Während die komische Oper auf solche Weise immer lebendiger, reicher, blühender sich entwickelte, wechselte die große Oper fast ausschließlich mit Lully und Rameau ab und, weil man sie im Wesentlichen unangefochten ließ, konnte es scheinen, als sei es nicht möglich über diesen Standpunkt hinauszukommen, während in Wahrheit das eigentliche Interesse des Publicums sich der komischen Oper zugewandt hatte1. Allein auch der großen Oper standen neue Stürme bevor. Ohne Zweifel half der leise Luftzug, welcher von der reformirten komischen Oper herüberdrang, wesentlich dieselben vorzubereiten, der eigentliche Impuls aber kam wiederum nicht aus Paris selbst.
[217] Gluck2 war, nachdem er für die italiänische Oper in Italien und London mit Beifall thätig gewesen war, im Jahr 1748 nach Wien gekommen und schrieb dort – einzelne Aufträge welche er für italiänische Theater ausführte abgerechnet – theils für den Prinzen von Hildburghausen theils und hauptsächlich für den kaiserlichen Hof eine Reihe italiänischer Opern, welche sich in Form und Behandlung von dem damals üblichen Stil nicht wesentlich entfernten. Es war jene Zeit, wo nicht allein die hergebrachten Formen immer mehr zu einer rein conventionellen Formel wurden, sondern die Herrschaft der Gesangskunst alle Einfachheit, Natürlichkeit und Wahrheit des Ausdrucks den Launen der Virtuosität aufopfern ließ. Die Wahrnehmung des Verfalls der Opernmusik, über welchen Metastasio selbst bitter klagte3, rief in Gluck den Entschluß hervor dieselbe auf ihre wahren Grundsätze zurückzuführen. Er war ein Mann von ernstem Nachdenken und von starkem Willen; die Regungen in der deutschen Litteratur der Poesie Würde und Bedeutung zu geben blieben von ihm nicht unbeachtet – er war bekanntlich ein [218] Verehrer Klopstocks, dessen Oden er componirte4 –, und namentlich sind die Bestrebungen, durch welche man in Wien mit soviel Eifer die deutsche Bühne zu heben suchte, gewiß nicht ohne Einfluß auf ihn geblieben, wie denn auch seine ersten praktischen Versuche in der neuen Richtung von den Vertretern der Reformation des Schauspiels, wie von Sonnenfels5 mit dem lautesten Beifall begrüßt wurden. Gluck hat seine Grundsätze der dramatischen Composition in dem bekannten Dedicationsschreiben vor der Alceste ausgesprochen6. Er erklärte den Mißbräuchen, welche die Eitelkeit [219] der Sänger und die Nachgiebigkeit der Componisten eingeführt hatte, und durch die das schönste und würdigste Schauspiel zum langweiligsten geworden sei, entgegenzutreten; er wollte nicht den Gang der Handlung zur unpassenden Zeit durch ein Ritornell unterbrechen, nicht einer Passage oder Cadenz den Ausdruck opfern, nicht dem Herkommen zu Liebe den zweiten Theil einer Arie vernachlässigen, wenn die Situation auf denselben allen Nachdruck zu legen gebiete, um nur die unbedeutenderen Worte des ersten Theils viermal zu wiederholen und die Arie gegen den Sinn des Textes zu schließen; die Symphonie sollte dem Charakter des Drama entsprechen und den Zuhörer auf dasselbe vorbereiten. Denn als Grundgesetz galt es ihm der Musik ihren wahren Wirkungskreis zuzuweisen, indem er sie der Dichtung unterordne, so daß sie diese in jedem Moment der Situation entsprechend [220] ausdrücke, ohne allen überflüssigen Schmuck, wie das Colorit dazu diene den Umrissen Leben und Ausdruck zu geben; für sein höchstes Ziel erklärt er eine schöne Einfachheit7, er verschmäht alles Schwierige, wenn es der Klarheit schadet, alles Neue, wenn es nicht aus der Situation mit Nothwendigkeit hervorgehe; er verachtet jede Regel um die rechte Wirkung zu erreichen.
An der Richtigkeit dieser Grundsätze im Allgemeinen, sowohl ihrem polemischen als affirmativen Gehalt nach, wird kaum ein Zweifel entstehen, es handelt sich um ihre Anwendung durch die künstlerische Gestaltung. Bei einer Musik, die der Dichtung dienen und einzig ihr lebendigeren Ausdruck verleihen soll, hat man Grund nach dieser zu fragen. Gluck hatte in Calsabigi8 einen Dichter gefunden, der ihm durch die dramatische Behandlung antiker Stoffe im Gegensatz gegen die von Metastasio eingeführte Weise wahre Tragödien, würdig einer künstlerischen Darstellung durch die Musik, zu liefern versprach. So entstanden Orfeo ed Euridice (1762), Alceste (1767) und Paride ed Elena (1769). Es ist auf den ersten Blick klar daß der Begriff einer Tragödie auf keine derselben anwendbar ist, und daß weder in der Auffassung im [221] Allgemeinen noch in der Behandlung des Einzelnen eine Spur von antikem Sinn sich verräth; wir begegnen überall der Rhetorik der italiänischen Poesie, und wo der Dichter über dieselbe hinauszugehen sucht, da schöpft er nicht aus der griechischen sondern aus der französischen Tragödie. Dies ist in jener Zeit nicht anders zu erwarten, allein hiervon abgesehen haben diese Opern auch kein eigentlich dramatisches Interesse. Eine Handlung, welche sich in ihren einzelnen Momenten aus gegebenen Verhältnissen durch prägnante Charaktere psychologisch entwickelt und dadurch unser Interesse bis zu der mit innerer Nothwendigkeit erfolgenden Lösung der Conflicte festhält, ist nirgends zu finden, vielmehr nur eine Reihe von nothdürftig mit einander verbundenen Situationen, welche entweder einer bestimmten Gefühlsstimmung zum Ausdruck dienen oder auch nur die Veranlassung bieten dergleichen zu äußern, wie in Ceremonien, Festlichkeiten mit Chor und Ballet u. dgl. Der Dichter hatte also auf selbständige Bedeutung verzichtet, sein Text war für den Componisten berechnet; auch war das Auge nicht weniger bedacht als das Ohr. Ein durchgehender Fehler war es außerdem, daß diese Situationen theils einander zu ähnlich sind und sich mit geringen Modificationen hintereinander wiederholen – was auf einer falschen Vorstellung von Einheit und Einfachheit beruhen mochte –, theils im Einzelnen zu breit und zu rhetorisch ausgeführt sind, was in einer unrichtigen Auffassung der tragischen Würde und Feierlichkeit begründet war.
Diese Beschaffenheit der Texte mußte bei Glucks Princip durch die Musik nur das genau auszudrücken was der Dichter in Worten gesagt hatte auf die musikalische Gestaltung bedeutenden Einfluß gewinnen. Wenn wir in Gluck schon die Einsicht in wesentliche Mängel der damaligen Opernmusik und die Energie, mit welcher er denselben entgegentrat, [222] anerkennen müssen, so steigert sich unsere Bewunderung, wenn wir seine Leistungen dem Dichter gegenüber würdigen. Gluck besaß nicht allein einen freien und kühnen Geist, einen lebhaften Sinn und scharfes Verständniß für das dramatisch Wirksame, für das Charakteristische: er hatte, was zu allen Zeiten wenigen gegeben ist, eine tiefe Empfindung für das Große. – Von Größe war nun in seinen Operntexten keine Spur zu finden, aber wie Winckelmann aus den Kunstwerken einer späten Zeit das echte Wesen der griechischen Kunst in ihrer Reinheit und Schönheit zu erkennen vermochte, so erfaßte Gluck das Große, welches in den Hauptsituationen seiner Opern lag ohne daß der Dichter es hatte zur Gestaltung bringen können, in seiner tiefsten Quelle auf, und indem er dem Dichter nachzugehen glaubte, schuf er aus seiner eigensten Natur heraus neu und groß. Der hohe Schwung und der edle Stolz, welcher die freien und sicheren Züge seiner Gebilde beseelt, die Wahrheit und Einfachheit seiner Darstellung, kurz alle die Züge der künstlerischen Große sind es, welche seinen unvergänglichen Ruhm ausmachen. Die Richtung, welche er der musikalischen Darstellung auf das Charakteristische gab, war damit keineswegs identisch, obwohl man leicht begreift wie beides in Glucks Natur einander begegnete; in der Einseitigkeit, mit welcher er die letztere verfolgte, liegt neben großen und eigenthümlichen Vorzügen auch seine Schwäche.
In jenen italiänischen Opern tritt nun keineswegs ein Aufgeben der überlieferten Form hervor; er bricht nicht etwa mit der Vergangenheit, er kehrt vielmehr in mancher Beziehung zum Alten zurück. Die knappere Behandlung der Arienform, deren Anlage überall zu erkennen ist, die Einfachheit des melodiösen und Beschränkung des colorirten Gesanges, die Sorgfalt für das Recitativ, überhaupt für den richtigen [223] Ausdruck des Gefühls waren Aenderungen des herrschenden Geschmacks jener Zeit, nicht aber Neuerungen gegenüber der älteren Weise. Das Alte zurückzurufen, weil es früher berechtigt gewesen war, kam ihm nicht in den Sinn, er wollte nur das Wahre, Rechte im Sinne seiner Zeit, seiner Individualität. Dies zeigt sich namentlich darin, daß er, obwohl eine schöne Einfachheit sein Ziel war, weil er der nur den Sinnen schmeichelnden, durch Künstlichkeit überraschenden Ausartung des Operngesangs durch scharfe Charakteristik entgegentreten wollte, nach dieser Seite starke Mittel anwendet, wie man dies früher nicht kannte. Am wenigsten tritt dies Bestreben in der Bildung der Melodien hervor, die einfach und ausdrucksvoll, aber von der Weise der älteren und besseren Italiäner nicht wesentlich unterschieden ist; auch die Form der Arien ist, wie schon bemerkt, zwar meistens knapp und frei behandelt, aber keineswegs zerstört. Ungleich bedeutender ist der Unterschied und der Fortschritt, welcher im Gebrauch der Harmonie zu gewahren ist; denn diese ist nicht etwa nur überhaupt reicher ausgebildet, bedeutender und interessanter gemacht, sondern sie ist in consequenter Behandlung als ein Mittel zur dramatischen Charakteristik und nicht mehr wesentlich nur zur Unterhaltung des musikalischen Sinnes angewendet. Nicht minder hervortretend ist die Steigerung der instrumentalen Mittel der Charakteristik; zum ersten mal sind hier die Instrumente ihrer individuellen Natur gemäß behandelt, nicht als concertirende, sondern insofern sie durch die Klangfarbe den verschiedensten Stimmungen einen bezeichnenden Ausdruck geben; durch Gegenüberstellung oder Vereinigung verschiedener Instrumente, durch compakte Massen wie durch einzelne Töne wird mit sorgfältiger Berechnung und genauer Kenntniß in jedem Moment Licht und Schatten vertheilt und ein lebhaftes Colorit gewonnen. Die Wirkung [224] dieser verschiedenen musikalischen Elemente wurde concentrirt und gehoben durch die häufige Anwendung der Chöre, welche man in die Handlung zu verflechten und ihnen ein dramatisches Interesse zu geben suchte, wodurch auch ihre musikalische Behandlung zu größerer Bedeutung und lebendiger Charakteristik gesteigert wurde, so daß sie auf der einen Seite den Culminationspunkt der in einer bestimmten Situation ausgesprochenen Stimmung bilden, während sie für die freiere Bewegung und den rascher wechselnden Ausdruck in den einzelnen Personen eine feste Umrahmung bilden. Und Gluck, der nach allen Seiten hin der Oper einheitliche Charakteristik zu geben bedacht war, erstreckte seine Sorge auch auf Märsche, Tänze9 und ähnlichen Schmuck der Scenerie; auch dieser sollte nicht als eine glänzende, aber gleichgültige Augenlust zum Drama hinzukommen, sondern sowohl der Musik als der Darstellung nach durch die Situation motivirt und derselben angemessen charakterisirt sein.
[225] Großen Nachdruck legte Gluck auf das Recitativ. Das gewöhnliche Seccorecitativ tritt fast ganz zurück, den größten Theil der Oper füllt das begleitete Recitativ, das hier also nicht mehr einzelne bedeutende Momente als Einleitung und Uebergang zu den ausgeführten Gesangsstücken hervorhebt, sondern der eigentliche Ausdruck für die gehobnere Sprache des musikalischen Dramas wird, dem auch, da der Gesang wesentlich die Stimmung ausdrückt, das Element des specifisch Dramatischen zufällt. Hier ist nun die Wahrheit und Kraft des Ausdrucks, der Reichthum an einzelnen Zügen seiner und geistvoller Charakteristik nicht minder zu bewundern, als daß Gluck nur sehr selten in den Fehler verfällt durch Detailausführung und besonders durch Malerei den Eindruck des Ganzen zu zerstören, weil seine künstlerische Natur allem Kleinlichen fremd war. Dennoch sind wir hier an einem Punkt, wo sich die einseitige Anwendung des Gluckschen Princips als eine Schwäche erweist. Da nach seiner Ansicht die Musik den Worten des Dichters dienen, diese im Einzelnen genau ausdrücken sollte, so folgte er mit seinem scharf charakterisirenden Recitativ dem lang ausgeführten, weder echt dramatischen noch poetischen Dialog in jeder Wendung seiner rhetorisch aufgeputzten Darstellung, und mußte nun nicht nur die Mittel seiner Kunst an einem nicht durchaus ebenbürtigen Gegenstande abnutzen, sondern er zersplitterte auch die Aufmerksamkeit und das Interesse, welche er zu lange, zu oft und rasch hintereinander stark in Anspruch nahm. Man wird sagen, bei einer Operndichtung wie sie sein solle, würde ein solcher Uebelstand nicht eintreten; d.h. also, der Dichter müßte die genaueste Rücksicht nehmen nicht sowohl auf die Gesetze der poetisch-dramatischen Gestaltung überhaupt als auf die Grundbedingungen der musikalischen Darstellung. Diese wirkt so unmittelbar auf die Sinne und das [226] Gefühl ein, und soviel lebhafter und stärker als die Dichtung, welche sich zunächst an Phantasie und Verstand wendet, es durch den declamatorischen Vortrag kann, daß ein unnatürliches Mißverhältniß entsteht, wenn die Musik mit allen ihren Mitteln starker Charakteristik den Worten des Gedichtes Schritt für Schritt sich anschließen will. Es ist also ein Irrthum, daß die Pflicht der Musik sei den Worten des Dichters zu dienen um sie genau auszudrücken, ein Irrthum, welchen das Gleichniß dessen Gluck sich bedient um jenen Satz zu erläutern noch klarer herausstellt; »wie auf einer correkten und gut componirten Zeichnung« sagt er »die Lebhaftigkeit der Farben und Licht und Schatten wohl vertheilt die Gestalten beleben ohne die Umrisse zu entstellen.« Aber so kann man Färbung und Zeichnung gar nicht scheiden; der wahre Maler colorirt oder illuminirt nicht die nackten Umrisse, er nimmt die Gestalt nur nach ihrer vollen Farbenwirkung in sich auf; in dieser Totalität allein hat sie für ihn Existenz, und so stellt er sie dar; der Gegensatz von Zeichnung und Colorit hat nur für die Technik eine Bedeutung, nicht für die künstlerische Anschauung und Production. So hat denn auch die Musik den Textworten gegenüber etwas Anderes und mehr zu thun als gegebene Umrisse zu coloriren; sie hat vielmehr eine poetische Gestaltung, die mit dem Bewußtsein geschaffen ist, daß sie nicht selbständig bestehen sondern durch die Vereinigung mit der Musik erst ihre Vollendung erhalten solle, ganz in sich aufzunehmen und aus sich heraus als ein Neues zu erschaffen, wobei sie selbständig den in ihrer Natur als einer schöpferischen Kunst begründeten Gesetzen folgt und diesen gemäß ihre eigenen Formen ausbildet. Widersprechen dürfen und können die Gesetze des poetischen und musikalischen Schaffens einander nie, aber beide wirken mit verschiedenen Kräften und Mitteln auf verschiedene Punkte hin; die künstlerische Bedeutung der Oper [227] liegt darin, daß in ihr beide Künste von einem gemeinsamen Mittelpunkt aus auf ein gemeinsames Ziel in der Art concentrirt hinwirken, daß ihre Kräfte einander nicht neutralisiren sondern heben und verstärken; die Leistung der Künstler beruht darauf, daß sie die gegenseitigen Anforderungen, welche jede Vereinigung zum Zusammenwirken voraussetzt, nicht als ein Hemmniß der individuellen Entwickelung oder gar als ein Aufgeben der eigenen Natur sondern als die organische Bedingung der Hervorbringung des Kunstwerks aufzufassen vermögen, und zwar nicht bloß intellectuell sondern productiv.
Um eine Einseitigkeit und einen Irrthum zu erklären, welche von so großem Einfluß auf die künstlerische Richtung Glucks waren, mag man an den leidenschaftlichen Eifer jeder Opposition und bewußten Reformation erinnern, welcher leicht zur Uebertreibung führt; aber bei einer großen und bedeutenden Natur, wie die Glucks war, muß man tiefer gehen und kann den Grund wohl nur in der künstlerischen Organisation selbst suchen. Ein begeisterter Verehrer Glucks hat es bereits ausgesprochen10, daß derselbe »ein mehr geistig als rein musikalisch großer Mann« gewesen sei; und in der That steht der Größe seiner Empfindung, der Kraft seines Denkens, der Energie seines Willens nicht eine völlig entsprechende musikalische Productionskraft gegenüber. Diese Organisation befähigte ihn vorzugsweise reformirend aufzutreten; betrachtet man den Künstler an sich, so muß bei einem solchen Verhältniß der geistigen Kräfte ein Mangel, eine Schwäche hervortreten. Glucks Production erscheint keineswegs einseitig, wie man vielleicht an nehmen möchte; die verschiedenen Affecte auszudrücken gelingt ihm fast in gleichem Maaße, auch [228] Anmuth und Reiz fehlt ihm keineswegs; allein reich und voll, leicht strömend ist sie nicht; die Größe der Empfindung, welche seine Sachen durchweht und sich namentlich oft in dem großen, weilspannenden Zug seiner Melodien ausspricht, ist ihm natürlich, aber auch die Knappheit und Straffheit der Ausführung ist nicht durchaus das Werk bewußter Ueberlegung, sondern zum Theil die Folge einer nicht leichten Erfindungskraft. Hierin liegt offenbar der letzte Grund jener Erscheinung daß er die Musik als eine selbständige Kunst in ihrem eigensten Recht beschränkte und sie auf die ausführende Charakteristik der Dichtung beschränken wollte, in einer Schwäche seiner musikalischen Organisation, welcher der Irrthum des Verstandes zur Beschönigung diente. Hiemit hängt eine andere Erscheinung zusammen. Der schon erwähnte Schriftsteller hat mit Recht hervorgehoben11, daß Glucks dramatische Charakteristik wesentlich nur für die Einzelrede ausreiche, – seine Gestalten stehen wie im Stil des Basreliefs jede für sich nebeneinander im Gegensatz einer Composition nach malerischen Gesetzen –, den eigentlichen Dialog, das Gegeneinander der Stimmen und Charaktere, die bald im Widerspruch mit einander, bald in Einigkeit stets dabei die Grundverschiedenheit ihres Wesens behaupten, habe er nicht auszudrücken vermocht: die polyphone Macht der Musik, im geistigen Sinn gefaßt, sei bei Gluck unentwickelt geblieben. Grade hier liegen aber die höchsten Aufgaben, welche die Musik aus ihrem innersten Wesen heraus als freie Kunst zu lösen hat, und hier hat sie ihre dramatische Kraft recht eigentlich zu bewähren, tiefer und bedeutender als durch die immer mehr äußerliche Charakteristik der einzelnen Momente. Wenn Gluck sich nicht gedrungen fühlte die dramatischen Situationen in diesem [229] Sinn musikalisch aufzufassen und darzustellen, so ist es ein Beweis, daß seine poetische Phantasie leichter und lebendiger angeregt war als die musikalische und daß die musikalische Gestaltung bei ihm mitunter die secundäre war12, wie auch in dem obenerwähnten Gleichniß von der Zeichnung und Färbung sich etwas der Art ausspricht. Und selbst die Beschränkung, welche er nicht selten auch da, wo die Musik eine rein lyrische Stimmung ausspricht und sich also ihrer eigenthümlichen Formen bedient, derselben auferlegt, ist zum Theil gewiß aus dieser Quelle abzuleiten. Denn Gluck dehnte nicht etwa seine Ansicht von der Bewegung einer dramatischen Handlung dahin aus, daß er verlangt hätte, die Darstellung derselben auf der Bühne, also auch die musikalische, müsse so momentan sein, in einem so ununterbrochenen Fluß fortschreiten wie in der Wirklichkeit – ein Irrthum, welcher die gemeine Illusion mit künstlerischer Darstellung verwechselt, wohin das einseitige Streben nach Charakteristik freilich leicht führen kann. Er erkannte vielmehr das Bedürfniß der musikalischen Darstellung in einer Stimmung zu beharren13 und [230] ließ sich nicht allein vom Dichter in diesem Sinne breit angelegte Situationen gern gefallen, sondern verweilte auch auf denselben länger als der einfache Ausdruck der Textesworte es verlangte. Zwar ist seine Behandlung der einzelnen Formen auch dann meist knapp, allein er bedient sich des Mittels mehrfacher Wiederholung, besonders wo Chor- und Sologesang sich gegenübergestellt sind, das zwar von kräftiger und unmittelbarer Wirkung, allein künstlerisch betrachtet, wenn es nicht nothwendig durch die Situation geboten wird, untergeordnet ist gegen die Anlage eines großen Satzes, dessen einzelne Elemente durch künstlerische Verarbeitung einander durchdringen und sich zu einem lebensvollen Organismus gliedern. Hier ist denn auch nicht zu verschweigen daß Gluck in eigentlich thematischer Verarbeitung keine große Kunst und Geschicklichkeit bewährt und daß er sogar im Bau der Sätze und selbst in einzelnen Wendungen mitunter eine gewisse Unbeholfenheit verräth. Das war nicht etwa Mangel an Fleiß und Sorgfalt; er arbeitete mit ebensoviel Genauigkeit als Eifer und bei seinem eisernen Willen hätte er nichts sich anzueignen versäumt, das er als noth wendig für seine künstlerische Wirksamkeit erkannt hätte; daß er das Bedürfniß nicht fühlte, dieses wichtigsten Hülfsmittels für alle eigentlich musikalische Gestaltung vollständig Herr zu sein, kann uns vielmehr ein neues Zeugniß für die schon besprochene Eigenthümlichkeit seiner musikalischen Organisation sein14.
[231] Die erste jener Opern Orfeo ed Euridice steht der gewöhnlichen Weise der italiänischen Oper noch am nächsten, und wurde auch in Italien mit Beifall gegeben15. Handlung ist in derselben fast gar nicht; die Einführung des Amor zu Anfang und am Schluß schwächt das Interesse wesentlich und giebt dem Ganzen den frostig allegorischen Charakter der damaligen Festspiele. Die breit ausgeführten Situationen des um Eurydice trauernden und die Dämonen der Unterwelt bezaubernden Orpheus bilden den Hauptinhalt; denn die dritte Situation der Rückkehr mit Eurydice und ihres erneuerten Verlustes sind weder dramatisch noch musikalisch in ihren Höhepunkten prägnant gefaßt. Jene beiden Situationen sind aber mit ergreifender Wahrheit und Innigkeit des Gefühls und mit großer Schönheit ausgedrückt; während in der Behandlung der musikalischen Formen kein wesentlicher Unterschied von der älteren italiänischen Weise sich bemerkbar macht, ist der Gebrauch welcher von den Chören gemacht wird und die Ausbildung des Orchesters ein großer und wichtiger Fortschritt gegen dieselbe. Die Oper fand zwar in [232] Wien und auch in Paris16 bei den Kennern großen Beifall, allein man scheint sie keineswegs als den Anfang einer musikalischen Reformation angesehen zu haben, wie denn auch Gluck in den nächsten Jahren noch mehr als eine italiänische Oper nach altem Schlage componirte.
Die Alceste aber kündigte sich ausdrücklich als der erste Versuch einer neuen Richtung an, wurde bei ihrer Aufführung als ein Meisterwerk, welchem die Reformation der dramatischen Musik gelungen sei, ausgerufen, und bekundete nach allen vorher besprochenen Seiten hin die bestimmten Intentionen des Meisters und seine ganze Individualität. Die dramatische Behandlung durch den Dichter ließ allerdings viel zu wünschen, statt Handlung findet man auch hier nur eine Reihe einander sehr verwandter Situationen, welche sich allein um den Entschluß der Alceste drehen, die nicht sowohl zu einer psychologischen Entwickelung der Charaktere, als zu einer rhetorischen Darstellung gewisser Stimmungen benutzt sind; dadurch daß die Person des Hercules ganz fortblieb und die Lösung dem in den Wolken erscheinenden Apollo zugetheilt wurde, war ein wirksamer Contrast ohne Noth aufgegeben; [233] die beiden Vertrauten hatten dramatisch und musikalisch immer noch eine bedenkliche Aehnlichkeit mit den parte seconde. Allein der Gegenstand, der hier dargestellt wurde, der Grund und Boden, welchen diese Situationen angehören, hatte eine tiefere Bedeutung, eine innere Kraft, welcher Gluck seine eigene Natur verwandt fühlte und die ihn begeisterte über den Dichter hinaus zu leisten was auch heute groß und bewundernswerth ist. Auf der anderen Seite ist der Zusammenhang mit den Formen der italiänischen Oper keineswegs so vollständig gelöst, als es damals Manchem scheinen mochte, ein unbefangener Blick gewahrt denselben noch allenthalben, und weitentfernt daß dies einen Vorwurf begründen könne, ist es ein Lob, und manche Vorzüge sind in der Weise begründet, in welcher Gluck sich dieser Formen bediente.
Der Eindruck dieser Oper auf das Publicum im Allgemeinen war nicht der gewünschte, sie ließ dasselbe gleichgültig; man sieht es am deutlichsten aus dem Eifer der Gluck geneigten Kritik gegen das Publicum. Leider war diese Kritik nicht ganz competent; Sonnenfels, der dieselbe hauptsächlich vertrat, gestand selbst ein, er sei kein durchgebildeter Kenner der Musik, habe aber ein richtiges Ohr und eine getreue Empfindung, die ihm in der Musik das Schöne sicher anweise17. Auch in weiteren Kreisen drang sie nicht gleich durch; in Italien nahm man, wie es scheint, gar keine Notiz davon; Friedrich der Große ließ sich mehrere Stücke daraus vortragen ohne Geschmack daran zu finden18; norddeutsche Kritiker [234] erhoben, indem sie der neuen Leistung in verschiedener Hinsicht alle Anerkennung widerfahren ließen, gegen wesentliche Punkte der Gluckschen Grundsätze und ihrer Ausführung Einsprache19.
Gluck selbst äußert sich nicht ohne Empfindlichkeit20 in der Dedication von Paride ed Elena über die laue Theilnahme des Publicums, den Mangel an Einsicht und Gerechtigkeit bei den Kritikern, und an Muth und Talent bei den Musikern, von denen keiner seinen Spuren zu folgen wage; mit Stolz und Selbstgefühl erklärte er bei seinen Grundsätzen beharren zu wollen, für deren Richtigkeit diese neue Oper nach einer ganz anderen Richtung hin Gewähr leisten werde21.
[235] Diese Berufung war nicht glücklich, denn Paride ed Elena ist ein mittelmäßiges Werk und kann für Glucks Kraft nicht zeugen. Dem unbedeutenden Stoff – die Entführung der Helena ist etwa im Sinn einer ovidischen Heroide aufgefaßt – wird schon dadurch jedes dramatische Interesse genommen, daß Amor in einer Verkleidung zwischen den beiden Liebenden verhandelt – eine Fiction, welche für die dramatische Darstellung nicht absurder ausgedacht werden kann; daneben erscheint noch Minerva in einer Wolke mit einer vergeblichen Warnung. Die dürftige Fabel wird durch fünf Acte hindurchgesponnen und an die Liebesscenen, die ohne alle wahre Leidenschaft nur rhetorisch aufgeputzt sind, knüpfen sich ganz äußerlich Chöre und Tänze an. Hier war Gluck keine Gelegenheit geboten sein Genie zu bewähren. Die Richtung auf das Zierliche und Anmuthige, ja auf das Weichliche und Ueppige, welche hier durchaus vorherischt, war seiner Natur am wenigsten entsprechend; die Züge, in welchen wahre Leidenschaft oder wirkliches Gefühl sich äußern, sind zu vereinzelt um ihm eine charakteristische Gestaltung möglich zu machen. Abgesehen von solchen Einzelnheiten ist daher diese Oper weder anziehend noch bedeutend; auch scheint sie damals keinen Beifall gefunden zu haben und nicht wieder aufgenommen worden zu sein.
Vielleicht hätte Gluck mit seinen Bestrebungen, da sie keinen günstigen Boden zu finden schienen, inne gehalten, wären [236] ihm nicht nach anderen Seiten hin Aussichten eröffnet worden, welche Erfolg versprachen. Ein für Poesie und Musik lebhaft sich interessirender Franzose du Rollet, damals bei der Gesandtschaft in Wien und mit Gluck näher bekannt, machte die Wahrnehmung daß die Richtung, welche dieser einschlug, im Wesentlichen eine Weiterbildung und Vervollkommnung der Tendenzen sei, welche die französische Oper verfolgte. Er machte ihn darauf aufmerksam daß bei richtiger Behandlung Paris der Ort sei, wo seine Reformation Theilnahme und Beifall finden werde, nur müsse vor allen Dingen statt der mangelhaften Dichtungen der Oper eine wahre Tragödie zu Grunde gelegt werden. Als das Muster einer solchen schlug er ihm als ein Franzose Racines Iphigénie en Aulide vor, er erbot sich dieselbe mit den unerläßlichen Modificationen als Oper einzurichten und für die Aufführung in Paris die vorbereitenden Schritte zu thun. Gluck bedachte sich nicht darauf einzugehen.
In der That lagen sehr günstige Bedingungen vor. Die Hauptschwierigkeit, welche Gluck bisher zu bekämpfen hatte, eine eingewurzelte Vorliebe für die italiänische Musik, welcher die überlieferten Formen derselben so zur Gewohnheit, ja zur anderen Natur geworden waren, daß man auch den Mißbrauch derselben sich mit Behagen gefallen ließ – diese Schwierigkeit war in Paris nicht zu besiegen, das eigentliche Object seiner Polemik existirte dort gar nicht. Denn die ausgebildete Opera seria war dort sowenig als die Gesangsvirtuosität zur Herrschaft gekommen, und auch die Liebhaber der italiänischen Musik wollten keineswegs diese mit allen Monstrositäten ihrer Verbildung einführen. Dagegen kamen ihm mehrere günstige Voraussetzungen zu Hülfe. Vor allem daß die französische Oper, dem Geist der Nation gemäß, die Richtung auf das Dramatische, auf charakteristischen Ausdruck im [237] Princip stets verfolgt hatte; die nächsten Mittel dieses zu erreichen, knappe und freie Behandlung der musikalischen Formen und nachdrückliche ausführliche Behandlung des Recitativs fand er vor. Ebenso waren die Chöre, für Gluck ein wesentliches Mittel zur Steigerung des dramatischen Ausdrucks, unerläßlich in der französischen Oper, und auch das Orchester war für die Charakteristik des Ausdrucks bereits von Rameau mit Erfolg verwendet worden. Von der anderen Seite brachte er den außerordentlichen Vorzug mit daß er in der italiänischen Schule groß geworden und mit den Mitteln und Formen derselben bekannt war, daß er also das, was in Frankreich nicht zu erwerben war, um dem dramatischen Gesang mit dem Ausdruck auch Freiheit und Schönheit zu geben, vollständig sich erworben hatte. Auch hier war ihm auf dem Gebiet der komischen Oper Gretry, wie wir sahen, in ganz verwandten Bestrebungen vorangegangen und hatte das Ohr der Pariser an diese Verschmelzung italiänischer und französischer Musik gewöhnt. Allein die Aufgabe, eine gleiche Reformation der großen Oper vorzunehmen war in jeder Hinsicht ungleich bedeutender und schwieriger, sie durchzusetzen bedurfte es eines Mannes von großen Eigenschaften – und als einen solchen hat sich Gluck bewährt.
Die Wahl des Textes war eine glückliche; Racines Tragödie war ein anerkanntes Meisterwerk in den Augen der Nation, und wenn die Bearbeitung nicht ganz ungeschickt war22, so war das Interesse für den poetischen Theil der Oper gewonnen, die Bedeutung desselben von vorne herein [238] außer Zweifel gesetzt. Der Fortschritt gegen die früheren Opern ist ebenfalls entschieden; hier ist nicht bloß ein bedeutender Gegenstand, es ist Handlung da, dramatische Conflicte treten ein, Leidenschaften und Charaktere sind in Wirksamkeit gesetzt. Freilich durchdringt das Ganze der Geist welcher die Zeit Ludwigs XIV beherrschte23; es sind Griechen in der Robe und Frisur, Monseigneur Achille und Princesse Iphigénie betragen sich mit aller Courtoisie und Galanterie, und das höchste Gesetz der künstlerischen Darstellung bleibt das Ceremoniell. Unter solchen Eindrücken war aber auch Gluck herangebildet, und wir dürfen uns daher nicht so sehr darüber wundern daß er sich denselben hingeben konnte, vielmehr müssen wir bewundern, daß er unter dieser Hülle das rein Menschliche und wahrhaft Poetische, welches in diesen Situationen und Charakteren liegt, herauszufühlen und in den Hauptmomenten mit einer Wahrheit, Innigkeit und Einfachheit auszudrücken vermochte, daß die Musik den idealen Geist der antiken Kunst, welchen der Dichter nicht ahnte, in ihren bedeutendsten Momenten in der That wiederspiegelt. Darin offenbart sich die Größe von Glucks künstlerischer Individualität, denn die Schwächen sind auch hier meistens die Folge der einseitigen Ausführung seines Princips. Bei seinem Bestreben der Dichtung im Einzelnen mit dem musikalischen Ausdruck zu folgen, mußte der Charakter der Sprache und das nationale Gepräge der Dichtung nothwendig von bedeutendem Einfluß sein. Diesem wollte er sich auch keineswegs entziehen; er war sich wohl bewußt daß er für Franzosen schrieb und bestimmte Anforderungen ihres nationalen Geschmacks anerkennen müsse, wenn er auf sie wirken und [239] die Hauptsache erreichen wollte. Nicht allein äußerlichen Ansprüchen z.B. der großen Ausdehnung des Ballets gab er nach24 und suchte sie seinen Zwecken gemäß zu gestalten, sondern er studirte die Sprache, um sie ihrem Charakter gemäß zu declamiren und musikalisch zu behandeln, ebenso auch die Opern seiner Vorgänger Lully und Rameau25 eifrig, um in dem, was wahr und echt national in ihnen war, sich an sie anzuschließen. Die Aufnahme solcher Elemente in der Declamation, im Rhythmus, in der Melodienbildung ist bis in einzelne Wendungen bei aufmerksamer Betrachtung wohl zu erkennen; Glucks bedeutende Eigenthümlichkeit bewährt sich auch darin, daß er durchaus frei verfährt, und das was er sich aneignet ganz und gar selbständig verwendet und ausbildet. Die durchgreifendste und entscheidende Neuerung war, daß er das freie Recitativ der Italiäner, in der großartigen Durchbildung des charakteristischen Ausdrucks, welche er demselben verliehen hatte, einführte und durchaus an die Stelle der alten »Psalmodien« setzte; dadurch änderte er den Grundcharakter der musikalischen Darstellung und hierin hatte er keinen Vorgänger. In der Behandlung der eigentlichen Musikstücke waren, wie bemerkt, durch die komische Oper die Wege bereits in etwas gebahnt. Der alten französischen Oper gegenüber waren seine Formen breiter und bestimmter entwickelt, im Verhältniß zur italiänischen knapp und frei; in dieser Beziehung zeigt die Iphigenie gegen Alceste keinen wesentlichen [240] Unterschied; was im Einzelnen verändert erscheint ist durch den Einfluß der französischen Sprache und Darstellungsweise hervorgerufen worden. Ein Fortschritt, den die lebendigere dramatische Gestaltung mit sich brachte, ist die weitere Entwickelung von Ensemblesätzen; dies aber ist, wie schon bemerkt, der schwächste Punkt von Glucks Leistungen, weil hier die Musik nur nach ihren eigenen Gesetzen frei und unabhängig ihre Gebilde schaffen muß, sodaß der Ausgangspunkt, welchen Gluck gewählt hatte, sich als unzulänglich erweisen mußte.
Konnte nun aber eine Oper wie Glucks Iphigenie auch mit vollem Recht nicht allein als eine große und geniale Schöpfung, sondern als die echte Vervollkommnung der französischen großen Oper im nationalen Sinn angesehen werden, so war es doch immer eine schwierige Aufgabe dies in Paris geltend zu machen und die Oper eines fremden, dort noch nicht anerkannten Componisten, der mit der ausgesprochenen Absicht zu reformiren auftrat, zur Aufführung zu bringen. Vor allen Dingen war es nöthig die Aufmerksamkeit des Publicums auf diese neue Erscheinung zu lenken und seine Theilnahme dafür zu gewinnen. Du Rollet machte daher ein Schreiben an d'Auvergne, einen der Directoren der großen Oper, im Octoberheft des Mercure de France (1772) bekannt, in welchem er Glucks Wunsch die Johlgenie in Paris aufzuführen mittheilte, indem er nicht nur Glucks Leistungen und Grundsätze rühmend darstellte, sondern geschickt hervor hob, daß derselbe der französischen Sprache und Musik den Vorzug vor der italiänischen gebe und daß seine Composition von Racines Meisterwerk dem Geschmack der Franzosen vollkommen angemessen sei und nichts enthalte was ihren Ohren fremdartig erscheinen könne, um so das Interesse des Publicums und der Theaterdirection in wohlberechneter Weise zu [241] erregen. Da dies vorläufig ohne Erfolg blieb, ließ Gluck selbst in das Februarheft des Mercure (1773) einen Brief einrücken, in welchem er ohne seinem Stolz zu vergeben jenen Wunsch wiederholt; dabei wird J.J. Rousseau großes Lob gespendet, in dem freilich ein Gegner eines Versuchs der französischen Sprache und Musik den ersten Rang zuzuweisen wohl zu erwarten war. Endlich, da man sich Seitens der Directoren noch nicht zu dem Wagstück entschließen mochte, gelang es Gluck den Einfluß der Dauphine Marie Antoinette für sich geltend zu machen, welche von Wien her mit Gluck bekannt und durch Empfehlungen der Kaiserin und des Kaisers noch näher für ihn interessirt war; die Schwierigkeiten wurden beseitigt und im Spätsommer 1773 kam Gluck nach Paris um seine Oper einzustudiren. Er fand dennoch Hindernisse aller Art, welche zu besiegen er die ganze Energie und Derbheit seines Charakters aufbieten mußte; das schlimmste war die durchaus ungenügende Bildung der Sänger und Sängerinnen26. Indessen er wußte es durchzusetzen [242] daß am 14. Febr. 1774 Iphigenie aufgeführt wurde; der Erfolg der ersten Aufführung war nicht gerade glänzend, die zweite entschied den Sieg vollständig. Er hatte erreicht, was in Paris eine Hauptsache war, daß die allgemeine Neugierde auf dies Werk im Voraus gespannt war, er fand in der Journalistik einige eifrige Vertreter, namentlich Abbé Arnaud, und daß den enthusiastischen Verehrern, welche seine Musik gewann, lebhafter Widerspruch entgegentrat, war seinen Erfolgen nur günstig, denn es erhielt das Interesse im Publicum wach27. Der Widerspruch kam, wie begreiflich, [243] von beiden Seiten28; die Anhänger von Lully und Rameau wollten überhaupt nichts von Fort schritt wissen und sahen in den Neuerungen nur den verderblichen Einfluß der italiänischen Musik29, während die Verehrer der Italiäner im [244] Wesentlichen die Glucksche Musik für identisch mit der alten französischen hielten und mit den »tudesquen« Modificationen der italiänischen Weise unzufrieden waren30. Wie gewöhnlich [245] erklärte keine Partei sich mit den ihr gemachten Zugeständnissen befriedigt, noch viel weniger konnten sie eingestehen, daß der Standpunkt beider in der That ein überwundener war. Nur J.J. Rousseau erklärte sich für überwunden, und so wie er das Bestreben Gretrys anerkannt hatte, so zollte er Glucks Musik als der wahrhaft dramatischen aufrichtige Bewunderung31. Nicht so Grimm. Er war in den Traditionen der italiänischen Musik zu fest um nicht einzusehen daß wenn Glucks Ansichten zur Geltung kämen die Formen vernichtet würden, welche er für das Wesentliche hielt; Glucks Opern galten ihm für eine Auffrischung der altfranzösischen, die nur den Sieg der italiänischen verhindern oder verschieben könnte. Zwar spricht er sich aus Rücksicht auf die öffentliche Meinung, auf mehrere seiner Freunde, auch wohl auf die hohe Gönnerin Glucks nicht mit aller Entschiedenheit dagegen aus, seine Ansicht aber tritt allenthalben klar hervor32.
[246] Mit richtigem Gefühl hatten die Directoren erklärt mit einer Gluckschen Oper wagten sie nicht vor das Publicum zu treten, wenn er deren sechs schreiben wollte, ließe sich eher auf Erfolg rechnen33. Gluck begriff sehr wohl daß er, um auf die Dauer durchzudringen, seine Iphigenie nicht allein [247] lassen dürfe; er bearbeitete rasch Orphée et Euridice34, welche am 2. August 1774 mit großem Erfolg aufgeführt wurde35; worauf den 27. Februar 1775 die einactige OperL'arbre enchantée und am 11. August 1775 die Oper La Cythère assiégée in drei Acten, beide mit geringer Wirkung, [248] folgten. Um sich neue und nachhaltige Erfolge zu sichern bearbeitete Gluck ebenfalls die Alceste, welche durch Du Rollet eine durchgreifende Umgestaltung erfahren hatte, von Neuem36 und unternahm es, um vor dem Pariser Publicum mit seinen alten Componisten einen vollständigen Wettstreit einzugehen, Opern von Quinault unverändert in Musik zu setzen: er hatte sich Roland und Armide gewählt.
Während Gluck mit diesen Arbeiten in Wien beschäftigt war, suchten die Anhänger der italiänischen Musik, die sich nun von der Möglichkeit überzeugt hatten, fremden Componisten in der großen Oper Zutritt zu verschaffen, auch ihrerseits Gluck einen Rivalen aufzustellen. Schon früher war besonders durch La Bordes37 Einfluß die Dubarry dafür gewonnen worden, daß Piccini38, damals wohl der angesehenste [249] unter den italiänischen Operncomponisten berufen würde39; jetzt wirkte hauptsächlich der neapolitanische Gesandte Marchese Caraccioli40, ein einflußreicher Beförderer der Künste und Wissenschaften, für diese Berufung; auch die junge Königin Marie Antoinette, welche nicht glauben mochte in der Musik Partei nehmen zu müssen und an der italiänischen Musik wie ihr Bruder, Kaiser Joseph, persönlich Gefallen hatte, gab ihre Einwilligung dazu. Marmontel erklärte sich bereit eine Oper von Quinault für Piccini zu bearbeiten, für dessen Musik er also auch im Voraus bereit war als Verfechter aufzutreten41. Als Gluck erfuhr daß man hierzu den Roland bestimmt habe, an welchem er arbeitete, veröffentlichte er einen Brief (Année littéraire 1776), in dem er sich bitter über diese Beleidigung beschwerte und seinen Gegner heftig angriff. Nun kam es zum offenen Krieg zwischen den Kritikern der Gluckisten und Piccinisten, welcher in Flugschriften, Journalartikeln und Epigrammen mit einer Heftigkeit geführt wurde, daß auch das Publicum in einen Parteifanatismus gerieth, wie er sich für die Erörterung und [250] Entscheidung künstlerischer Fragen niemals zuträglich gezeigt hat42. Die Führer der Piccinisten waren hauptsächlich Marmontel und Laharpe, Gluck hatte zu seinem treuen Vertheidiger Arnaud auch noch Suard gewonnen, der als Anonymus von Vaugirard auftrat43; Grimm mischte sich direct nicht ein, in seinen fortlaufenden Berichten über diese Kämpfe tritt er bei einer scheinbaren Unparteilichkeit deutlich auf Piccinis Seite.
Alceste fand bei ihrer ersten Aufführung am 23. April 1776 eine ungünstige Aufnahme und mußte erst nach und nach die Gunst des Publicums gewinnen44; auch Iphigenie, deren [251] Aufführung man von Neuem aufnahm, erfuhr jetzt strenge Kritiken45. Die Theilnahme des Publicums wurde durch dieselben aber eher erhöhet, die Gluckschen Opern machten volle Häuser und fanden offenbar in der öffentlichen Meinung immer mehr Anklang.
In den letzten Tagen des Jahres 1776 kam Piccini nach Paris46. Gänzlich fremd und unbekannt fühlte er sich bei dem rauhen Clima, der ungewohnten Lebensweise im hohen Grade unbehaglich. Seine Unkenntniß der französischen Sprache isolirte ihn und nahm ihm allen persönlichen Einfluß auf die Streitigkeiten, deren Gegenstand er war, wenn nicht sein bequemes und friedliebendes Temperament ihn davon fern gehalten hätte; während Gluck ebensowohl erkannte, daß durch litterarische Polemik das Publicum in weiteren Kreisen aufmerksam erhalten würde, als es für seine leidenschaftliche Natur eine Befriedigung war sich an diesen Kämpfen zu betheiligen, daher er mehr als einmal mit großer Derbheit sich in die journalistische Polemik mischte47. Marmontel [252] erzählt, wie er seinen Componisten im Französischen unterrichtete, indem er ihm alle Tage das Pensum seiner Oper vorlas und übersetzte, welches Piccini zu componiren hatte48. So ging die Arbeit dem mißvergnügten Maestro langsam von Statten, und je länger je mehr verzweifelte er selbst an einem guten Erfolg49.
[253] Gluck begann im Juli 1777 die Proben seiner Armide, deren Aufführung am 23. September Statt fand. Die Oper, deren glänzenden Erfolg Gluck mit stolzer Sicherheit vorausgesagt hatte50, wurde sehr lau aufgenommen. Theils hatte er hier mit Lully einen immer noch gefährlichen Kampf bei einem großen Theil des Publicums zu bestehen, theils fand man, daß der Gegenstand nicht vortheilhaft für sein Talent sei, theils schadete ihm die Spannung auf das neue Werk Piccinis doch wohl auch; erst später wurde auch Armide in ihr Recht eingesetzt51. La Harpe griff sie auf der Stelle bitter [254] an, und Gluck rief in einem heftigen Antwortschreiben den Anonymus von Vaugirard zu Hülfe, der auch nicht auf sich warten ließ. Darüber kamen die Proben zu Piccinis Roland heran, in denen der Sturm der Parteileidenschaft entfesselt wüthete52. Piccini war unfähig demselben zu widerstehen; während seine Freunde, besonders Marmontel mit Eifer seine Rechte vertraten, während Gluck selbst die Sänger und das Orchester in Ordnung zu halten suchte53, sah Piccini kummervoll gen Himmel und sagte sanft:Ah toutte va male, toutte! Fest überzeugt, daß die Oper durchfallen würde, fest entschlossen, den Tag darauf nach Neapel zurückzukehren, ging er in die erste Vorstellung (Januar 1778), nachdem er die [255] Seinigen getröstet hatte, daß eine gebildete Nation wie die Franzosen einem Componisten kein Leid anthun würden, weil seine Oper ihnen nicht gefiele – und erlebte einen glänzenden Triumph54.
1 Es ist beinahe komisch, wie Grimm mit derselben Hartnäckigkeit, mit welcher die große Oper ihre alten Sachen wiedervorbringt, sie unausgesetzt angreift und verfolgt.
2 Christoph Willibald Gluck, geb. 2. Juli 1714 zu Weidenzwang in der Oberpfalz, erhielt seine Jugendbildung in Böhmen. Im Jahr 1736 kam er nach Wien, von da nach Mailand, wo er 1741 seine erste Oper aufführte, der bald mehrere andere folgten. Nach einem Aufenthalt in London und verschiedenen Orten Deutschlands nahm er 1748 seinen bleibenden Wohnsitz in Wien, von wo er sich nur auf mehreren Reisen nach Italien und Paris zeitweilig entfernte. Im Jahr 1754 wurde er zum Kapellmeister der Oper, 1774 nach seiner Rückkehr aus Paris zum k.k. Hofcompositeur ernannt, und starb in Wien 15. Nov. 1787. Es bedarf kaum bemerkt zu werden, daß über alles Factische was Gluck angeht die genaueren Angaben und Nachweise sich finden bei A. Schmid, Christoph Willibald Ritter von Gluck (Leipzig 1854).
3 I S. 254f.
4 Eine Sammlung Klopstockscher Oden von Gluck in Musik gesetzt ist gedruckt; die Hermannsschlacht hatte er seiner Gewohnheit gemäß im Kopfe fertig ausgearbeitet, so daß er Manches daraus vortrug, hat sie aber nie aufgeschrieben. Als Gluck 1775 aus Paris zurückkam, lernte er in Straßburg Klopstock kennen und befreundete sich mit ihm (Schmid S. 238f.).
5 Sonnenfels gab im dritten seiner Briefe über die Wienerische Schaubühne (Wien 1768, ges. Schr. V) eine ausführliche Besprechung der Alceste, die in Hillers woch. Nachr. III S. 127ff. abgedruckt wurde.
6 Die hiehergehörigen Stellen sind: Mi proposi di spogliar la musica affatto di tutti quegli abusi, che introdotti o dalla mala intesa vanità de' Cantanti o dalla troppa compiacenza de' maestri da tanto tempo sfigurano l'Opera Italiana, e del piu pomposo e più bello di tutti gli spettacoli ne fanno il più ridicolo e il più nojoso. Pensai di ristringer la musica al suo vero ufficio di servir alla poesia per l'espressione, e per le situazione della favola, senza interromper l'azione o raffreddarla con degli inutili superflui ornamenti, e credei ch'ella far dovesse quel che sopra un ben corretto e ben disposto disegno la vivacità de colori ed il contrasto ben assortito de' lumi e dell' ombre, che servono ad animar le figure senza alterarne i contorni. Non ho voluto dunque ne arrestare un attore nel maggior caldo del dialogo per aspettar un nojoso ritornello, ne fermarlo a mezzo parola sopra una vocal favorevole, o a far pompa in un lungo passaggio dell agilità di sua bella voce o ad aspettar che l'orchestra li dia tempo di raccorre il fiato per una cadenza. Non ho creduto di dovere scorrere rapidamente la seconda parte d'un' Aria quantunque forse la più apassionata e importante, per aver luogo di ripeter regolarmente quattro volte le parole della prima e finir l'aria dove forse non finisce il senso, per dar commodo al cantante di far vedere, che puo variare in tanto guise capricciosamente un passaggio; in somma ho cercato di sbaudire tutti quegl' abusi contro de' quali da gran tempo esclamavano in vano il buon senso e la ragione. – Ho imaginato che la sinfonia debba prevenir gli spettatori dell' azione che ha da rappresentarsi e formarne per dir così l'argomento; che il concerto degl' istrumenti abbia a regolarsi a proporzione dell' interesse e della passione, e non lasciare quel tagliente divario nel dialogo fra l'aria e il recitativo, che non trouchi a contrasenso il periodo, ne interrompa mal a proposito la forza e il caldo dell' azione. – Ho creduto poi che la mia maggior fatica dovesse ridursi a cercare una bella semplicita; ed ho evitato di far pempa di difficoltà in pregmdizio della chiarezza; non ho giudicato pregievole la scopertadi qualche nuovita se non quanto fosse naturalmente somministrata dalla situazione e dall' espressione, e non v'è regola d'ordine ch'io non abbia creduto doversi di buona voglia sacrificare in grazia dell' effetto.
7 Es ist bemerkenswerth wie gewisse geistige Strömungen, welche eine Zeit durchdringen, auf verschiedenen Gebieten wie unwillkührlich gleichzeitig sich wirksam erweisen. Der Richtung auf das Charakteristische in der Kunst, auf Wahrheit und Natur, welche durch die Encyclopedisten hervorgerufen, auch in der deutschen Litteratur anfing sich geltend zu machen, sehen wir hier das Princip der schönen Einfachheit, welche Winckelmann als den Grundcharakter der alten Kunst zur Anerkennung brachte, zur Seite gestellt.
8 Raniero Calsabigi, aus Livorno, war damals k.k. Rath bei der niederländischen Rechnungskammer. Er hatte sich vornämlich durch eine Ausgabe von Metastasios Werken, der er eine ausführliche ästhetische Einleitung vorgesetzt hatte, bekannt gemacht.
9 Hierin war ihm schon Jean George Noverre (geb. 1727, gest. 1810) vorangegangen, dessenLettres sur la danse et sur les ballets zuerst im Jahr 1760 erschienen. Er verlangte nicht allein daß die Ballets der Oper mit der Handlung genau in Verbindung stehen und die dramatische Bedeutung derselben heben sollten, sondern er wollte eine Reformation des Ballets nach denselben Grundsätzen welche Gluck auf die Oper anwendete. Er verwarf die schwierigen aber nichtsbedeutenden Kunststücke der Tänzer, die stereotypen Formen bestimmter Tänze, er verlangte Handlung für das Ballet, Ausdruck sollte die Aufgabe des Tänzers, die Natur sein Vorbild, der Balletmeister sollte Dichter und Maler sein. Nicht selten streift er in seinem merkwürdigen Buch auch ins Gebiet der Oper, namentlich polemisch gegen die traditionellen Mißbräuche der großen französischen Oper, und äußert sich in Glucks Sinn, wie er für seine Grundprincipien sich auf Diderot beruft. Die Ballets, welche er bis 1764 in Stuttgart, später in Wien, seit 1776 in Paris nach diesen Grundsätzen aufführte, galten für vollendete Leistungen eines reinen Geschmacks, und bewirkten in der That eine Umgestaltung der höheren Tanzkunst.
10 A.B. Marr, Musik des neunzehnten Jahrh. S. 82ff.
11 Marr a.a.O. S. 183.
12 Dahin gehören auch manche Aeußerungen Glucks über seine Art zu componiren und die gewaltigen Anstrengungen, welche er machte um sich in die dramatische Situation zu versetzen und dadurch zur Production anzuregen z.B.: »Ehe ich arbeite, suche ich vor allen Dingen zu vergessen daß ich Musiker bin. Ich vergesse mich selber um nur meine Personen zu sehen« (Schmid S. 425); oder: »Den Plan der Composition entwerfe ich immer, wenn ich mitten im Parterre sitze« (Schmid S. 433). Die Andeutungen, welche er über seine Intentionen giebt, sind geistreich und bedeutend; einzelne – wie der Ausruf: Il ment! il ment! il a tué sa mere! da man ihm das unruhig bewegte Accompagnement zu Orestes Worten: Le calme renait dans mon ame als unnatürlich vorwarf (Genlismém. II p. 248f.) – wunderbar groß und tief: faßt man den Gesammteindruck auf, wird sich indeß jene Bemerkung bestätigen.
13 Bezeichnend ist dafür die nach Glucks Angabe vorgenommene Bearbeitung des Alexanderfestes zu einem Drama, von welcher Burney (Reise II S. 176f.) berichtet; dort ist von Handlung gar nicht die Rede, sondern nur von contrastirenden Situationen, die mit einander in einen leidlichen Zusammenhang gebracht und im Einzelnen breit ausgeführt sind.
14 Die bekannte Aeußerung Händels, daß Gluck soviel vom Contrapunkt verstehe als Händels Koch Waltz (Burney Leben Händels S. XLII), hat nicht eben große Beweiskraft; allein eine Betrachtung seiner Werke zeigt, daß seine musikalische Bildung nach dieser Seite hin nicht tief war. Es ist wahr daß technische Durchbildung, wenn sie nicht im Dienste einer echten Productionskraft steht, einen nur untergeordneten Werth hat, aber nicht richtig, wenn sie als ein Vorzug dargestellt wird, den das Genie allenfalls entbehren könne und Gluck als ein Beispiel dafür gelten soll (Fliegende Blätter für Musik I S. 206). Die vollkommne Kenntniß und Beherrschung aller Mittel der Kunst ist vielmehr die nothwendige Bedingung für das Genie um vollendete Kunstwerke zu gestalten, ohne dieselbe wird es seine Kräfte verschwenden, häufig sein Ziel nicht vollkommen erreichen und namentlich der Gefahr ausgesetzt sein diejenigen Mittel einseitig zu verwenden, deren es sich mehr zufällig bemächtigt hat, und jemehr es zur Reflexion geneigt ist um so mehr diese Mittel außerhalb des Gebietes seiner Kunst zu suchen.
15 Doch fiel sie 1774 in Neapel durch (Galiani corr. inéd. II p. 96).
16 Der Graf Durazzo ließ die Partitur dort stechen, Favart theilt ihm die Ansichten der dortigen Musiker mit. Mondonville, en parcourant l'Orphée, s'est extasié sur le talent de Mr. Gluck; et n'en deplaise aux compositeurs italiens, je crois que son suffrage est de quelque poids (Favart mém. II p. 67). Philidor [der die Correctur übernahm] a examiné l'opéra avec attention; il a été enchante de la beauté de l'ouvrage, en plusieurs endroits il a versé des larmes de plaisir. Il a toujours eu la plus grande estime pour les talens du chevalier Gluck; mais son estime se porte jusqu'à la vénération depuis qu'il connoit l'Orphée (a.a.O. II p. 102). Tous nos plus habiles connoisseurs en musique, à qui j'ai montré l'Orphée, pen sent avec justice que c'est un ouvrage qui fait époque, qui passera à la posterité (a.a.O. II p. 180).
17 Dasselbe gilt von Riedel, der im Vorbericht zu seiner Schrift über die Musik des Ritter Gluck (S. IXff.) deutlich merken laßt, daß diese Oper in Deutschland und in Italien keinen Anklang fand.
18 Daß der »gekrönte Kenner der Musik«, welcher sich die besten Scenen der Alceste aufführen ließ, ohne davon befriedigt zu werden (allgem. deutsche Bibl. X, 2 S. 31), Friedrich der Große war, bestätigt Reichardt (A. M. Z. XV S. 612), welcher jene Aufführung als eine ganz mißlungene schildert, und erzählt daß der König sich auch später in heftigen Ausdrücken und Schimpfworten sehr hart über Gluck geäußert habe.
19 Es war besonders Agricola, welcher die Alceste in der allgemeinen deutschen Bibliothek (X, 2 S. 29ff. XIV, 1 S. 3ff. auch bei Forkel musik. krit. Bibl. I S. 174ff.) ausführlich besprach. Diese Kritik ist ohne Sinn für das was bei Gluck bedeutend und groß ist, einseitig vom alten Standpunkt aus, pedantisch und trivial, aber nicht böswillig; sie erkennt manche Fortschritte an, und manche Einwendungen sind allerdings begründet.
20 Seine gereizte Stimmung sieht man daraus daß er nicht bloß dagegen protestirt, man solle sein Werk nicht nach nachlässigen und mißlungenen Aufführungen beurtheilen, sondern erklärt, die Gegenwart des Componisten sei unerläßlich bei den Proben und Aufführungen eines Werks, in welchem durch das geringste Versehen die größte Schönheit ins Gegentheil verkehrt werden könne. Er hatte sich sonst darin erinnert, daß die Wirkungen eines wahren Kunstwerkes tiefer begründet seien als daß man sie in dem Maaße von den zufälligen Mängeln einer Aufführung abhängig machen könne, und daß er nicht an die Nachwelt appelliren durfte, wenn seine Gegenwart allein, wie er sagte, Licht und Leben der Darstellung wäre, ohne die alles in Verwirrung und Dunkel bleiben müsse.
21 Charakteristisch ist die Anecdote welche Corancey (bei Schmid S. 424f.) von Rousseau und Gluck erzählt. Jener glaubte es als einen Fehler rügen zu müssen daß Gluck der Helena einen gewissen strengen Ausdruck gegeben habe, er habe sie sich als harte Spartanerin gedacht, aber dies sei ein Anachronismus, denn erst Lykurg habe den Spartanern ihre strengen Sitten gegeben. Auf diesen seltsamen Einwurf erwiederte Gluck sein und geistreich, er habe die Helena des Homer, welche von Hektor geachtet werde, vor Augen gehabt.
22 Der abgeänderte Schluß muß freilich das größte Bedenken erregen, allein die allgemein angenommenen Ansichten von der Oper verlangten einen solchen, und den Umständen nach erschien diese Veränderung als eine wohl gelungene.
23 Auch dieses ist mit Recht von Marx (Musik des neunzehnten Jahrhunderts S. 84f.) hervorgehoben.
24 Mit seiner vorzüglichen Balletmusik drang er in Paris anfangs am Wenigsten durch; es war dort eine so ausgemachte Sache, die Franzosen seien im Ballet die ersten Meister der Welt, daß ein Ausländer schon von vornherein verurtheilt war. La Harpe bemerkte, dies Mißfallen sei eigentlich ein Lob für Gluck, denn bei consequenter Durchführung seines Systems dürfe es kein Ballet in der Oper geben.
25 Er erkannte das Bedeutende in Rameaus Leistungen gern und selbst mit Eifer an (Schmid S. 421. 434).
26 Burney sagt von Gluck (Reise II S. 253): »Er ist ein strenger Zuchtmeister und ebenso furchtbar als Händel zu sein pflegte, wenn er ein Orchester dirigirte; dennoch versicherte er mich, daß er seine Brigade niemals widerspenstig befunden habe, ob er gleich niemals gelitten, daß sie den geringsten Theil ihrer Schuldigkeit versäumt und er sie zuweilen eins von seinen Manoeuvres zwanzig bis dreißigmal habe machen lassen.« Ein ähnlicher Bericht wird in Cramers Magazin (1783 S. 561 bei Schmid S. 419f.) gegeben. Frau von Genlis erzählt (mém. II p. 248f.), daß man aus den Gemächern des Herzogs von Orleans unmittelbar in die Logen habe gelangen können – die Oper war damals im Palais Royal –; cette commodité, mon goût passioné pour la musique et le plaisir extrême de voir Gluck à toutes les répétitions se mettre en colere contre les acteurs et les musiciens et leur donner à tous d'excellentes leçons, me faisait passer toutes mes apres-diners dans une loge. Sie war nicht die einzige; seitdem Gluck in Paris Mode war, buhlten die Vornehmen um die Ehre ihm in den Proben zur Hand zu sein; denn er pflegte es sich bequem zu machen, den Rock auszuziehen, die Perücke abzunehmen und eine Nachtmütze aufzusetzen.
27 Die Menge der damals und in den nächsten Jahren erschienenen Flugschriften und Journalartikel ist gesammelt in Mémoires pour servir à l'histoire de la révolution operée dans la musique par M. le chev. Gluck (à Naples et à Paris 1781), zum größten Theil übersetzt von Siegmeyer, Ueber Gluck und seine Werke (Berlin 1823). Auch hier wurde der Streit meistens von Männern geführt, die mehr Witz und litterarische Bildung als Kenntnisse in der Musik besaßen und Frau von Genlis sagt nicht mit Unrecht (mém. II p. 250): On imagine bien que je me declarai Gluckiste et que je me moquai de toutes les disputes sur Gluck et Piccini des gens de lettres, qui ne savaient pas un mot de musique; ce qui me fit mes premiers ennemis dans la litterature, car j'étais dans la société une autorité en musique, et les littérateurs Gluckistes ne me pardonnaient pas, étant de mon parti, de me moquer d'eux; mais ils défendaient Gluck si ridiculement, que je ne les épargnais pas plus que les autres. Die ersten anerkennenden Aufsätze wurden gleich von Riedel übersetzt und mit einer enthusiastischen Vorrede herausgegeben, in der Schrift Ueber die Musik des Ritters Christ. v. Gluck (Wien 1775). Hierdurch wurde die Kritik von Forkel (musik. krit. Bibl. I S. 53ff.) hervorgerufen, welche jetzt wohl mehr geschmäht als gelesen wird. Allerdings ist sie nicht allein ebenso unfähig Glucks wahre Größe und Bedeutung zu erkennen, ebenso einseitig und philisterhaft als früher die Berliner Kritik, sondern auch gehässig; allein sie enthält manche wahre Bemerkung und was gegen die Clique gesagt wird, ist fast durchaus treffend. Widerwärtig aber ist die Art, mit welcher Forkel später seine Angriffe, die ihm nun zu einer persönlichen Angelegenheit geworden waren, fortsetzte.
28 Grimm schildert den damaligen Zustand der musikalischen Welt (corr. litt. VIII p. 320ff.): Depuis quinze jours [Avril 1774] on ne pense, on ne rêve plus à Paris que musique. C'est le sujet de toutes nos disputes, de toutes nos conversations, l'âme de tous nos soupers, et il paraîtrait même ridicule de pouvoir s'intéresser à autre chose. – Est-il besoin de dire encore apres cela que c'est l'Iphigénie de Mr. le chev. Gluck qui cause toute cette grande fermentation? elle est d'autant plus vive, que les avis sont extrêmement partagés, et que tous les partis sont animés de la même fureur. On en distingue surtout trois: celui de l'ancien opéra français, qui a juré de ne point reconnaître d'autres dieux que Lulli et Rameau; celui de la musique purement italienne qui ne veut croire qu'au chant des Iomelli, des Piccini, des Sacchini; enfin celui du chev. Gluck, qui prétend avoir trouvé la musique la plus propre à l'action théâtrale, une musique dont les principes ne sont puisés que dans la source éternelle de l'harmonie et dans le rapport intime des nos sentimens et de nos sensations; une musique qui n'appartient à aucun pays, mais dont le génie du compositeur à su adapter le style à l'idiome particulier de notre langue.
29 Le vieux piliers de l'opéra français crient qu'on nous fera perdre le genre où nous avons réussi sans nous en donner un meilleur. Ils se plaignent qu'an lieu de dormir tranquillement, selon l'usage, durant la scene, ils sont obligés de l'écouter, vu qu'il n'y a que cela d'intéressant .... les ballets étant les plus insipides du monde (Grimm corr. litt. VIII p 321f.);ils se plaignent, et peut-être n'est-ce pas sans quelque raison, que, sous le prétexte de perfectionner notre musique, on se permet de corrompre notre langue, dont il semble, que l'on méconnaisse entièrement le caractère et la prosodie (IX p. 34). Darauf geht auch die spöttische Aeußerung in einem offenbar nicht von Grimm selbst herrührenden Artikel (IX p. 350): M. le chev. Gluck s'imagina tout platement, qu'il ne devait son succès qu'an génie créateur qui lui avait revelé le secret d'une musique nationale adoptée aux grands effets du théâtre, à l'ensemble de la scène et surtout à l'idiome particulier de notre langue et de notre poésie, idiome sur lequel il avait acquis de profondes connaissances en Bavière et en Bohême.
30 Le parti ultramontain ne peut pas refuser à notre nouvel Orphée une connaissance profonde des secrets de l'harmonie; mais il lui refuse la partie du chant ou de la mélodie; il lui reproche ce qu'on appelle en Italie le coup de pied du cheval. Il trouve que les motifs de ses airs sont presque tous ou communs ou bizarres, et que les plus agréables manquent leur effet, faute d'être assez développés. Ses accompagnemens, à leur gré sont purs, mais monotones, son récitatif, pénible et lourd (Grimm corr. litt. VIII p. 321). Les enthousiastes de Sacchini et de Piccini n'y trouvent que du bruit et des idées baroques, sans goût, sans génie, et même sans expression. Ils lui reprochent surtout d'avoir écrit une tragédie aussi déchirante qu' Iphigénie en style pastorale, et quelquefois même en style de gmguette. Pour mettre le comble à leur blasphemes, ils ne craignent pas de dire que ce qu'on veut bien appeler un genre nouveau n'est qu'un réchauffé du système de Lulli, avec moins de noblesse, moins de grace et moins de variété qu'on en trouve dans les bons ouvrages de cet ancien compositeur (VIII p. 427). Savez vous, disaient-ils tout bas, pourquoi les opéra du chev. Gluck ont fait tant de fortune en Erance? c'est qu'à l'exception de deux ou trois airs qui sont dans la forme italienne, et quelques récitatifs d'un caractère absolument barbare, sa musique est de la musique française, aussi française qu'il s'en soit jamais fait, mais d'un chant moins naturel que Lulli et moins pur que Rameau; c'est que le chev. Gluck a sacrifié toutes les ressources et toutes les beautés de son art à l'éffet théâtral, ce qui devait plaire infiniment à une nation qui ne se connaitra peut-être jamais en mélodie, mais qui a le goût le plus exquis pour tout ce qui tient aux convenances dramatiques (IX p. 350f.).
31 Grimm corr. litt. VIII p. 321: Jean-Jacques est devenu le plus zélé partisan du nouveau système; il a déclaré avec ce renoncement à soi-même si peu connu de nos sages, qu'il s'était trompé jusqu'à présent; que l'opéra de Mr. Gluck renversait toutes ses idées, et qu'il était aujourd'hui très-convaincu que la langue française pouvait être aussi susceptible qu'une autre d'une musique forte, touchante et sensible. Man erzählt daß er auf die Frage, was er von Glucks Orpheus halte, geantwortet habe: J'ai perdu mon Eurydice! (Garat mém. hist. sur M. Suard II p. 238.) Andere Züge seiner Verehrung gegen Gluck erzählt Corancey (bei Schmid S. 423ff.), redende Zeugnisse sind die Réponse sur un morceau de l'Orphée de M. le chev. Gluck und die unvollendet gebliebenen Observations sur l'Alceste italien de M. le chev. Gluck, in welchen sich ungemein treffende Bemerkungen finden.
32 Wenn man sich vergegenwärtigt daß Grimm als das erste Erforderniß der Oper das einfache Recitativ ansah, indem das begleitete nur ausnahmsweise hervortreten dürfe, daß er ausgeführte Behandlung der Arie in bestimmter Form verlangte, daß er die Chöre – freilich aus sehr ungenügenden Gründen – und ebenso alles Ballet in der Oper verwarf (corr. inéd. p. 221ff.), so begreift man daß er in der Gluckschen Oper keinen wahren Fortschritt erkennen konnte. Indessen läßt er ihm gleich anfangs im Allgemeinen Anerkennung widerfahren (corr. litt. VIII p. 322): Quelque opposés que paraissent tous ces jugemens, ils accordent du moins, ce me semble, à prouver que M. Gluck s'est éloigné des routes connues, et qu'il a ouvert aux artistes une carrière toute nouvelle; c'est une entreprise qu'on ne tente guère sans y être determiné par l'ascendant d'un genie supérieur. Un ouvrage qui excite autant de mouvement, autant d'interêt, autant de contrariétés même que l'opéra nouveau, n'est sûrement pas un ouvrage médiocre; ceux qui en disent le plus de mal sont forcés d'y reconnaitre de grandes beautés; et les spectateurs les moins exercés à en sentir le prix l'ont entendu avec une espèce de surprise dont leur critique ou leur ignorance ont paru étourdies. Seine eigene Ansicht spricht er aus, wenn er eine längere Betrachtung darüber, daß die Oper bereits einen bestimmten Stil ausgebildet habe, der einen sicheren Maßstab für die Würdigung neuer Leistungen abgebe, also schließt (corr. litt. VIII p. 78): On ne demande point à M. Gluck des cadences, des ports de voix, des roulades et tous ces petits agrémens que le bon goût dédaigne; mais on se plaint de ce qu'il ne développe pas assez ses idées, de ce qu'il ne soutient pas et de ce qu'il ne varie point assez ses modulations; on se plaint de ce qu'il confond sonvent des genres tout-à-fait opposés; on lui reproche enfin de manquer d'élégance, de noblesse, et de donner à notre langue un accent tout-à-fait tudesque et sauvage. Als er bemerkte daß Gluck auch auf andere Componisten, wie Gretry, Einfluß gewann, ließ er diese die Schärfe der Kritik empfinden, welche auf Gluck zurückfiel, und als Piccini diesem gegenübergestellt wurde, mischte er sich freilich nicht in das Parteigezänk, aber er stand offenbar auf Piccinis Seite.
33 So hatte Gluck selbst Reichardt erzählt (Schmid S. 180).
34 Gluck hatte noch bei Orfeo und Alceste der italiänischen Sitte nachgegeben die Hauptrolle einem Castraten zu übertragen; in Paris traten diese nicht auf, aber die Partien des haut-contre wurden von Tenoristen theils durch gewaltsames Treiben der Stimme, theils durch Falsettiren herausgebracht: eine Aenderung, bei welcher der künstlerische Gesangsvortrag wenigstens nicht gewann. Die in der Partie des Orfeus durch die veränderte Stimmlage nothwendig gewordenen Modificationen, sowie die übrigens von Gluck vorgenommenen Ueberarbeitungen haben der Oper keinen Vortheil gebracht, sondern ihr fast überall geschadet. Gluck hat sogardem Sänger Le Gros zu Gefallen eine große Bravurarie eingelegt, eine Verletzung seines Princips, die nur zu erklären ist aus der Ueberzeugung, daß der Hauptzweck, in Paris durchzudringen, auch das Mittel heilige, einmal der Laune eines gefährlichen Sängers das Princip zu opfern. Es ist nicht der einzige Fall, wo ein Reformator um sein Princip zu retten sein Princip fallen ließ: der Künstler würde nicht so räsonniren.
35 Es ist nach dem was bemerkt wurde begreiflich, daß Grimm dem Orphée den größten Beifall zollt; es ist ihm (corr. litt. VIII p. 390) la musique la plus sublime que l'on ait peut-être jamais exécutée en France. On sait qu'Orphée est, de tous les opéra du chev. Gluck, celui qui a réussi le plus en Erance. Le transport avec lequel il vient d'être reçu sur notre théatre, malgré la vieille cabale des Lulli et des Rameau, prouve le progrès que ce celèbre compositeur a déja fait faire an goût de la nation; il prouve qu'on ne doit plus désespérer de nos oreilles. – Il y a peut-être plus de choses agrêables, plus d'idées touchantes dans la composition d'Iphigénie que dans celle d'Orphée; mais il n'en est pas moins vrai que les beaux morceaux de ce dernier ouvrage sont encore supérieurs aux plus beaux morceaux du premier. Nach einer Aufzählung solcher Schönheiten schließt er: J'ai vu plusieurs personnes sans avoir aucune connaissance de l'art, avouer de bonne fois que jamais musique ne leur avait faite une impression si vive et si profonde.
36 Theilweise waren Rousseaus Rathschläge dabei maßgebend gewesen, namentlich für den zweiten Act, welcher nun einen starken Contrast gegen den ersten bildet, während im dritten Hercules auftritt, um eine Steigerung hervorzubringen; indessen blieb das Gedicht mangelhaft (vgl. Winterfeld zur Gesch. heil. Tonk. II S. 308ff.). Interessant ist es im Einzelnen zu verfolgen wie Gluck bei dieser Umarbeitung verfuhr, wie er von der ersten Arbeit beibehielt, was irgend zu retten war, wenn auch oft in ziemlich verschiedener Anwendung, wie er Altes und Neues in Uebereinstimmung brachte, bis in die Einzelnheiten der Melodie, Harmonie und Instrumentation. Wer nur eine von beiden Bearbeitungen kennt und, wie es wohl kommt, meint es könne von Gluck gar nicht anders gemacht sein, wird bei der Vergleichung freilich mitunter erstaunen.
37 Jean Benj. de La Borde geb. 1734, aus einer reichen Familie und glänzend erzogen, wurdepremier valet de chambre bei Ludwig XV und sein Günstling; nach dessen Tode zog er sich vom Hofe zurück und starb 1794 auf dem Schaffot. Er trieb mit Eifer Musik und schrieb mehrere komische Opern, sowie Essai sur la musique ancienne et moderne (Paris 1780), lauter mittelmäßige Dilettantenarbeiten.
38 Nicola Piccini, geb. 1728 in Bari, trat 1742 ins Conservatorium von S. Onofrio in Neapel und wurde ein Lieblingsschüler Leo's. Nachdem er dasselbe 1754 verlassen hatte, machte er sich zuerst durch komische Opern in Neapel bekannt; seitdem die Cecchina oder buona figliuola in Rom 1762 einen unerhörten Beifall gefunden hatte, war er fortwährend für alle italiänischen Theater im Gebiet der opera seria und buffa mit unausgesetztem Erfolg thätig.
39 Galiani corr. inéd. II p. 106.
40 Marchese Caraccioli, neapolitanischer Gesandte in London und dann in Paris, seit 1781 Vicekönig von Sicilien, ce diplomate dont les bons mots, répétés dans toute l'Europe, étaient la raison rendue gaie et piquante (Garat mém. histor. sur M. Suard II p. 194), der Freund d'Alemberts, war durch Geist und Kenntnisse ebenso geeignet Italien unter den Gelehrten wie unter den Diplomaten zu vertreten. Eine Charakteristik giebt Marmontel (mém. I. VI Oeuvr. I p. 353ff.).
41 Marmontel mém. l. IX Oeuvr. II p. 110ff.
42 Auf sehr komische Art schildert Dorat (coup d'oeil sur la littér. I p. 211ff.) in dem Briefe eines Irländers die Scenen des Parteikampfs im Parterre. Es fehlte nicht an spaßhaften kleinen Begebenheiten. In einem Concert war eine Arie von Gluck angezeigt; bei ihrem Beginn verließen die Piccinisten mit Geräusch den Saal, die empörten Gluckisten klatschten um so stärker; nachher zeigte es sich, daß die Arie von Jomelli war (Grimm corr. litt. X p. 440).
43 Eine Darstellung des ganzen Streites von dieser Seite her giebt Garat mém. hist. sur M. Suard II p. 231ff. Ein Berichterstatter über die Situation bei Grimm (corr. litt. IX p. 348ff.) schließt mit folgender Schilderung: La discorde s'est emparée de tous les esprits, elle a jeté le trouble dans nos académies, dans nos cafés, dans toutes nos sociétés litteraires. Les gens qui se cherchaient le plus se fuient; les diners mêmes, qui conciliaient si heureusement toutes sortes d'esprits et de caractères, ne respirent plus que la contrainte et la défiance; les bureaux d'esprit les plus brillans, les plus nombreux jadis, à présent sont à moitié déserts. On ne demande plus est-il Ianséniste, est-il Moliniste, philosophe ou dévot? On demande est-il Gluckiste ou Picciniste? Et la réponse à cette question décide toutes les autres.
44 Grimm corr. litt. X p. 34: Toute la soumission que devaient inspirer les oracles de Mr. du Rollet et de son chevalier Planelli n'a pas empêché que les avis ne fussent encore fort partages sur la musique du nouvel opéra. On préfère généralement celle d'Iphigénie et de Orphée. – Nous ne déciderons point de si fameuses querelles; mais il nous parait difficile de faire une musique bien variée sur un poëme où les mêmes situations, les mêmes mouvemens reviennent sans cesse, où le choeur est continuellement sur la scène pour redire les mêmes choses et pour psalmodier éternellement sur le ton le plus funeste et le plus lugubre.
45 Gegen eine herbe Kritik La Harpes trat Suard zuerst auf und es entspann sich daraus jener lange Streit.
46 Alle Componisten begrüßten ihn, nur Gretry machte ihm keinen Besuch (Grimm corr. litt. IX p. 352), woraus ihm Galiani (corr. inéd. II p. 292) einen um so härteren Vorwurf macht, weil er sich bei seinem ersten Auftreten in Paris als einen Schüler Piccinis empfohlen habe, was er nicht war. Daß Gretry auch durch Glucks Erfolge unangenehm berührt war merkt man seinem Buch trotz des Beifalls, welchen er ihm zollt, leicht an.
47 An der Art, wie Gluck selbst mehrmals in die journalistische Polemik eingreift, kann man sehen, daß er auch für diese Taktik um seine künstlerischen Interessen durchzusetzen einen praktischen Sinn hatte. Auch wenn nicht ausdrücklich erwähnt würde, daß Du Rollet seine Artikel überarbeitete (Grimm corr. litt. IX p. 354), könnte man kaum annehmen, daß Gluck dieselben, sowenig als seine Vorreden, selbst so geschrieben habe; was sonst von seinen Briefen bekannt ist verräth keine Gewandtheit im Schreiben. Aber das Wesentliche, der geistige Inhalt und der stolze Ton, gehört ihm sicher an.
48 Marmontel mém. l. IX Oeuvr. II p. 115: Figurez vous quel fut pour moi le travail de son instruction: vers par vers, presque mot par mot, il fallait lui tout expliquer; et, lorsqu' il avait bien saisi le sens d'un morceau, je le lui declamais en marquant bien l'accent, la prosodie, la cadence des vers, les repos, les demirepos, les articulations de la phrase; il m'écoutait avidement, et j'avais le plaisir de voir que ce qu'il avait entendu était fidèlement noté. Die Beschreibung, welche er von Piccinis leichter Art zu arbeiten giebt, ist sehr charakteristisch.
49 On sut que notre auguste souveraine désirait de fixer M. Piccini en France; on sut que l'Opéra lui avait fait un traitement assez considérable: on sut aussi que M. Marmontel avait arrangé plusieurs poëmes de Quinault pour les rendre plus susceptibles et de la forme et de l'expression musicale; qu'il en avait confié un an sieur Piccini, et qu'ils tra vaillaient tous les jours ensemble. Que de circonstances réunies pour exciter les plus vives alarmes! – En conséquence les pamphlets, les sarcasmes, les petites lettres anonymes volent de toutes parts. – On ne l'attaque point ouvertement, mais on tache en secret de détruire toutes les opinions qui pourraient lui être favorables (Grimm corr. litt. IX p. 352f.). Der Abbate Galiani, der als Piccinis Landsmann und Freund großen Antheil an ihm nahm, schreibt an Marmontel (corr. inéd. II p. 291): Je ne recois pas une lettre de notre bon Nicolo, qu'elle ne me fende l'ame. On dit que Paris est le paradis des femmes: j'y consens; mais on dit aussi qu'il est l'enfer des chevaux et j'y consens encore, pourvu qu'on me donne la permission d'y ajouter les musiciens; mon pauvre compatriote n'y tiendra pas: le Marquis de Ca., raccioli a osé dire que les votres avaient les oreilles doublées de maroquin; mais il n'en est pas de même de leur coeur, et il faut que vous preniez l'honorable peine de les intéresser en faveur d'un homme qui a fait 400 lieues pour aller les amuser. Worauf dann launige Betrachtungen über die streitenden Parteien und ihre Führer folgen.
50 Es ist bekannt daß Gluck auf die Frage der Königin Marie Antoinette, ob seine Oper Armide bald fertig und er damit zufrieden sei, ganz ruhig antwortete: Madame, il est bientôt fini, et vraiment ce sera superbe! (Mde Campan mém. 7 p. 131.) Er war so überzeugt in der Armide den Charakter des Wollustigen ausgedrückt zu haben, daß er, wie Gretry erzählt(mém III p. 88), öfter erklärte, wenn er der ewigen Seligkeit verlustig wäre, müßte es wegen der Scene in der Armida sein.
51 Grimm corr. litt. IX p. 428: Presque tout l'opéra fut écouté avec une grande indifférence; il n'y eut que la fin du premier acte et quelques airs du quatrième qu'on applaudit vivement. – Il a voulu travailler, disait-on dans un genre qui n'est pas le sien. Il a mis de la force et de l'énergie où il ne fallait que de la grace et de la mollesse. Excepté les choeurs et quelques grands effets d'orchestre, il y a peu de scenes où l'on ne soit tenté de regretter le chant facil et naturel de Lulli. So urtheilte die Marquise du Deffand, welche auch offen gesteht daß Glucks Orpheus und Iphigenie sie tödtlich gelangweilt haben (lettres III p. 183f.): Je fus hier à la répétition de l'opéra d'Armide par le chevalier Gluck; il ne m'a pas fait le même plaisir que celui de Lulli; cela tient sans doute à mes vieux organes (ebend. p. 448). Später heißt es bei Grimm (corr. litt. IX p. 469):L'Armide de M. le chev. Gluck, dont les premières représentations furent si mal accueillies, occupe encore avec assez de succès les grands jours de l'aca démie royale de musique.
52 Grimm giebt davon einen ausführlichen unterhaltenden Bericht (corr. litt. IX p. 498ff.).
53 So erzählt Grimm. Galiani schreibt an Marmontel (corr. inéd. II p. 293): Ne croyez pas an reste, que ce Gluck soit aussi méchant que les diables qu'il fait chanter dans son Orphée et dans son Alceste. Piccini m'a mendé lui-même, que se trouvant à table chez le directeur Berton à côté de son rival, le brave Allemand, tout en lui versant rasade, lui avait dit mezza voce: »Les Français sont de bonaes gens; mais ils me font rire: ils veulent qu'on leur fasse du chant, et ils ne savent pas chanter.« Auch Frau von Genlis sagt (mém. II p. 248): Gluck parlait de Piccini avec justice et simplicité. On sent que c'est sans ostentation qu'il est équitable; cependant il disait que si le Roland de Piccini réussissait, il le referait.
54 Grimm berichtet (corr. litt IX p. 500): Jamais opéra nouveau n'a été suivi avec plus d'empressement. Nachdem er die Parteiurtheile angeführt hat, fährt er fort: Les amateurs qui nous ont paru réunir aux connaissances les plus exactes la plus grande impartialité, s'accordent à dire qu'on n'a jamais entendu à l'Opéra un chant plus suivi, plus suave, plus délicieux; mais ils pensent que la complaisance avec laquelle M. Piccini a bien voulu céder à tous les avis, à tous les conseils dont il a cru avoir besoin dans un pays dont il ne connaissait ni la langue ni le goût ne lui a pas permis de s'élever lui-même à la hauteur de son génie. Er selbst spricht bei dem Bericht von dem fortdauernden Beifall, welchen die Oper fand, sein Glaubensbekenntniß aus, das bezeichnend ist (corr. litt. X p. 23): Convenons encore que le premier plaisir qu'on doit rechercher au théatre de l'Opéra est celui de l'oreille et des yeux, et non pas cet attendrissement, cette émotion soutenue que la tragédie seule peut nous donner, comme susceptible de plus grands intérêts, de developpemens plus étendus et mieux gradués, en un mot une imitation plus touchante, plus naturelle et plus vraie.
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