerordentliche Freude durch einen großen Reihentanz zu erkennen, welcher sich mit einem Chor endigt« (10).
Zu Anfang des zweiten Acts ist Idomeneo mit Arbace im Gespräch. Er theilt ihm das furchtbare Gelübde mit, dessen [423] Erfüllung er sich zu entziehen wünscht; Arbace stellt ihm zwar vor, daß dies unmöglich sei, allein als er hört daß Idamante das Opfer sei, räth er selbst ihn in ferne Lande zu entsenden und durch seine Verbannung aus der Heimath den Zorn des Neptun zu versöhnen. Erfreuet beschließt Idomeneo dem Idamante zu befehlen Electra nach Argos zu geleiten und dort auf den Thron zu erheben, er heißt Arbace ihnen den Auftrag bringen, sich zur Abreise bereit zu halten, dieser spricht seinen Gehorsam aus (Arie 11) und geht ab. Hierauf erscheint Ilia, äußert ihre Freude über Idomeneos Rettung, und indem sie Idamantes Güte rühmt, drückt sie ihren Dank und ihre Anhänglichkeit aus (Arie 12). Die Lebhaftigkeit, mit welcher dies geschieht, läßt Idomeneo ahnen, daß Ilia und Idamante einander lieben, sein Kummer und seine Verwirrung werden dadurch nur noch gesteigert (Arie 13). Indem kommt Electra, um ihm für seine Fürsorge zu danken; er läßt sie allein, die nun ihren höchsten Wunsch erfüllt sieht und sich auf dem Gipfel des Glücks wähnt (Arie 14). Unter einem Marsch (15) versammeln sich die Krieger und Schiffer am Hafen, Electra erscheint mit Gefolge, das Meer ist ruhig, Alle sehen einer heiteren Fahrt entgegen (Chor 16). Idomeneo entläßt Idamante, der in diesem Befehl einen neuen Beweis der ihm unerklärlichen Unzufriedenheit seines Vaters sieht; sie sprechen ihre widerstreitenden Gefühle in einem Terzett aus (17). Als sie sich den Schiffen nähern um einzusteigen, erhebt sich ein furchtbarer Sturm, der das Volk in Entsetzen bringt, und aus den Wellen steigt ein gräßliches Seeungeheuer auf; da erkennt Idomeneo, daß sein Ungehorsam den Neptun beleidigt, er selbst als der Schuldige will sterben, nicht einen Unschuldigen opfern. »Der Sturm wüthet immerfort; die Cretenser entfliehen vor Furcht und zeigen im Chor durch Singen und pantomimische Tänze, welche zur Handlung [424] passen, ihre Angst und Schrecken an und schließen damit den Aufzug« (18).
Den dritten Aufzug eröffnet Ilia, welche den Lüften ihre Liebe klagt (Arie 19). Idamante überrascht sie und erklärt ihr seinen Entschluß, da sein Vater ihn hasse und sie seine Liebe verschmähe, im Kampf mit dem Ungeheuer welches das Land verwüstet seinen Tod zu suchen; dies entreißt ihr das Geständniß ihrer Liebe, und beide sprechen nun ihr Glück in einem Duett aus (20). So findet sie Idomeneo, der mit Electra herbeikommt; er kann sich nicht entschließen Idamante die wahre Ursache seines räthselhaften Benehmens zu entdecken, allein um ihn zu retten befiehlt er ihm von Neuem auf der Stelle Creta zu verlassen und in einem fremden Lande einen sicheren Zufluchtsort zu suchen. Die verschiedenen Gefühle der Anwesenden finden in einem Quartett ihren Ausdruck (21). Nachdem Idamante sich entfernt hat, kommt Arbace und meldet, daß das Volk den Oberpriester an der Spitze sich herbeidränge um von Idomeneo Befreiung von dem Ungeheuer zu verlangen; dieser geht sie zu empfangen, und Arbace drückt seine heißen Wünsche für das Glück seiner Herrscher aus (Arie 22). Auf dem großen Platz vor der Burg erscheint der Oberpriester mit zahlreichem Volk, er schildert die Verheerung, welche das Ungethüm anrichte, der Idomeneo nur durch die Erfüllung des Gelübdes ein Ziel setzen könne und verlangt zu wissen, wer zum Opfertod geweiht sei (23). Als aber Idomeneo seinen Sohn nennt, den er zu opfern bereit sei, ergreift Trauer das Volk (Chor 24). Während eines Marsches (25) betritt Idomeneo mit seinem Gefolge den Tempel des Neptun und wendet sich mit den Priestern die das Opfer vorbereiten im feierlichen Gebet an den Gott (26); da ertönt von fern Jubelgeschrei, Arbace eilt herbei und meldet daß Idamante im heldenmüthigen Kampf [425] das Ungeheuer getödtet hat. Und schon wird dieser von Priestern und Wachen herbeigeführt, bekränzt und im weißen Gewande, er kennt jetzt das Gelübde des Vaters und aufgeklärt über dessen Gesinnung gegen ihn ist er mit Freuden bereit als Opfer zu fallen (Arie 27). Als Idomeneo im Begriff ist den tödtlichen Streich zu führen, hält ihn die herzueilende Ilia zurück; sie will statt des Geliebten sterben, und zwischen ihr und Idamante erhebt sich ein zärtlicher Wettstreit, dem Idomeneo mit Rührung, Electra mit Wuth und Eifersucht zuhört. Als Ilia vor dem Altar niederkniet »höret man ein großes unterirdisches Getöse, die Statue des Gottes Neptun erschüttert sich, der hohe Priester steht in Entzückung vor dem Altar, Alles ist erstaunt und bleibt vor Furcht unbeweglich, eine tiefe und majestätische Stimme verkündet den Willen der Götter«: Idomeneo soll dem Throne entsagen, Idamante ihn besteigen und mit Ilia vereinigt werden (28). Bei diesem unerwarteten Ausgang bricht die enttäuschte Electra in den heftigsten Zorn aus (Arie 29) und »geht wüthend ab«, Idomeneo ordnet Alles dem Willen der Gottheit gemäß an (30) und spricht seine dankbare Freude aus (Arie 31); Idamante wird in einem pantomimischen Ballet gekrönt, während dessen ein heiterer Schlußchor (32) gesungen wird3.
Man sieht daß Varesco bei der Bearbeitung dieses Textes4 [426] , obgleich das Schema der Opera seria zu Grunde liegt, sich bemüht hat auch die eigenthümlichen Vorzüge der französischen Oper zu nutzen. Dies verräth sich schon durch die Sorge für Abwechslung in prächtigen Decorationen und Maschinerien, für Märsche und Aufzüge, die in keinem Acte fehlen und für pantomimische Tänze und Ballets, die mit der Handlung in Zusammenhang gesetzt sind5. Ferner war das häufige Auftreten des Chors, welcher der italiänischen Oper fremd blieb, offenbar durch die französische Oper veranlaßt. Auch zeigt sich darin ein namhafter Fortschritt, daß der Chor nicht allein verwendet wird um bei festlichen Ceremonien den Pomp zu erhöhen und dem Ballet eine Stütze zu bieten, sondern daß er an der Handlung in wichtigen Momenten sich betheiligt, und deshalb nicht allein verschiedenartige, lebhaft bewegte, sondern auch charakteristische, dramatisch bedeutsame Stimmungen ausdrückt. Sicherlich hat Mozart, dessen Streben Gluck auf diesem Gebiet nachzueifern wir kennen, hierauf ganz besonders einen bestimmenden Einfluß geäußert. Ebenso ist in der Art, wie die Ensemblesätze angebracht sind, der Opera seria gegenüber die größere Freiheit[427] nicht zu verkennen. Sie sind nicht mehr, wie dort regelmäßig, in bestimmter Reihenfolge an den Actschluß verlegt, so daß sie außerhalb der Handlung stehen, sondern sie ergeben sich naturgemäß aus dem Gange derselben, und haben mithin dramatische Bedeutung, indem die verschiedenen Personen ihrem Charakter und ihren Verhältnissen gemäß in einer bestimmten Situation vereinigt ihre Stimmung aussprechen. Solche Sätze sind freilich nur sparsam angebracht und keineswegs alle dafür geeigneten Situationen zu diesem Zweck benutzt worden; auch ist es nicht versucht worden, nach der Analogie des Finales der komischen Oper, mehrere eng zusammenhängende Momente der Handlung zu einem Ganzen musikalischer Darstellung zu vereinigen, vielmehr ist streng daran fest gehalten, daß jede einzelne Situation in der musikalischen Behandlung für sich abgeschlossen sei. Wenn sich hierin Abhängigkeit von einer bestimmten, nicht aus der Natur des Drama hervorgegangenen Form verräth, so ist dagegen wieder das Bestreben unverkennbar, den Stoff mit einem gewissen tragischen Ernst zu behandeln, der die in der italiänischen Oper vorherrschende weichliche Zärtlichkeit zurücktreten läßt, den einzelnen Charakteren ein psychologisches Interesse, und der Handlung eine natürliche Entwickelung und einen das Interesse fesselnden Fortschritt zu geben. Allerdings ist dies nur in einem mäßigen Grade gelungen; Varesco war kein Dichter und der Geist, in welchem Stoffe dieser Art durch die französische Tragödie bearbeitet wurden, war nicht geeignet ihn in eine viel höhere Sphäre zu erheben als die der italiänischen Oper war. Das conventionelle Wesen ist auch hier vorherrschend, Leidenschaft und Empfindung äußern sich nicht frei und naturgemäß, Zierlichkeit und Uebertreibung, beide gleich unwahr, berühren einander; sämmtliche Personen bewegen sich mit einer gewissen Etikette und die Handlung [428] hängt an so schwachen Fäden, daß sie trotz der starken Leidenschaften, welche sie in Bewegung setzt, kein lebhaftes und gleichmäßig fortschreitendes Interesse erweckt. Hierin treffen die schwachen Seiten der französischen und der italiänischen Oper zusammen; anderes gehört lediglich der letzten an. Dahin gehört namentlich daß die Rolle des Idamante noch einem Castraten zugetheilt, und die Baßstimme nur für die Nebenpartie des Orakels angewendet wird; Idomeneo ist nach hergebrachter Weise Tenor, der fast allein drei Sopranstimmen gegenübersteht, denn Arbace ist als Vertrauter vollkommen in der Weise eines Secondariers behandelt, dessen Arien ziemlich nur als Lückenbüßer dienen, und der Oberpriester tritt nur einmal in einem obligaten Recitativ hervor. Ueberhaupt ist die Art wie die Arien eingeführt werden und ihre dichterische Behandlung wesentlich noch die der italiänischen Oper; sie bilden weniger den Culminationspunkt der dramatischen Situation, als daß sie dieselbe mit einer Art von Pointe abschließen, wie sie denn vielfach eine allgemeine Sentenz oder ein ausgeführtes Bild zum Inhalt haben, welche durch die Musik erst den individuellen Charakter erhalten sollen. Auch ist Varesco wohl ein ganz geübter Versemacher, der den für die Oper geläufig gewordenen poetischen und rhetorischen Apparat nicht ohne Geschick verwendet, aber weit entfernt von Metastasios Feinheit und Grazie. Nichts desto weniger zeigt sich auch hier der Vortheil einer sicheren Tradition, denn was zur äußerlichen Einrichtung gehört, z.B. die angemessene Vertheilung der einzelnen Musikstücke, so daß eins das andere hebt und trägt, und manches Andere der Art, was wichtiger für die Wirkung ist, als Viele denken, ist mit Einsicht ausgeführt. Kurz, wenn man den Idomeneo mit den früheren von Mozart componirten Opern vergleicht, so ist der Fortschritt in der Wahl und Behandlung des Stoffes [429] bedeutend; übrigens ist die Verschmelzung der wesentlichen Vorzüge der französischen und italiänischen Oper, auf welche es abgesehen war, noch keineswegs gelungen, sondern es ist vielmehr nur zwischen beiden ein Abkommen getroffen.
Nachdem das Buch fertig geworden und ein Theil der Musik geschrieben war, begab sich Mozart nach München6 um, wie es Sitte war, an Ort und Stelle die Oper zu vollenden. Nach einer sehr unbequemen Reise, da er namentlich gar nicht hatte schlafen können, schrieb er am 8. November 1780 seinem Vater: »Glücklich und vergnügt war meine Ankunft!« Hier gab es nun vollauf zu thun, die Oper mußte einstudirt und in Scene gesetzt und zum größten Theil noch [430] erst geschrieben werden. Wie viel er schon fertig mit nach München brachte ist nicht genau anzugeben; wahrscheinlich die Recitative größtentheils, wohl auch den ersten Act und vielleicht einen Theil des zweiten; wenigstens deutet die Erwähnung bereits fertiger Musikstücke in seinen ersten Briefen darauf hin.
Er konnte mit gutem Muthe dran gehen, denn von allen Seiten kam man ihm mit Wohlwollen entgegen. Graf Seeau, der »von den Mannheimern wie Wachs zusammengeschmolzen« war, war ihm in Allem zu Willen und wenn sie auch mitunter aneinander geriethen, so gab der Graf doch schließlich nach7. Auch der Churfürst nahm ihn sehr gnädig auf. »Bald hätte ich das Beste vergessen!« schreibt er (15. Nov. 1780) »Graf Seeau hat mich letzten Sonntag nach dem Amte dem Churfürsten en passant vorgestellt, welcher sehr gnädig mit mir war, indem er sagte: Es freut mich, ihn wieder hier zu sehen. Und als ich sagte, daß ich mich beeyfern werde, den Beyfall Sr. churfürstl. Durchlaucht zu erhalten, so klopfte er mich auf die Schulter und sagte: O daran habe ich keinen Zweyfel, daß Alles sehr gut seyn wird. – A piano piano si va lontano!« Auch der Adel war günstig für ihn gestimmt. »Gestern« berichtet er (13. Nov. 1780) »habe ich mit Cannabich bei der Gräfin Baumgarten8 gespeist, eine geborne Leichenfeld. Mein Freund ist Alles in diesem Hause, und ich nun also auch; das ist das beste und nützlichste Haus hier für mich, denn durch dieses ist auch Alles wegen meiner gegangen [431] und wird wills Gott noch gehen.« Er konnte daher seinen Vater über den Erfolg der Oper vollkommen beruhigen (24. Nov. 1780): »Wegen meiner Oper seyen Sie außer Sorg, mein liebster Vater; ich hoffe daß Alles ganz gut gehen wird. – Eine kleine Cabale wird es wohl absetzen, die aber vermuthlich sehr comisch ausfallen wird9; denn ich habe unter der Noblesse die ansehnlichsten und vermöglichsten Häuser, und die Ersten unter der Musik sind Alle für mich, besonders Cannabich10«.
Von den Sängern und dem Orchester war allerdings keine Cabale zu erwarten, Mozart war ebenso beeifert es ihnen recht zu machen als sie zufrieden waren. Bei diesem Zusammenarbeiten sowie bei der Einrichtung für die Bühne ergaben sich aber manche Veränderungen im Libretto als wünschenswerth und Varesco mußte vielfach angegangen werden dieselben vorzunehmen oder die vorgeschlagenen zu billigen11.
Von dem Personal, für welches er schrieb12 machte ihm [432] der Castrat dal Prato13 wirklich Noth. Gleich nach seiner Ankunft hatte er »eine Hundsfütterei« zu berichten (8. Nov. 1780). »Ich habe zwar nicht die Ehre, den Helden dal Prato zu kennen, doch der Beschreibung nach ist noch fast Ceccarelli besser; denn mitten in einer Arie ist öfters schon sein Odem hin und NB. er war noch nie auf einem Theater und Raaff ist eine Statue. Nun stellen Sie sich einmal die Scene im ersten Act [die Begegnung des Idomeneo und Idamante] vor«. Als er die Bekanntschaft desselben machte, bestätigten sich leider diese Nachrichten. »Meinen molto amato Castrato dal Prato« schreibt er (15. Nov. 1780) »muß ich die ganze Oper lehren14, denn erist nicht im Stande einen Eingang in eine Arie zu machen, der etwas heißt und hat eine ungleiche Stimme.« Auch bei dem Quartett, das sechsmal probirt werden mußte ehe es ging, war er der Stein des Anstoßes. »Der Bub kann doch gar nichts« klagt Mozart (30. Dec. 1780). »Seine Stimme wäre nicht so übel, wenn er sie nicht in den Hals und in die Gurgel nehmte; übrigens hat er aber gar keine Intonation – keine Methode – keine Empfindung, sondern singt wie etwa der beste unter den [433] Buben, die sich hören lassen, um in dem Kapellhause aufgenommen zu werden.«
In ganz anderer Art machte ihm sein »bester, liebster Freund« Raaff zu schaffen. Er war außerordentlich häkelich und Mozart änderte ihm zu Liebe, nicht allein wo er Recht hatte, sondern meinte, hätte er es nicht, so müßte man doch seinen grauen Haaren etwas zu Gefallen thun. Freilich hatte auch diese Nachgiebigkeit ihre Grenzen. »Hören Sie«, schreibt er dem Vater (27. Dec. 1780) »der Raaff ist der beste, ehrlichste Mann von der Welt, aber – auf den alten Schlendrian versessen, daß man Blut dabey schwitzen möchte. Folglich ist es sehr schwer für ihn zu schreiben, – sehr leicht auch, wenn Sie wollen, wenn man so alle Tage Arien machen will, wie par exemple die erste Arie Vedrommi intorno etc. Wenn Sie sie hören werden – sie ist gut, sie ist schön; aber wenn ich sie für Zonca15 geschrieben hätte, so würde sie noch besser auf den Text gemacht seyn. Er liebt die geschnittenen Nudeln zu sehr und sieht nicht auf die Expression. – Mit dem Quartett habe ich itzt meine Noth mit ihm gehabt. Das Quartett, je öfter ich mir es auf dem Theater fürstelle, wie mehr Effect macht es mir, und hat auch allen, die es noch so am Clavier gehört haben, gefallen. Der einzige Raaff meint, es wird nicht Effect machen; er sagte es mir ganz allein – non c'è da spianar la voce – es ist zu lang. Als wenn man in einem Quartett nicht viel mehr reden als singen sollte! Dergleichen Sachen versteht er gar nicht. Ich[434] sagte nur: Liebster Freund! Wenn ich nur eine Note wüßte, die in diesem Quartett zu ändern wäre, so würde ich es sogleich thun; allein – ich bin noch mit keiner Sache in dieser Oper so zufrieden gewesen wie mit diesem Quartett, und hören Sie es nur einmal zu sammen, dann werden Sie gewiß anders reden. Ich habe mir bey Ihren zwey Arien alle Mühe gegeben Sie recht zu bedienen, werde es auch bey der dritten thun und hoffe es zu Stande zu bringen; – aber was Terzetten und Quartetten anbelangt, muß man dem Compositeur seinen freyen Willen lassen. Darauf gab er sich zufrieden.« Nach der Probe fand Raaff sich auch »mit Vergnügen betrogen und zweifelte nun auch nicht an dem guten Effect« (30. Dec. 1780). Die Mühe, welche Mozart sich um seine Arien gab, lohnte er ihm auch durch freudigen Beifall. »Er war gestern bey mir«, schreibt Mozart (15. Nov. 1780) »ich habe ihm seine erste Arie vorgeritten, er war sehr damit zufrieden.« Ebenso war es mit der Arie im zweiten Act. »Der Mann ist so in seine Aria verliebt«, heißt es (1. Dec. 1780) »als es nur immer ein junger, feuriger Mann in seine Schöne seyn kann; denn Nachts ehe er einschläft und Morgens da er erwacht singt er sie. Er hat zu Baron Viereck und Hr. v. Castel gesagt: Ich war sonst immer gewohnt mir in die Rollen zu helfen, sowohl in die Recitativ als Arien; da ist aber Alles geblieben wie es war, ich wüßte keine Note, die mir nicht anständig wäre, – enfin, er ist zufrieden wie ein König«16.
[435] Die beiden anderen Sänger gehörten der alten Münchner Oper an; »der alte ehrliche Panzachi«17 war seiner Zeit ein vortrefflicher Sänger gewesen und ein guter Acteur, aber seine Blüthezeit war vorüber und auch Valesi18, der einen wohlverdienten Ruhm als Tenorist hatte, leistete damals schon mehr durch Gesangunterricht als auf der Bühne. Man begreift daher wenn Leop. Mozart schreibt (11. Nov. 1780): »Was Du mir von dem singenden Personal schreibst, ist traurig; das Beste also wird die Musik-Composition thun müssen.«
Mit den Sängerinnen hatte es diesmal gar keine Schwierigkeiten. Die beiden Wendling19 waren ihm befreundet und zugethan, sie gingen auf seine Weise ein und waren zufrieden, so wie er es machte. »Mad. Dorothea Wendling ist mit ihrer Scene arci-contentissima, sie hat sie dreymal nach einander hören wollen« konnte er gleich nach Hause berichten (8. Nov. 1780), und wegen der zweiten Arie verständigten sie sich dann mit einander. »Die Lisel Wendling«, meldet er bald darauf (15. Nov. 1780) »hat auch schon ihre zwey [436] Arien ein halb dutzendmal durchgesungen, sie ist sehr zufrieden; ich habe es von einer dritten Hand, daß die beyden Wendlinge ihre Arien sehr gelobt haben.«
Mozart war mit großem Eifer anhaltend fleißig beim Einstudiren und Componiren – auch eine Arie für Schikaneder wurde inzwischen fertig gemacht –, obgleich er von einem heftigen Katarrh befallen war20, gegen den er zwar alle möglichen Hausmittel, die ihm sein Vater empfahl, anwendete, durch die er auch mitunter Erleichterung spürte; allein da er schreiben mußte, was dem Katarrh nicht gut that, so ging es auch mit der Besserung nur langsam21.
[437] Ende November wurde der erste Act probirt und die allgemeine Erwartung wurde durch den Erfolg derselben nur noch höher gespannt. »Die Probe« schreibt er (1. Dec. 1780) »ist außerordentlich gut ausgefallen. Es waren nur in allem sechs Violin, aber die gehörigen Blas-Instrumenten; von Zuhörern wurde Niemand zugelassen, als die Schwester vom Seeau und der junge Graf Seinsheim. – Ich kann Ihnen nicht sagen, wie Alles voll Freude und Erstaunen war. Ich vermuthete es aber nicht anders; denn ich versichere Sie, ich ging mit so ruhigem Herzen zu dieser Probe, als wenn ich wo auf eine Collation hin ginge. – Graf Seinsheim sagte zu mir: ›Ich versichere Sie, daß ich mir sehr viel von Ihnen erwartet habe, aber das hab ich wahrlich nicht erwartet.‹ Das Cannabich'sche Haus, und Alle, die es frequentiren, sind doch wahre Freunde von mir. Als ich nach der Probe mit Cannabich (denn wir hatten noch Vieles mit dem Grafen zu sprechen) zu ihm nach Hause kam, kam mir schon Mad. Cannabich entgegen und umarmte mich voll Vergnügen, daß [438] die Probe so gut ausgefallen; denn Ramm und Lang kamen wie närrisch nach Hause. Die gute Frau, die wahre Freundin von mir, hatte unterdessen, da sie mit ihrer kranken Rose allein zu Hause war, tausend Sorgen wegen meiner. Ramm sagte mir (denn wenn Sie diesen kennen, werden Sie sagen, das ist ein wahrer Teutscher, der sagt Ihnen so Alles ins Gesicht, wie er sich es denkt): Das kann ich Ihnen wohl gestehen, sagte er, daß mir noch keine Musique solche Impression gemacht hat, und ich versichere Sie, daß ich wohl funfzig Mal auf Ihren Hrn. Vater gedacht habe, was dieser Mann für Freude haben muß, wenn er diese Opera hört. Nun genug davon! – Mein Catarrh ist bey dieser Probe etwas ärger geworden. Man erhitzt sich halt doch, wenn Ehre und Ruhm im Spiele sind, man mag Anfangs noch so kaltblütig seyn«22.
Der Vater der anfangs Wolfgang ermahnt hatte, ja nichts auf die lange Bank zu schieben23 – wie er es wohl [439] in Salzburg gemacht hatte – wurde bei dem anhaltenden Katarrh besorgt, um so mehr, da auch die Tochter von einem bedenklichen Brustübel befallen war, und forderte ihn auf seine Erkältung ja nicht zu vernachlässigen sondern sich zu schonen; er solle den dritten Act nur nicht übereilen, er würde noch früh genug damit fertig werden. Bereit wie er immer war ihm guten Rath zu ertheilen, ermahnte er ihn ja darauf bedacht zu sein, daß eine Oper nicht bloß Kennern gefallen solle (11. Dec. 1780). »Ich empfehle Dir, bey Deiner Arbeit nicht einzig und allein für das musikalische, sondern auch für das ohnmusikalische Publicum zu denken: – Du weißt, es sind hundert ohnwissende gegen zehn wahre Kenner; – vergiß also das sogenannte Populare nicht, das auch die langen Ohren kitzelt.« Davon aber wollte Wolfgang nichts wissen. »Wegen dem sogenanten Popolare« antwortet er ihm (16. Dec. 1780) »sorgen Sie nichts, denn in meiner Opera ist Musik für alle Gattung von Leuten – ausgenommen für lange Ohren nicht.«
Unterdessen gingen die Proben ihren Gang fort. Am 16. Dec. Nachmittags wurde bei Graf Seeau der erste Act – die Stimmen waren indessen duplirt, so daß zwölf Geiger spielten, – mit dem zweiten probirt. Auch diese Probe fiel gut aus, »und hat sich das Orchestre«, meldet Wolfgang (19. Dec. 1780) »wie alle Zuhörer, mit Vergnügen betrogen gefunden, daß der zweyte Act in Ausdruck und Neuheit ohnmöglich stärker als der erste seyn kann. Künftigen Samstag werden wieder die zwey Acte probirt, aber in einem großen Zimmer bey Hofe, welches ich längst gewunschen, denn bey [440] Graf Seeau ist es gar zu klein. Der Churfürst wird in einem Nebenzimmer incognito zuhören. Da soll aber auf Leib und Leben probirt werden, sagte der Cannabich zu mir. Bey der letzten Probe war er ganz durchnäßt vom Schwitzen. Daß ich gesund und froh bin« setzt er hinzu »werden Sie aus meinen Briefen gemerkt haben. Man ist doch froh, wenn man von einer so großen, mühsamen Arbeit endlich befreyet, und mit Ehre und Ruhm befreyet ist: denn fast bin ich es, – denn es fehlen nur noch drey Arien und der letzte Chor vom 3ten Acte, die Ouverture und das Ballet – et adieu partie!«
Noch höher steigerte sich die Befriedigung bei der nächsten Probe. »Die letzte Prob ist herrlich gewesen«, schreibt er (27. Dec. 1780) »sie war in einem großen Zimmer bey Hof, der Churfürst war auch da. Dieses Mal ist mit dem ganzen Orchestre (versteht sich, das im Opernhause Platz hat) probirt worden. – Nach dem ersten Acte sagte mir der Churfürst überlaut Bravo, und als ich hinging, ihm die Hand zu küssen, sagte er: Diese Oper wird charmant werden, Er wird gewiß Ehre davon haben. – Weil er nicht wußte, ob er so lange da bleiben kann, so mußte man ihm die concertirende Aria und das Donnerwetter zu Anfang des zweyten Act machen. Nach diesem gab er mir wieder auf das Freundlichste seinen Beyfall, und sagte lachend: Man sollte nicht meynen, daß in einem so kleinen Kopf so was Großes stecke. Er hat auch den andern Tag früh beym Cercle meine Opera sehr gelobt.« Dies bestätigte sich und daß der Churfürst Abends bei der Cour wieder lobend von der Musik gesprochen hatte; Mozart erfuhr von sicherer Hand daß er den Abend nach der Probe gesagt hatte: »Ich war ganz surprenirt – noch hat mir keine Musik den Effect gemacht – das ist eine magnifique Musik.«
Auch von diesen Erfolgen kamen die günstigen Nachrichten, [441] eine über die anderen, nach Salzburg. »In der ganzen Stadt ist ein allgemeines Reden wegen der Güte Deiner Opera« verkündet der Vater (25. Dec. 1780). »Den ersten Lärm machte Baron Lerbach; die Hofkanzlerin sagte es mir, daß er ihr erzählt habe, die Opera werde durchgehends außerordentlich gelobt. Den zweyten machte Herrn Beckes Brief an Fiala, den er aller Orten lesen ließ.« An Leop. Mozart selbst schrieb Becke »daß der Chor im zweyten Act beym Sturme so stark wäre, daß er Jedem, auch in der größten Sonnenhitze, eiskalt machen müßte.« Er rühmte die concertirende Arie der Dorothea Wendling im zweyten Act außerordentlich. Auch der Violinspieler Esser aus Mainz, der in Salzburg Concert gegeben hatte24, schrieb von Augsburg aus und lobte die beiden Acte der Oper, die er gehört hatte, ganz besonders; er schrieb, che abbia sentito una musica ottima e particolare, universalmente applaudita. »Kurz«, meint der Vater »es wäre zu weitläufig, alle Lobsprüche über Alles herzusetzen.« »Ich wünsche«, sagt er »daß der dritte Act die nämliche Wirkung thut, und hoffe es um so gewisser, als hier die größten Affecten vorkommen, und die unterirdische Stimme sehr überraschen und schaudernd seyn muß25. Basta, ich hoffe daß es heißen soll: finis coronat opus«26. Darauf antwortet ihm der Sohn, der bis über den Kopf in der Arbeit [442] steckte (30. Dec. 1780): »Der dritte Act wird wenigstens so gut ausfallen, als die beyden ersten; ich glaube aber unendliche mal besser, und daß man mit Recht sagen könne: finis coronat opus.« Aber zu thun hatte er dabei. »Kopf und Hände« schreibt er (3. Jan. 1781) »sind mir von dem dritten Act voll, daß es kein Wunder wäre, wenn ich selbst zu einem dritten Act würde. Der allein kostet mehr Mühe als eine ganze Opera, denn es ist fast keine Scene darin, die nicht äußerst interessant wäre.« Er hatte dann auch die Genugthuung, daß man wirklich nach der Probe fand, daß er die zwey ersten Acte noch um Vieles überträfe.
[443] Es war aber mit der Oper noch nicht genug, sondern, weil kein Extraballet, nur ein zur Handlung gehöriges Divertissement gegeben werden sollte, hatte Mozart, wie er sagt (30. Dec. 1780), auch die Ehre, die Musik dazu zu machen. »Mir ist es aber sehr lieb«, setzt er hinzu »denn so ist doch die Musik von einem Meister.« Bis in die Mitte Januars hatte er mit den »verwünschten Tänzen« so viel zu thun daß er an nichts anderes denken konnte, auch an sein Befinden nicht; – erst am 18. Jan. konnte er schreiben:»laus Deo, nun hab ichs überstanden!«
Unter diesem tastlosen Arbeiten und Probiren rückte der Tag der Aufführung heran. Zwar war der Vater in Sorgen, ob auch der am 29. November 1780 erfolgte Tod der Kaiserin Maria Theresia die Aufführung hindern werde, allein Wolfgang beruhigte ihn sogleich daß ans dieser Ursache kein Theater geschlossen würde. Später erschreckte ihn ein Gerücht, die Churfürstin sei hoffnungslos erkrankt, aber zu seinem Trost erfuhr er daß das eine Capitallüge sei. Anfangs war der 20. Januar 1781 zur Aufführung bestimmt, dann der 22. und zuletzt der 29. Januar; die Hauptprobe sollte am 27. Januar sein, an Wolfgangs Geburtstag, der mit diesem Aufschub wohl zufrieden war: »so kann man noch öfter und mit mehr Bedachtsamkeit probiren.«
Der Ruhm des Idomeneo, welcher schon vor der Aufführung nach Salzburg drang, war nicht allein für Mozarts Freunde eine große Genugthuung – wie ihm der Dr. Prex das »ohnaussprechliche Vergnügen« ausdrücken ließ, »mit welchem er vernommen, daß Wolfgang den Salzburgern so große Ehre machte« –, mehrere von ihnen reisten zur Aufführung nach München, wie Frau von Robini mit ihrer [444] Familie, zwei Fräulein Barisani27, von der Kapelle ging Fiala hin. Leop. Mozart, der »sich auf das vortreffliche Orchester wie ein Kind freute«, war entschlossen mit seiner Tochter28 sobald er irgend abkommen könne nach München zu reisen. Da er aber einer abschlägigen Antwort von Seiten des Erzbischofs sich nicht aussetzen mochte und es verlautete daß derselbe nach Wien reisen werde, wartete er seine Zeit ab29, und es paßte ihm daher sehr gut, daß die Aufführung der [445] Oper so lange verschoben wurde, bis Hieronymus wirklich abgereist war. Nun machte er sich am 25. Jan. auf, um bei der Hauptprobe und Aufführung gegenwärtig zu sein; Wolfgang hatte sich so eingerichtet daß er in seiner Wohnung Vater und Schwester allenfalls beherbergen konnte30.
Die Anwesenheit des Vaters mit der Schwester in München hat uns wahrscheinlich um einen ausführlichen Bericht über die Aufführung des Idomeneo und deren Erfolg gebracht, auch ist es weder mir noch den Nachforschungen Münchner Freunde gelungen Näheres über dieselbe zu ermitteln. Nach Allem, was wir über den Beifall, welchen die Oper in den Proben fand, und die dadurch erregte allgemeine Spannung lesen, kann man nicht bezweifeln, daß sie glänzend aufgenommen wurde. Mozart soll den Idomeneo31 auch in späteren Jahren [446] ganz vorzüglich geschätzt haben32; gewiß ist es daß er sich bald nachdem er in Wien festen Fuß gefaßt hatte Mühe gab [447] denselben dort auf die Bühne zu bringen, zu welchem Zweck er ihn vollständig umarbeiten wollte. Leider schlug dieser Plan fehl, und als im Jahr 1786 eine Gesellschaft vornehmer Dilettanten seine Oper aufführte, nahm er zwar mancherlei Veränderungen mit derselben vor, doch kam es damals zu keiner eigentlichen Umarbeitung33. Später ist Idomeneo auf verschiedenen Bühnen von Zeit zu Zeit wieder gegeben worden, ohne bei dem größeren Publicum ein gleiches Interesse zu finden, wie die bekannten Opern Mozarts34; das Urtheil der Kenner hat ihn stets ausgezeichnet35; beide [448] Erscheinungen sind begreiflich wenn man näher auf die Eigenthümlichkeit dieses Kunstwerks eingeht.
Sehr richtig bemerkt Oulibicheff, daß man im Idomeneo sehr wohl unterscheiden könne, wo Mozart noch von dem Formalismus der Opera seria abhängig sei, wo er Gluck und der französischen Oper nachstrebe, und wo er ganz selbständig und frei nur seine eigene Künstlernatur darstelle; es versteht sich von selbst, daß diese verschiedenen Richtungen nicht in den einzelnen Musikstücken mit absoluter Einseitigkeit sich kund geben, sondern daß überall Mozarts Individualität, wie wir sie in dieser Zeit als eine fest ausgebildete kennen, den eigentlichen Kern bildet. Wir sahen daß das Libretto den Charakter einer Vereinigung der italiänischen und französischen Oper in der Art trägt, daß die italiänische Weise das ursprünglich bestimmende Element ist; wir sahen ferner daß die Beschaffenheit und Bildung der Sänger, welche mit Ausnahme der beiden Frauen alle der eigentlichen italiänischen Schule angehörten, ebenfalls auf das Festhalten der italiänischen Form hinwirken mußte. Wir können uns daher nicht wundern, wenn Mozart, namentlich in den für diese Sänger bestimmten Arien, von der hergebrachten Form ausging und derselben durch zweckmäßige Modification abzugewinnen suchte was nur möglich war; allein die Sache lag noch tiefer. Wenn gleich der Oper eine französische Tragödie zum Vorbild gedient hatte, wenn auch für die Behandlung des Dramatischen die französische Kunst vielfach benutzt worden war, so blieb doch dem Ganzen der Charakter der italiänischen Poesie, Sprache und Nationalität unverkennbar aufgeprägt. Man sehe die [449] Arien an. Unverkennbar ist das Bestreben dem Gefühl oder der Leidenschaft, welche das Resultat der dramatischen Situation sind, einen schärferen, mehr individuell charakteristischen Ausdruck zu geben, als auch Metastasio zu thun pflegte; allein der Form und Fassung nach sind sie doch nur modificirt, nicht umgewandelt, und namentlich haben sie den specifischen Charakter der italiänischen Poesie behalten; das rhetorische Wesen derselben ist aber von dem ebenfalls rhetorischen Wesen der französischen Poesie bestimmt unterschieden. Wenn dieses auf die musikalische Gestaltung einen bestimmenden Einfluß üben mußte, so gilt das noch mehr von dem Charakter, welchen die Sprache dem Klang und Accent nach hat, und auch hier tritt der Unterschied der italiänischen und französischen Sprache auffallend hervor. Es ist aber einleuchtend daß hier ein wesentliches Element für die Melodienbildung ist, und daß namentlich im Recitativ, wo der ursprüngliche Charakter der Sprache maaßgebend ist, die Verschiedenheit sich um so eher geltend machen müsse, je bewußter das Bestreben des Componisten auf eine charakteristische Behandlung der Sprache gerichtet ist. Am tiefsten aber greift die gesammte nationale Auffassung. Empfindungen und Leidenschaften sind bei verschiedenen Nationen nicht nur dem Grade nach verschieden, sondern der Ausdruck derselben erhält einen durchaus eigenthümlichen Charakter und wo sich eine wirklich nationale Kunst entwickelt, da prägt sie in ihren Gestalten diesen eigenthümlichen Charakter aus. Die Italiäner sind in den Aeußerungen ihres Gefühls nicht allein lebhaft und stark betonend, sondern sie offenbaren dabei stets einen instinctiven Sinn für das Formale, welcher zu bestimmten scharf ausgeprägten Ericheinungen führt und das Ausbilden des Topischen begünstigt, wie sich dies z.B. in ihrer eigenthümlich ausgebildeten Mimik offenbart. Diese Richtung, wie sie der [450] künstlerischen Gestaltung überhaupt förderlich ist, hat auf die Ausbildung der Musik, besonders der dramatischen, bei den Italiänern entschieden eingewirkt. Der bestimmte Charakter, welchen die italiänische Musik noch heute trägt, ist ein nationaler, und nicht das Festhalten an gewissen Formen und Wendungen welche sie äußerlich bezeichnen, sondern die künstlerische Auffassung und Darstellung der inneren Gemüthszustände, der Empfindungen und Leidenschaften, welche aus dem Wesen des Volkes hervorgegangen sind, geben ihr denselben. Wer nur italiänische Musik von italiänischen und deutschen Sängern hat vortragen hören, wird sich leicht überzeugt haben, daß der wesentliche Unterschied noch auf etwas Anderem und Tieferem beruhe als der Gesangschule und Methode; und bei einer geringen Beobachtung des italiänischen Volkscharakters springt es in die Augen, daß in ihm die Eigenthümlichkeit der musikalischen Ausdrucksweise begründet ist, weshalb es denn auch gar nicht verwundern darf, wenn Musik, die uns Deutschen als unwahr oder gar unnatürlich erscheint, auf Italiäner einen viel tieferen Eindruck macht als den bloß sinnlichen auf das Ohr.
Diese eigenthümliche italiänische Färbung trägt nun Mozarts Idomeneo, wie alle seine italiänischen Opern, nicht bloß insofern italiänische Technik und Mechanik geschickt angewendet sind, sondern in der eigenthümlichen Lebendigkeit, mit dem Hauch und Duft, welche allein ein Versenken in den Volksgeist erzeugen kann. Schon im Knaben gewahrten wir diesen seinen Sinn für den Unterschied des Nationalen, als er in Bastien und Bastienne und in der Finta semplice den Charakter des deutschen Singspiels und der Opera buffa so scharf auseinanderhielt. Wenn man die Zaide mit dem Idomeneo zusammenhält, wird man die Grundverschiedenheit in der Auffassung und Darstellung der Seelenstimmung nicht [451] minder bestimmt ausgesprochen finden; so wie sie ja auch später in der Entführung und Zauberflöte, dem Figaro, Don Giovanni,Cosi fan tutte und Tito gegenüber klar und deutlich hervortritt. Um nur auf ein Beispiel hinzuweisen, so gehört die Scene, in welcher nach der Aufforderung des Oberpriesters Idomeneo seinen Sohn als das Opfer bezeichnet und nun das Volk von Entsetzen und Mitleid ergriffen in Klagen ausbricht, ohne allen Zweifel zu dem Schönsten und Größten, was Mozart nicht allein im Idomeneo sondern überhaupt geschrieben hat, die ergreifendste Wirkung auf Jeden der hören und fühlen kann wird nicht ausbleiben; und doch ist grade diesem Chor der Stempel des specifisch Italiänischen unverkennbar aufgedrückt. Stellen wie Gia regna la morte erscheinen wie typisch für verwandte Ausdrucksweisen, die uns in italiänischen Opern so häufig begegnen. Dieser Charakter aber tritt nicht allein in einzelnen Beispielen hervor, sondern er ist der Gesammtcharakter, auf welchem die künstlerische Harmonie des Ganzen beruht. Diese italiänische Haltung ist indessen nicht aus einer bewußten Ueberlegung hervorgegangen, welche bestimmte Mittel zu einem Colorit verwendet, das den Schein des Nationalen hervorbringen soll, sei es um einen bestimmten künstlerischen Effect hervorzubringen – in welchem Sinn Nationalmusik zur Charakteristik besonders seit Weber so viel gebraucht ist –, oder um einem bestimmten Geschmack zu huldigen – wie z.B. Meyerbeer italiänische Opern geschrieben hat; sondern sie beruht auf einem Hineinleben in die italiänische Weise, welche als die natürliche Grundlage der Kunstübung in dieser Richtung galt. Dies war nur möglich zu einer Zeit, wo die italiänische Musik in Deutschland auf der Bühne und in der Kirche nicht allein factisch die Herrschaft hatte, sondern auch keinen Widerspruch im nationalen Bewußtsein fand und daher auch keiner [452] nationalen Kunst gegenübertrat. In der Zeit, in welche Mozarts Jugend und Bildungszeit fällt, war dies in Süddeutschland unbedingt der Fall; die musikalische Atmosphäre, in welcher er aufwuchs, die Bildungselemente, welche ihm zugeführt wurden, waren durchaus italiänisch, und die italiänische Auffassung und Darstellung mußte ihm zur anderen Natur werden, wie allen deutschen Künstlern, welche im vorigen Jahrhundert die italiänische Oper mit ausgebildet haben. Das Verhältniß, in welchem das künstlerische Genie zu seiner Zeit und Nation steht, ist schwer zu fassen. Während dasselbe sich den Einflüssen derselben nicht allein nicht entziehen kann, sondern sein Wesen grade darin offenbart daß es bestimmte charakteristische Züge und Richtungen derselben stark und kräftig bis zur Einseitigkeit darstellt, so steht es wiederum diesen Mächten kämpfend und ringend gegenüber, und beherrscht und bestimmt dieselben. Schwerlich wird es je gelingen die Natur eines Künstlers bis zu dem Punkt hin zu ergründen, wo die Fäden seiner persönlichen Anlagen und Kräfte und die von der Bildung seiner Zeit und Nation ausgehenden so zusammenlaufen, daß sie die künstlerische Individualität hervorbringen; man wird sich bescheiden müssen, wenn man nur auf dem Wege seiner Entwickelung noch die Spuren verfolgen kann. Wenn wir nun sehen daß Mozart durch die Bildung seiner Zeit so in die italiänische Musik eingeführt war, daß er ihr Wesen als das Wesen der Musik überhaupt auffaßte, so war dadurch nicht ausgeschlossen, daß er mit der ganzen Kraft seiner Individualität die so in sich aufgenommenen Elemente ausbildete. So wenig er die italiänische Musik mit Bewußtsein als eine nationale aufgefaßt hatte, so wenig trat er derselben mit einem bestimmten nationalen Gefühl gegenüber und suchte daher nicht etwa deutsche Weise derselben einzupflanzen; es waren nur die künstlerischen Elemente[453] einer bereits entwickelten Kunst und seiner Individualität, welche einander berührten, und nur so war eine harmonische Durchbildung möglich, durch die Kunstwerke hervorgebracht wurden welche echt italiänisch und echt Mozartsch waren. Das frische Leben, welches in der deutschen Dichtung erwacht war, und den Deutschen das Selbstgefühl eines Volkes zunächst auf dem Gebiet des künstlerischen Schaffens verlieh, berührte Mozart erst zu einer Zeit, wo seine musikalische Bildung fest begründet war, und er konnte ohne in einen Widerspruch mit sich zu gerathen, auf dem von ihm betretenen Wege fortschreiten, und die italiänische Oper als eine bestimmte Kunstform, die er sich in Wahrheit zu eigen gemacht hatte, weiter ausbilden. Aber jene Regung der deutschen Kunst ergriff ihn, wie wir sehen werden, in seinem innersten Wesen, sie gab ihm das klare Bewußtsein, daß er als ein deutscher Künstler schaffen wolle; war das deutsche Element seiner Natur – dessen er sich ja nie entäußern konnte – gewissermaßen ruhend und latent geblieben, während er die italiänisch gebildete Kunst sich aneignete, so konnte er dann Alles was er dort gewonnen als sein freies Eigenthum mit deutschem Sinn und Gefühl verwerthen. Indem so durch ihn die Entfaltung einer deutschen Musik theils neu belebt, theils neu begründet ist, hat er die italiänische Oper, welche er auf die Höhe ihrer Entwickelung führte, in ihrer universalen Bedeutung abgeschlossen; nach Mozart hat sie nur mehr eine nationale Geltung. Darin offenbart sich eben die außerordentliche Kraft und Tiefe seiner künstlerischen Natur, darin ist seine kunsthistorische Bedeutung begründet, daß er als ein wahrer Janus in die Vergangenheit und in die Zukunft schauet, daß er vermocht hat die wahrhaft lebendigen Elemente der in langer Entwickelung ihrem Ziel entgegengehenden italiänischen Musik zu Kunstwerken von gereifter Vollendung [454] zusammenzufassen und mit neugestählter Kraft das frische Tagewerk einer neu sich regenden deutschen Musik anzugreifen und auch hier unermüdet dem Ziel künstlerischer Freiheit und Vollendung entgegenzuschreiten.
Im Idomeneo gewahren wir also den echt italiänischen Charakter der Opera seria durch die Kraft der bereits vollkommen ausgebildeten Mozartschen Individualität zur schönsten Vollendung gebracht; allein in Einzelnheiten erkennen wir auch noch die Uebermacht der hergebrachten Form, welcher der Künstler sich fügen mußte.
Unverhüllt tritt dies in den beiden Arien des Arbace hervor. Die Rolle des Vertrauten war, wie in der dramatischen so in der musikalischen Behandlung, nur dazu bestimmt Lücken auszufüllen; sie sollte nicht selbständig hervortreten sondern als Folie für die Hauptpersonen dienen, sie war ein Hauptmittel um jenes Chiaroscuro hervorzubringen, das als ein so wesentliches Erforderniß der scenischen Wirkung galt. Demgemäß sind auch die beiden Arien des Arbace gehalten (11. 22), die weder dem Text noch der Musik nach in das dramatische Gewebe der Oper eingreifen. Da Panzacchi ein tüchtig geschulter Sänger nach alter Weise war, so konnte ihm etwas zugemuthet werden, und es fehlt nicht an Coloraturen36, Sprüngen und ähnlichen Proben für die Kunstfertigkeit, [455] wie sie hergebracht waren. Aber auch sonst schließen sich diese Arien – abgesehen davon daß sie nur ein Tempo haben und in der Structur demgemäß modificirt sind – der hergebrachten Weise an, selbst die übliche Weise die Cadenz einzuleiten fehlt nicht37. Um aber denselben doch ein musikalisches Interesse zu geben, ist die Begleitung, obwohl schwach instrumentirt wie es sich für diese Art Rollen schlechte, sorgfältig und namentlich in der zweiten Arie contrapunktisch ausgearbeitet. Das dieser vorhergehende begleitete Recitativ, das sich Mozart für Panzacchi ausdrücklich bestellte, ist dagegen schön und ausdrucksvoll.
Auch der Castrat dal Prato, für welchen die Partie des Idamante bestimmt war, brachte natürlich nur die Schulung eines italiänischen Sängers, und diese wie wir hören nur in mittelmäßigem Grade mit; Mozart war also auch hier an die hergebrachte Weise gebunden und durfte nicht viel wagen, um sie durch Modificationen eigenthümlicher und lebendiger zu gestalten. So ist in den drei Arien desselben (3. 8. 27) der Tupus der alten Arie noch deutlich zu erkennen. Die erste wäre, wenn der Sänger eine tüchtige Coloratur gehabt hätte, die ihm offenbar fehlte, wahrscheinlich eine ordentliche Bravurarie geworden; sie hat im Allgemeinen diese Anlage, nur sind keine Coloraturen angebracht. Hier ist aber ein [456] großer Nachdruck auf die Begleitung gelegt, die durchaus selbständig und interessant geführt und durch die reiche Benutzung der Blasinstrumente von der schönsten Klangwirkung ist. Der öftere Tempowechsel soll offenbar, bei dem übrigens sehr regelmäßigen Bau der Arie, den Gefühlsausdruck lebendiger machen. Die zweite Arie ist kürzer und, wie es der Situation geziemt, lebhafter und energischer im Ausdruck, übrigens wieder durch die Begleitung besonders eigenthümlich und interessant; die dritte schließt sich der alten Form schon dadurch näher an, daß sie einen langsameren Mittelsatz (Larghetto 3/4), hat, so wie die Begleitung hier einfacher ist; doch ist die ganze Arie conciser gehalten als früher Sitte war.
Endlich war auch Raaff nicht allein durch sein Alter außer Stande gesetzt manchen wesentlichen Erfordernissen zu genügen, sondern auch, wie Mozart klagte, »auf den alten Schlendrian so versessen daß man Blut schwitzen mochte«; in der Partie des Idomeneo, die doch dramatisch noch ungleich wichtiger war, mußte er sich daher ebenfalls dem Herkommen vielfach gegen Ueberzeugung und Neigung bequemen. Aber Raaff war ein bedeutender und verständiger Sänger, dem er daher auch in Beziehung auf Vortrag und Ausdruck ungleich mehr zumuthen konnte. Die erste Arie (6), die aus zwei ziemlich kurz und knapp gehaltenen Sätzen – einem Andantino sostenuto 3/4 und Allegro di molto C – besteht, drückt ein tief erregtes schmerzliches Gefühl lebhaft und durchaus der Situation angemessen aus und ist daher auch dramatisch ganz am Platz, indem sie zugleich dem Sänger Gelegenheit giebt im getragenen Gesange eine gut geschulte Stimme zu entfalten. An die alte Weise erinnern die einzelnen, scharf abgesetzten und durch Zwischenspiele getrennten Motive, doch ist dies nicht nur sehr geschickt angelegt und ausgeführt, sondern dem Orchester ist besonders durch die Behandlung der [457] Blasinstrumente ein herrlicher sonorer und doch weicher Klang gegeben, der damals ganz neu und von außerordentlicher Wirkung sein mußte38. Die zweite Arie (13) ist eine lange Bravurarie in einem Satze (Allegro maestoso) im größten Stil. Mozart nennt sie die »prächtigste Arie« der Oper und protestirt lebhaft dagegen, daß sie »nicht auf die Worte« geschrieben sei; aber sie muthete dem Sänger mehr zu als Raaff damals leisten konnte. Sie hat den eigentlich heroischen Charakter der Opera seria und bietet jede Gelegenheit Gesangskunst zu entfalten, getragene Stellen, ausgehaltene Töne und lange Bravurpassagen. Die letzten sind völlig veraltet; übrigens hatte Mozart recht die Arie in Ehren zu halten: sie ist voll Ausdruck und Charakter, durch eine glänzende und reiche [458] Begleitung interessant, und besonders im Mittelsatz von überraschender Schönheit der Harmonie. Wie frappant und wie ausdrucksvoll ist z.B. diese harmonische Wendung!
Die dritte Arie (30), die Mozart seinem alten Freunde recht zu Dank zu schreiben suchte, ist eben deshalb ziemlich nach dem alten Zuschnitt39. Der Hauptsatz ist ein breit gehaltenes Adagio, das im Ganzen einfach und edel dem Sänger [459] Gelegenheit giebt sich im gehaltenen Gesang zu zeigen, der durch eine figurirte Begleitung, in welche Saiten- und Blasinstrumente sich theilen, gehoben wird; weniger bedeutend ist der Mittelsatz (Allegretto 3/8) welcher dasselbe unterbricht40.
Es war also kein geringer Theil der Oper, in dem Mozart sich so gebunden sah. Vergleichen wir mit diesen Arien etwa die aus dem Be pastore, in welchen ein ähnliches Bestreben der überlieferten Form ein eigenthümliches Leben zu verleihen bemerkbar wird, so ist der Fortschritt unverkennbar. Es ist hier nicht das unwillkührliche Anstreben einer jugendlichen Productionskraft gegen eine Form, die ihr zu eng geworden ist; es ist vielmehr ein bewußtes, auf bestimmten nicht zu umgehenden Gründen beruhendes Nachgeben, bei welchem der Componist daher im Einzelnen auch den ungünstigen Umständen möglichst viel abzugewinnen sucht und genau weiß, wie weit er darin gehen könne; Alles ist reifer, männlicher und bedeutender. Dabei darf man denn auch nicht vergessen, daß es zu einer Zeit, für welche die Tradition dieser Formen und die Auffassungsweise, welche sie hervorgebracht hat, gänzlich verloren ist, schwer wird mit Sicherheit zu empfinden was der unvermerkt wirkenden Macht des Herkommens [460] und was dem bewußt arbeitenden Künstler eigen ist. Daneben machen denn freilich die Musikstücke, in denen Mozart frei walten konnte, einen ganz anderen Eindruck.
Dahin gehören die Partien der Ilia und Electra. In der Anlage der letzteren ist der Charakter der Bravur noch unverkennbar, aber mit einer bestimmten individuellen Färbung der Leidenschaft, welche Mozart aufgefaßt und als das die Charakteristik bestimmende Element aufs sprechendste zur Geltung gebracht hat. Beide große Arien (5. 29) sind der lebendigste Ausdruck einer glühenden, kraftvollen Leidenschaft, die durch eine Beimischung von stolzer Würde über das Unedle, welches so heftige Ausbrüche der Eifersucht und Rachelust leicht annehmen, gänzlich hinausgehoben wird. Dem Text gegenüber, welcher Electra in der traditionellen Weise eines bombastischen Pathos sich ausdrücken läßt41, hat der Componist ausschließlich das Verdienst individuell charakteristischer Darstellung in Anspruch zu nehmen. Beide Arien sind bei sehr verwandter Grundstimmung doch verschieden nuancirt; während in der ersten die Leidenschaft gährt und sich in einzelnen Ausbrüchen hervordrängt, ist die letzte ein lautes Ausrasen der empörten Wuth, daher die hohe Stimmlage hier ganz besonders in Anspruch genommen wird. Bravur ist mit Ausnahme einer, gut gesungen sehr ausdrucksvollen, Coloratur die bis ins hohe c steigt, nirgend erforderlich, wohl aber ein kräftig leidenschaftlicher, gut declamirter Vortrag. Denn [461] nicht selten hat die Singstimme hier mehr einen declamatorischen als melodiösen Charakter, dessen Wirkung theils durch die rasch wechselnde, frappante Harmonie – wunderbar ergreifend ist z.B. der leidenschaftliche Aufschrei
– theils durch die Theilnahme des Orchesters bedingt wird. Denn hier tritt das Orchester noch in anderer Weise als wir bisher bemerkten als ein wesentliches Mittel der musikalischen [462] Charakteristik mit ein. Nicht allein in freier Selbständigkeit geht es neben der Singstimme fortwährend seinen eigenen Weg und interessirt durch das eigenthümliche Leben, welches in unausgesetzter Arbeit begleitender Figuren oder eigener Motive pulsirt, ohne die Singstimme zu verdecken oder zu beeinträchtigen, sondern es giebt durch die meisterhafte Benutzung der Klangfarben, die Vertheilung der verschiedensten Effecte, vor allem durch die charakteristische Bedeutung der Motive, der ganzen Darstellung Haltung und Kraft. In der ersten Arie zittert alles in unruhiger Bewegung, wobei die gebrochenen Accorde der Flöte eine eigenthümliche Wirkung machen, gewaltige Accorde der Blasinstrumente fallen wie Blitze hinein, nur in einzelnen Momenten einigt sich alles wie in einem concentrirten Gefühl der Kraft. Und von welcher Wirkung ist es, wenn in der letzten Arie nach der langen peinigenden Trillerfigur der Geigen42, das gesammte Orchester wie in einen Triumph der Rache ausbricht!43 In starkem Contrast zu diesen Ausbrüchen der Leidenschaft steht die dritte Arie der Electra (14), in welcher sie ganz vom Glück ihrer Liebe erfüllt erscheint; Alles athmet hier Ruhe und Zufriedenheit mit einer Zärtlichkeit und Süßigkeit, als wäre in diesem Gemüthe für Eifersucht und Rache gar kein Raum. Diese Arie ist in der Singstimme, der nur einmal eine zierliche Coloratur gegeben ist, sowie auch in der Begleitung, die allein aus dem[463] Saitenquartett besteht, höchst einfach; vielleicht könnte sie für den Charakter der Electra etwas zu leicht und anmuthig erscheinen, allein bei einem richtigen Vortrag wird der Ausdruck einer endlich befriedigten und nun ganz in diesem Glück seligen Liebe durchaus angemessen erscheinen.
Der Charakter der Ilia sagte Mozarts natürlicher Richtung vorzüglich zu. Sie ist nicht durch heftige Leidenschaften aufgeregt und doch voll Gefühl, stets zart und anmuthig und wurde von der durch Gesang und Spiel gleich ausgezeichneten Dorothea Wendling gegeben; hier konnte Mozart sich frei bewegen und in ihren Arien (2. 12. 19) finden wir den schönsten Ausdruck seiner eigenthümlichen Kunstweise. Gleich die erste Arie (2) ist ein Beleg für seine Kunst ein zusammenhängendes musikalisches Kunstwerk zu schaffen, dessen ganzer Organismus sich aus der lebendigen Entwickelung der rein musikalischen Formen klar darlegen läßt, während diese Darstellung zugleich psychologisch eben so wahr und lebendig fortschreitet. Wenn man z.B. den Wechsel der Dur- und Molltonart in welcher die Hauptmotive auftreten, die Mittel der Steigerung bei Wiederholung derselben, die verschiedene Weise wie der Ausruf Grecia! behandelt ist, beachtet, so wird man finden daß lauter einfache, nicht zu umgehende Mittel der musikalischen Darstellung angewendet sind. Es ist aber nicht bloß der Reiz der Schönheit und Anmuth, mit welchem sie in die Erscheinung treten, der uns gewinnt, sondern das was allein der formalen Gestaltung zu dienen scheint wird zugleich der natürliche und lebendige Ausdruck des inneren Gemüthslebens, welches von dem musikalischen Künstler nur in dieser Form aufgefaßt und dargestellt werden kann. In der zweiten Arie (12) tritt auf den ersten Anblick das rein musikalische Element noch mehr hervor. Es ist eine Cavatine, der Form nach wie ein Lied von zwei Strophen, die mit [464] geringen Veränderungen wiederholt werden, und außer dem Saitenquartett (die Geigen sind gedämpft) von vier obligaten Blasinstrumenten Flöte, Oboe, Horn und Fagott begleitet. Wir finden also die alten Freunde aus Mannheim Wendling, Ramm, Lange und Ritter wieder beisammen und man kann sich denken, mit welchem Behagen Mozart ein Stück schrieb, das ihm und dieser Gesellschaft Ehre machen sollte. Ob es ihm gelungen ist! Der erste Eindruck, welchen dies Musikstück macht, ist der eines so reinen, concentrirten Wohllauts, in welchen alle mitwirkenden Elemente so vollständig aufgelöst sind, daß der musikalische Hörer unmittelbar eine vollkommene Befriedigung empfinden wird. Forscht man weiter nach, so wird man freilich die einfache und doch so kunstvolle Structur – deren Symmetrie schon beim Lesen der Partitur wie in einem Grundriß dem Auge wohlthuend wirkt –, die seine und in jedem Moment wohlberechnete Anwendung der Klangmittel ebenso sehr bewundern als die Zartheit und Anmuth der Erfindung. Und nun versetze man sich in die Situation. Ilia kommt um Idomeneo für die Güte zu danken, welche ihr, der Gefangenen, in Creta geworden ist; der Gedanke daß sie Vater und Vaterland verloren, daß Idomeneo ihr Herrscher, der Vater Idamantes ist, und mehr als alles der Gedanke an ihre Liebe zu Idamante macht sie befangen und doch ist es wiederum das Gefühl dieser Liebe wodurch sie innerlich glücklich und selig wird, daß es wie mit einem hellen Rosenschimmer alles verklärt. So fängt sie mit einer gefaßten, fast ehrerbietigen Freundlichkeit an, das Gefühl wird inniger, die Erinnerung an ihr Leiden tritt hervor, aber alles drängt nur dem einen Gefühl zu: or gieja e contento, in dem sie sich selbst vergißt. Dieses Zusammenschließen aller Elemente zu einem harmonischen Ganzen macht das wahre Kunstwerk aus und es ist undenkbar daß, so lange die Grundlagen unserer [465] Musik bestehen, ein Musikstück wie dieses nicht als schön empfunden werden sollte. Weniger bezeichnend ist die Situation der letzten Arie (19): sehnsüchtige Seufzer einer einsamen Liebenden; aber die Grundzüge für den Charakter der Ilia sind schon so klar ausgesprochen, daß die eigenthümliche Lieblichkeit ihres Wesens auch hier vollständig ausgeprägt erscheint. Man darf nur die Arie der Electra (14), in welcher diese ihre zärtlichen Gefühle ausdrückt, vergleichen um wahrzunehmen, wie bestimmt die musikalische Charakteristik auch bei ähnlichen Voraussetzungen die Grundverschiedenheit im Wesen beider Frauen hervorhebt.
Das Duett der beiden Liebenden (20 B) ist zwar ansprechend und gefällig aber weniger bedeutend und schließt sich, wie in der Form durch den Wechsel des Tempo, so der Auffassung und Behandlung nach der hergebrachten Weise an, ein Liebesduett leicht und anmuthig bewegt zu halten. Doch ist darin ein wesentlicher Unterschied gegen das eigentliche Bravurduett daß die Formen knapp gehalten sind und Alles in einer ununterbrochenen Bewegung fortgeht, sowie auch von wirklicher Bravur keine Rede ist. Bedeutender ist das Terzett (17), einfach und edel, und von schöner musikalischer Wirkung; doch ist die dramatische Situation darin nicht in der vollen Energie zum Ausdruck gebracht, welcher sie an und für sich wohl fähig wäre. Es ist aber sicher mit Absicht geschehen, daß zwischen eine Folge von lieblichen und anmuthigen Situationen und eine Reihe gewaltiger und mächtig aufgeregter ein Musikstück gestellt ist, das durch ruhige und ernste Haltung das was vorangeht zum Abschluß bringt, und eine gewisse Sammlung hervorruft, welche auf das Folgende vorbereitet ohne der Ueberraschung, die dadurch hervorgebracht werden soll, etwas vorweg zu nehmen. Wir haben auch darin ein Mittel zu erkennen um jenes oft erwähnte [466] Chiaroscuro herauszubringen, den Ton und die Haltung des Ganzen, welche das Einzelne in der richtigen Weise hervortreten läßt, wobei ein Herabstimmen gewisser Momente nöthig wird für das Zusammenstimmen des Ganzen. Es versteht sich daß dies nur ein Mäßigen, nicht ein Verwischen oder Verändern der wesentlichen Momente sein kann; in der hier gegebenen Situation ist den drei singenden Personen eine gewisse gedrückte und beängstigende Stimmung gemeinsam, welche lebhafte Ausbrüche der Empfindung zurückhält und jene Mäßigung rechtfertigt. Höher steht allerdings sowohl der Erfindung als der Charakteristik nach das Quartett (21), mit welchem Mozart selbst so zufrieden war wie mit keiner andern Nummer, und bei dem er jeden Einfluß der Sänger so entschieden ablehnte als er bei den Arien bemüht war ihnen zu Willen zu sein44. Es ist keine ganz [467] leichte Aufgabe ein Quartett für drei Sopran- und eine Tenorstimme zu schreiben; aber Mozart wußte grade daher eigenthümlich schöne Klangwirkungen zu gewinnen, die auf genauer [468] Kenntniß der Stimmlagen und geschickter Zusammenstellung beruhen. Man erkennt auch hier sogleich das große Talent Mozarts zu gruppiren, einen klaren symmetrischen Plan aufzustellen und innerhalb der durch diesen gesteckten Gränzen sich mit der Freiheit zu bewegen, welche eine bezeichnende Charakteristik der Individuen gestattet ohne die Einheit des Ganzen zu stören. So sind hier nicht allein Ilia und Idamante dem Idomeneo und der Electra gegenübergestellt, wie die Situation dies mit sich bringt, sondern auch die einzelnen Personen sind jede für sich charakterisirt; was auch an den Stellen wo sie zusammen singen deutlich hervortritt und der musikalischen Darstellung Kraft und Leben giebt. Außer dieser selbständigen Stimmführung sind es besonders harmonische Schönheiten ungewöhnlicher Art, welche dieses Quartett auszeichnen, das unleugbar zu Mozarts schönsten Leistungen gehört45.
Bei den Chören, welche einen Hauptschmuck des Idomeneo ausmachen, ist zu unterscheiden zwischen denen, welche wesentlich zur Handlung gehören, in denen die Bedeutung [469] der Situation mit ihrer ganzen Kraft sich ausspricht, und solchen, welche mehr nur mit der Handlung in Verbindung gesetzt sind als daß sie aus derselben hervorgingen und hauptsächlich zum Schmuck dienen sollen. Diese letzteren sind meist mit Ballet verbunden und nehmen also auch nur neben demselben ihren Platz ein. Dahin gehört der erste Chor (4), während dessen den trojanischen Gefangenen die Fesseln abgenommen werden, der Schlußchor (32), während dessen Idamante gekrönt wird, und ganz besonders der Chor am Ende des ersten Acts (10), in welchem man auch ohne die Ueberschrift Ciaccona und die ausdrückliche Bemerkung des Textes den Charakter der Tanzmusik nicht verkennen würde, z.B. in dem großen Crescendo womit das Stück schließt. Hier tritt daher das Orchester noch selbständiger hervor als in den beiden anderen Chören. Ueberhaupt ist der Charakter aller dieser Chöre eine frische und muntere Lebendigkeit, wie bei einem Menschen, dem es in seiner Gesundheit und Kraft recht wohl ist, Alles rührt sich, Alles klingt und klappt, und so sind diese Chöre, ohne durch Bedeutsamkeit hervorzuragen, auf die erfreulichste Art an ihrem Platze wirksam. Schärfer charakterisirt ist schon der reizende Chor (16), welcher der Einschiffung der Electra und Idamantes vorhergeht, und in dem die glückliche Stimmung der Electra so wie der Eindruck des heiteren Himmels und des ruhigen Meers sich wiederspiegeln. Denselben Charakter trägt auch die Strophe, welche Electra nach dem Chor singt, der darauf wiederholt wird; Alles ist einfach, klar und voll Anmuth und Grazie.
Ungleich bedeutender sind aber die noch übrigen, durchaus ernsten und großartigen, eigentlich dramatischen Chöre. Der erste (5), der den Schiffbruch des Idomeneo darstellt, ist ein Doppelchor, nur aus Männerstimmen gebildet; der eine, den [470] man von fern hört, ist vierstimmig, der andere, nähere zweistimmig; jener ist meistens in vollstimmigen Accorden gehalten, dieser mehr imitatorisch; jeder dieser Chöre ist in sich bestimmt gegliedert, beide stehen sich selbständig gegenüber und bilden zusammen ein kunstreiches, aber klar übersichtliches Ganze. Diesem aber steht das Orchester wiederum als eine geschlossene Masse gegenüber, in welcher die Saiteninstrumente wesentlich dem zweiten, die Blasinstrumente dem ersten Chor entsprechen. Dem Orchester fällt es zu den Meeressturm zu schildern, wobei es an chromatischen Gängen nicht fehlt; die Hauptwirkung beruht auf den kräftigen und kühnen Harmonien. Wie wenig Mozart sich da, wo er es nöthig fand, vor dem Harten und Herben scheuete, können mehrere Stellen dieser Scene beweisen, z.B.
[471] Noch gewaltiger aber sind die Chöre, welche den zweiten Act beschließen (18). Auch hier erhebt sich ein Sturm, das Seeungeheuer erscheint und Entsetzen ergreift das Volk. Während das Orchester auch hier in der lebhaftesten Bewegung arbeitet, tritt der Chor demselben in großen Massen, theils in breit auseinander gelegten Accorden, theils im mächtigen Unisono entgegen. Der Wechsel frappanter Harmonien steigert sich am höchsten in der viermal wiederholten Frage Il reo qual è? die mit einem Halt auf einem dissonirenden Accord schließt, der von allen Blasinstrumenten, wie vom Echo zurückgeworfen, wiederholt wird. Eine großartig erschütternde Wirkung, wie sie diese Concentration aller künstlerischen Mittel auf einen Punkt hin erreicht, ohne das Maaß des Schönen zu überschreiten, war damals schwerlich erhört und Mozart selbst hat sie später nicht überboten. Der Schlußchor, der nach einem begleiteten Recitativ des Idomeneo folgt, hat einen anderen, durch die Situation bedingten Charakter, [472] er drückt die von Angst und Entsetzen beflügelte Flucht aus. Der von Mozart selten gebrauchte Zwölfachteltact ist zum Ausdruck der eiligen Bewegung ebenso geeignet, als die hier vorherrschend selbständige, zum Theil imitatorische Behandlung der Singstimmen; nur mitunter sammeln sich alle zum Ausruf des Entsetzens, sonst rufen sie durcheinander und jeder sucht in hastiger Zerstreuung seinen Weg, bis mit einzelnen Ausrufen die Masse zerstäubt. Eine gänzlich verschiedene Stimmung drückt in nicht minder grandioser Weise der Chor im dritten Act (24) aus. Als nach der affectvollen Anrede des Hohenpriesters Idomeneo bekennt, daß er seinen Sohn zu opfern verbunden sei, da ergreift Entsetzen und Trauer das eben noch unzufrieden murrende Volk; dieses Gefühl ist mit einer tiefen Innigkeit und mit einer gesättigten Schönheit ausgedrückt und zugleich, wie schon bemerkt wurde, so ganz mit dem nationalen Gepräge der italiänischen Oper, daß man hier inne werden kann, wie die künstlerische Gestaltung die allgemeinen Bedingungen des menschlichen Empfindens mit den individuellsten Voraussetzungen, wie sie die Eigenthümlichkeiten der Personen und Verhältnisse hervorbringen, verschmilzt und in ein nur der Kunst eigenes Gebiet erhebt um so ein wahres Kunstwerk aus ihnen hervorgehen zu lassen. Wundetschön ist auch hier die Wirkung des Unisono bei den Worten Già regna la morte, das die dumpfe Klage, welche unter dem allgemeinen Druck sich kaum erhebt, ausdrückt, während die aufsteigende Triolenfigur der Begleitung das geängstete Gemüth vergebens nach oben zu ziehen sucht. Sehr schön leitet dieses Motiv dann in die gefaßter und mit ruhigerem Vertrauen ausgesprochene Bitte des Hohenpriesters über, sowie das rührend schöne Nachspiel einen Strahl von Hoffnung in diese muthlose Stimmung fallen läßt. Auch jetzt noch weiß er zu steigern. Denn auf einen einfachen, aber die Stimmung [473] wundervoll wiedergebenden Marsch folgt ein Gebet des Idomeneo und der Priester, das ein vollendetes Meisterstück ist, man mag auf den wahren und tiefen Ausdruck des Gefühls, auf die reiche und in jeder Hinsicht eigenthümliche Orchesterbegleitung, oder auf die durch die Combination der Mittel hervorgebrachte Totalwirkung sehen. Hier mag nur auf den kurzen Chor der Priester hingewiesen werden, die auf dem einen Ton C im Einklang beharren, während die Instrumente – die Saiteninstrumente pizzicato in einer harfenartigen Bewegung, die Blasinstrumente in charakteristischen Figuren – in wechselnden Harmonien von C-moll aus nach F-dur fortschreiten, wo dann die Singstimmen auf F sinken und diesen Ton festhalten, während das Orchester die feierlichen und beruhigenden Accorde des sogenannten Kirchenschlusses (B-moll, F-dur) erklingen läßt. In diesem Gebet ist eine Summe von Effecten zusammengefaßt, die man später mit Glück ausgebeutet hat.
Wie sehr ist es zu bedauern, daß die Oper von hier aus wieder den gewöhnlichen Lauf der Opera seria nimmt und die wesentlichen dramatischen Situationen für eine ausführliche musikalische Darstellung ungenutzt läßt. Wären der ursprünglichen Anlage gemäß die folgenden Hauptsituationen zu einem Duett zwischen Ilia und Idamante und zu einem Quartett zusammengefaßt worden, statt daß jetzt den Sängern zu Liebe einzelne Arien den Zusammenhang auflösen, so würde uns sicherlich auch der Schluß der Oper ähnliche Meisterwerke großartig dramatischer Musik bieten.
Die grandiose und freie Behandlung der Chöre sowohl in den Singstimmen als in der Begleitung steht im Wesentlichen auf einer Stufe mit den Chören zu König Thamos; allein die Stelle, welche die Chöre in der Oper einnahmen, verlangte eine gedrängtere und schärfer charakterisirende Darstellung [474] als dort nöthig war, wo die Verbindung mit dem Drama eine lose und äußerliche ist. Dieser Anforderung finden wir Mozart auch stets eingedenk; den Chören ist zwar so viel Spielraum gegeben, als zur Ausführung eines wohlgegliederten musikalischen Ganzen erforderlich ist, aber sie drängen sich nirgends mit dem Anspruch auf eine selbständige Bedeutung aus dem Zusammenhange hervor.
Außer der Bedeutung, welche den Chören eingeräumt ist, tritt das Bestreben die italiänische Oper nach dem Muster der französischen weiter zu bilden besonders auch in der Behandlung des Recitativs hervor. Zwar der Grundstock des Dialogs ist auch hier als Seccorecitativ behandelt, allein dem begleiteten Recitativ ist eine größere Ausdehnung und ungleich tiefere und reichere Ausbildung gegeben worden. Nicht allein als Einleitung und Vorbereitung zur Arie in der sogenannten Scena ist das obligate Recitativ häufiger als sonst angewandt, es tritt auch selbständig auf als das geeigneteste Mittel leidenschaftlich erregte Monologe, wie den des Idomeneo nach dem Erscheinen des Ungeheuers (18), oder feierlich pathetische wie die Anrede des Hohenpriesters (22) darzustellen. Endlich ist die Anwendung desselben auch dahin erweitert, daß einzelne Momente des Dialogs, in welchen die Empfindung sich über den gewöhnlichen Ton des Gesprächs erhebt, das begleitete Recitativ auf kürzere oder längere Zeit in das Seccorecitativ eintritt, so daß, wie die eigentlichen Musikstücke ihrem inneren Gehalt und den äußeren Mitteln nach weit über das früher übliche Maaß dramatischer Bedeutsamkeit hinausgehoben sind, auch die Haltung des Dialogs um vieles lebendiger und kraftvoller erscheint. Die Behandlung dieses Recitativs ist durchaus frei. Bald ist es nur eine schärfer betonte Declamation, bald geht es in einen mehr oder weniger [475] ausgeführten eigentlichen Gesang über. Ebenso dient auch das Orchester bald nur zur stützenden Begleitung, bald deutet es in Zwischenspielen an oder führt aus was durch die Textworte in der Seele angeregt ist. Eine wahrhaft unerschöpfliche Fülle von bedeutenden, nach den verschiedensten Seiten hin interessanten Zügen und schönen Motiven ist in diesen Recitativen ausgestreuet. Sehr sein ist z.B. in dem Recitativ der Electra (S. 171) das Hauptmotiv der folgenden Arie vorweggenommen; und wie geistvoll sind, als Idomeneo nachdem Ilia ihn verlassen die Ueberzeugung ausspricht daß sie Idamante liebe, die charakteristischen Motive ihrer Arie – gewissermaaßen die Aeußerungen, durch welche sie sich ihm verrathen hat – auf die bezeichnendste Weise harmonisch behandelt in die Zwischenspiele seines Monologs (S. 146) verwebt! Die Vielseitigkeit und der Reichthum der harmonischen Wendungen ist in diesen Recitativen erstaunlich; überhaupt aber zeigt sich Mozarts eigenthümliche Richtung auch hier wieder, indem er überall es versteht, die zerstreueten Momente dieser rasch vorüberziehenden Empfindungen auf einen Mittelpunkt zurückzuführen, und von da aus sie zu einem Ganzen zu gliedern. Daher schlägt er fast nie einen Ton an, der für sich allein stände, jeder einzelne Zug wird ihm zu einem Motiv, das weiterer Ausbildung fähig ist und derselben theilhaftig wird nach dem Maaße seiner Bedeutung in der Situation: auch hier ist kein Aufreihen an einen Faden, sondern Abrundung zu einem geschlossenen Ganzen. Unverkennbar ist auch der Einfluß, welchen die Beschäftigung mit dem Melodrama auf die Fassung und Färbung der instrumentalen Zwischensätze geübt hat, in denen das Moment der dramatischen Charakterisirung viel schärfer ausgeprägt erscheint; dazu trägt namentlich auch die ungleich reichere Verwendung des Orchesters [476] in den verschiedensten Klangfarben bei46. Denn wir finden hier nicht mehr allein das Saitenquartett, etwa mit Hinzutreten eines und des andern Blasinstrumentes beim Recitativ gebraucht, sondern wo es erforderlich schien, das gesammte Orchester und die Blasinstrumente in den verschiedenartigsten Combinationen, oft so daß sie wesentlich hervortreten oder ganz allein verwendet werden47, dienen ganz besonders auch hier ein glänzendes Colorit und scharfe Beleuchtung hervorzubringen.
Hiermit ist zugleich eine der merkwürdigsten Seiten des Idomeneo berührt, welche ihn damals zu einem wahren Phänomen machte und ihn auch jetzt noch der Bewunderung und des Studiums würdig erscheinen läßt: die Behandlung des Orchesters. Nach Allem, was in dieser Hinsicht bereits bemerkt ist, läßt sich schon erwarten, daß Mozart hier, wo er über ein reich ausgestattetes und vortrefflich geschultes Orchester verfügen konnte, mit Vorliebe die instrumentale Seite ausbilden würde. In der That finden wir auch im Idomeneo die Orchesterpartie so reich und glänzend und bis ins feinste Detail so sorgfältig ausgeführt, wie es in dieser Art bei Mozart später nicht wiederkehrt. Die Zusammensetzung des Orchesters ist vollständig dieselbe, welche er später anwendet – [477] natürlich läßt er jetzt die Clarinetten nicht unbenutzt – darin ist sie sogar reicher als die spätere, daß er mehrfach vier Hörner anwendet, wie dies allerdings auch früher schon wiederholt von ihm geschehen war (I S. 578. II S. 349)48. Ueber diese gesammten Kräfte verfügt er nun durchaus frei, indem er nicht mehr, wie früher geschah, einige wenige Stücke nach gewissen Normen durch eine reichere Instrumentation hervorhebt, sondern theils durchweg das instrumentale Colorit kräftiger und glänzender hielt, dann aber auch die Bedeutung dessen was darzustellen war allein über die Wahl und den Gebrauch der Mittel entscheiden ließ. In dieser Freiheit sehen wir ihn nur durch ein verständiges Maaßhalten sich selbst beschränken, nicht allein so daß gewisse Mittel für bestimmte Effecte gespart werden, wie z.B. die kleine Flöte allein beim Sturm (18), die Posaunen allein beim Orakel (28) gebraucht sind49, sondern um durch eine einsichtige Vertheilung die rechten Mittel auf den rechten Fleck zu bringen und das Ohr nicht zu überreizen und zu ermüden. So sind z.B. in beiden Sturmscenen (5. 18) keine Trompeten und Pauken – sie treten erst bei dem Fluchtchor ein, der ganz anders charakterisirt ist –, wohl aber bei den Tanzchören (10. 32), wo es auf festlichen Glanz ankommt, und wiederum bei dem Trauerchor (24), wo ihre Wirkung die ganz entgegengesetzte, aber nicht minder charakteristisch und durch Dämpfung eigenthümlich hervorgehoben ist. Es ließen sich solche Beobachtungen mit [478] Nutzen im Einzelnen verfolgen; hier genügt es darauf hinzuweisen daß das Maaßhalten im Gebrauch der Instrumentalkräfte – derzeit nahm man freilich viel mehr die außergewöhnliche Bereicherung wahr – weder eine abstracte Sparsamkeit noch eine berechnete Abwechslung und Gegenüberstellung verschiedenartiger Effecte ist, sondern daß mit klarer Uebersicht und sicherer Beherrschung stets aus dem Vollen geschöpft ist50. Dies setzt zunächst eine bis ins Feinste gehende Kenntniß aller durch ein so reich gegliedertes Orchester nur zu erzielenden Wirkungen voraus, und diese konnte Mozart, da in der Art nichts Aehnliches vorlag, nur durch Divination gewinnen. Er hat diese in der That wesentlich geschaffen, und werden Idomeneo darauf ansehen will, wird finden daß darin die Grundlage aller modernen Instrumentation gegeben ist, die bis auf den heutigen Tag nur im Einzelnen weiter ausgebildet, leider zum großen Theil verbildet und überbildet ist. Der feinste Sinn für die materielle Klangwirkung würde aber doch bloß äußerliche Effecte hervorbringen, wenn er nicht als ein nur mitwirkendes Organ wahrhaft künstlerischer Production thätig wäre; und was vorher schon hervorgehoben wurde, daß überall aus dem Ganzen geschaffen sei, so daß von diesem aus das Einzelne Berechtigung und Bedeutung erhalte, das gilt besonders vom Orchester51. Die Instrumente, in ihrer kunstreichen [479] Verwendung zu den mannigfachsten Klangwirkungen, sind durchaus nur die nothwendigen Träger der musikalischen Idee in dieser durch gewisse Bedingungen bestimmten Gestaltung und Verkörperung, und wenn die sorgfältige, mit einer nie ermüdenden Liebe dem Einzelnen zugewandte Sorgfalt der Ausführung bewundernswerth ist, man mag auf die harmonische und thematische Verarbeitung oder den charakteristischen Ausdruck sehen, so steigert sich diese Bewunderung durch die Wahrnehmung, wie mit gleicher Treue und gleich lebendiger Empfindung die sinnliche Erscheinung durch das Orchester zu vollendeter Schönheit herausgearbeitet ist52. Während [480] das Orchester zu vollständiger Selbständigkeit gelangt ist, wird dabei doch nicht außer Acht gelassen, daß es nur neben den Singstimmen wirken, daß es für diese Vorder- und Hintergrund bilden, aber nicht in der Art zu eigener Bedeutung gelangen soll, daß der Gesang etwa nur wie die Staffage in einer Landschaft zur Geltung komme. Auch von der Seite ist das Studium des Idomeneo interessant, daß man darin überall gewahrt, wie Mozart bei aller Vorliebe für die detailiirte Behandlung der Begleitung, doch den Gesang nicht als eine Art Programm betrachtet für das was eigentlich vom Orchester ausgeführt werden soll, sondern als das beseelende und beherrschende Element, von dem als von dem Kernpunkt die Gestaltung des Ganzen ausgeht, das dadurch auch, in wie üppigen Arabesken sich einzelne Glieder verschlingen mögen, stets ein wahrhaft lebendiges, künstlerisch organisirtes Ganze bleibt.
Ganz selbständig tritt das Orchester selten auf. Drei Märsche sind jeder in seiner Art charakteristisch. Der erste ist (9) ein glänzender Festmarsch, der sich seiner Haltung nach dem darauf folgenden Ballett anschließt; bei dem zweiten (15), der auf die erwähnte artige Weise eingeführt wird, ist ein Haupteffect das allmähliche Herankommen desselben, weshalb bei jeder Wiederholung neue Instrumente hinzutreten, durch welche nicht allein die Stärke vermehrt, sondern auch die Klangfarbe verändert wird53. Der einfachste und schönste ist [481] der dritte (25), welcher nicht eigentlich für einen feierlichen Aufzug bestimmt ist, sondern nur eine der scenischen Anordnung wegen nothwendige Pause ausfüllt, und die Stimmung auf die schönste Weise ausdrückt54. Ein großartiges Stück ist die Ouverture, in der Mozart die alte Form ganz verlassen hat; es ist ein einziger lebhafter Satz, der den Charakter der Einleitung auch dadurch zeigt, daß er nicht vollständig abschließt, sondern unmittelbar in die erste Scene überleitet. Gleich in den ersten Tacten kündigt sich ein gewisser typischer Ton heroischen Wesens an, der auch nachher mehrmals angeschlagen wird, allein im Ganzen herrscht ein strenger Ernst vor, der sich ebensowohl in der Neigung in die Molltonarten auszuweichen als in herben aber schönen Dissonanzen ausdrückt, wogegen das Mittelthema, das zuerst in A-moll eine sanfte Klage beginnt, die sich mit dem wunderschönen Eintritt des C-dur55 beruhigt und verklärt, höchst wirksam absticht. Zum Schluß treten die Dissonanzen auf einem zweimaligen Orgelpunkt, erst auf der Dominante dann auf dem Grundton, gehäuft und verstärkt in grandioser Weise auf und bereiten den Hörer auf die Kämpfe vor, an denen er Theil nehmen soll56.
[482] Fassen wir das Resultat unserer Betrachtungen zusammen, so erkennen wir in Idomeneo das Werk des zu völliger Selbständigkeit [483] gereiften und in frischer Jugendkraft stehenden Meisters. Nur an den Rücksichten auf äußere Verhältnisse, welche er in einzelnen Partien noch nehmen mußte, lag es, daß die Opera seria nicht ganz von den zufälligen, nicht im Wesen der Oper begründeten Unzuträglichkeiten befreiet wurde. Auch dann hätte sie ihren eigenthümlichen nationalen Charakter nicht nothwendig aufgeben müssen, da dieser, wie wir sahen, Mozart keine hemmende Fessel auflegte. Da aber die Momente des Fortschritts wesentlich von der französischen Oper und namentlich von Gluck ausgingen, so ergiebt sich die Frage, in wie weit und in welcher Art Mozart von diesem gelernt hatte. Ganz unverkennbar ist es nicht bloß daß Gluck auf ihn im Allgemeinen der Ansicht und Tendenz nach Einfluß geübt hat, sondern die Spuren eines sorgfältigen Studiums, besonders der Alceste, sind leicht zu erkennen. Sie zeigen sich in Einzelheiten, wie in der Behandlung des Orakels57; bei dem letzten Marsch, dessen Vorbild – wenn auch nicht in der Ausführung, doch der Stimmung nach – der Marsch in der Alceste ist; in dem Recitativ des Oberpriesters, das dem des [484] Oberpriesters bei Gluck ganz analog angelegt und behandelt ist, wie denn das wiederkehrende Motiv der Zwischenspiele
an das entsprechende aus der Alceste
erinnern kann; und was man etwa dem Aehnliches noch nachweisen mag. Wichtiger aber ist die gesammte dramatische Haltung, die sich vor allem in der Behandlung des Recitativs und in der Betheiligung des Orchesters an der Charakteristik kund thut. Allein was sich schon bei genauerem Eingehen auf jene zunächst in die Augen fallenden Einzelheiten ergiebt, daß Mozart von Gluck wie ein Meister vom anderen lernt und das entlehnte Pfund reichlich wuchern läßt, das erhellt noch deutlicher, wenn man das Ganze ins Auge faßt. Die heilsame und tief eingreifende Wirkung, welche großartige und bedeutende Kunstwerke, in denen eine neue Richtung eingeschlagen wurde, um so eher auf ihn machen mußten, wenn sie diese Richtung mit Einseitigkeit verfolgten, die dadurch gewonnene Berichtigung und Aufklärung seiner Ansichten über das Wesen der Oper darf man nicht gering anschlagen. Aber ebenso wenig, daß Mozart diesen Eindrücken und Belehrungen eine ihrem innersten Wesen nach selbständige productive Künstlernatur und eine wohlbegründete künstlerische Bildung entgegenbrachte, durch welche er befähigt ward nur das sich anzueignen, was seiner Natur gemäß war. Man wird sehr bald den Unterschied wahrnehmen daß, während Gluck die bestimmt ausgesprochenen Formen der Oper soviel als möglich aufzuheben und für die dramatische Situation einen ganz [485] freien Ausdruck zu gewinnen sucht, Mozart dagegen diese Formen möglichst zu schonen und sie so aus- und umzubilden sucht daß sie den Anforderungen des dramatischen Ausdrucks gerecht werden58. Dies geschieht nicht, weil er am Alten und Ueberlieferten als solchem hängt, sondern aus der richtigen Ansicht, daß in diesen Formen ein wesentliches Element der künstlerischen Gestaltung enthalten ist, welches der richtigen Entwickelung fähig ist. Mozart sucht nie, wie Gluck es wollte, zu vergessen daß er Musiker ist; er will es vielmehr in jedem Moment seiner künstlerischen Production sein und würde es sein, auch wenn er es nicht wollte; es sind die Grundgesetze der musikalischen Gestaltung, welche er zur Anwendung bringen will, in diesen liegt der Ausgangspunkt seiner Thätigkeit. Er bringt daher Glucks einseitiger Forderung der dramatischen Charakteristik gegenüber das Princip der musikalischen Gestaltung zur Geltung, welches jener Forderung nicht nur nicht widerspricht, sondern als das Höhere sie in sich schließt. Indem er dasselbe nicht allein anerkennt und ausspricht, sondern in den Leistungen, welche als ganz freie Schöpfungen maaßgebend sein können, durch die That bewährt, ist daher ein wesentlicher und nothwendiger Fortschritt gethan. Darin liegt [486] die Anerkennung daß Mozarts musikalische Schöpferkraft – und hierauf muß bei der Beurtheilung des Künstlers der Blick zuerst gerichtet werden – universaler und tiefer als die Glucks war; daß er ihm an künstlerischer Bildung und Disciplin überlegen war wird Niemand bezweifeln, der die technische Arbeit im Idomeneo, die Durchbildung des Orchesters u.s.w. mit den Glmkschen Opern vergleicht.
Ein solches Urtheil schließt nicht aus, daß einzelne Seiten der künstlerischen Leistungen bei Gluck, seiner ganzen Individualität gemäß, nicht allein groß und bedeutend sind, sondern auch verwandte Leistungen Mozarts übertreffen, und für Viele wird immer individuelle Zuneigung oder Abneigung gegen einzelne Seiten der künstlerischen Erscheinung den Maaßstab der gesammten Beurtheilung abgeben. Dies ist das Gebiet auf welchem sich, dem Sprichwort nach, nicht streiten läßt. Faßt man aber das Wesen und die Gesetze der Kunst ins Auge, so ergiebt sich eine sichere Norm für die Beurtheilung des Kunstwerks und des Künstlers, und hier trägt Mozart den Preis davon.
1 Gianbattista Baresco war seit 1766 als Hofcaplan in Salzburger Diensten; er war, wie damals häufig geschah, wohl hauptsächlich angestellt um als italiänischer Stilist, sowohl in den vielfachen Verhandlungen mit Rom wie bei Gelegenheitsgedichten gebraucht zu werden; ich fand ihn noch im Staatskalender von 1813 erwähnt. In der Mozartschen Correspondenz wird über seine Habsucht geklagt und daß er auch sonst im Verkehr unbequem sei.
2 Er sagt im Vorbericht: Si legga la tragedia francese, che il poeta Italiano in qualche parte imitò, riducendo il tragico à lieto fine. Crebillons Idoménée ist nicht gemeint und, soweit ich nach Grimms Bemerkungen (corr. litt. III p. 410. 413ff.) schließen kann, auch Lemierres Tragödie gleichen Namens nicht.Das Original des Idomeneo ist die französische OperIdoménée von Danchet und Campra, 1712 und 1731 aufgeführt (dict. des théâtr. III. p. 126ff.), gedruckt im Récueil des opéra XII, 1.
3 Die Sage vom Jephtha-Gelübde des auf der Heimkehr vom Sturm überraschten Idomeneus, und daß er seinen Sohn nicht habe opfern wollen, daß deshalb eine Pest ausgebrochen und er von seinem Volk vertrieben sei, findet sich schon bei alten Schriftstellern; das Uebrige ist moderne Erfindung. Denselben Stoff behandelt Idamant oder das Gelübde, ein musikalisch Drama von Joh. Heinr. Rolle (Leipzig Schwickert). Es ist vielmehr eine Cantate oder ein kleines Oratorium, nicht zur Aufführung auf der Bühne sondern im Concert bestimmt; Text und Musik sind wenig bedeutend.
4 Das Textbuch erschien italiänisch und deutsch unter dem Titel Idomeneo, dramma per musica, da rappresentarsi nel teatro nuovo di corte per comando di S.A.S.E. Carlo Teodoro nel carnovale 1781 (Idomeneus, ein musikalisches Schauspiel, welches auf gnädigsten Befehl Sr. kurfürstl. Durchl. Carl Theodor im neuen Opernhause zur Faschingszeit 1781 aufgeführt worden), in München gedruckt bei Franz Jos. Thuille. Die langen Dialoge, welche für die Composition zum Theil abgekürzt wurden, sind hier vollständig gedruckt. Ich verdanke ein Exemplar des jetzt seltenen Büchleins der Güte des Hrn. Regisseur Lenz in München.
5 Die Decorationen waren von Lorenz Ouaglio, Hofkammerrath, Professor an der Akademie in Düsseldorf und Theaterbaumeister, die Ballets hatte der Balletmeister Le Grand eingerichtet.
6 In der letzten Zeit ehe er nach München ging wurde von dem Maler della Croce in Salzburg ein großes Gemälde angefangen, welches die Familie Mozart vorstellte. Wolfgang wurde zuerst vorgenommen; sein Portrait wurde noch vor seiner Abreise fertig, nach dem schon angeführten Briefe seiner Schwester (I S. 227) ist es sehr ähnlich, das Titelkupfer des ersten Bandes ist danach gestochen. Er interessirte sich sehr für die Vollendung des Bildes. »Wie wird das Familiengemälde?« schreibt er (13. Nov. 1780) »Sind Sie gut getroffen? ist meine Schwester auch schon angefangen?« Der Vater antwortet (20. Nov. 1780), daß noch nichts weiter daran geschehen sei, weil er keine Zeit gehabt habe zu sitzen und die Schwester nicht aus dem Hause dürfe, weil sie krank sei, so daß man sogar gefürchtet habe, sie werde eine Brustabzehrung bekommen. Später, als Wolfgang wieder anfragt (13. Dec. 1780): »Nun werden Sie ja doch schon im Bilde angefangen sein und meine Schwester schon gar zu gewiß; – wie fällt es aus?« schreibt er (8. Jan. 1781): »Deine Schwester war nun zweymal beim Maler. Sie ist gut getroffen und wenn beim Ausmalen kein Fehler vorbeygehet, so wird es ein charmanter Kopf.« Das Gemälde, welches jetzt im Mozarteum in Salzburg ist, stellt die beiden Geschwister am Flügel vierhändig spielend vor, der Vater sitzt daneben, die Geige in der Hand; das Bild der Mutter hängt an der Wand. Es ist in einer sehr ungenügenden Lithographie bei Nissen und kürzlich in einem großen Stahlstich von B. Höfel veröffentlicht worden.
7 »Ich habe nebst vielen anderen kleinen Streitigkeiten einen starken Zank mit dem Grafen Seeau wegen der Posaunen gehabt;« schreibt er (11. Jan. 1781) »ich heiße es einen starken Streit, weil ich mit ihm habe müssen grob seyn, sonst wäre ich mit ihm nicht ausgekommen.«
8 Vielleicht ist die I S. 427 erwähnte Arie in München für diese Dame geschrieben.
9 Ob hier etwa auf Vogler und seine Anhänger hingedeutet wird, weiß ich nicht; in den Briefen geschieht deren nirgends Erwähnung.
10 Aloysia Weber war nicht mehr in München, sie war bereits durch die Vermittelung des kais. Gesandten Grafen Hardeck als erste Sängerin in Wien engagirt worden, wohin ihre ganze Familie mit ihr zog. Es beruht auf Irrthum, wenn man diesen Aufenthalt Mozarts in München mit seinem Verhältniß zu Aloysia in Verbindung gebracht hat.
11 Alles was sich in der Correspondenz auf diese Abänderungen bezieht ist Beilage XVI, 1 zusammengestellt.
12 Das Personenverzeichniß ist folgendes
Idomeneo, re di CretaIl Sign. Raaff, virtuoso
di camera.
Idamante, suo figlioIl Sign. Dal Prato.
Ilia, prencipessa Trojana,
figlia di PriamoLa Sign. Dorothea Wend-
ling, virtuosa di camera.
Electra, prencipessa, figlia
d'Agamemnon re d'ArgoLa Sign. Elisabetha Wend-
ling, virtuosa di camera.
Arbace, confidente del reIl Sign. Domenico de Pan-
zachi, virtuoso di camera.
Gran Sacerdote di NettunoIl Sign. Giovanni Valesi,
virtuoso di camera.
13 Vincenzo dal Prato, geb. 1756 in Imola, trat in Florenz 1772 auf, und wurde 1780 in München engagirt, wo er noch 1811 als Pensionist lebte.
14 »Wenn der Castrat kommt«, schreibt er (22. Nov. 1780) »muß ich mit ihm singen, denn er muß seine ganze Rolle wie ein Kind lernen: er hat nicht um einen Kreuzer Methode.«
15 Giambattista Zonca, geb. 1728 in Brescia, war ein vortrefflicher Baßsänger, wurde 1758 als Hofsänger in Mannheim angestellt und kam mit der übrigen Hofmusik 1778 nach München, wo er bis 1788 mit Beifall sang. Nachdem er pensionirt war, kehrte er nach Brescia zurück und starb dort 1809.
16 »Apropos!« schreibt er seinem Vater (27. Dec. 1780) »Becke sagt mir die Täge, daß er Ihnen nach der vorletzten Probe wieder geschrieben hatte, und unter anderm auch, daß des Raaff seine Aria im zweyten Acte wider den Text geschrieben sey. So hat man mir gesagt, sagte er, ich verstehe zu wenig welsch – ist es wahr? – Hätten Sie mich eher gefragt und hernach erst geschrieben! Ich muß Ihnen sagen, daß derjenige zu wenig welsch kann, der Ihnen so was gesagt hat. Die Aria ist ganz gut auf die Wörter geschrieben. Man hört das mare und das mare funesto, und die Passagen sind auf minacciar angebracht, welche dann das minacciar, das Drohen gänzlich ausdrücken; und überhaupt ist das die prächtigste Aria in der Opera und hat auch allgemeinen Beyfall gehabt.«
17 Don Domenico de Panzachi, geb. 1733 in Bologna, kam 1753 als Sänger nach Madrid und 1762 nach München. Er wurde im Jahr 1779 pensionirt und zog sich später nach Bologna zurück, wo er 1895 starb. Vgl. Burney Reise II S. 90.
18 Vgl. S. 48. Er wurde 1798 pensionirt und starb 1811 in München.
19 Vgl. oben S. 83ff.
20 »Ich habe dermalen einen Catarrh«, schreibt er (22. Nov. 1780) »welcher bey dieser Witterung hier sehr in Mode ist; ich glaube und hoffe aber, er wird sich bald flüchten, denn die zwey leichten Cürassier-Regimenter Rotz und Schleim gehen so immer nach und nach weg.«
21 Er traf in München mit der Mara zusammen, die vor nicht langer Zeit aus Berlin fortgegangen war. »Sie hat gar nicht das Glück mir zu gefallen«, schreibt er (13. Nov. 1780) »sie macht zu wenig um einer Bastardina [I S. 629f.] gleich zu kommen (denn dies ist ihr Fach), und macht zu viel um das Herz zu rühren wie eine Weber, oder eine vernünftige Sängerin.« Noch viel weniger als von ihrem Gesang war er von dem Benehmen des Maraschen Ehepaars, dem man »den Stolz, Grobheit und wahre Effronterie im Gesicht ansah«, erbauet, von dem er später (24. Nev. 1780) berichtet. Als die Mara im Hofconcert nach der ersten Symphonie singen sollte, »sah ich ihren Herrn Gemahl hinter ihr mit einem Violoncell in der Hand herschleichen – ich glaubte es wird eine mit einem Violoncell obligate Aria seyn. Der alte Danzi, ein sehr guter Accempagnateur, ist erster Violencellist hier; auf einmal sagt der alte Toeschi (auch Director, der aber in dem Moment, wo Cannabich da ist, nichts zu befehlen hat) zum Danzi NB. seinem Schwiegersohn: Steh er auf und laß er den Mara hersitzen. Als dieß Cannabich hört und sieht, spricht er: Danzi, bleiben Sie sitzen! der Churfürst hat es gern, wenn seine Leute spielen. Darauf ging die Aria an; Hr. Mara stand wie ein armer Sünder mit dem Baßl in der Hand hinter seiner Frau.« Die Arie, welche die Mara sang, hatte einen zweiten Theil, sie ging aber ohne das Orchester zu avisiren während des Ritornells herab; Mara wurde grob gegen Cannabich und mußte von ihm zum Schweigen gebracht werden. Dann beklagte das Ehepaar sich beim Grafen Seeau und als dieser ihnen Unrecht gab, ging die Mara zum Churfürsten und beschwerte sich. Der aber sagte ihr: Madame, Sie haben wie ein Engel gesungen, obwohl Ihnen Ihr Mann nicht accompagnirt hat – und verwies sie an Graf Seeau. Beleidigt gingen beide fort und Seeau gab gute Worte um sie zurückzubringen. In der zweiten Arie, welche die Mara sang, fehlten in Cannabichs Stimme drei Tacte; als die Stelle kam, hielt Mara Cannabich den Arm, wofür dieser ihm nachher starke Grobheiten sagte. Und Cannabich allein hatte Mara es zu danken, daß er im ersten Concert Solo gespielt und accompagnirt hatte, was so schlecht ausgefallen war, daß der Churfürst ausdrücklich gewünscht hatte, seine Leute möchten es thun. Aehnliche Geschichten hatte das Marasche Ehepaar auch an anderen Orten erlebt; vgl. Forkels musik. Alman. 1789 S. 122ff. und die Charakteristik Maras bei Zelter Briefw. mit Göthe III S. 418ff. VI S. 149ff.
22 Auch von anderer Seite her erfuhr der Vater die besten Nachrichten über diesen ersten Act. »Diese Tage« schreibt er ihm »zeigte mir Fiala einen Brief von Becke, welcher voll der Lobeserhebungen Deiner Musik des 1sten Actes war: er schrieb, daß ihm die Thränen in die Augen traten, als er die Musik hörte, vor Freude und Vergnügen, und daß Alle behaupteten, das wäre die schönste Musik, die sie gehört hätten, daß Alles neu und schön wäre etc.; daß sie nun im Begriff wären, den 2ten Act zu probiren, – daß er mir dann selbst schreiben werde, u.s.w. Nun, Gott sey Dank gesagt, das geht gut. Ich kann nicht glauben, da ich Deine Arbeit kenne, daß es Complimente sind; denn ich bin überzeugt, daß Deine Composition, wenn sie gehörig ausgeführt wird, auch ihre Wirkung thun muß.«
23 »Nun muß ich Dich bitten«, schreibt er (18. Nov. 1730) »nichts auf die lange Bank zu schieben. Wenn man eylen muß, dann hat man keine Wahl mehr, man muß Alles hinschreiben, und dann setzt man seine Ehre und sein Glück, seinen Ruhm und Alles auf das Spiel: und warum? – um seine Zeit mit Kleinigkeiten, mit Spaß und Lachen zu verlieren, die man zur Fortpflanzung seines einmal erworbenen Ruhms, zur Ehre seiner Beschützer und Freunde und zur Bahnung eines ferneren Glücks hätte anwenden sollen.«
24 Vgl. I S. 608.
25 »Das Accompagnement bey der unterirdischen Stimme« berichtet ihm Wolfgang (3. Jan. 1781) »besteht in nichts als fünf Stimmen, nämlich drey Posaunen und zwey Waldhorn, welche an dem nämlichen Ort placirt sind, wo die Stimme herkömmt. Das ganze Orchestre ist bey dieser Stelle still.« Wegen dieses Arrangements hatte er erst noch einen Streit mit Graf Seeau zu bestehen.
26 Der sorgliche Vater, der bemüht war ihn auf Alles aufmerksam zu machen, was für einen guten Erfolg von Wichtigkeit sein konnte, ermahnte ihn noch besonders sich mit dem Orchester in gutem Vernehmen zu halten – Erfahrungen von Salzburg her mochten ihm das wohl besonders nöthig erscheinen lassen. »Suche nur« schreibt er (25. Dec. 1780) »das ganze Orchester bey guter Laune zu erhalten, ihnen zu schmeicheln und sie durch die Bank mit Lobeserhebungen Dir geneigt zu erhalten; denn ich kenne Deine Schreibart, es gehört bey allen Instrumenten die unausgesetzte erstaunlichste Aufmerksamkeit dazu, und es ist eben kein Spaß, wenn das Orchester wenigstens drey Stunden mit solchem Fleiß und Aufmerksamkeit angespannt seyn muß. Jeder, auch der schlechteste Bratschist, ist auf's Empfindlichste gerührt, wenn man ihn tête à tête lobt, und wird dadurch eifriger und aufmerksamer, und so eine Höflichkeit kostet Dich nichts, als ein paar Worte. Doch – das weißt Du ja selbst; ich sage es nur, weil man's oft da, bey der Probe, nicht gleich thun kann, und dann vergißt, und weil Du erst dann die Freundschaft und den Eifer des ganzen Orchesters nöthig hast, wenn die Opera in Scena ist. Die Lage des ganzen Orchesters ist dann ganz anders, und aller Mitspielenden Aufmerksamkeit muß noch mehr angespannt seyn. Du weißt, daß man nicht Alle zu Freunden haben kann. Es muß immer ein Zweifel und Aber mit unterlaufen. Man zweifelte, ob der zweyte Act so neu und gut als der erste Act ausfallen werde? Da nun dieser Zweifel gehoben ist, so werden Wenige mehr für den dritten Act zweifeln. Aber ich wollte meinen Kopf wetten, daß Einige seyn werden, die zweifeln werden, ob diese Musik in Scena auf dem Theater auch die Wirkung wie im Zimmer machen werde? und da braucht's auch wirklich den größten Eifer und guten Willen des ganzen Orchesters.«
27 Die uns schon bekannte Gilowsky-Catherl (S. 18) mußte sich ihre Luft vergehen lassen. Als ein Beitrag zur Kenntniß des damaligen Conversationstons in Salzburg, der Wolfgang so sehr mißfiel, mag folgende Aeußerung Leop. Mozarts (13. Jan. 1781) dienen: »Wegen der Gilowsky-Catherl ists nichts anders als daß sie öfters wünschte nach München zu gehen, und da ich sagte wir wollten sie mitfahren lassen, wenn ihr Jemand in München zu fressen giebt, so sagte sie (in Fialas Gegenwart): O ich gebe zu seinem Schwiegervater, logier bey ihm und friß bey ihm. Fiala sagte aber kein Wort und mag das doch seinem Schwiegervater geschrieben haben; sonst wüßte nicht, wie er das wissen könnte. Ich glaube aber, Hr. Proschalka würde sich bedanken und vielleicht hat er diese Rede gethan um zu vernehmen, ob sie etwa würklich kommen würde, vielleicht aus Besorgniß das kann man nicht wissen.«
28 Die Nothwendigkeit wegen des Todes der Kaiserin Maria Theresia in Trauer zu erscheinen hätte der Tochter beinahe einen Strich durch die Rechnung gemacht. »Wegen dem schwarzen Kleid« schreibt der Vater (8. Jan. 1781) »war Deine Schwester sehr verlegen. Das alte ist so abgetragen daß es nicht mehr zu gebrauchen; sie hat also heute sich entschlossen ein ganz neues ihr machen zu lassen und es ist der Grosdetour schon beym Schneider; es wird ihr auf etliche und 70 fl. zu stehen kommen. Sie hofft, der Churfürst wird es bezahlen müssen.« (Das Letzte ist in Chiffern geschrieben.)
29 »Wir gedenken den 18 hier abzugehen«, schreibt er (11. Jan. 1781) »noch habe ich mich aber nicht gemeldet. Wann der Erzbischof nach Wien gehet, weiß man noch nicht die bestimmte Zeit, vermuthlich weil er es, wie gewöhnlich, selbst nicht weiß. – Unterdessen sehe ich der Sache stillschweigend zu und richte mich danach.«
30 Wolfgang hatte davon geschrieben einen Ofen setzen zu lassen um ein Zimmer wohnlich zu machen; dem Vater schien das nicht nöthig (11. Jan. 1781). »Man kann nicht alle Bequemlichkeit haben, absonderlich auf kurze Zeit, und wir werden ohnehin wenig zu Hause seyn. Man kann ja doch auch wohnen wie Zigeuner und Soldaten; das ist uns ja eben nichts Neues – sind wir denn zu Hause? Wenn wir nur zu Hause oder in der Nähe etwas zu fressen bekommen. – Nun also, mache, wie es seyn kann.«
31 Die Originalpartitur bei André (Verz. 39) in drei Bänden ist eine mit rascher Hand geschriebene sehr saubere Reinschrift, in der fast gar nichts geändert ist als mitunter im Recitativ. Wie gewöhnlich sind die einzelnen Nummern für sich geschrieben und nachher eingelegt; die Noten der Contrabaßstimme sind hier, wie in anderen Partituren, zur Erleichterung für den Generalbaßspieler am Klavier, größer geschrieben. Die Partitur sollte damals gedruckt werden, wie aus einem Briefe Leop. Mozarts an Breitkopf (10. Aug. 1781) hervorgeht. »Man wollte uns durchaus bereden, die Opera gedruckt oder gravirt, die ganze Spart oder fürs Clavier eingerichtet herauszugeben. Es gaben sich bereits Subscribenten für einige 20 Exemplare an, darunter Sr. Durchl. der Prinz Max von Zweybrücken waren, allein meines Sohnes Reise nach Wien und die dazwischen gekommenen Begebenheiten machten, daß wir Alles verschoben.« Später ist sie unter dem Titel Idomeneo Rè di Creta osia Ilia e Idamante drama eroico in tre atti, musica di W.A. Mozart in Bonn bei Simrock erschienen. Der Druck ist im Ganzen genau und correct; einige Berichtigungen, welche sich beim Durchgehen des Originals ergaben, sind Beilage XVI, 5 mitgetheilt. – Nicht gedruckt ist die Musik zum Ballet, welches mit dem Idomeneo gegeben wurde; die Originalpartitur befindet sich bei André (Verz. 40).
32 So berichtet Rochlitz (A. M. Z. I S. 51). Was er zur Begründung anführt ist freilich nur zum Theil richtig. Er bemerkt (ebend. S. 54) Mozart habe den Idomeneo unter besonders günstigen Umständen geschrieben. Dazu rechnet er, daß sie für das damals ganz vortreffliche Münchner Theater bestimmt war, – was für das Orchester volle Gültigkeit hat, für die Sänger, wie wir gesehen haben, eine sehr bedingte –; ferner daß der Churfürst ihn dazu aufforderte, ihm Beweise seiner Achtung gab und – ihn bezahlte. Wie viel Honorar Mozart für den Idomeneo erhielt wissen wir nicht; daß es nicht sehr bedeutend war, erhellt daraus daß Leop. Mozart seinem Sohn schreibt (11. Dec. 1780): »Wie wird es mit der Spart gehen? wird sie nicht copirt? Du mußt darauf Bedacht nehmen. Um so eine Bezahlung, wie diese, kann man eine Spart nicht zurücklassen.« Worauf dieser antwortet (16. Dec. 1780): »Wegen der Spart zu copiren braucht ich es gar nicht sein zu machen, sondern sagte es ganz gerade dem Grafen. Es war allezeit in Mannheim der Brauch (wo der Kapellmeister gewiß gut bezahlt war), daß er das Original zurückbekommen.« Sehr richtig ist es daß Mozart damals in der schönsten Blüthe seines Lebens stand, »bei ausgebreiteten Kenntnissen, glühender Liebe seiner Kunst, bei raschem leichten Körper, bey über Alles mächtiger Jünglingsphantasie.« Aber nun fährt er fort: »und diese – was eine Hauptsache war – wurde noch überdies beflügelt durch eine innige Liebe zu seiner nachmaligen Gattin; eine Liebe, welche durch die Hindernisse, die ihr von Seiten der Familie seiner Geliebten gelegt wurden, für Mozart desto mehr Interesse bekam. Wie hatte auch eine so angesehene Familie ihre Tochter mit einem jungen, meistens reisenden, leichtgesinnten, amtlosen Künstler vereinigt wünschen sollen? Daß diese Ideen noch zugleich Mozarts Ehrgeiz gewaltig aufwühlten; ihn vermochten hier mit aller Anstrengung zu arbeiten, sich Namen zu machen und dadurch sein liebes Mädchen zu gewinnen, oder sich an denen, welche ihn zu gering geschätzt hatten, zu rächen – das sieht man von selbst.« Und von diesem Allen ist – wie wir schon wissen und sich später noch mehr bestätigen wird – jeder Zug und jedes Wort nicht wahr; wie denn auch Nissen, der das wissen mußte, indem er den Aufsatz Rochlitz's abdrucken ließ (S. 435f.), diese Stelle wegließ. Gleich darauf heißt es: »Daß ein Künstler, wenn er auch noch lange kein Mozart wäre, unter diesen Verhältnissen etwas ausgezeichnetes liefern würde; daß Mozart ein Werk, welches unter solchen Auspicien geboren wurde, auch wenn es nicht den hohen Werth hatte, den es hat, vorzüglich lieb haben mußte, das siehet man ebenso leicht von selbst.« Es ist sehr zu fürchten, daß Rochlitz die angebliche besondere Vorliebe Mozarts für Idomeneo sammt ihrer Begründung »von selbst sah« und nicht aus sicherer Quelle wußte. Was er noch weiter dafür angiebt, daß Mozart Motive aus dem Idomeneo später wieder benutzt habe, trifft nicht zum Ziel; diese Frage wird später im Zusammenhang behandelt werden.
33 Was mir hierüber bekannt geworden ist habe ich Beilage XVI, 2 besprochen.
34 Die wichtigsten Notizen sind Beilage XVI, 3 zusammengestellt.
35 Selbst Reichardt, der sonst nicht geneigt war Mozart gelten zu lassen, hat über den Idomeneo sich sehr anerkennend ausgesprochen; ich habe seinen Aufsatz deshalb Beilage XVI, 4 mitgetheilt. Unbedeutend ist was Seyfried (Cäcilia XX S. 178ff.) über diese Oper sagt; dagegen ist Oulibicheffs Beurtheilung (nouv. biogr. II p. 94ff. Mozarts Opern v. Koßmaly S. 1ff.) im Allgemeinen treffend und enthält manche seine Bemerkung.
36 In der ersten Arie hat Mozart wahrscheinlich dem Sänger zu Liebe die Figur geändert. Während es jetzt heißt
war ursprünglich geschrieben
Natürlich entsprechen derselben die Figuren in der Begleitung, die dann ebenfalls geändert worden sind.
37 Nach alter Sitte hatte die erste Arie ein sehr langes Anfangsritornell, das später um zwei Seiten gekürzt worden ist.
38 Diese Arie hatte anfangs einen vollständigen Schluß, indem ursprünglich an der Stelle der letzten beiden Tacte vor dem Recitativ (S. 81 Tact 7. 8) folgende standen
39 Wir finden deshalb auch in dieser Arie die größte Verwandtschaft mit der Arie, welche Mozart in Mannheim Raaff so accurat angemessen hatte (S. 150ff.).
40 Zum Zeugniß, wie Mozart arbeitete, dient eine Skizze dieser Arie, welche sich erhalten hat, in der das Ritornell und die Singstimme mit dem Baß vollständig niedergeschrieben ist. Wahrscheinlich hatte er dieselbe Raaff vorgelegt um vor der Ausarbeitung dessen Wünsche und Vorschläge berücksichtigen zu können; sie stimmt aber mit Ausnahme weniger und ganz unbedeutender Veränderungen ganz mit der späteren Ausführung überein. Bemerkenswerth ist, daß Mozart die Textesworte des Mittelsatzes anfangs im Tempo und Tact des ersten Satzes componiren wollte; nachdem er vier Tacte geschrieben hatte, strich er sie aus und fing den Mittelsatz so an, wie er dann geblieben ist.
41 Man vgl. z.B. 29:
D'Oreste, d'Ajace
Hò in seno i tormenti,
D'Aletto la face
Già morte mi dà.
Squarciatemi il core
Ceraste, serpente!
42 Ich möchte nicht dafür einstehen, daß diese zischende Figuren nicht durch die Schlangen des Textes hervorgerufen wurden; auch in der Arie des Idomeneo (13) haben die Worte Fuor del mar ho un mar in seno das die Wogen ausdrückende Motiv der Begleitung hervorgerufen.
43 Ursprünglich war das Recitativ, welches dieser Arie vorhergeht, – wie auch das Textbuch ausweist – viel länger und vollständig componict; vor der Aufführung sind mehrere Seiten gestrichen, wobei dann auch einige kleine Aenderungen vorgenommen sind.
44 An zwei einander entsprechenden Stellen des Quartetts bei den Worten Peggio è di morte (S. 254 Tact 9 bis S. 255 Tact 7 und S. 264 Tact 2 bis S. 265 Tact 2) hat Mozart eine Aenderung vorgenommen, das ursprünglich Geschriebene ausradirt und hineingeschrieben was jetzt gedruckt ist. Die erste Fassung der Singstimmen ist nicht mehr zu erkennen, im Orchester war an der ersten Stelle anfangs geschrieben
und dem entsprechend an der zweiten.
45 Eigenthümlich und durchaus der Situation entsprechend ist der Schluß des Quartetts. Zu Anfang desselben beginnt Idamante fest, wie einer der seinen Entschluß gefaßt hat: Andrò ramingo e solo, versinkt aber mit den Worten morte cercando u.s.w. in düstre Betrachtungen. Zum Schluß setzt er wiederum ein:Andrò ramingo e solo und verläßt dann die Scene, während das Orchester fortfährt die trüben Empfindungen auszudrücken und sie allmählich verklingen läßt. – In anderer Weise ist der Schluß der zweiten Arie der Electra (14) so gewendet daß eine musikalische Ueberraschung der Situation gemäß eintritt. Anstatt mit einem Nachspiel abzuschließen fallt der letzte Ton der Singstimme in einen Marsch hinein, den man von fern hört, und zwar den zweiten Theil desselben, so daß man also gleich mitten in denselben hineinversetzt ist. Dieselbe musikalische Attrappe hat Mozart mit dem Marsch im Figaro, und Spohr zu Anfang des Faust mit dem Menuett gemacht.
46 Als ein Beispiel solcher Charakteristik im Einzelnen mag die Einleitung zum Recitativ des Oberpriesters (23) dienen, welche sich an die Darstellung auf der Scene eng anschließt. Ein Maestoso beginnt, rauschend, fanfarenartig mit Pauken, Trompeten und Hörnern – der König kommt mit seinem Gefolge; darauf Largo, zwei Tacte ruhig gehalten, Saiteninstrumente mit Fagotts – die Priester treten auf; endlich eine rasch bewegte Figur in den Violinen – das Volk drängt sich unruhig herein.
47 Man vgl. z.B. die Scene zwischen Idomeneo und Idamante im ersten Act (S. 83ff.), das Recitativ Idomeneos im zweiten (S. 209ff.).
48 Wir finden dieselben, je zwei in verschiedenen Tonarten, in Nr. 5. 18. 23. 29, und in Nr. 18 und 29 sind sie mit Trompeten vereinigt.
49 Hierin ist ein namhafter Unterschied von der Instrumentation der Chöre zu König Thamos, wo die Posaunen stark gebraucht sind, so wie später um eine ähnliche Wirkung zu erreichen in der Zauberflöte. Man sieht daraus, wie bestimmt Mozart den Charakter dieses Instruments schon damals aufgefaßt hatte.
50 In dieser Hinsicht ist namentlich beachtungswerth, mit welcher Feinheit bei der Wiederholung derselben Motive durch die Instrumentation Abwechslung und Steigerung hervorgebracht wird.
51 Als ein Beispiel unter so vielen führe ich nur das Gebet Idomeneos (26) an. Hier ist die Begleitung der Geigen, welche pizzicato die Harfe nachahmt, schon dadurch belebt daß die Figur meistens unter sie vertheilt wird; dazu tritt aber eine selbständige, reich gegliederte Figurirung der Blasinstrumente, in welcher eine fortwährend gesteigerte harmonische Bewegung sich entwickelt, die durch die eigenthümliche Klangwirkung eines jeden besonders gefärbt erscheint. Und bei der Wiederholung finden wir dann durchgängig noch eine neue Ausbildung der zuerst angedeuteten Elemente. – Für gewisse Figuren der Blasinstrumente, meistens in Terzen und Sexten, ist im Idomeneo eine Vorliebe zu erkennen, wie sie auch in den Chören zu Thamos in ähnlicher Weise sich finden; später kommen sie zwar auch noch vor, aber in mäßiger Anwendung.
52 Wie aufmerksam Mozart war mögen zwei Tacte aus dem Recitativ des Idomeneo (30) zeigen, welche ursprünglich so geschrieben
dann um der Klangwirkung willen auf einem besonderen Blatt so umgeschrieben sind, wie sie jetzt in der Partitur gedruckt stehen.
53 Dieser Marsch wird anfangs von Trompeten und Hörnern mit Sordinen gespielt, ein Effect, welcher auch im Schlußchor von König Thamos angewendet ist. Deshalb schrieb Mozart seinem Vater (29. Nov. 1780): »Nun brauche ich wegen des Marsches im zweiten Act, den man von der Ferne hört, solche Sordinen für die Trompeten und Hörner, die man hier nicht hat. Wollten Sie mir wohl mit nächstem Postwagen von jedem eines schicken um sie hier nachmachen lassen zu können?«
54 Sehr eigenthümlich ist in diesem Marsch die Benutzung der Violoncelle, welche zwar meist mit dem Baß gehen aber um zwei Octaven höher, was eine eigene Wirkung macht.
55 Wie einfach und eindringlich ist hier die Wirkung der harmonischen Wendung auch durch die mit dem Eintritt der Clarinetten veränderte Klangfarbe gehoben!
56 Hier erwähne ich auch die Musik zu dem mit Idomeneo verbundenen Ballet. Sie besteht aus folgenden Nummern.
a. Chaconne (D-dur), »Pas de deux de Mad. Hartig et Mr. Antoine« u.a., ein ausgeführter Satz, an welchen ein ebenfalls ausgeführtes Larghetto (B dur) »Pas seul pour Mad. Hartig« sich anschließt, worauf nach einer ziemlich langen langen Annonce die Chaconne »pour le Ballet« zum Theil wiederholt wird, und mit einem Crescendo abschließt, das zu einem Halt auf dem Accord über Cis führt. Hierauf folgt
b. Pas seul de Mr. Le Grand (D-dur). Dies beginnt mit einer pathetischen Intrade (Largo), an welches ein zierliches und sauber ausgeführtes Allegretto sich anschließt, das bei der Aufführung gestrichen ist, welchem ein sehr lebhaft bewegtes Più Allegro folgt. Den Beschluß macht ein nochmaliges Più Allegro »pour le Ballet«, das aus einem zweimal ansetzenden, lang ausgezogenen, vom pp bis zum ff steigenden, mit Vorhalten gewürzten Crescendo einer Triolenfigur besteht, bei dem es einem wirblich werden kann.
c. Passepied (B-dur) »pour Mad. Redwen« kurz und einfach, aber sehr zierlich und anmuthig und ganz tanzmäßig.
d. Gavotte (G-dur), ebenfalls ohne weitere Ausführung, sein und graziös; von sehr guter Wirkung ist die einfache Imitation des Violoncells, die anmuthig im dritten Theil harmonisch ausgeführt wird.
e. Passecaille (Es-dur). Dies Stück war wiederum für eine breitere Ausführung mit einem Pas seul und Pas de deux bestimmt; allein es war zu lang gerathen, Mozart selbst hat zwei längere Stellen nur angelegt und nicht vollendet, und vor der Aufführung ist dann noch das ganze Pas de deux herausgestrichen.
Die hergebrachte Weise der einzelnen Tänze, wie sie namentlich aus den Suiten von Bach und Händel uns bekannt sind, ist besonders im rhythmischen Bau aber auch in anderen charakteristischen Wendungen festgehalten; der Passepied z.B. würde in jeder Suite seinen Platz behaupten, ebenso auch die Gavotte. Uebrigens ist diese ganze Balletmusik den verwandten Sätzen in der Oper selbst ähnlich, durchgehends frisch und wohlklingend und ihrem Zweck entsprechend. Man sieht aber, daß Mozart sich wohl bewußt war, daß bei einer Balletmusik die seine Detailausführung und die Orchesterbehandlung, wie wir sie in der Oper überall finden, nicht am Platz sein würde. Zwar hat er auch hier insofern sich selbst ein Genüge gethan, als in der freien, flüssigen Stimmführung und der lebendigen Gruppirung der Instrumente, in einzelnen seinen harmonischen Wendungen sich überall die sichere Meisterhand verräth; allein er wußte wohl, daß es hauptsächlich auf scharfen, prägnanten Rhythmus, auf starke Drucker, um Licht und Schatten zu geben, ankäme und hat darauf auch den Nachdruck gelegt. Deshalb sind die Trompeten und Pauken nicht geschont, übrigens, abgesehen von einzelnen starken Schlägen, das Orchester selten massenhaft benutzt; auch findet sich fast nie ein Streben nach besonderen Effecten durch ungewöhnliche Instrumentalcombinationen, nur in der Gavotte tritt das Solo-Violoncell, jedoch in sehr bescheidener Weise hervor. Daß der Balletmeister einen erheblichen Einfluß ausübte sieht man daraus, daß hier weit mehr gestrichen und geändert ist, als sonst in der ganzen Oper.
57 Die harmonische Behandlung ist der des Orakels bei Gluck nahe verwandt, die Begleitung durch gehaltene Accorde der Posaunen und Hörner hat dieser schon vorher bei der Aufforderung des Oberpriesters angewendet.
58 Hier sind natürlich nicht die Stücke, welche im Dienst der Sänger geschrieben sind, zu Grunde zu legen, sondern diejenigen, in welchen er durchaus selbständig schuf. Daß er überhaupt den Sängern sich bequemen mochte, wird freilich dem Tadel nicht entgehen, der indessen mehr den Charakter trifft. Ohne darauf Nachdruck zu legen, daß auch Gluck nicht allein italiänische Opern in alter Weise schrieb, nachdem er sein neues Princip der wahren Oper aufgestellt hatte, sondern auch seinen Orpheus nachträglich durch eine Bravurarie entstellte (S. 248) – denn die Sache wird dadurch nicht besser –, weise ich nur darauf hin, daß Mozarts Bereitwilligkeit und Fähigkeit, auch unter lästigen Bedingungen treffliche Musik zu schreiben, für seine reiche und leichte Productionskraft nur ein günstiges Zeugniß ablegt.
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