Vergegenwärtigt man sich, wie Mozart in Wien durch Beschäftigungen und Zerstreuungen verschiedenster Art, denen er sich mit lebhafter, selbst leidenschaftlicher Theilnahme hingab, vielfach in Anspruch genommen, ein im Ganzen unruhiges Leben führte, so muß man sich ebensosehr über die große Zahl seiner Compositionen als über den allen eigenthümlichen Charakter der Reise und Vollendung verwundern. Das Erstaunen mehrt sich, wenn man sieht, wie jede Gelegenheit, jede äußere Veranlassung ihn nicht allein bereit und fertig findet zu zeigen daß er, wie Goethe es vom Künstler verlangt, die Musik commandirt, sondern sein Innerstes zu erschließen, sein Bestes herzugeben, so daß der äußere Impuls nur als der rechte Moment künstlerischer Weihe erscheint. Dazu vernehmen wir nun noch, daß Mozart ungern schrieb und damit gewöhnlich so lange wartete, bis der letzte Augenblick ihn drängte. Wir sahen schon, daß es dann gelegentlich zu spät wurde, daß er nicht mehr zur rechten Zeit fertig wurde, wie mit der Sonate für die Strinasacchi (S. 292), daß er nur soviel Zeit behielt die Stimmen aufzuschreiben ohne sie erst in Partitur zu setzen (S. 264. 340), oder daß er es dem Copisten kaum noch möglich machte seine Arbeit zu beendigen (S. 207)1, und man darf nur sein thematisches Verzeichniß durchsehen um sich zu überzeugen, daß die meisten Compositionen so kurz als möglich vor dem bestimmten Termin niedergeschrieben sind. Der Vater, der als ein ordentlicher Mann vor allen Dingen auf gehörige Eintheilung der [419] Zeit hielt, erkannte darin einen Fehler, auf welchen er seinen Sohn oft aufmerksam machte. »Wenn Du Dein Gewissen recht erforschen willst«, schreibt er ihm (11. Dec. 1777) »wirst Du finden, daß Du viele Sachen auf die lange Bank geschoben.« Auch als Wolfgang in München am Idomeneo arbeitet, hält er für nöthig ihn zu ermahnen »nichts auf die lange Bank zu ich schieben« (18. Nov. 1781), und nachdem er sich bei seiner Anwesenheit in Wien überzeugt hatte, daß sein Sohn sich in dieser Beziehung nicht geändert habe, äußert er gegen Marianne auf Wolfgangs Mittheilung, daß er über Hals und Kopf die Oper Le nozze di Figaro fertig machen müsse (11. Nov. 1785): »Er wird immer daran geschoben und sich hübsch Zeit gelassen haben nach seiner schönen Gewohnheit, nun muß er auf einmal mit Ernst daran, weil er vom Grafen Rosenberg getrieben wird.« Wie sehr man dem Vater Recht geben mag daß auch für den schaffenden Künstler eine geordnete und wohl berechnete Benutzung der Zeit wünschenswerth sei und daß Jeder durch ernsten Willen und Achtsamkeit hierin vieles über sich vermöge, so kann man doch, sieht man auf die außerordentliche Fruchtbarkeit Mozarts und den rastlosen Eifer mit welchem er bei seiner Arbeit war, wenn er sich daran gemacht hatte, darin nur eine Ungerechtigkeit erkennen, wenn er ihm Trägheit vorwirst, die ihn nur dann zum Arbeiten kommen lasse, wenn er durch äußere Umstände gezwungen werde2. Allein diese Ungerechtigkeit, mochte sie auch durch die Verstimmung des Vaters mitunter verschärft werden, beruhte sicherlich im Wesentlichen darauf, daß er die geniale Natur seines Sohnes grade [420] in der eigenthümlichen Art des Schaffens nicht völlig verstand, die innere Thätigkeit, das eigentliche Arbeiten desselben nicht würdigte, weil es äußerlich nicht hervortrat wohl gar unter scheinbar zerstreutem oder kindischem Thun sich verbarg, und nicht begriff daß die Abneigung gegen das Schreiben meistens ihren Grund in dem Gefühl hatte, daß die wahre innere Arbeit noch nicht vollbracht sei, die der äußeren des Schreibens vorangehen mußte.
Davon scheinen auch die keinen rechten Begriff zu haben, welche in der Bewunderung einer unbegreiflichen Raschheit der Production, die ein Zusammenfallen der Conception und der Ausführung der künstlerischen Idee selbst bei umfassendern Werken voraussetzt, den wahren Maaßstab für das außerordentliche Genie Mozarts finden und zugleich die angenommene Bequemlichkeit desselben in gewissem Sinn als die Ergänzung dieses ungewöhnlichen Talents betrachten. Als das großartigste Beispiel dieser Schnellkraft findet man noch immer die Ouverture zu Don Giovanni angeführt. »Die Leichtigkeit mit der Mozart componirte« sagt Niemtschek (S. 55f.) »hat er schon als Knabe gezeigt; ein Beweis daß sie ein Werk des Genies war. Aber wie oft überraschte er damit in seinen letzten Jahren selbst diejenigen, die mit seinen Talenten vertraut waren. Die Eingangssinfonie zum Don Juan ist ein merkwürdiges Beispiel davon. Mozart schrieb diese Oper im October 1787 zu Prag; sie war schon vollendet, einstudirt und sollte übermorgen aufgeführt werden, nur die Ouvertürsinfonie fehlte noch. Die ängstliche Besorgniß seiner Freunde, die mit jeder Stunde zunahm, schien ihn zu unterhalten; je mehr sie verlegen waren, desto leichtsinniger stellte sich Mozart. Endlich am Abend vor dem Tage der ersten Vorstellung, nachdem er sich satt gescherzt hatte, ging er gegen Mitternacht auf sein Zimmer, fing an [421] zu schreiben und vollendete in einigen Stunden das bewundernswürdige Meisterstück.« Diese Erzählung3 wird durch den Bericht der Frau ergänzt (A. M. Z. I S. 290f.). »Den vorletzten Tag vor der Aufführung des Don Juan in Prag, als die Generalprobe schon vorbei war, sagte er abends zu seiner Frau, er wolle in der Nacht die Ouverture schreiben, sie möge ihm Punsch machen und bei ihm bleiben, um ihn munter zu halten. Sie thats, erzählte ihm Märchen von Aladins Lampe, vom Aschenhütterl u. dgl., die ihn zu Thränen lachen machten. Der Punsch aber machte ihn so schläfrig, daß er nickte, wenn sie pausirte und nur arbeitete, wenn sie erzählte. Da aber diese Anstrengung, die Schläfrigkeit und das öftere Nicken und Zusammenfahren ihm die Arbeit gar zu schwer machten, ermahnte seine Frau ihn auf dem Kanapee zu schlafen, mit dem Versprechen ihn über eine Stunde zu wecken. Er schlief aber so stark, daß sie es nicht übers Herz brachte und ihn erst nach zwei Stunden weckte. Dies war um 5 Uhr; um 7 Uhr war der Copist bestellt, um 7 Uhr war die Ouverture fertig.« Niemtschek, der vorher mit Recht bemerkt, daß ehe Mozart sich zum Schreibtisch setzte, das Werk in seinem Kopfe schon ganz vollendet war, wird auch das rasche Aufschreiben der Ouverture richtig beurtheilt haben; ob auch die Frau läßt sich bezweifeln, da sie ganz unbefangen hinzusetzt: »Einige wollen das Nicken und Zusammenfahren in der Musik der Ouverture erkennen«, – was wirklich nachgesprochen und sogar geistreich gefunden ist4.
[422] Vor einer unbefangenen Prüfung schwindet die nicht allein thörichte sondern selbst schädliche Vorstellung5 von einer fabelhaften Schnelligkeit des Arbeitens als dem eigentlichen Kennzeichen des Genies zwar bald; aber eine richtige, umfassende und klare Einsicht von dem eigenthümlichen Wesen einer genialen Künstlernatur, wie sie sich im Schaffen und Arbeiten bewährt, zu gewinnen bleibt eine schwierige Aufgabe6. Indessen so wenig Mozart auch geneigt war über sich und seine Compositionen viel zu reden, so sind doch charakteristische Aeußerungen und Züge genug überliefert, um uns seine Eigenthümlichkeit auch nach dieser Seite hin zu vergegenwärtigen. Ein wichtiges Actenstück ist Mozarts Brief an einen nicht bekannten Baron v. P., in welchem uns, so wie er gedruckt ist, wenn auch vielleicht nicht ganz seine Worte, doch wohl im Wesentlichen seine Meinung mitgetheilt ist7.
»Nun komme ich auf den allerschwersten Punkt in Ihrem [423] Briefe«, heißt es »und den ich lieber gar fallen ließ, weil mir die Feder für so was nicht zu Willen ist. Aber ich will es doch versuchen, und sollten Sie nur was zu lachen darin finden. Wie nämlich meine Art ist beim Schreiben und Ausarbeiten, von großen und derben Sachen nämlich. Ich kann darüber wahrlich nicht mehr sagen als das; denn ich weiß selbst nicht mehr und kann auf weiter nichts kommen. Wenn ich recht für mich bin und guter Dinge, etwa auf Reisen im Wagen, oder nach guter Mahlzeit beim Spazieren, und in der Nacht, wenn ich nicht schlafen kann: da kommen mir die Gedanken stromweis und am besten. Woher und wie das weiß ich nicht, kann auch nichts dazu. Die mir nun gefallen, die behalte ich im Kopfe, und summe sie auch wohl vor mich hin, wie mir Andere wenigstens gesagt haben. Halt ich das nun fest, so kommt mir bald eins nach dem andern bey, wozu so ein Brocken zu brauchen wäre, um eine Pastete daraus zu machen, nach Contrapunkt, nach Klang der verschiedenen Instrumente et caetera, et caetera, et caetera! Das erhitzt mir nun die Seele, wenn ich nämlich nicht gestört werde; da wird es immer größer; und ich breite es immer weiter und heller aus; und das Ding wird im Kopfe wahrlich fast fertig, wenn es auch lang ist, so daß ichs hernach mit einem Blick, gleichsam wie ein schönes Bild oder einen hübschen Menschen im Geiste übersehe, und es auch gar nicht mehr nach einander, wie es hernach kommen muß, in der Einbildung höre, sondern wie gleich alles zusammen. Das ist nun ein Schmauß. Alles das Finden und Machen gehet in mir nur wie in einem schönstarken Traum vor: aber das Ueberhören, so alles zusammen, ist doch das Beste. Was nun so geworden ist, das vergesse ich nicht leicht wieder; und das ist vielleicht die beste Gabe, die mir unser Herregott geschenkt hat. Wenn ich nun hernach einmal zum Schreiben komme, [424] so nehme ich aus dem Sack meines Gehirns, was vorher, wie gesagt, hineingesammelt ist. Darum kommt es hernach auch ziemlich schnell aufs Papier, denn es ist, wie gesagt, eigentlich schon fertig, und wild auch selten viel anders als es vorher im Kopfe gewesen ist. Darum kann ich mich auch beym Schreiben stören lassen; und mag um mich herum mancherley vorgehen: ich schreibe doch; kann auch dabey plaudern, nämlich von Hühnern und Gänsen, oder von Gretel und Bärbel u. dgl. Wie nun aber über dem Arbeiten meine Sachen überhaupt eben die Gestalt oder Manier annehmen daß sie mozartisch sind und nicht in der Manier irgend eines Anderen: das wird halt ebenso zugehen wie daß meine Nase ebenso groß und herausgebogen, daß sie mozartisch und nicht wie bey anderen beuten geworden ist! Denn ich lege es nicht auf Besonderheit an, wüßte die meine auch nicht einmal näher zu beschreiben; es ist ja aber wohl bloß natürlich, daß die Leute, die wirklich ein Aussehen haben, auch verschieden von einander aussehen, wie von außen so von innen. Wenigstens weiß ich, daß ich mir das eine so wenig als das andere selbst gegeben habe.«
»Damit lassen Sie mich aus für immer und ewig, bester Freund, und glauben Sie ja nicht, daß ich aus anderen Ursachen abbreche, als weil ich nichts weiter weiß. Sie, ein Gelehrter, bilden sich nicht ein, wie sauer mir schon das geworden ist! Anderen Leuten würde ich gar nicht geantwortet haben, sondern gedacht: Mutschi buochi quittle? Etsche Malappe Mumming.«
Wie sehr man irrt, wenn man glaubt, Mozarts genialer und leicht producirender Natur sei die Arbeit, die angestrengte Arbeit erspart worden, kann zwar schon die allgemeine Erfahrung lehren, welche zeigt, daß in jeder Kunst und Wissenschaft die größten Männer, welche Bleibendes geschaffen [425] haben, auch unausgesetzt und im Verhältniß zu ihrer genialen Natur um so eifriger und ernster gearbeitet haben. Auch haben wir uns überzeugt, daß Mozart in seiner Jugend, so lange er unter der Obhut des Vaters war, von den regelrechtesten Studien und eigentlichem Arbeiten nichts erspart blieb. Und er selbst wollte als reifer Mann und entwickelter Künstler keineswegs für den gelten, der in sorgloser Genialität seine Compositionen hinwerfe oder sich seiner redlichen Mühe und Anstrengung schäme. In der Zueignung seiner Quartetts an Haydn bezeichnet er diese ausdrücklich als die Frucht einer langen und mühevollen Arbeit und in einer Unterredung mit dem Orchesterdirector Kucharz in Prag vor der Ausführung des Don Giovanni äußerte er gegen diesen: »Ich habe mir Mühe und Arbeit nicht verdrießen lassen für Prag etwas Vorzügliches zu leisten. Ueberhaupt irrt man, wenn man denkt, daß mir meine Kunst leicht geworden ist. Ich versichere Sie, lieber Freund, Niemand hat soviel Mühe auf das Studium der Composition verwendet als ich. Es giebt nicht leicht einen berühmten Meister in der Musik, den ich nicht fleißig und oft mehrmals durchstudirt hätte.« Und in der That, setzt der Berichterstatter hinzu, man sah die Werke großer Tonkünstler z.B. Seb. Bachs, Durantes, Porporas, Leos, Händels u. dgl. auch da noch, als er bereits klassische Vollkommenheit erreicht hatte, auf seinem Pulte; besonders waren Bachs und Händels Fugen und Präludien immer auf seinem Klavier8. Wie eifrig und fruchtbar dieses durch van Swieten angeregte Studium für ihn wurde haben wir bereits gesehen. Rochlitz9 berichtet daß er [426] die vorzüglichsten Werke Händels so inne hatte, als wenn er lebenslang Director der Londoner Akademie zur Aufrechterhaltung der alten Musik gewesen wäre; – er hatte, als er nach Leipzig kam, kurz vorher Händels Acis und Galathea und den Messias für van Swieten bearbeitet und war frisch von diesen Eindrücken. »Händel« hörte Rochlitz ihn sagen »weiß am besten unter uns allen, was großen Effect thut; wo er das will, schlägt er ein wie ein Donnerwetter.« Nicht allein seine Chöre bewunderte er, sondern auch viele seiner Arien und Solos, an denen man damals wenig Geschmack fand10. »Wenn er da auch manchmal nach der Weise seiner Zeit hinschlendert«, sagte er »so ist doch überall etwas darin«11. In Leipzig lernte er nun auch Seb. Bachs Gesangscompositionen kennen. Doles ließ ihm von dem Thomanetchor die wunderbare achtstimmige Motette »Singet dem Herrn ein neues Lied« vorsingen. Aufs lebhafteste überrascht von diesem Flut auf Flut drängenden Gesangsmeer hörte er mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zu und rief dann voller Freude aus: »Das ist doch einmal etwas, woraus sich was lernen läßt!« Als er hörte daß man in der Thomasschule noch mehrere Motetten Bachs habe, bat er sie sich aus und weil keine Partitur vorhanden war, ließ er sich die Stimmen geben, legte sie rings um sich her, vertiefte sich ganz in ihr Studium und ließ nicht ab bis er alle durchgearbeitet [427] hatte; erbat sich auch eine Copie dieser Motetten12. Und daß er nicht bloß die Meister früherer Zeiten, sondern auch die mitlebenden zum Gegenstand seines Studiums machte und daß er wohl wußte, wie er sich dieselben zu Nutzen machen konnte, beweist der Eifer, mit welchem er Bendas Monodramen studirte (II S. 328f.), ebenso die früher erwähnte Aeußerung welche er gegen Frank über das Studium der französischen Opern machte (S. 300) und am deutlichsten die Spuren der Einwirkung, wie bedeutende Leistungen sie auf eine geniale und selbstschöpferische Natur ausüben, welche sich in seinen Werken finden.
Verschieden von solchen allgemeinen, vorbereitenden Studien ist das was man bei der eigentlichen selbständigen Production als das Arbeiten zu bezeichnen pflegt, das Formgeben, namentlich die technische Ausführung und Vollendung. Sowie es aber bei einem jeden Kunstwerk – und dies gilt vor allem von der Musik – unmöglich ist Form und Inhalt absolut zu scheiden, und jedes als ein für sich bestehendes Element aufzuweisen, so ist auch bei der künstlerischen Production selbst in keinem Moment die schaffende, erfindende Kraft und die gestaltende, ausführende völlig zu trennen. Jedes Erzeugen auf geistigem wie auf physischem Gebiet ist dem Menschen ein Geheimniß; wie und woher dem Künstler blitzartig die Idee entsteht, aus welcher wie aus einem Keim ein Kunstgebilde sich gestaltet, das weiß er selbst so wenig als sich das vollendete Kunstwerk, wie sein und scharf man es auch zergliedern mag, bis zu dem Moment der eigentlichen Conception verfolgen läßt. Unzweifelhaft ist aber bei der höchsten Inspiration, welche die gesammten künstlerischen Kräfte auf den Punkt der schöpferischen Production concentrirt, auch die Summe der künstlerischen Bildung und [428] Intelligenz, zur Divination gereist und gesteigert, unmittelbar betheiligt, sonst würde das Product der schaffenden Begeisterung nicht in einer bestimmten Gestalt, einer Gestalt, welche künstlerischer Aus- und Fortbildung fähig und bedürftig ist, ausgeprägt erscheinen; diese Ausbildung selbst durch eine der Entstehung fremde Kraft wäre undenkbar. Die Entwickelung des künstlerischen Gehaltes aus einem solchen Keim – durch Gestaltung in bestimmten Formen, durch Combination mit anderen musikalischen Ideen und Gedanken, welche im Verfolg des innerlichen Durcharbeitens aus demselben hervorgehen oder sich anschließen –, ist aber ebensowenig eine ausschließliche Thätigkeit des Verstandes und der selbstbewußten Reflexion, sondern sie ist in jedem Moment, selbst da wo es sich um die formale Ausbildung nach bestimmten Normen handelt, von dem Hauch der unmittelbar schaffenden Kraft durchdrungen und belebt. Das ist es, was die Werke genialer und schöpferischer Naturen als solche bezeichnet, daß auch in demjenigen, was nur als die Erfüllung eines gebotenen Gesetzes erscheint, sich die Freiheit einer selbständigen Individualität offenbart. Denn das, was als formale Vorschrift und abstracte Regel ausgesprochen und als solche erlernt und angewendet werden kann, ist ja nur der unvollkommene Ausdruck eines lebendigen Naturgesetzes, nach welchem die Dinge entstehen und sich entwickeln, das allem künstlerischen Schaffen zu Grunde liegt. Sowie jede Erscheinung die individuelle Darstellung des allgemeinen Gesetzes ist, so trägt die Seele des schaffenden Künstlers dieses allgemeine Gesetz des Hervorbringens in sich, nicht als ein erkanntes, angelerntes, sondern als ein eingebornes, von seiner individuellen Natur ganz durchdrungenes und nur durch diese wirksames: seine Individualität ist das Medium, durch welches jenes Gesetz lebendig [429] und productiv wird; Wahrheit, welche allein der Ausfluß der ewigen Naturgesetze sein kann, und Freiheit, welche das Wesen der Individualität ausmacht, sind in seinen Schöpfungen unlösbar verschmolzen. Je fester die Vereinigung dieser scheinbar einander widerstreitenden und aufhebenden Gegensätze in der Natur des Künstlers begründet ist, je tiefer sie in derselben wurzelt, um so mehr wird auch im Kunstwerk der Gegensatz des Schaffens und Arbeitens, der Form und des Inhalts, des Allgemeinen und Individuellen – und wie man denselben sonst fassen mag – aufgehoben erscheinen, es wird als ein mit Nothwendigkeit in seiner ganzen Eigenthümlichkeit so und nicht anders gewordenes sich darstellen. Allein die dem Künstler inwohnende schöpferische Kraft wirkt in ihm nicht mechanisch, wie ein Uhrwerk das einmal aufgezogen fortarbeitet bis es abgelaufen ist, sondern die Aufgabe, welche jedem Menschenleben auf geistigem und sittlichem Gebiet gestellt ist, in unausgesetztem Ringen die Ausgleichung jener Gegensätze zu erstreben, erneuert sich auch für den Künstler sott und fort im Großen wie im Kleinen. Das ist das eigentliche Arbeiten des Künstlers, wenn er alle geistigen Kräfte im freien Spiel sich entfalten läßt, um sie auf den einen Punkt hin zu concentriren, und – wie auch in verschiedenen Momenten bald diese bald jene vorzugsweise wirksam werde – nie die einzelne Kraft allein und einseitig anzuspannen, sondern alle gemeinsam dem gemeinsamen Ziel zuzulenken. Diese Thätigkeit in jedem Moment als den Ausfluß der vollendeten Kraft und Gesundheit der gesammten künstlerischen Organisation zu empfinden ist nur dem Künstler verliehen, es ist, wie das auch Mozart andeutet, sein höchster Genuß, eine wahre Beseligung, wie ja in allem menschlichen Thun die That die höchste Befriedigung gewährt und nicht ihr Werk. Wäre es möglich den Bewegungen der künstlerischen[430] Natur im Schaffen mit geistigem Auge zu folgen, wie das leibliche Auge den Bewegungen eines schönen, kräftigen, ausgebildeten Körpers mit Entzücken nachgeht, ein solcher Genuß würde den weit überbieten, welchen das Auffassen des fertigen Kunstwerks gewähren kann. Aber der Betrachtung ist es nicht vergönnt diesen Proceß des künstlerischen Schaffens in seinen einzelnen Momenten zu verfolgen; je vollendeter ein Kunstwerk ist, um so weniger kann es gelingen, die Weise und den Weg seiner Entstehung daraus abzuleiten, es kann nur als ein fertiges aufgefaßt und genossen werden.
Die Art und Weise der allmähligen Gestaltung und Ausbildung der künstlerischen Ideen bis zum vollendeten Kunstwerk nimmt bei verschiedenen Künstlern sehr verschiedene Gestatt an; denn auch bei groß und bedeutend organisirten Naturen sind diese und jene Fähigkeiten, welche dabei mitwirken, verschieden geartet und entwickelt. Die Vorstellungen von schwer und leicht, rasch und langsam Arbeiten, an sich unbestimmt und nur relativ gültig, sind meistens von äußerlichen Beobachtungen und Merkmalen entnommen, die für das Wesentliche nicht viel beweisen. Es ist nicht wesentlich, ob ein Künstler durch äußere Eindrücke aller Art leicht gestört wird in seiner künstlerisch schaffenden und bildenden Thätigkeit, oder ob er unbeirrt durch das was von außen an ihn herankommt seine innere Arbeit fortführen und vollenden kann; es ist nicht wesentlich, ob ein Künstler das Bedürfniß fühlt, oder auch nur es sich zur Gewohnheit gemacht hat, die geistige Arbeit auf Schritt und Tritt möglichst zu controliren und jede schöpferische Regung schriftlich zu fixiren, oder ob er auf diese äußere Beihülfe verzichtet und allein in der Vorstellung seine Ideen sammelt, prüft, sichtet, verbindet und verarbeitet. Das Wesentliche, das was keinem wahren Künstler fehlt, [431] ist die Kraft während des ganzen Verlaufs der inneren Beschäftigung und Verarbeitung künstlerischer Ideen von ihrer ersten Conception bis zur völligen Zeitigung und Reise durch alle Wandlungen, Unterbrechungen und Störungen dieses Entwickelungsganges hindurch, den ersten schöpferischen Impuls in seiner vollen Energie stets lebendig fortzeugen zu lassen, und dadurch die Idee des Ganzen in jedem Moment des Gestaltens und nach allen Seiten hin als die für alle Einzelnheiten der Auffassung und Form maaßgebende Potenz in voller Wirksamkeit zu erhalten. Und man kann kaum entscheiden, ob man diese Kraft da mehr bewundern soll, wo sie Production und Gestaltung in einem stetigen Fluß zu erhalten scheint, oder da wo sie aus einem Wust scheinbar unzusammenhängender Einfälle und stets neu ansetzender Versuche zuletzt ein einiges, fest geschlossenes, klares Ganze entstehen läßt.
Mozart bewährt nach allen Seiten hin eine äußerst glückliche Organisation. Seine reiche und leicht erregbare Erfindungskraft wurde durch den feinsten Formensinn unterstützt, welcher durch vielseitige und gründliche Studien zu einer solchen Sicherheit entwickelt war, daß Mozart die verschiedensten Formen der musikalischen Gestaltung wie instinctmäßig anwendete und ausführte. Dazu kam die Gabe unabhängig und gleichsam abgeschieden von der Außenwelt im Innern zu schaffen und bis ins feinste Detail auszubilden, das so Gebildete nicht allein in jedem Augenblick klar anzuschauen und vollständig zu überblicken, sondern mit einem bewundernswürdigen Gedächtniß festzuhalten um es sobald er wollte auch äußerlich zu fixiren.
Wodurch ein Künstler momentan productiv angeregt oder gestimmt werde, das wird ihm selbst selten bewußt sein, noch weniger wird es sich fixiren lassen. Es kommt auch in der [432] Regel wenig darauf an; denn der äußerliche Impuls pflegt mehr nur die Veranlassung als der treibende Keimpunkt für das Kunstwerk zu sein, so daß man gewöhnlich da, wo man darüber unterrichtet ist, am meisten zu bewundern hat, wie durch diese Veranlassung eine solche Schöpfung hervorgerufen werden konnte. Am meisten gilt dies von der Musik, da die musikalische Production ihre Anregung unmittelbar weder aus der Natur noch aus der Gedankenwelt schöpfen kann. Es wäre gewiß vom höchsten Interesse, wenn man den Proceß verfolgen könnte, durch welchen Eindrücke, welche die Seele des Künstlers von jenen Seiten her empfängt, bestimmte musikalische Ideen hervorrufen; dies scheint aber nicht vergönnt, und sobald der musikalische Gedanke da ist, wird er als solcher und der Natur der Musik gemäß ausgebildet; das Kunstwerk, welches auf diesem Wege entstanden ist, kann nicht wieder unmittelbar an die äußere Veranlassung angeknüpft werden. Daher ist die Frage nach der Veranlassung, namentlich bei Musikwerken, in der Regel eine ziemlich müssige und nur durch das Interesse gerechtfertigt, welches man bei außerordentlichen Menschen und deren Werken auch an äußerlichen und an sich geringfügigen Umständen und Verhältnissen nimmt; für das künstlerische Verständniß wird dadurch selten viel gewonnen. Von größerer psychologischer Bedeutung sind schon solche Züge, welche uns von der geistigen Richtung und Empfindungsweise des Künstlers überhaupt eine klarere Vorstellung geben, wenn sie gleich für das Einzelne keinen Aufschluß gewähren. So erfahren wir daß der Anblick der schönen Natur Mozart ganz besonders zur Productivität stimmte. »Wenn er mit seiner Frau durch schöne Gegenden reiste«, erzählt Rochlitz nach den Mittheilungen Constanzes (A. M. Z. I S. 147) »sah er aufmerksam und stumm in die ihn umgebende Welt hinaus; sein gewöhnlich mehr in sich [433] gezogenes und düstres als muntres und freies Gesicht heiterte sich nach und nach auf, und dann fing er an zu singen oder vielmehr zu brummen, bis er endlich ausbrach: Wenn ich das Thema auf dem Papier hätte! Und wenn sie ihm etwa sagte, daß das ja wohl zu machen sei, so fuhr er fort: Ja mit der Ausführung – versteht sich! Es ist ein albern Ding, daß wir unsere Arbeiten auf der Stube aushecken müssen!« Er suchte deshalb auch im Sommer auf dem Lande oder in einem Garten zu wohnen; es ist bekannt daß er den Don Giovanni in Prag und die Zauberflöte in Wien größtentheils in einem Gartenhaus schrieb, und als er im Sommer 1788 eine Gartenwohnung bezogen hatte, schrieb er an Puchberg (Beil. XX, 2): »Ich habe in den zehn Tagen daß ich hier wohne mehr gearbeitet als im andern Logis die zwey Monat.« Bei einer so gesunden Natur wie Mozart es war nimmt diese Empfänglichkeit für die Natur um so weniger Wunder, als er unter den Eindrücken der wunderbar schönen Natur Salzburgs aufgewachsen war. Allein gebunden, oder auch nur vorzugsweise angewiesen auf solche Umgebungen und auf äußere Einflüsse überhaupt war er keineswegs. Vielmehr war er eigentlich fortwährend und unter allen Umständen mit musikalischen Gedanken und Arbeiten beschäftigt. »Sie wissen« schreibt er seinem Vater (II S. 273) »daß ich so zu sagen in der Musique stecke, daß ich den ganzen Tag damit umgehe, daß ich gern speculire, studire, überlege.« Das war auch denen, welche mit ihm verkehrten, wenn sie etwas genauer beobachteten, wohl bemerkbar. Seine Schwägerin Sophie charakterisirt seine Art sehr gut (Nissen S. 627f.): »Er war immer guter Laune, aber selbst in der besten sehr nachdenkend, einem dabei scharf ins Auge blickend, auf alles, es mochte heiter oder traurig sein, überlegt antwortend, und doch schien er dabei an ganz etwas [434] anderem tief denkend zu arbeiten. Selbst wenn er sich in der Frühe die Hände wusch, ging er dabei im Zimmer auf und ab, blieb nie ruhig stehen, schlug dabei eine Ferse an die andere und war immer nachdenkend. Bei Tisch nahm er oft eine Ecke der Serviette, drehte sie fest zusammen, fuhr sich damit unter der Nase herum und schien in seinem Nachdenken nichts davon zu wissen und öfters machte er dabei noch eine Grimasse mit dem Munde. Auch sonst war er immer in Bewegung mit Händen und Füßen, spielte immer mit etwas z.B. mit seinem Chapeau, Taschen, Uhrband, Tischen, Stühlen, gleichsam Klavier.« Sein Friseur pflegte, wie mir Karajan mittheilte, noch in späten Jahren zu erzählen, was das für eine Noth gewesen sei Mozart zu frisiren, der dabei nie still gesessen habe; alle Augenblicke sei ihm etwas eingefallen, dann sei er wohl aus Klavier gegangen und der Friseur habe ihm mit dem Zopfband in der Hand nachlaufen müssen. Daß er, während er sich körperliche Bewegung machte, beim Kegeln, Billardspielen, Reiten seinen musikalischen Gedanken nachhing ist schon bemerkt (S. 243f.); vielleicht rührte seine Aengstlichkeit beim Reiten davon her, daß seine Aufmerksamkeit dadurch zu sehr von der Lenkung des Pferdes abgezogen wurde. Auch geselliges Gespräch störte ihn wie Frau Haibel angiebt in dieser inneren Arbeit nicht; und wir sahen schon (II S. 499f.) wie sehr es seinem Schwager Lange auffiel, daß Mozart, wenn er mit bedeutenden Arbeiten beschäftigt war, mehr als sonst an gewöhnlichen Späßen und trivialer Unterhaltung Gefallen fand: er suchte darin wie in der körperlichen Beschäftigung ein Gegengewicht gegen die geistige Thätigkeit. Ja selbst wenn er Musik hörte und diese ihn nicht vollständig in Anspruch nahm, war er im Stande seinen eigenen musikalischen Gedanken nachzuhängen und die Musik, die an sein Ohr drang, [435] ebensogut zu ignoriren wie Störungen anderer Art; seine ältere Schwägerin Frau Hofer erzählte Neukomm daß Mozart auch in der Oper – wie der welcher ihn genauer kannte, an der unruhigen Bewegung der Hände, am Blick, an der Art mit der er die Lippen wie zum Singen oder Pfeifen rührte, leicht wahrnehmen konnte – ganz von seiner inneren musikalischen Thätigkeit in Anspruch genommen wurde.
Ein völliges Abwenden von allem äußeren Treiben und ein gänzliches Zurückziehen auf sich selbst erscheint den Meisten bei dem, welcher geistig angestrengt arbeitet, naturgemäß und begreiflich, und auch die, welche an so concentrirter geistiger Thätigkeit keinen eigentlichen Antheil nehmen, pflegen doch vor solchem Abschließen gegen die äußere Welt eine gewisse Achtung zu empfinden. Allein wenige vermögen das innere Leben klar zu fassen, welches im tiefsten Schacht des Geistes rastlos arbeitet, schafft und bildet, ohne doch den Zusammenhang mit dem äußeren Thun ganz aufzugeben, sondern auch an diesem sich soweit betheiligt, daß wir ein Doppelwesen vor uns zu sehen glauben, welches zu gleicher Zeit nach verschiedenen Seiten hin Leben und Thätigkeit entwickelt, zu gleicher Zeit auf verschiedenen Bahnen sicher und selbständig wandelt. Wenn gleich dabei die nach außen gerichtete Thätigkeit gegen die innere meistens zu kurz kommt, so pflegt doch ein oberflächlicher Beobachter sich nur an diese zu halten und ohne von dem inneren Schaffen etwas zu ahnen, als dessen Abfall das äußerliche Thun zu betrachten ist, nur dieses ins Auge zu fassen und zu beurtheilen. Auch Mozarts Vater hatte offenbar von dieser Organisation kein völliges Verständniß; auch er begriff und würdigte die innere Thätigkeit, das eigentliche Schaffen und Arbeiten seines Sohnes nicht auf die richtige Art und schätzte als Fleiß und Arbeit nur die letzte, eine lange ununterbrochne Kette geistiger Anstrengungen [436] und Mühen abschließende Thätigkeit, das Niederschreiben, wodurch allerdings das künstlerische Gebilde erst als abgeschlossen und fertig dargestellt wurde. Dieses aber galt Mozart selbst als das Unwesentliche, weil es nur ein äußerliches Fixiren des im Geiste Vollendeten war, es fiel ihm lästig, weil die freie geistige Production dabei den allergeringsten Antheil hatte; er schob es so lange als möglich auf, nicht allein weil er sich die Freiheit über ein Kunstwerk das ihn innerlich beschäftigte so lange als möglich vorbehielt – und nie ließ er sich zum Aufschreiben drängen ehe sein Werk völlig gereist war –, sondern auch weil er mehr Befriedigung im Schaffen als im Aufschreiben fand, er schob es dann auch mitunter zu lange auf. Dies mag der geordnete Geschäftsmann mißbilligen, zumal wenn er weiß daß Mozart jederzeit im Stande war bestellte Arbeit solide und tüchtig zu liefern: von Trägheit und nur durch äußere Noth erzwungenem Fleiß zu reden kann nur auf Mangel an Einsicht beruhen. Freilich mochten die Leute sich um so mehr zu solchen Urtheilen berechtigt glauben, als sie sahen mit welcher Schnelligkeit Mozart schrieb, wenn er sich zum Schreiben niedergesetzt hatte; da sie nicht begriffen, warum er bei solcher Gottesgabe nicht Tag aus Tag ein »componirte«, wie man zu sagen pflegt13.
Die wunderbare Harmonie verschiedener künstlerischer Eigenschaften in Mozart, welche Rossini schön ausdrückte, [437] indem er sagte Mozart sei der einzige, der ebensoviel Genie als Wissenschaft und ebensoviel Wissenschaft als Genie besessen habe, ist in vielen einzelnen Erscheinungen zu fassen. So besaß er zu der Fähigkeit ein musikalisches Kunstwerk im Ganzen und im Einzelnen innerlich wie in einem Bilde klar anzuschauen auch ein außerordentliches Gedächtniß das so Angeschaute festzuhalten14. Davon legte er schon als Knabe die erstaunliche Probe durch das Aufschreiben des Miserere ab (I S. 199f.); in späteren Jahren spielte er auf Reisen seine Concerte stets so gut wie auswendig, und zwar nicht eins oder das andere dazu einstudirte, sondern viele verschiedene; man wußte daß er einmal ein Concert, das er lange nicht angesehen hatte, in einer Akademie aus dem Gedächtniß spielte, weil er die Principalstimme vergessen hatte15. Doch war dies nur ein Festhalten des völlig Abgeschlossenen und Fertigen in der Erinnerung16. Bemerkenswerther ist es [438] schon, wenn er von einer Sonate für Klavier und Violine nur die Violinstimme aufschrieb und die Klavierstimme aus dem Kopf spielte ohne das Ganze vorher gehört zu haben, wie in jenem Fall mit der Strinasacchi (S. 292), oder wenn er eine Composition statt in Partitur gleich in Stimmen niederschrieb (S. 264. 340); denn dies setzt eine erstaunliche Klarheit und Sicherheit voraus, mit welcher er das im Kopf ausgearbeitete Kunstwerk bis in die geringsten Einzelnheiten übersah und festhielt. Daraus begreift es sich denn daß es beim Niederschreiben rasch und glatt von Statten ging, weil es ein bloßes Uebertragen auf das Papier war, daß er dabei durch die äußere Umgebung sich nicht stören ließ, vielmehr es sogar gern sah, wenn eine leichte Unterhaltung ihn bei der mechanischen Arbeit zerstreute ohne ihn eigentlich in Anspruch zu nehmen. Er ließ sich dabei von seiner Frau Geschichten erzählen (S. 169f. 421), spielte Kegel (S. 244); ja seine Frau berichtet uns (A. M. Z. I S. 854f.) daß er mit dem zweiten der Haydn dedicirten Quartetts in D-moll beschäftigt war – im Sommer 1783 –, als sie zum erstenmal in Kindesnöthen war. Er arbeitete in demselben Zim mer, in welchem sie lag, wie er auch sonst bei ihren häufigen Krankheiten an ihrem Bett zu arbeiten pflegte (S. 171). So oft sie Schmerzen äußerte, kam er zu ihr um sie zu trösten und aufzuheitern, und wenn sie etwas beruhigt war ging er wieder an sein Notenpapier. Er schrieb aber bei ihrer Entbindung – Menuett und Trio dieses Quartetts. Welch ein Stoff für die moderne Kunstexegese! Allerdings haben wir hier einen merkwürdigen Beweis dafür, wie frei Mozarts musikalische Thätigkeit von den äußeren Umständen war, denn bei einer Begebenheit, die ihn gemüthlich so sehr in Anspruch nahm, seiner Vorstellungen und Gedanken so völlig Herr zu sein, um sie zu fassen und niederzuschreiben wird wohl [439] nicht Vielen gegeben sein. Noch viel merkwürdiger aber ist eine Aeußerung welche er gegen seine Schwester macht, als er ihr die obenerwähnte Fuge mit einem Praeludium schickt. Er entschuldigt sich daß das Praeludium, welches vor die Fuge gehöre, hinter derselben geschrieben sei (S. 168). »Die Ursache aber war«, sagt er »weil ich die Fuge schon gemacht hatte und sie, unterdessen ich das Praeludium ausdachte, aufgeschrieben.« Er war also im Stande, während er das im Kopf fertig gemachte Werk – und zwar hier ein Werk in strengster Form, das nur abzuschreiben schon Aufmerksamkeit erfordert – wie aus einem Fach, in dem es aufbewahrt lag, hervornahm und niederschrieb, zugleich ein neues Kunstwerk in Gedanken hervorzubringen; die schaffende und die bloß reproducirende Kraft seines Geistes waren also gleichzeitig nach verschiedener Richtung, in vollkommener Freiheit thätig – das übersteigt fast die Vorstellung.
Bei solcher Art innerlich zu arbeiten konnte ihm denn freilich das Schreiben zu einer fast nur noch mechanischen Operation werden; allein dennoch verließ er sich meistens nicht so ganz und gar auf sein Gedächtniß, als er es gekonnt hätte, sondern machte sich zur größeren Sicherheit und Bequemlichkeit flüchtige Aufzeichnungen. Rochlitz berichtet darüber, offenbar nach Mittheilungen Constanzes17.
»Mozart, war er allein oder mit seiner Frau oder mit Andern die ihm keinen Zwang auferlegten, vor Allem aber auf seinen vielen Reisen im Wagen, hatte die Gewohnheit fast unausgesetzt nicht nur seine Phantasie auf neue melodische Erfindungen (Themata, wenn man will) ausgehen zu lassen, sondern auch seinen Verstand und sein Gefühl gleich mit der Anordnung und Bearbeitung solch eines Funds zu beschäftigen, [440] wobei er ohne es zu wissen oft summte, ja laut sang, glühend heiß ward und keine Störung duldete. – Um nun aber dergleichen Vorarbeiten nicht zu vergessen oder zu vermischen bedurfte seine leicht zu entzündende Phantasie, seine vollkommne Beherrschung aller Kunstmittel der Ausarbeitung und jenes sein für Musik ausgezeichnetes Gedächtniß nichts weiter als kurzer Andeutungen, Schwarz auf Weiß; und zu diesen mußte er stets, vorzüglich aber auf Reisen in einer Seitentasche des Wagens, Blättchen Notenpapier zur Hand haben, welchen nun jene Notizen, jene fragmentarischen Grundrisse, anvertraut wurden; und welche Blättchen, in einer Kapsel wohl aufbewahrt, sein Reisetagebuch eigener Art ausmachten18. Dieses ganze Verfahren war ihm, wie es mußte, höchst wichtig; er entzog sich ihm ohne Noth niemals, und wo es von ihm abhing, litt er durchaus nicht daß Andere ihn demselben entzogen: die Sache war ihm, wie man jetzt sich ausdrückt, heilig.«
Solche Aufzeichnungen scheint Mozart, wenn sie gebraucht waren, gar keiner Aufmerksamkeit würdig gehalten zu haben, daher sind deren sehr wenig erhalten; doch sind diese interessant und anschaulich genug. Das zum zweiten Band im Facsimile mitgetheilte Skizzenblatt (II) jener Ode von Denis (S. 344f.) zeigt, wie mit der allerflüchtigsten Schrift, die mitunter kaum die Mozartsche Handschrift erkennen läßt, das Ganze wie im Umriß hingeworfen ist. Die Singstimme ist vollständig hingeschrieben, ebenso von der Begleitung der Baß; übrigens sind alle eigenthümlichen Züge der letzteren wenigstens soweit angedeutet daß kein Zweifel obwalten kann, wie sie auszuführen sein würde. [441] Man sieht also, das Ganze war fertig, als diese Skizze geschrieben wurde, die nicht sowohl als ein Versuch unter mehreren die Conception auszubilden erscheint, sondern nur zur Bequemlichkeit, um dem Gedächtniß beim Niederschreiben des Ganzen in seiner detaillirten Ausführung einen Haltpunkt zu bieten. Aehnlich, aber noch flüchtiger ist die Skizze einer für die Oper L'oca del Cairo bestimmten Arie, welche dem von Jul. André besorgten Klavierauszug im Facsimile beigegeben ist. Auch hier finden wir die Singstimme von Anfang bis zu Ende aufgezeichnet, der Baß aber ist gar nicht angegeben, und nur an einigen Stellen die Begleitung angedeutet – einmal mit der Notiz daß die Clarinette zu verwenden sei –; offenbar genügte bei einem sehr einfachen Musikstück diese flüchtige Erinnerung für die spätere Ausführung. Ob einer solchen Skizze schon eine wiederholte Ueberlegung und Durcharbeitung in Gedanken vorhergegangen sei, als deren Resultat sie zu betrachten ist, oder ob sie das unmittelbare Erzeugniß eines schöpferischen Moments gewesen sei, das wird im einzelnen Fall kaum zu entscheiden, auch in verschiedenen Fällen wohl sehr verschieden gewesen sein.
Da diese beide Skizzen wie es scheint nicht ausgeführt worden sind, wenigstens keine Ausführung vorliegt, so ist hier die Vergleichung nicht möglich, welche ergeben würde, wieweit eine solche vorläufige Skizze bei der vollständigen Ausarbeitung modificirt worden sei19. In dieser Hinsicht [442] gewährt der auf dem ersten Skizzenblatt zum zweiten Band mitgetheilte Entwurf ein eigenthümliches Interesse. Die drei ersten Zeilen enthalten Notate zu einer Klaviercomposition; von da beginnt der Entwurf zu einem Terzett für zwei Baß- und eine Tenorstimme aus einer Opera buffa, welche, wie sich später ergeben wird, Mozart wahrscheinlich im Jahr 1783 beschäftigte, und von dem sich ein von ihm ins Reine geschriebener Partiturentwurf zum Theil erhalten hat20, welcher als Notenbeilage I mitgetheilt wird, da er auch von der Weise, wie Mozart seine Partituren anlegte, eine Vorstellung giebt.
Die Skizze enthält nur die Singstimmen mit flüchtigen Andeutungen einzelner Eintritte der Begleitung, anfangs hinter einander fortgeschrieben – wobei an einer Stelle der erste Gedanke verworfen und sofort durch einen anderen ersetzt worden ist –, nachher wo sie zusammentreten auf drei Systemen; man sieht auch an der Art wie der Platz gebraucht ist, wie rasch diese Aufzeichnung vor sich gegangen ist.
Der Partiturentwurf dagegen ist eine nur durch einen Zufall nicht vollendete Reinschrift. Sie hat die für die Singstimmen und das Orchester erforderliche Anzahl Systeme, deren jedem die entsprechende Bezeichnung vorgeschrieben ist. Zuvörderst ist nun hier das Ritornell hinzugekommen, das sehr lang ist, weil es als Einleitung zur ersten Scene der Oper dient; es ist aus Motiven, welche später wieder vorkommen, gebildet, und man sieht, daß diese mehr selbständige Einleitung erst entstanden ist, nachdem das eigentliche [443] Terzett vollendet war, in welchem die einzelnen Motive ihre bestimmte Bedeutung haben. Von derselben sind zunächst die Hauptstimmen, erste Violine und Baß, vollständig hingeschrieben, von den Blasinstrumenten nur einige Stellen, in denen sie mit einem selbständigen Motiv hervortreten; alles übrige, was zur Schattirung und Colorirung dieser einfachen Umrisse gehörte, ist vorläufig noch fortgeblieben und alle Notensysteme frei gelassen. Darauf sind die Singstimmen ganz in die betreffenden Systeme eingetragen und mit ihnen vollständig der Baß; von der Begleitung ist nur selten ein Motiv angedeutet. Alles ist fest und sauber geschrieben, man sieht auch an der Handschrift daß alles fertig war. Die Abweichungen in den Singstimmen sind ganz unbedeutend in den Baßstimmen, auffallender in der Tenorpartie, wo freilich die erste Anlage der Melodie geblieben aber die melismatische Ausführung modificirt und die Schlußwendung verlängert ist. Wo die Stimmen zusammentreten, ist, soweit man vergleichen kann, alles im Wesentlichen unverändert geblieben. Die erste Skizze hört nämlich noch einige Takte früher auf als der Partiturentwurf, der auch nur ein verhältnißmäßig geringes Bruchstück des ganzen Terzetts ist21.
Man sieht also daß die eigentliche künstlerische Arbeit schon vor der ersten Skizze gethan war und daß die Ausführung derselben in der Partitur zunächst zwar nicht ein bloß mechanisches Uebertragen der Hauptmotive – denn diese werden einer kritischen Revision unterworfen und dadurch gewissermaßen wiedergeboren –, aber doch nur die schließliche Feststellung des bereits ausgebildeten und gegliederten Ganzen ist. Noch mehr tritt das bloße Ausführen des im Wesentlichen [444] schon Gegebenen natürlich bei der Ausarbeitung der Begleitung in ihrem Detail hervor, für welche die fixirten Umrisse eine ungleich festere Begränzung bieten, ohne doch der freien schöpferischen Thätigkeit an irgend welchem Punkt eine hemmende Schranke zu bieten. Bei den meisten eigenhändigen Partituren Mozarts kann man diese verschiedenen Stadien der Ausarbeitung schon nach äußeren Kennzeichen verfolgen22. Durchgehends sind die Singstimmen mit dem Baß zuerst ganz vollständig hingeschrieben und von der Begleitung soviel als nöthig ist um die charakteristischen Momente zu bezeichnen; man erkennt das auch bei den später völlig ausgeführten Partituren meistens an der verschiedenen Dinte und der Schrift, welche in der Regel bei der späteren Ausführung etwas flüchtiger ist als bei der ersten Auf zeichnung23. War diese geschehen, so verschob er die detaillirte Ausführung oft längere Zeit, wie er den ganzen ersten Act der Oper L'oca del Cairo auf solche Weise vollständig entworfen hat und, da er die Oper dann aufgab, auch so unausgeführt hat liegen lassen; wie er auch vom Requiem sämmtliche Sätze vom Dies irae bis Quam olim in derselben [445] Art in den Singstimmen nebst beziffertem Baß vollständig mit Andeutungen der Instrumentation niedergeschrieben hat. Er ließ sich dabei von Zeit und Laune bestimmen und grade zu dieser Arbeit ließ er sich wohl am meisten drängen, denn war das Werk in seinen Umrissen einmal fest bestimmt, bedurfte es nur der Erinnerung um es im lebendigen Farbenglanz in allen Einzelnheiten wieder in seine Vorstellung zu rufen24. Daher finden sich auch nachträgliche Aenderungen sehr selten25 und betreffen in der Regel nur Kleinigkeiten, z.B. Modificationen in Passagen, welche in Klavierpartien vorkommen, oder einzelne Wendungen in Gesangsachen. So war der Schluß der Arie des Grafen im Figaro (17) ursprünglich einfacher so
worauf an die Stelle des zweiten Takts vier colorirte Takte eingeschoben sind. Bezeichnender ist es, daß im letzten Finale, wo Figaro der verkleideten Susanne die verstellte Liebeserklärung macht, es ursprünglich hieß
[446] was Mozart dann für das affectirte Pathos der Situation nicht ausdrucksvoll genug erschien und von ihm mit dem übertriebenen
vertauscht wurde. Aber auffallend ist, daß das so außerordentlich charakteristische Motiv der Rachearie der Donna Anna im Don Giovanni (10)
ursprünglich anders lautete
und jeder wird fühlen, wie sehr dasselbe durch die Aenderung gewonnen hat. Wie sich denn in allen Fällen die von Mozart geübte Selbstkritik als eine auf seinem Gefühl und richtigem Takt beruhende erweist, auch wo nicht bestimmt nachweisbare technische Gründe sie bestimmten. In der Arie der Gräfin im Figaro (19) schloß der erste Abschnitt des Allegro von Takt 8 an ursprünglich so ab
[447] die jetzt bekannten Takte sind darunter geschrieben und der ursprüngliche Baß ist ausradirt. Im weiteren Verlauf des Allegro wurden ursprünglich die drei Takte
nach dem Zwischenspiel einfach wiederholt und es ging dann unmittelbar weiter
Mozart scheint, als er das Ganze wieder in sich entstehen ließ, gefühlt zu haben, daß der ungetrübte Ausdruck eines frischen, fröhlichen Aufschwungs, wie er nun im Allegro war, dem Charakter der Gräfin nicht völlig entspreche; er schob daher bei der Wiederholung jenes Motivs 7 Takte ein, welche eine Aenderung des Colorits hervorbrachten
In der stark hervorgehobenen Wendung nachC-moll, welches anfangs nur leicht berührt war, tritt ein so trüber Schmerz hervor, aus welchem eine tiefe Sehnsucht mit unwiderstehlichem Zauber hervorquillt, daß das muthige Emporstreben, [448] welches sich übrigens im Allegro ausspricht, wie mit einem Schleier verdeckt erscheint, indem der Hauptaccent des Ganzen offenbar auf diese Stelle fällt. Wer würde hier an ein Einschiebsel denken? oder nur ein ähnliches Verfahren erkennen, wie das des Ciseleurs der die Mängel des Gusses mit geschickter Hand überarbeitet? Man erkennt hier, daß eben nicht an einem schon Fertigen nachgebessert, sondern daß das Ganze durch einen freien Act der Production von Neuem hergestellt ist, und erst dadurch seine wahre und vollendete Gestalt empfangen hat. Daß aber auch Mozart mitunter im Moment der Entscheidung schwankte, daß er versuchte bis er das Rechte fand zeigt der Schluß der reizenden Arie der Susanne im Figaro (28), der, wie er jetzt ist, so natürlich gewachsen erscheint, daß man ihn sich nicht anders denken kann; und doch lehrt die nach der Originalpartitur mitgetheilte Notenbeilage II, daß er erst nach verschiedenen Versuchen so geworden ist26.
Merkwürdig ist es daß Mozart mitunter wegen des Rhythmus beim Aufschreiben schwankend war. So war das Quartett in Così fan tutte (21) ursprünglich so geschrieben
beim achten Takt wurde Mozart gewahr, daß dies nicht richtig sei, änderte die ersten Takte
und fuhr in dieser Weise dann fort. Ganz derselbe Fall ist es im Duett der Zauberflöte (8) wo Mozart auch anfangs so geschrieben hatte
[449] bis er am Schluß das Versehen gewahr wurde, darauf sorgfältig alle Taktstriche ausradirte und die richtigen zog27.
Aehnlich war in der Arie das Sesto im Titus (19) das Adagio anfangs so geschrieben
später sind die Taktstriche wegradirt und mit Röthel neue hineingezeichnet, so daß es mit dem vollen Takt beginnt.
Sehr selten sind in der Instrumentation erhebliche Aenderungen vorgenommen28; die eigenthümliche Klangfarbe, welche auf der Combination der Instrumente beruht, ist ein so wesentliches Element der bestimmten musikalischen Gestalt, [450] daß sie nicht erst später als etwas selbständiges hinzugethan wird, sondern mit der Erfindung selbst gegeben und bei der Durchbildung und Verarbeitung fortwährend an ihrem Theil maaßgebend ist. Wenn also der Componist sein Werk seinem inneren Gehör aufführt, so hört er nicht nur gewissermaßen abstracte Töne, sondern die bestimmt individualisirten, wie sie durch Gesang und Instrumente verkörpert werden; das Bild des Ganzen steht ihm im vollen Farbenglanz lebendig vor der Seele, es bedarf auch in dieser Hinsicht nur der Fixirung desselben29. Dabei ist nun freilich nicht zu übersehen daß Mozart das Orchester, wie er es vom Idomeneo an mit immer steigender Wirkung anwendete, erst selbst geschaffen hat; die vollständige Benutzung der Blasinstrumente, ihre Combination unter einander, ihre Verbindung mit den Saiteninstrumenten, die dadurch hervorgebrachte wesentlich veränderte Färbung der Instrumentation im Ganzen und die Fülle von reizendem Detail in der Mischung der Klangfarben ist sein Werk. Diese Klangwirkungen hatte er nirgends gehört; freilich steckten sie im Orchester wie die Statue im Marmor, aber wie der Bildhauer diese mit dem geistigen Auge erschauet haben muß um sie aus dem Stein hervorzurufen, so konnte er nur durch Divination mit seinem [451] geistigen Ohre die Klänge vernehmen, welche er dem Orchester entlocken sollte. Um so bewundernswürdiger ist die Sicherheit, mit welcher er aus reiner Intuition auch über diese Mittel verfügte.
Die einzelnen Fälle von Aenderungen, welche bisher erwähnt wurden, sind nicht etwa aus einer reichen Fülle ähnlicher Beispiele als besonders merkwürdige ausgewählt, sondern es sind so ziemlich die einzigen von einigem Belang, welche mir bekannt geworden sind: dies ist wichtig für die Vorstellung welche von der eigentlichen Thätigkeit Mozarts beim Niederschreiben der Partitur gegeben wurde. Er begnügte sich aber nicht vor der Abfassung der Partitur jenen flüchtigen Umriß zu entwerfen, der in einem Zuge den Verlauf des Ganzen darstellte, sondern er machte auch bei einzelnen Stellen, wo es ihm darauf ankam das Detail ganz genau zu übersehen, ausgeführtere Skizzen. Canonische, fugirte, überhaupt contrapunktisch gearbeitete Stellen, in denen die Stimmführung complicirter war, oder welche aus irgend einem Grunde Schwierigkeiten darboten, deren Mozart sich ganz versichern wollte, pflegte er auf kleinen Blättern, oder wo er auf schon beschriebenem Notenpapier noch freien Raum fand, erst auszuführen ehe er sie. in die Partitur eintrug. So hatte er von der Stelle im ersten Finale des Don Giovanni, wo die drei Tanzmelodien in verschiedenen Taktarten zusammentreffen, vorher eine genaue Skizze gemacht, welche ich bei Al. Fuchs sah, der sich von jeder der großen Opern Mozarts ein solches Skizzenblatt zu verschaffen gewußt hatte; ebenso von dem dreistimmigen Canon im zweiten Finale von Così fan tutte, wo nur der Canon, nicht auch die frei hinzutretende Stimme des Guglielmo notirt war. Auch zu der Oper L'oca del Cairo sind außer dem Partiturentwurf Skizzen derjenigen Stellen im Quartett (6) und [452] Finale (7) vorhanden, welche durch contrapunktische Stimmführung eine besondere Aufmerksamkeit erfordern konnten. Leider sind von solchen Skizzen nur wenige erhalten, aber auch diese zeigen Mozarts Verfahren ganz klar und lassen keinen Zweifel daß er bis in die letzte Zeit genaue Vorarbeiten der Art im Einzelnen vornahm um Alles ganz fest abgeschlossen zu haben, ehe er sich an die letzte Redaction der Partitur machte. Es zeugt das von der Besonnenheit und Ueberlegung mit welcher er arbeitete, von den strengen Anforderungen, die er an sich stellte, von seiner Gewissenhaftigkeit, welche sich der glücklichen Eingebung des Augenblicks und der sicheren Fertigkeit nicht ohne Noth anvertrauen wollte; es giebt uns eine ganz andere Vorstellung von dem schaffenden und arbeitenden Mozart als die vielfach verbreitete und bewunderte eines genialen Verschwenders auf künstlerischem Gebiet, der nur wenn die Noth ihn trieb sich entschloß die reisen Früchte zu sammeln, welche ohne seine Anstrengung das Genie ihm in den Schooß warf. Nicht das ist das Vorrecht des Genies, daß es nicht zu arbeiten, nicht Fleiß und Mühe daran zu setzen braucht, sondern daß seine Anstrengung das Ziel erreicht und daß das völlige Gelingen der Aufgabe in dem Werke selbst jede Spur der Arbeit und Mühe verwischt.
Auch im Aeußern der Mozartschen Partituren spricht sich Sorgfalt und Sinn für Ordnung und Klarheit aus. Die Handschrift ist ziemlich klein aber, wenn gleich häufig rasch und sogar flüchtig, doch stets deutlich, bestimmt und sich gleich bleibend30. Mit besonderer Genauigkeit ist auf die kleinen Details geachtet, in denen ein Irrthum namentlich [453] für den Abschreiber leicht möglich ist; alle Vortragszeichen sind in jeder Stimme sorgfältig angegeben; kurz, ohne daß irgendwo eine Pedanterie sich zeigt, die auf das Unwesentliche Werth legt und die Zeit durch ein Streben nach übertriebener Gleichmäßigkeit und Zierlichkeit vergeudet, machen diese Partituren den Eindruck einer wohlüberlegten zweckmäßigen Ordnung und einer Reinlichkeit und Sauberkeit, die auch im Aeußeren Fertiges und Abgerundetes zu geben liebt.
Für das bisher angedeutete Verfahren Mozarts ungemein bezeichnend sind auch die schon mehrfach erwähnten zahlreichen Anfänge unbeendigt gebliebener Compositionen, die, nur ein geringer Theil von derartigen Papieren seines Nachlasses31, im Mozarteum in Salzburg aufbewahrt werden32. Es sind sämmtlich nicht flüchtig skizzirte Entwürfe, [454] sondern in sauberer Reinschrift angefangene Partituren, deren Vollendung nur durch äußere Umstände verhindert zu sein scheint. Wie man nach Allem was bemerkt wurde annehmen muß, daß Mozart erst wenn er eine Composition im Wesentlichen fertig im Kopfe trug sich ans Niederschreiben begab, so machen auch alle diese Anfänge durchaus den Eindruck des Fertigen. Wenn auch nur einige Takte niedergeschrieben sind, so bieten diese eine abgerundete Melodie, ein Motiv das eine weitere Ausführung bedingt; sind sie weiter fortgesetzt, so bilden sie ein wohlgegliedertes, fortschreitendes Ganze, das offenbar nicht abbricht, weil die Fortsetzung noch nicht vorhanden war, sondern weil ein Zufall das Aufschreiben derselben störte. Auch kann man immer erkennen daß nicht etwa nur einzelne Gedanken fixirt sind, sondern daß die Anlage und Ausführung des Ganzen klar vorlag, denn in der gewohnten Weise sind die einzelnen charakteristischen Züge der Ausführung angegeben, so daß auch aus diesen Entwürfen deutlich der Haupteindruck und die Entwickelungsfähigkeit der Motive noch zu entnehmen ist. Es scheint aber, als ob Mozart, wenn er einmal beim Niederschreiben einer Composition gestört und unterbrochen war, sich sehr schwer entschloß zu derselben zurückzukehren und sie zu vollenden. Daß er es konnte ist nicht zu bezweifeln, da ihm sein Gedächtniß unverbrüchlich treu war; allein sein Interesse war hauptsächlich bei den Sachen, welche er mit sich herumtrug und im Kopfe vollendete. War dies geschehen, [455] bedurfte es meistens schon eines Impulses um ihn zum Niederschreiben zu bewegen und dieser leitete ihn natürlich auf das, was ihn zunächst beschäftigt hatte; zu dem, was für ihn abgethan war, zurückzukehren hatte er weder Trieb noch Bedürfniß. Auch findet sich keine Spur daß selbst nur Einzelnes von dem in Skizzen, vorläufigen Aufzeichnungen, angefangenen Compositionen Niedergeschriebenen je später von ihm benutzt worden sei; und es ist nicht allein ein Zeugniß von dem Reichthum und der Leichtigkeit seiner Productivität daß er auch bei sich selbst kein Anlehen machte, sondern es beweist daß sein Schaffen stets unmittelbar aus der momentanen künstlerischen Stimmung hervorging, daß jeder Impuls der ihn zur Production erregte auch einen neuen Keim hervorrief, der nur durch diese eigenthümliche Befruchtung zur lebendigen Entfaltung gedeihen konnte. Die individuelle Wahrheit, die frische Lebendigkeit der Mozartschen Musik ist in dieser wie ein natürlicher Quell stets aufsprudelnden Spontaneität der Erfindung begründet, die künstlerische Vollendung beruht auf der nicht geringeren Fähigkeit mit gleicher Elasticität und Zähigkeit, mit ebensoviel seinem Gefühl als fester Consequenz die einmal gefaßte Idee auszubilden: wie aber diese ganz eigenthümliche Schönheit und Anmuth, die als der unverkennbare Charakter der Mozartschen Musik leicht empfunden und genossen wird, entstanden sei, das wird wohl allen so räthselhaft bleiben als es ihm selbst erschien.
Daß Mozart, wie sorgfältig er auch das Niederschreiben seiner Compositionen um ganz sicher zu sein vorzubereiten pflegte, doch wenn es darauf ankam im Stande war dem Augenblick zu gebieten und auch schreibend zu improvisiren kann schon nach dem, was wir von seiner Organisation und seiner Bildung wissen, nicht zweifelhaft sein. Daß er ein [456] Lied, wie er es für Frau v. Kees im Wirthshaus schnell aufschrieb (S. 323) schon vorher im Kopf fertig gehabt habe, ist wohl sehr zweifelhaft. Als er anfangs 1787 in Prag war, versprach er dem Grafen Joh. Pachta für die adeligen Gesellschaftsbälle einige Contratänze zu schreiben, die er aber nicht lieferte. Endlich ließ ihn der Graf zum Diner einladen, aber eine Stunde früher als er zu speisen pflegte, und da Mozart erschien, legte er ihm alles erforderliche Schreibmaterial vor und bat ihn inständigst die Tänze zu componiren, die am folgenden Tage gespielt werden sollten. Mozart setzte sich hin und vor dem Essen waren vier Contratänze fürs große Orchester in Partitur geschrieben, an die Mozart schwerlich vorher ernstlich gedacht hat33. Doch in diesem und ähnlichen Fällen handelt es sich um leichte Musikstücke freier Form; wir haben aber auch gesehen (S. 337ff.) daß er Canons und Doppelcanons von nicht gemeiner Art improvisirte. Und was bedarf es eines weiteren Zeugnisses als einer Erinnerung an seine bewunderte Gabe frei zu phantasiren?
Diese Fertigkeit auf dem Klavier zu improvisiren diente ihm übrigens nie als Aushülfe beim Componiren. »Während des Schreibens kam er nie zum Klavier«, berichtet Niemtschek S. 54; »seine Imagination stellte ihm das ganze Werk, wenn es empfangen war, deutlich und lebhaft dar.« Auch seine Frau sagt naiv, aber treffend: »Er componirte nie am Klavier, sondern schrieb Noten wie Briefe und probierte seinen Satz erst, wenn er vollendet war«34. Er bedurfte [457] also keiner Nachhülfe um durch den sinnlichen Eindruck sich der Wirkung seiner musikalischen Conceptionen im Ganzen oder Einzelnen zu vergewissern, geschweige daß er am Klavier seiner Phantasie Nahrung oder seinen Gedanken bestimmte Form zu geben gesucht hätte35.
Etwas von solchen Nothbehelfen und Eselsbrücken des Componirens im Wesen verschiedenes ist es, daß Mozart das Bedürfniß empfand der Fülle von musikalischen Gedanken die in ihm lebten und webten auch einen Ausdruck zu verleihen, sie in sinnlicher Energie vernehmbar auszusprechen, wofür ihm das Instrument, welches er als Meister beherrschte, das Klavier zu Gebote stand. »Auch in seinen Mannsjahren« erzählt Niemtschek (S. 54f.) »brachte er halbe Nächte am Klavier zu36; dies waren eigentlich die Schöpferstunden seiner himmlischen Gesänge. Bei der schweigenden Ruhe der Nacht, wo kein Gegenstand die Sinne fesselt, entglühte seine Einbildungskraft zu der regsten Thätigkeit [458] und entfaltete den ganzen Reichthum der Töne, welchen die Natur in seinen Geist gelegt hatte. Hier war Mozart ganz Empfindung und Wohllaut, hier flossen von seinen Fingern die wunderbarsten Harmonien! Wer Mozart in solchen Stunden hörte, der nur kannte die Tiefe, den ganzen Umfang seines musikalischen Genies: frei und unabhängig von jeder Rücksicht durfte da sein Geist mit kühnem Fluge sich in die höchsten Regionen der Kunst schwingen.« Daß in solchen Stunden, wo er frei seinem Genius sich hingab und seiner Kraft sich im Genuß erfreute, das was seinen Geist musikalisch beschäftigte, die Ideen, mit welchen er sich trug, sehr häufig den Gegenstand seiner Phantasien ausmachten konnte um so weniger ausbleiben, da er hier gar keine Rücksicht irgend einer Art zu nehmen hatte, sondern einzig und allein dem inneren Impuls folgte. Indessen würde man sich sehr irren, wollte man solches Phantasiren als eine directe Vorbereitung, oder wohl gar als die eigentliche Quelle für ein später darzustellendes Kunstwerk ansehen; je bestimmter die Phantasie der Ausdruck der momentan erregten Stimmung, je fester sie der Form und Darstellung nach an das Instrument gebunden war, auf welchem sie ausgeführt wurde, um so weniger konnte sie unmittelbar einem mit anderen Mitteln, zu einem bestimmten Zweck auszuführenden Kunstwerk zur Grundlage dienen. Sie war um ihrer selbst willen da, erfüllte ihren Zweck in sich, und wenn das was eine begeisterte Improvisation hervorgerufen hatte in der Seele des Künstlers fortlebte und weiter ausgebildet wurde, so war das ein Moment unter den unzähligen, untrennbaren die in einer unsichtbaren Kette den schöpferischen Funken fortleiteten.
Mozart hielt auch das Schreiben der Zeit nach von dem Phantasiren geschieden. Er blieb auch in späterer Zeit der früher angenommenen Lebensweise getreu daß er die frühen [459] Morgenstunden zum Schreiben anwendete (S. 68), und pflegte, selbst wenn er abends in Gesellschaft gewesen war oder bis tief in die Nacht gespielt hatte, morgens um sechs oder sieben Uhr zu schreiben; nur daß er sich später die Bequemlichkeit gestattete dies im Bett zu thun. Von 10 Uhr an gab er gewöhnlich seine Unterrichtsstunden, und setzte sich nicht ohne dringende Veranlassung später wieder an den Schreibtisch. Dergleichen Veranlassungen mochten freilich oft genug vorkommen. Als er den Figaro componirte, verlegte er, wie der Vater Marianne mittheilt (11. Nov. 1785), alle seine Scolaren auf den Nachmittag um den ganzen Vormittag zum Schreiben frei zu haben, und man weiß schon daß er auch den Abend und die Nacht gelegentlich zu Hülfe nehmen mußte37.
Nicht allein in den Stunden einsamer Ruhe und Abgeschiedenheit und um das innere Bedürfniß zu befriedigen pflegte Mozart zu phantasiren; er zeigte sich als Meister der Improvisation auch wo ihm die Anregung von außen kam, und an dieser fehlte es nicht, da man ihn, wenn er spielte, am liebsten phantasiren hörte. Es liegt ein wunderbarer Zauber in dieser künstlerischen Leistung, welche Schaffen und Darstellen in einer Person und in einem Moment vereinigt, und die höchste Concentration aller künstlerischen Kräfte ist erforderlich um alle die verschiedenartigen Bedingungen, von welchen das Hervorbringen und Darstellen eines Kunstwerks abhängt, in jedem Moment vollständig zu erfüllen. Gelingt es durch si chere Beherrschung der Mittel aller Art und schwungvolle Begeisterung diese Aufgabe zu lösen, so wird sie nicht allein den Eindruck einer siegreichen künstlerischen [460] Kraft und Gewalt hervorbringen, sondern als der unmittelbare, volle Ausdruck der ganzen Individualität des Künstlers in ihrer lebendigsten Energie von hinreißender Wirkung auf den Zuhörer sein, der sich selbst in den Zauberkreis des Schaffens hineingezogen fühlt, sowie dessen sympathisches Gefühl den Künstler höher erhebt. Mozart, der immer bereit war zu spielen, wo er damit Freude machte, phantasirte am herrlichsten38, »wenn er aufgefordert zum Spielen im Kreise der ihn umringenden Menge ein Paar seiner Auserwählten erschaute, die ihn zu verstehen fähig, seinem Geistesflug zu folgen erkoren waren39, denen er sich nun, unbekümmert und gedankenlos für alles Uebrige ganz hingab, mit ihnen allein nur in den Hieroglyphen der Tonsprache redete, einzig für sie im unermeßlichen Reiche der Klänge sein volles Herz ausströmte«40. Welchen Eindruck solche Phantasien machten dafür möge nur ein Zeugniß angeführt werden. Ambros Rieder, der 1851 als Regenschori in Perchtolsdorf achtzig [461] Jahr alt starb, ein eifriger Musiker und braver Mann, schreibt in seinen Lebenserinnerungen41: »Als Jüngling bewunderte ich manchen ausgezeichneten Virtuosen sowohl auf der Violine als auf dem Flügel; aber wer kann sich mein Erstaunen vorstellen, als ich so glücklich war den unsterblichen großen W.A. Mozart bei einer zahlreich versammelten und ansehnlichen Gesellschaft auf dem Pianoforte nicht nur variiren, sondern auch phantasiren zu hören. Dies war für mich eine neue Schöpfung mit ganz anderem Wesen als ich bisher zu hören und zu sehen gewohnt war. Den kühnen Flug seiner Phantasie bis zu den höchsten Regionen und wieder in die Tiefen des Abgrundes konnte auch der erfahrenste Meister in der Musik nicht genug bewundern und anstaunen. Noch jetzt, ein Greis, höre ich diese himmlischen, unvergeßlichen Harmonien in mir ertönen und gehe mit der vollsten Ueberzeugung zu Grabe daß es nur einen Mozart gegeben habe«42.
Von der Fertigkeit, welche Mozart hatte »aus dem Kopfe zu spielen« wie er es nannte43 und wie er auch die schwierigsten und strengsten Formen dabei mit Leichtigkeit handhabte ist schon wiederholt die Rede gewesen44. Auch dadurch [462] zeichnete er sich vor den übrigen Virtuosen aus, von denen mancher bei der damals üblichen Sitte große Cadenzen zu improvisiren »das was er im Concert selber gut vortrug bei der Cadenz wieder verhunzte«, wie Dittersdorf sich ausdrückt (Selbstbiogr. S. 47). Damals kam, wie er berichtet, die neue Sitte auf anstatt eine lange Cadenz zu machen in ein simples Thema überzugehen das nach allen Regeln der Kunst variirt wurde45; Mozart pflegte aber in seinen Concerten sich auch in einer freien Phantasie zu ergehen (S. 203f.). So erzählt Rochlitz (A. M. Z. I S. 113f.) daß man in Leipzig am Schluß des Concerts wünschte ihn noch allein spielen zu hören, wozu er, obgleich er zwei Concerte eine obligate Scene gespielt und fast zwei Stunden accompagnirt hatte, sofort bereit war. »Er setzte sich nochmals hin und spielte um allen alles zu werden. Er begann einfach, frei und feierlich in C-moll – doch es ist eine Albernheit so etwas beschreiben zu wollen. Da er hier mehr auf Kenner Rücksicht genommen hatte, senkte er sich im Fluge seiner Phantasie nach und nach herab und beschloß mit den gedruckten Variationen über Je suis Lindor«46. Von dem Concert welches er im Februar 1787 in Prag gab berichtet Stiepanek (Nissen S. 517): »Zum Schluß der Akademie [463] phantasirte Mozart auf dem Pianoforte eine gute halbe Stunde und steigerte dadurch den Enthusiasmus der entzückten Böhmen aufs höchste, so daß er durch den stürmischen Beifall welchen man ihm zollte sich gezwungen sah nochmals an das Klavier sich zu setzen. Der Strom dieser neuen Phantasie wirkte noch gewaltiger und hatte zur Folge daß er von den entbrannten Zuhörern zum drittenmal bestürmt wurde. Mozart erschien und innige Zufriedenheit über die allgemeine enthusiastische Anerkennung seiner Kunstleistungen strahlte aus seinem Antlitz. Er begann zum drittenmal mit gesteigerter Begeisterung, leistete was noch nie gehört worden war, als auf einmal aus der herrschenden Todesstille eine laute Stimme im Parterre rief: Aus Figaro! worauf Mozart in das Motiv der Lieblingsarie Non più andrai einleitete, ein Dutzend der interessantesten und künstlichsten Variationen aus dem Stegreif hören ließ und unter dem rauschendsten Jubel diese merkwürdige Production endigte«47.
In solchen Momenten der Begeisterung am Klavier nahm auch sein Aeußeres einen Ausdruck an, der den Zuhörer den großen Künstler erkennen ließ, den man sonst in ihm nicht vermuthete48. Er war klein aber von proportionirtem Körperbau mit kleinen Händen und Füßen, früher mager und erst in den letzten Lebensjahren mehr corpulent. Der Kopf war im Verhältniß zum übrigen Körper etwas zu groß; [464] das stets blasse Gesicht war nicht unangenehm, aber verrieth nichts Außergewöhnliches, auch die Mozartsche Nase fiel nur in den Jahren, da er mager war, durch ihre Größe auf. Das ziemlich große und gut geschnittene Auge mit schönen Brauen und Wimpern war gewöhnlich etwas matt, der Blick unstät und zerstreuet: der gesammte Eindruck kein bedeutender49. »Aber dieser immer zerstreute Mensch« heißt es in Schlichtegrolls Nekrolog »schien ein ganz anderes, schien ein höheres Wesen zu werden, sobald er sich an das Klavier setzte. Dann spannte sich sein Geist und seine Aufmerksamkeit richtete sich ungetheilt auf den einen Gegenstand, für den er geboren war, auf die Harmonie der Töne.« »Da änderte sich sein ganzes Antlitz«, sagt Niemtschek »ernst und gesammelt ruhte dann sein Auge; in jeder Muskelbewegung drückte sich die Empfindung aus, welche er durch sein Spiel vortrug und in dem Zuhörer so mächtig wieder zu erwecken vermochte«50.
1 Auf dem Autograph der für Adamberger 1783 componirten Arie (S. 101) findet sich die Bemerkung von Mozarts Hand: »Müssen alle Stimmen herausgezogen werden und radoppirt – gleich aber die parte cantante und gleich dem Herrn Adamberger hinschicken.«
2 Vgl. S. 180. Auch von Paris aus glaubte Mozart den Vorwurf der Faulheit von sich abwehren zu müssen (II S. 273), und schrieb noch in Wien dem Vater (26. Mai 1781): »Glauben Sie mir sicher, daß ich nicht den Müssiggang liebe, sondern die Arbeit.«
3 Ebenso wurde sie berichtet A. M. Z. I S. 52; von Stiepanek in der Vorrede zur böhmischen Uebersetzung des Don Giovanni, welche mir nur durch Nissen bekannt ist (S. 520).
4 »Es giebt närrische Leute!« sagt Hoffmann dazu, der in den Fantasiestücken gegen die verbreitete Interpretation dieser Anekdote energisch protestirt (ges. Schr. VII S. 68f.).
5 C.M. v. Weber hebt aus eigener Erfahrung »die unseligen Folgen der auf ein junges Gemüth so lebhaft wirkenden Wunderanecdoten von hochverehrten Meistern, denen man nachstrebt« hervor (hinterl. Schr. I S. VIII).
6 Rochlitz hat öfter und besonders in dem Aufsatz Ein guter Rath Mozarts (A. M. Z. XXII S. 297ff. Für Freunde der Tonk. II S. 281ff.) über Mozarts Art zu arbeiten richtigere Ansichten ausgesprochen.
7 Dieser oft gedruckte Brief ist zuerst von Rochlitz mitgetheilt (A. M. Z. XVII S. 561ff.). Da unabweisbare Gründe darthun, daß Rochlitz dabei Zusätze und Aenderungen gemacht haben müsse, so habe ich den ganzen Brief mit den nöthigen kritischen Erörterungen Beil. XXI abdrucken lassen. Allerdings werden dadurch auch Zweifel an der Authenticität des hier mitgetheilten Abschnittes rege, und vermuthlich wird der Leser an manchen Stellen einen Abstich gegen die aus so vielen unzweifelhaften Briefen Mozarts ihm bekannte Ausdrucksweise desselben empfinden; aber da es nicht erwiesen ist, daß der Brief ganz untergeschoben sei, er vielmehr nur eine Redaction erfahren zu haben scheint, so durfte dies Document hier nicht übergangen werden.
8 Nissen S. 655, dessen Quelle ich nicht nachweisen kann. vgl. IV. S. 300 Anm. 44.
9 Rochlitz A. M. Z. I S. 115f. Für Freunde der Tonkunst IV S. 239.
10 So erklärte Haydn, Händel sei groß in seinen Chören, aber mittelmäßig im Sologesang (Griesinger biogr. Not. S. 115).
11 Beethovens Aeußerung: »Händel ist der unerreichte Meister aller Meister! geht hin und lernt mit wenigen Mitteln so große Wirkungen hervorbringen!« ist bekannt (Studien, Anhang S. 22). Gluck führte Kelly, wie dieser erzählt (Remin. I p. 255), in sein Schlafzimmer und zeigte ihm Händels Bild, welches er neben seinem Bett aufgehängt habe, um beim Erwachen ehrfurchtsvoll den gigantischen Genius zu begrüßen, den er sein Lebelang als Muster zu studiren beflissen gewesen sei.
12 Rochlitz A. M. Z. I S. 117.
13 »Die große Arbeitsamkeit in den letzten Jahren seines Lebens, sagt seine Frau« – so berichtet Nissen S. 694 – »bestand darin daß er mehr niederschrieb. Eigentlich arbeitete er von jeher im Kopfe immer gleich, sein Geist war immer in Bewegung, er componirte so zu sagen immer. Obgleich seine Frau von seinen Verehrern immer angegangen wurde ihn zur Arbeit anzuhalten, so mußte sie es doch für Pflicht ansehen, ihn öfters nur noch abzuhalten und ihn zu temperiren.«
14 Daß er auch die mehr untergeordnete Fähigkeit besaß fremde Compositionen rasch zu übersehen, aufzufassen und vorzutragen (vgl. II S. 111), läßt sich denken. Seine Fertigkeit vom Blatt zu spielen wird von früher Jugend an oft erwähnt (I S. 56. 187. II S. 60. 69. 104. 108), und was er für Ansprüche daran machte sieht man aus seiner Kritik Sterkels und Voglers (II S. 109f.). Charakteristisch ist eine Aeußerung Umlaufs welche er seinem Vater mittheilt (6. Oct. 1782). »Das ist gewiß«, hatte dieser gesagt »der Mozart hat den Teufel im Kopf, im Leib und in Fingern – er hat mir meine Opera gespielt (die so miserabel geschrieben ist daß ich sie selbst fast nicht lesen kann), als wenn er sie selbst componirt hätte.«
15 Niemtschek S. 56f. Rochlitz A. M. Z. I S. 113. Für Freunde der Tonkunst II S. 287.
16 Wie außerordentlich sein Gedächtniß war beweist folgende Anekdote (Nissen S. 560). In Prag schrieb er die Trompeten- und Paukenstimmen zum zweiten Finale des Don Giovanni ohne Partitur auf, brachte sie selbst ins Orchester und machte die Spielenden auf eine Stelle aufmerksam, wo jedenfalls ein Irrthum sich finden würde, nur könne er nicht sagen, ob vier Takte zu viel oder zu wenig da wären; der bezeichnete Irrthum fand sich auch nachher.
17 Rochlitz A. M. Z. XXII S. 298ff. Für Freunde der Tonkunst III S. 283ff.
18 Eine alte lederne Tasche, welche von ihm hierzu benutzt wurde, bezeichnete er gegen seine Frau und nähere Freunde scherzhaft als das Portefeuille, worin er seine Werthpapiere aufbewahre.
19 Eine erhebliche Abweichung findet zwischen dem ersten flüchtigen Entwurf des Terzetts (5) aus der Oper Lo sposo deluso, welchen Jul. André in der Vorrede zum Klavierauszug mitgetheilt hat, und der späteren Ausführung Statt. Hier ist nichts geblieben als das erste Motiv
die Anwendung desselben aber so verschieden, daß es bei der Ausarbeitung der Skizze gar nicht mehr zum Anhaltspunkt gedient haben kann, sondern als eine frühere, später durch eine wesentlich andere Auffassung zurückgedrängte Conception zu betrachten ist.
20 André handschr. Verz. G.
21 Ob die Notate auf der Rückseite des Skizzenblattes zu demselben Terzett gehören ist zweifelhaft.
22 Von manchen Werken sind die, meistens später nicht ausgeführten, Anlagen der Partitur erhalten. Lehrreich sind besonders die nicht ausgearbeiteten Sätze der C-moll Messe und des Requiems in den von André besorgten Ausgaben; auch die Klavierauszüge des S. 84 erwähnten Duetts aus der Entführung, sowie der unvollendeten Oper L'oca del Cairo von Jul. André geben von diesen Entwürfen eine Vorstellung. Sie gewähren ein eigenthümliches Interesse, weil sie die Punkte so klar hervortreten lassen, welche Mozart bei der Gestaltung als die wesentlichen, als die Keimpunkte ins Auge faßte.
23 Sehr lehrreich ist die von André herausgegebene Partitur der W.A. Mozartschen Ouverture zur Zauberflöte, in welcher durch schwarze und rothe Farbe die erste Aufzeichnung und die spätere Ausführung unterschieden sind.
24 Bezeichnend ist der S. 330 erwähnte Fall, wo er beim ersten Niederschreiben seinem Gedächtniß dadurch eine Stütze bot daß er eine eigenthümliche Harmoniefolge, die vielleicht im Moment des Niederschreibens in ihm aufblitzte, durch Bezifferung des Basses fixirte.
25 Es ist natürlich hier nicht von solchen Aenderungen die Rede, welche aus äußeren Gründen, der Sänger oder Instrumentalisten wegen gemacht wurden. Charakteristisch ist in dieser Hinsicht die bereits (S. 99f.) angeführte Aeußerung, mit welcher er dem Vater die Partitur der Entführung zuschickte, es sei viel darin ausgestrichen, denn er habe, weil die Partitur doch gleich dort copirt werden würde, seinen Gedanken freien Lauf gelassen und darauf seine Veränderungen und Abkürzungen gemacht, ehe er die Partitur zum Schreiben gab. Denn diese Aenderungen sind fast alle aus Rücksicht auf Aeußerlichkeiten der Darstellung gemacht.
26 Auffallend sind in der Ouverture zur Zauberflöte (S. 10 André) die beiden Takte, in welchen die Clarinette die Wiederholung des zweiten Motivs einleitete
welche mit vollem Rechte von Mozart bei der Ausarbeitung weggestrichen sind.
27 Bei diesem Duett findet sich noch ein bei Mozart sehr seltenes Versehen; es fehlen nämlich im zweiten und dritten Takt die beiden Accorde der Clarinetten und Hörner, welche er offenbar beim Instrumentiren austrich.
28 Hier ist natürlich nicht von eigentlichen Arrangements die Rede, oder wenn bei einigen Orchesterwerken die Instrumentation verstärkt ist; wovon später.
29 Eins dieser seltnen Beispiele ist es, daß in der Introduction der Zauberflöte gleich von Anfang her Trompeten und Pauken in C angewendet waren. Sie sind vollständig eingetragen bis zum Eintritt der drei Damen; für diesen sind ihm die Trompeten und Pauken wirksamer erschienen, er hat sie im Vorhergehenden ausgestrichen und auf einem Beiblatt Trompeten und Pauken in Es notirt, welche das Triumphlied der drei Damen (7 Takte) begleiten und die in der gedruckten Partitur fortgeblieben sind. In Così fan tutte ward in der Arie der Dorabella (28) auch in den Stellen, wo die Blasinstrumente allein angewendet sind, ursprünglich der Grundbaß vom Contrabaß angegeben; später hat Mozart dies gestrichen und noch ausdrücklich hinzugesetzt senza Basso.
30 Das dem ersten Band als Facsimile beigegebene Blatt mit dem Veilchen giebt eine Vorstellung von Mozarts Handschrift während der Zeit seines Wiener Aufenthalts.
31 Das vom Abbé Stadler entworfene Verzeichniß unvollendeter Compositionen Mozarts, welche sich in seinem Nachlaß vorfanden, ist nach Nissen mit den nöthigen Bemerkungen Beilage XXII mitgetheilt.
32 Unter diesen Partiturentwürfen, von denen einige in der Notenbeilage III mitgetheilt sind, finden sich fünf Anfänge des Kyrie, die noch der Salzburger Zeit angehören, sowie vielleicht auch einige der angefangenen Instrumentalcompositionen; bei weitem die meisten aber fallen in die Wiener Zeit. Unter diesen sind besonders bemerkenswerth
5 Bruchstücke von Quintetts für Saiteninstrumente
1 Quintett für Clarinette und Saiteninstrumente.
7 Entwürfe von Violinquartetts
9 Entwürfe von Klavierconcerts
2 Entwürfe von Klaviertrios.
1 Sonate für Klavier und Violoncell
2 Sonaten für Klavier und Violine
4 Satze für 2 Klaviere
9 Sätze für Klavier
Unter mehreren Anfängen von Orchestercompositionen, die wohl nach Salzburg gehören, ist der Anfang einer Ouverture in Es-dur beachtenswerth, welche der vollständigen Instrumentation wegen – es sind alle Blasinstrumente, auch Clarinetten, vorgezeichnet – erst in Wien entstanden sein kann. Nach einem Andante von wenigen Takten tritt ein Allegro moderato von so ernstem Ausdruck ein, daß die Ouverture für keine Opera buffa bestimmt gewesen sein kann. Sollte Mozart dieselbe für die Zauberflöte bestimmt und, als ihm der Gedanke jener später vollendeten aufging, zurückgelegt haben?
33 Nissen S. 561. Bohemia 1856 N. 22 S. 118, wo erzählt wird, daß der Virtuose Farek, der damals im Dienst des Grafen Pachta stand, das Originalmanuscript dieser Tänze – die Mozart nicht in sein thematisches Verzeichniß eingetragen hat – aufbewahrte.
34 A. M. Z. I S. 855. Nissen S. 473. Gewöhnlich war es seine Frau, mit welcher er die eben fertigen Compositionen spielend und singend versuchte; oder wer ihm sonst verkam. Kelly (Remin. I p. 258f.) erzählt daß er eines Abends zu Mozart gekommen sei, der ihm gesagt habe: »So eben habe ich ein kleines Duett zum Figaro fertig gemacht, Sie sollen es hören.« Er setzte sich aus Klavier und sie sangen es zusammen; es war das Duett Crudel perchè finora, und Kelly sagt, daß er sich oft bei dem Gedanken gefreuet habe, dies reizende Duett zuerst gehört und mit Mozart gesungen zu haben.
35 Wenn Winter mit seinen Seitenblicken auf die Componisten, deren Conceptionen nicht aus dem Inneren kamen, sondern durch Geklimper hereingebracht wären, und die durch Klaviervirtuosität erzeugten Zauberopern (II S. 108) auch auf Mozart deuten wollte, wie nur zu wahrscheinlich ist, so wußte er nicht was er that.
36 »Von seiner Kindheit an« heißt es in Schlichtegrolls Nekrolog »spielte er am liebsten bei der Nacht; wenn er sich Abends um 9 Uhr an das Klavier setzte, so brachte man ihn sicher vor Mitternacht nicht wieder davon weg und auch dann mußte man ihn halb zwingen; sonst würde er die ganze Nacht fort phantasirt haben.«
37 »Ich muß diesen Abend« schreibt er dem Vater (8. Jan. 1783) »noch ein Rondo für meine Schwägerin Lange machen, welches sie Samstag in einer großen Akademie auf der Mehlgrube singen wird« (S. 204).
38 So berichtet ein Zeitgenosse bei Gelegenheit einer Phantasie und Fuge von Stadler, welche ihn an Mozart erinnerte, Wiener Allg. Mus. Ztg. 1818 N. 8 S. 62.
39 Vgl. S. 325.
40 Als eine ganz besondere Eigenthümlichkeit hebt Rochlitz (A. M. Z. III S. 590f.) Mozarts humoristischen Witz hervor. »Wenn er auf dem Fortepiano phantasirte, wie leicht war es ihm da ein Thema so zu bearbeiten, es hier so possierlich, dort so gravitätisch, nun so halsbrechend und spitz, oder so flehentlich und miserabel u.s.w. auftreten oder hervorlauschen oder sich hindurcharbeiten zu lassen, daß er mit seinen Zuhörern – und hatte ein ungünstiges Schicksal ihm die offenbarsten Murrkopie (nur nicht ganz ohne musikalische Cultur) hingesetzt – machen konnte was er wollte. Das – grade das, hat vielleicht vor und nach ihm nie ein Klavierspieler in diesem Maaße gehabt. Ich kenne das Spiel der meisten ausgezeichneten Virtuosen auf diesem Instrument seit Mozart (Beethoven nicht); ich habe so vieles Vortreffliche – aber von jenem unerschöpflichen Witz auch nicht das Aehnliche gehört.«
41 Mitgetheilt in der neuen Wien. Mus. Ztg. 1856 N. 25.
42 In einem Bericht über Beethoven heißt es (A. M. Z. I S. 525): »Er zeigt sich am allervortheilhaftesten in der freien Phantasie. lind hier ist es wirklich ganz außerordentlich, mit welcher Leichtigkeit und Festigkeit in der Ideenfolge er auf der Stelle jedes ihm gegebene Thema nicht etwa nur in den Figuren variirt, sondern wirklich ausführt. Seit Mozarts Tode, der mir hier noch immer das non plus ultra bleibt, habe ich diesen Genuß nirgend in dem Maaße gefunden als bei Beethoven.« Doch gestand jene unglückliche Frau (S. 175), als sie bei einem späteren Besuch in Wien Beethoven phantasiren hörte, daß er ihr Mozart noch zu übertreffen scheine.
43 II S. 72. 104. 108. 118. 324.
44 II S. 69. 107.
45 Der Beifall, welchen besonders Mozart und Clementi durch dieses improvisirte Variiren fanden, rief eine allgemeine Variir- und Fantasirwuth hervor, daß man nach Dittersdorfs Versicherung gewiß sein konnte, wo man in Concerten ein Fortepiano anschlagen hörte, mit verkräuselten Thematen regalirt zu werden. Er erzählt auch mit Entrüstung, daß als Dulon auf der Flöte allein Variationen improvisirte, ein Graf ausgerufen habe, nun erst habe die Kunst den Gipfel erreicht; denn daß ein Mozart auf dem harmoniereichen Flügel phantasire das sei keine Kunst, aber wenn ein Flötist auf seinem sterilen Instrument das nämliche leiste, das sei zu bewundern!
46 Vgl. S. 11.
47 Auch Niemtschek sagt von dieser Akademie (S. 27): »Der Zustand einer süßen Bezauberung löste sich, als Mozart allein auf dem Pianoforte mehr als eine halbe Stunde phantasirte und unser Entzücken auf den höchsten Grad gespannt hatte, in laute überströmende Beifallsäußerung auf. Und in der That übertraf dieses Phantasiren alles was man sich vom Klavierspielen vorstellen konnte, da der höchste Grad der Compositionskunst mit der vollkommensten Fertigkeit im Spiele vereinigt war.«
48 Vgl. Nissen S. 622f. Niemtschek S. 44.
49 Mozart war wie wir sahen nicht ganz frei von Eitelkeit (S. 235) und sahe es ungern, wenn man merken ließ, daß sein Aeußeres wenig verspreche (II S. 99). »Er war einmal recht böse«, erzählt Nissen S. 692 »als er hörte daß der preußische Gesandte jemanden ein Empfehlungsschreiben an ihn gegeben und dabei gesagt hatte, man möge sich an Mozarts unbedeutendes Aeußere nicht stoßen.«
50 Diesen Ausdruck suchte das schon S. 142 erwähnte Bild wiederzugeben, auf welchem Mozarts Schwager, der Schauspieler Lange, – welcher anfangs Maler werden wollte und diese Kunst auch später übte – ihn am Klavier sitzend darstellte; er konnte aber nur den Kopf einigermaßen ausführen. Eine ganz unkenntliche Lithographie dieses Portraits ist von Nissen S. 466 mitgetheilt; mir liegt eine Photographie desselben vor. Eben dieses Bild, vermuthlich nach einer in Kopenhagen davon genommenen Copie, liegt dem lithographirten Portrait Mozarts zu Grunde, das in Kopenhagen erschienen ist.
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