War das Klavier in Wien »dem Klavierland« das Hauptinstrument aller dilettantischen Unterhaltung, so hatte daneben das Quartett für Saiteninstrumente einen wesentlichen [66] Platz in der Hausmusik gewonnen. Die Ausführung war, wenn auch in einzelnen Fällen gebildete Dilettanten sich dabei betheiligten, doch in der Regel Mußkern anvertrauet; es konnten daher auch die künstlerischen Anforderungen in jeder Hinsicht mit größerer Strenge geltend gemacht werden. Auf der anderen Seite bedurfte es dazu nicht allzu großer Mittel, sodaß nicht allein vornehme Herren, die keine eigene Kapelle hatten, doch ein ständiges Quartett trefflicher Künstler unterhielten, sondern auch in bürgerlichen Kreisen Quartettspiel zu den regelmäßigen musikalischen Unterhaltungen gehörte1. Bekanntlich ist es Jos. Haydn, welcher dem Quartett die charakteristische Form gegeben und dasselbe mit der seltensten Vielseitigkeit ausgebildet hat. Für vier Saiteninstrumente hatten auch Andere componirt, das Saitenquartett in der bestimmten, von da an feststehenden Gestalt ist seine Schöpfung, welche er sein langes Leben hindurch gepflegt und gefördert hat. Selten ist es wohl einem Künstler in ähnlicher Weise gelungen für die individuelle Productivität die entsprechende Form zu finden: man mochte sagen, das Quartett sei für Haydn der natürliche Ausdruck seiner musikalischen Stimmung gewesen. Die Frische und Lebendigkeit, die Heiterkeit und Jovialität, welche seinen Compositionen ihren ganz eigenthümlichen Stempel gaben, verschafften ihnen den allgemeinsten Eingang, obgleich die Kenner und Gelehrten dies neue Element der Mußt anfangs mit Mißtrauen oder gar Verachtung betrachteten und erst allmählich anerkannten, wie mit dem Humor sich nicht allein Ernst und Tiefe der Empfindung sondern die gründlichste Einsicht in [67] das Wesen der Kunst und die geschickteste Handhabung aller ihrer Formen sich vereinigte. Unbekümmert um die Kritik ging Haydn seinen Weg fort, bildete in rastloser Thätigkeit das Quartett zu fester Gestalt aus und gewann durch seine in ununterbrochner Folge erscheinenden Arbeiten die Herrschaft über das Publicum; wer neben ihm auf demselben Felde sich versuchte, diente unter seinen Fahnen.
Mozart, der wie wir sahen (I S. 588ff.) in früheren Jahren diese Gattung nur wenig ausgebildet hatte und in seinen derartigen Compositionen das Studium der Muster Haydns deutlich erkennen läßt, mußte sich in Wien schon durch die weit verbreitete Vorliebe für das Quartett angetrieben fühlen, seine Kräfte auf diesem Gebiet zu prüfen. Wurde er im Verkehr mit van Swieten zu einem Studium Händels und Bachs geführt, das ihn zu fruchtbarer Nacheiferung anregte, so fand er hier in dem redlichen Freund und Kunstgenossen den Meister, mit dem er nun nicht mehr als nachahmender Schüler sondern als selbständiger Künstler im edelsten Wettstreit um die Palme rang. Die ersten sechs Quartetts gehören zu den verhältnißmäßig nicht so zahlreichen Compositionen, welche Mozart ohne unmittelbare äußere Veranlassung, nicht auf Bestellung sondern sich selbst zu genügen schrieb. Sie sind wie er in der Dedication an Haydn sagt (III S. 309) die Frucht einer langen und mühevollen Arbeit und während einer Frist von mehreren Jahren allmählich entstanden. Das erste in G-dur ist nach einer auf dem Originalmanuscript befindlichen Bemerkung2 am [68] 31 Dec. 1782 geschrieben, das zweite in D-moll nach der Erzählung Constanzes (III S. 256. 439) im Juni 1783 während ihrer Entbindung, das dritte in Es-dur fällt in dasselbe Jahr. Erst nach einer längeren Pause wandte er sich mit neuem Eifer dem Quartett zu; das vierte inB-dur ist im 9 Nov. 1784, das fünfte in A-dur am 10 Jan. und das letzte in C-dur am 14 Jan. 1785 niedergeschrieben. Im Februar kam der Vater zum Besuch nach Wien. Er kannte die ersten drei Quartetts, welche ihm Wolfgang wie gewöhnlich zugeschickt hatte, die neucomponirten hörte er bald in einer Gesellschaft zu welcher auch Haydn eingeladen war (III S. 266); die rühmende Anerkennung welche dieser aussprach mochte wohl die nächste Veranlassung sein daß Mozart, als er die Quartetts im Herbst 1785 veröffentlichte3, ihnen die schone Widmung an Haydn vorsetzte.
[69] Eine Vergleichung mit den Haydnschen Quartetts war dadurch bei dem Publicum, welches ohnehin es liebt sein Urtheil auf diesem Wege zu fixiren, noch mehr herausgefordert. Kaiser Joseph, der Haydns »Späße und Tändeleien« nicht liebte (III S. 311), forderte Dittersdorf im Jahr 1786 auf, eine Parallele zwischen Haydns und Mozarts Kammermusik zu ziehen. Auf dessen Gegenfrage, welche Parallele er wohl zwischen Klopstock und Gellert ziehen werde, antwortete der Kaiser, daß beide große Dichter seien, daß man aber Klopstocks Werke öfter als einmal lesen müsse um alle seine Schönheiten zu verstehen, während dagegen Gellerts Schönheiten schon beim ersten Anblick unverhüllt da lägen. Als Dittersdorf dann meinte Mozart wäre mit Klopstock, Haydn mit Gellert zu vergleichen, nahm Joseph das gern an und erklärte, er habe Mozarts Composition mit einer goldnen Tabatiere die in Paris gearbeitet und Haydns Composition mit einer in London verfertigten verglichen4. Charakteristisch genug sind beide Aeußerungen für Zeit und Personen. Während der Kaiser auf den Geschmack sah, der ihm bei Mozart seiner und edler ausgebildet als bei Haydn er schien und für die Kunst den treffendsten Vergleich im Modeartikel fand, suchte der Componist das innere Wesen des Kunstwerks zu bezeichnen und erinnerte an die nach seinem [70] Urtheil größten deutschen Dichter seiner Zeit. Wie fremdartig auch der Gegenwart, welche in Mozart vor allem die Sicherheit und Klarheit der Form, die Reinheit einer die verschiedenartigsten Elemente verschmelzenden und verklärenden Schönheit bewundert, der Vergleich mit Klopstock erscheinen mag, er ist deshalb interessant weil er uns belehrt, daß die Zeitgenossen in seinen Compositionen ganz vorzugsweise durch Größe und Erhabenheit, Kraft und Kühnheit im Ausdruck, welche sie selbst den Kunstgenossen schwierig und dunkel erscheinen ließen, in Staunen gesetzt wurden. Auch steht dieser Ausspruch nicht vereinzelt da, Leopold Mozart pflegte ebenfalls zu sagen, sein Sohn sei in der Tonkunst was Klopstock unter den Dichtern sei5, offenbar weil ihm Klopstock das Muster des Tiefen und Großartigen war6. Von dieser Seite aber faßte das große Publicum die neue Erscheinung nicht auf, da es nicht allein in Haydns Quartetts vorzugsweise die heitere Jovialität und frische Beweglichkeit schätzte, sondern auch durch seine Nachfolger wie Dittersdorf, Pichl, Pleyel – über dessen Quartetts Mozart während er an seinen eigenen arbeitete sich so anerkennend aussprach (III S. 301) – an bedeutend leichtere Genüsse gewöhnt war. »Schade« sagt ein wohlwollender Kritiker in einem Briefe aus Wien (Jan. 1787) »daß Mozart sich in seinem künstlichen und wirklich schönen Satz um ein neuer Schöpfer zu werden zu hoch versteigt, wobei freilich Empfindung und Herz wenig gewinnen. Seine neuen Quartetten, die er Haydn dedicirt hat, sind doch wohl zu stark gewürzt – und welcher Gaumen kann das lange aushalten«7. [71] Der Fürst Krazalkoviz, einer der vornehmen Musikliebhaber in Wien welche damals ihre eigene Kapelle hielten8, ließ sich die Quartetts als etwas Neues vorspielen, wie Mozarts Wittwe berichtet (A. M. Z. I S. 855), und rief einmal über das andere den Musikern zu daß sie falsch spielten; da sie ihn jedesmal überzeugten daß sie spielten was in den Stimmen stand, wurde er so wüthend daß er sie zerriß – aber Gyrowetz Symphonien behagten ihm sehr. Auch aus Italien schickte man dem Verleger die Stimmen zurück, weil sie zu fehlerhaft gestochen seien. Daß Sarti in einer leidenschaftlichen Kritik nachzuweisen suchte, der Componist dieser Quartetts habe durch die auffallendsten Verstöße gegen Regel und Gehör ganz unerträgliche Musik zu Stande gebracht, ist schon erwähnt (III S. 305). Einen Hauptgrund dafür gab die vielberufene Einleitung des C-dur Quartetts ab
[72] deren schroffe Härten auch das schon vorbereitete Ohr empfindlich berühren. Ihre grammatische Rechtfertigung ist wiederholt in gelehrten Analysen gegeben9. Haydn sagte, wie erzählt wird (Cäcilia XIV S. 2ff.), bei einem Streit über diese Stelle, da Mozart sie so geschrieben habe, werde er auch seine Gründe gehabt haben sie so und nicht anders zu schreiben; man hat daraus bald geschlossen, daß er diese Gründe als gültig anerkannt habe, bald daß er für seine Person nicht damit einverstanden gewesen sei. Und während Oulibicheff (II S. 254ff.) diese Stelle mit Fétis corrigirt10[73] um sie dann erst bewundernswürdig und erhaben zu finden, erklärt Lenz (Beethoven II S. 78ff.) daß Mozart »der liebenswürdigste Ausdruck des in der Unzulänglichkeit alles Endlichen begründeten nothwendigen Uebels der Lehre« hier nur etwas Pikantes aber keineswegs Anstößiges zu Stande gebracht habe. Gewiß ist es, daß Mozart diese Stelle so gewollt hat, und was er damit gewollt hat wird für die Empfindung des Zuhörers, sollte er sich auch über die grammatische Construction nicht Rechenschaft ablegen können, schwerlich unklar bleiben. Das Quartett inC-dur, das letzte dieser sechs ersten, hat allein eine Einleitung. Die Stimmung, welche sich in demselben ausspricht, ist eine edle, männliche, von allem Niederen abgeklärte Heiterkeit, die sich im Andante zu einer wunderbaren fast überirdischen Reinheit und Klarheit erhebt; eine Heiterkeit, welche im Leben wie in der Kunst nur als das Resultat vorangegangener Schmerzen und Kämpfe erscheint. So wie diese in einzelnen scharfen Accenten des ersten und zweiten Satzes, im schmerzlich ringenden Trio des Menuett, in dem wunderschönen tief ernsten Motiv, das im Finale so überraschend erst in Es-, dann in As-dur eintritt, noch vernehmbar nachklingen, so treten sie in der Einleitung in den Vordergrund als die Elemente, aus welchen jene Klarheit und Heiterkeit errungen wird. Den Gegensatz des Trüben, Gedrückten
[74] und des Hellen, Strebenden
empfindet jeder unmittelbar; beide drängen nach einer Lösung
; die Art, wie diese Gegensätze unmittelbar nebeneinander gestellt sind, der Kampf in dem sie stehen auf mannigfache Weise verschärft wird, ist außerordentlich aber in seiner Herbigkeit vollkommen gerechtfertigt. Nicht auf einen Anlauf aber wird das Ziel errungen; kaum scheint die volle Klarheit erreicht, so ziehen sich mit dem Eintritt des b wieder düstere Wolken zusammen, der Kampf beginnt von Neuem, langsam und mit Mühe wird die Ruhe gewonnen, welche ganz frei zu athmen und heiter sich zu regen gestattet11.
Es werden wohl nur seltene Einzelnheiten sein, über welche gegenwärtig das Urtheil in ähnlicher Weise zweifelhaft lauret, auch wird man im Allgemeinen heutzutage schwerlich »ein Stück für Mozartsch halten besonders wenn ein kühner Uebergang den andern drängt«12. Man ist gewöhnt [75] das Maaß von Beethoven zu entnehmen und kaum begreiflich erscheint es uns, wenn ein Zeitgenosse Mozarts – der freilich selbst bekennt (Briefe S. 109), daß er kein schwärmerischer Anhänger von Mozart und der deutschgelehrten Musiker sei möge wohl auch daher kommen, daß er zu einer Zeit gelebt habe, wo man nichts als italiänische Opern und Musiker jeder Art gehört habe – der Stuttgarter Hofmusicus Schaul ausruft:13 »Welch ein Unterschied ist zwischen einem Mozart und einem Boccherini! Jener führt uns zwischen schroffen Felsen in einen stachlichen, nur sparsam mit Blumen bestreuten Wald; dieser hingegen in lachende Gegenden, mit blumigen Auen, klaren rieselnden Bächen, dichten Hainen bedeckt, worin sich der Geist mit Vergnügen der süßen Schwermuth überläßt, die ihm auch von ferne von jenen anmuthigen Gegenden noch süße Erquickung gewährt«14.
[76] Was man den verschiedenen Beurtheilungen und Vergleichungen gegenüber mit voller Sicherheit behaupten darf ist, daß diese Quartetts Mozarts künstlerische Natur und Meisterschaft klar und voll aussprechen, wie sich dies von einem Werke erwarten läßt, an welches er seine beste Kraft setzte um etwas zu leisten das ihm und seinem Meister Haydn Ehre machen sollte. Die Form war durch Haydn in allen wesentlichen Punkten bereits bestimmt ausgebildet: es ist die schon charakterisirte Sonatenform, nur daß der Menuett, in dieser Gestaltung Haydns Schöpfung, regelmäßig zwischen den drei Hauptsätzen eingeschaltet worden war. Mozart übernahm, wie wir es auch schon bei den Klaviercompositionen sahen, die allgemeinen Grundzüge dieser Form, ohne das Bedürfniß zu fühlen sie im Wesentlichen zu verändern oder gar zu verlassen. Indem er einem tiefbegründeten Zuge seiner Natur folgte verzichtete er auf die Beweglichkeit und Leichtigkeit, mit welcher Haydn in einem freien Spiel, das dem oberflächlichen Blick als Willkühr erscheinen konnte, diese Formen behandelte, faßte auch hier vielmehr das Gesetzmäßige jener Formen auf und bildete die einzelnen Elemente des ganzen Gebildes fester und bestimmter aus. Da er nicht auf eine äußerliche Regel ausging, wie sie später aus seinen Werken abstrahirt worden ist, sondern durch seine künstlerische Anlage auf das Bildungsgesetz hingeführt wurde, so war der freieste Ausdruck der Individualität durch diese schärfere Begrenzung in keiner Weise gehemmt. Wenn man ganz absieht von dem Reichthum und der Mannigfaltigkeit der technisch-musikalischen Ausführung, welche bei näherer Prüfung jedem klar vorliegen, von dem charakteristischen [77] Ausdruck der verschiedensten Empfindungen, welcher den Zeitgenossen anfangs oft übertrieben erschien, und im Allgemeinen von Mozarts Quartetts den Haydnschen gegenüber urtheilt, daß sie bedeutender und tiefer im Ausdruck der Stimmung, von reinerer, edlerer Schönheit und größeren Zügen in der Formbildung sind15, so spricht man damit ja nur die eigenthümlichen Züge von Mozarts künstlerischer Individualität aus. Eine solche summarische Gegenüberstellung der beiden Meister erscheint leicht als Ueber- oder Unterschätzung des einen oder anderen, da nur eine im Detail angestellte Vergleichung Jedem sein volles Recht widerfahren lassen und die freudige Bewunderung beider, grade weil sie so sind wie sie sind, rechtfertigen kann. Zwei Umstände sind auch hier nicht außer Acht zu lassen. Eine kleine Zahl Mozartscher Quartetts steht der langen Reihe Haydnscher gegenüber. Es hält nicht schwer für alles was man an Mozart Rühmenswerthes hervorheben kann bei Haydn ebenfalls die vollgültigsten Zeugnisse nachzuweisen; hier kommt es darauf an, daß gewisse Eigenthümlichkeiten, welche Haydn keineswegs fremd geblieben sind, bei Mozart als die herrschenden Grundzüge erscheinen. Ferner ist zu erwägen daß, obgleich Haydn den Jahren nach viel älter ist und man ihn deshalb auch gewöhnlich in seinen künstlerischen Leistungen schlechthin als den Vorgänger Mozarts betrachtet, doch die Mehrzahl seiner Compositionen, welche jetzt noch allgemein bekannt sind und auf welche das Urtheil über ihn sich wesentlich gründet, aus der Zeit herrühren, in welcher Mozart in Wien thätig und nicht ohne bedeutenden Einfluß auf Haydn war. Diese Gegenseitigkeit der Einwirkung, welche [78] beide große Künstler so neidlos anerkannten, darf bei ihrer Beurtheilung nicht außer Acht gelassen werden.
Das Saitenquartett bot für die Ausbildung der Instrumentalmusik, sowohl was den freien Ausdruck der Stimmung als die seine Entwickelung der technischen Gestaltung anlangt, die günstigsten Bedingungen, es gab der Bewegung nach allen Seiten hin freien Spielraum und setzte ihr zugleich in der Natur begründete feste Schranken. Jedes der vier combinirten Instrumente gab durch Ton, Umfang und Spielweise der melodischen Gestaltung die größte Freiheit; vor dem Klavier gewähren sie den außerordentlichen Vorzug daß sie den Ton halten und tragen, eigentlich gesangmäßig vortragen können, ohne in Rücksicht auf rasche Beweglichkeit demselben nachzustehen, wenn sich diese gleich verschieden äußert. In ihrer Verbindung erfüllen sie stets die Erfordernisse einer vollständigen Harmonie und übertreffen durch größere Fülle und Freiheit noch den Vorzug, welchen das Klavier als einzelnes Instrument in dieser Beziehung hat. Das Quartett ist also sowohl für die homophone als polyphone Schreibart dem Klavier durch größere Freiheit der Bewegung, welche zahllose Vortheile in sich schließt, und durch vollkommnere Tonbildung überlegen. Dazu kommt noch der große Vorzug, daß nicht allein Violine, Bratsche und Violoncell dem Charakter des Tons nach wesentlich von einander verschieden sind, sondern auch die einzelnen Instrumente in den verschiedenen Tonlagen ihre charakteristische Tonfärbung haben, wodurch ebensowohl die Deutlichkeit erheblich gefördert als die Fähigkeit des individuellen Ausdrucks außerordentlich gesteigert wird. Alle diese verschiedenen Klangfarben erschienen aber doch nur als Nuancen eines in der Natur der Saiteninstrumente begründeten Toncharakters; und so zeigen uns schon die materiellen Klangelemente [79] des Saitenquartetts eine festgeschlossene Einheit, innerhalb deren den einzelnen Kräften freier Spielraum individueller Bewegung gegeben ist16. Daß eine gleichmäßig fortgeschrittene Sicherheit der technischen Ausführung bei jedem dieser Instrumente vorausgesetzt wird, an jeden Spieler ziemlich gleiche Anforderungen gestellt werden versteht sich von selbst. Namentlich zeigt sich dies in der Behandlung des Violoncells. Nicht allein hinsichtlich der Fertigkeit, welche demselben zugemuthet wird, steht es den übrigen vollkommen gleich, der vielseitige Charakter des herrlichen Instruments wird in seinen verschiedenen Nuancen zur Geltung gebracht und dasselbe aus der beschränkten Stellung des Grundbasses zu vollständiger Selbständigkeit erhoben.
Der oft ausgesprochene Vergleich des Quartetts mit einer Unterhaltung, welche vier geistvolle Personen mit einander führen17, hat allerdings etwas Treffendes, wenn man [80] festhält daß die innere geistige Theilnahme und Mitwirkung der Einzelnen, welche im Gespräch zwar nicht nachläßt aber nur abwechselnd laut wird, hier als ein Continuirliches im Ton verkörpert werden muß. Es ist namentlich damit auf den Hauptpunkt hingewiesen daß im Quartett jede Stimme selbständig und ihrem Charakter gemäß sich bewege, sich aber soweit bescheide daß alle in ihrem Zusammenwirken ein in jedem Moment verständliches und übersichtliches Ganze hervorbringen; eine massenhafte Wirkung, in welcher das Individuum als solches verschwindet, ist hier ebensowenig am Ort als das einseitige Hervortreten einer einzelnen Stimme, welcher die übrigen sich unbedingt unterordnen. Auch hier, und hier ganz vorzüglich war es die Aufgabe die Elemente der homophonen Schreibart, welche auf freie Führung schöner und ausdrucksvoller Melodie gerichtet ist, und des in strengen und festen Formen arbeitenden polyphonen Stils zu einer neuen, geistig freien und lebendigen Schöpfung mit einander zu verschmelzen. Beide Richtungen machen sich geltend, aber nur selten und vorübergehend in ihrer Einseitigkeit. Auch wo die Melodie entschieden als solche hervortritt und die übrigen Stimmen ihr den Vorrang lassen, beschränken sich diese nicht leicht auf eine Begleitung, welche nur das harmonische Element repräsentirt, sondern wahren ihren eigenthümlichen Charakter in selbständiger Bewegung; die freie und geistreiche Führung des Basses und der Mittelstimmen einer herrschenden Melodie gegenüber gehört zu den sichersten Kennzeichen einer Meisterhand, und in der Regel beruhen auch die interessantesten harmonischen Züge auf der individuellen Charakteristik der Stimmführung. Wiederum treten auch die bestimmten contrapunktischen Formen in ihrer eigentlichen Strenge nur ausnahmsweise auf, wie im letzten Satz des ersten Quartetts in G-dur; denn die Hauptaufgabe ist [81] nun nicht ein Motiv in dieser oder jener bestimmten Form consequent zu bearbeiten, sondern mit demselben durch die verschiedenartigsten Combinationen, durch Zerlegen, Ausführen, Verbinden mit neuen contrastirenden Elementen, frei zu schalten und ihm neue und interessante Gesichtspunkte abzugewinnen. Da aber dieses freie Spiel ohne einen inneren nothwendigen Zusammenhang des Einzelnen nicht als ein künstlerisches gelten kann, so ergiebt sich daß die Gesetze, auf welchen jene strengen Formen beruhen, auch dieser freien Gestaltung zu Grunde liegen müssen, wie sie denn auch überall leicht zu erkennen sind. Auch die Unterhaltung, wie sehr sie sich auch von einem nach streng logischer Disposition ausgeführten Vortrag unterscheidet, folgt bei aller Freiheit, mit welcher sie bald eine Hauptvorstellung fallen läßt, bald einen Nebengedanken verfolgt, und scheinbar Fremdartiges durch Ideenassociation verbindet, im Ganzen wie im Einzelnen logischen Gesetzen. Eine ähnliche Freiheit in der Gruppirung und Durchbildung der einzelnen Motive, welche in der Einheit der künstlerischen Stimmung, in den Grundbedingungen der rhythmischen und harmonischen Structur wie der contrapunktischen Formen ihre naturgemäßen Schranken hat, finden wir auch im Quartett. Am auffallendsten tritt uns diese entgegen, wenn eine scheinbar unbedeutende Wendung aufgenommen, fixirt und durch interessante Entwickelung zu einem wesentlichen Element des Ganzen ausgebildet wird, wie im ersten Satz des dritten Quartetts in B-dur die ein längeres Motiv abschließende Figur
zunächst von den einzelnen Instrumenten wie im Scherz wiederholt, dann aber festgehalten wird und sich nun als der fruchttragende Keim erweist, aus [82] welchem verschiedene Bildungen in freier Entwickelung hervorgehen.
Es in unverkennbar daß Mozart, indem er diese sechs Quartetts zusammen veröffentlichte, dieselben zwar nicht als ein Ganzes, das sich in allen seinen Theilen nothwendig gegenseitig bedingt, betrachtet wissen wollte, aber doch mit Absicht die Vielseitigkeit, welcher diese Gattung der Musik im Ausdruck der Stimmung und der technischen Behandlung fähig ist, zur Geltung zu bringen suchte18. Nicht allein jedes Quartett ist ein in sich abgeschlossnes Ganze von sehr bestimmt ausgesprochnem Charakter, sondern in der Anlage und Ausführung der einzelnen ist eine offenbar beabsichtigte Mannigfaltigkeit wahrzunehmen Das läßt sich, wenn man die Quartetts sowohl als die einzelnen Sätze einander vergleichend gegenüberstellt, bestimmt nachweisen. Das erste Quartett in G-dur und das vierte in Es-dur haben eine gewisse Verwandtschaft in der Grundstimmung, wel che in beiden ernst und gehalten ist, aber wie verschieden ist der Ausdruck thatkräftiger Entschlossenheit im ersten von dem einer mehr beschaulichen Zurückgezogenheit im vierten; eine Verschiedenheit, die sich am schärfsten in den Andantes beider Quartetts ausspricht. Auch das dritte Quartett in B-dur und das fünfte in A-dur haben einen im Allgemeinen verwandten Charakter von Heiterkeit, allein die Grundstimmung ist wiederum beidemal in durchaus verschiedener Weise individualisirt. Ganz für sich stehen das zweite Quartett in D-moll und das sechste in C-dur, jenes durch den tief ergreifenden Ausdruck schmerzlich wehmüthiger Stimmung, [83] dieses durch die Verklärung eines höheren Friedens, welchen ein edles Gemüth durch Kampf und Entsagung erringt.
Gleicher Reichthum der Charakteristik und technischen Ausführung offenbart sich, wenn man die einzelen Sätze vergleicht. Das Grundschema des ersten Satzes ist das bekannte, und hier fällt der Schwerpunkt ganz entschieden in die Durchführung zu Anfang des zweiten Theils, in welcher wir nicht einen Uebergang zur Wiederholung sondern die lebendige Durchbildung der zu einer solchen Entwickelung geeigneten Motive finden, die sich daher auch schon der Ausdehnung nach als ein Haupttheil ankündigt. Diese Durchführung aber ist jedesmal in ganz eigenthümlicher Weise angelegt. In den beiden ersten Quartetts ist das Hauptmotiv des ersten Theils der Durchführung zu Grunde gelegt und mit dem den ersten Theil abschließenden Nebenmotiv combinirt, aber die Ausführung ist durchaus verschieden. Im G-dur Quartett wird das erste Motiv verlängert, zu einer passagenartigen Figur ausgesponnen, welche hin und her gewendet und durch das zweite Motiv zum Abschluß gebracht, von Neuem aufgenommen aber bald wieder auf dieselbe Weise abgeschlossen wird, um dann durch ein leichtes Spiel mit dem Schlußtakt
ins Thema zurückzuleiten. Im D-moll Quartett dagegen wird von dem breiten Thema nur das erste charakteristische Glied als Motiv verkürzt durchgearbeitet; und als jenes leichtere Nebenmotiv hinzutritt, wird dieses zwar selbständig vorgenommen, aber um den Charakter desselben als eines accidentiellen zu wahren gesellt sich ein neues bedeutenderes Motiv hinzu, welches von jener Sextolenfigur
umspielt wird. Der erste Theil des dritten Quartetts in [84] B-dur hat kein in der gewohnten Weise scharf ausgeprägtes zweites Thema; der zweite Theil holt dies gewissermaßen nach und führt gleich anfangs eine neue vollständig ausgebildete Melodie ein, welche zu dem Hauptthema des ersten Theils ein Gegenstück bildet, und schließt daran wiederum ein leichtes Spiel mit einer ähnlichen verbindenden Figur
in welches das analoge, schon angeführte Motiv des ersten Theils
eingreift, und den Rückgang zum ersten Theil herbeiführt; diese eigenthümliche Structur des Satzes hat veranlaßt daß nicht allein der zweite Theil wiederholt wird, sondern noch ein dritter Theil hinzukommt, der über die Bedeutung und den Umfang einer bloß abschließenden Coda hinausgehend, die Hauptmotive von Neuem aufnimmt und in selbständiger Weise zum Schluß führt. Im Es-dur Quartett, wo die Durchführung knapper gehalten ist, beruht ihr Interesse auf der harmonischen Behandlung einer sich an das Hauptthema anschließenden, ausdrucksvollen Triolenfigur. Das erste Thema des innsten Quartetts in A-dur ist gleich von Anfang als ein zu imitatorischer Behandlung geeignetes eingeführt, und in der Durchführung wird das bereits angedeutete Spiel in freier Weise lebendig ausgeführt; auch im letzten Quartett in C-dur ist die Behandlung des Hauptthemas, wie sie in der Durchführung vorliegt, schon vorher angedeutet, wird aber durch die harmonische und contrapunktische Kunst in einer Weise gesteigert, daß sich hier erst offenbart, welche Tiefe und Bedeutung das anfangs so bescheiden auftretende Thema in sich birgt, das noch zuletzt in der mächtig gesteigerten Coda den reizendsten Schluß herbeiführt. Es würde zu weit [85] führen, wohl auch überflüssig sein, in ähnlicher Weise nachzuweisen, wie sonst noch im Bau dieser Sätze, in der Bildung der Hauptmotive und der verbindenden Glieder, Reichthum der Erfindung und Freiheit in der Technik einander die Hand bieten.
Was sich von den langsamen Sätzen anderer Instrumentalcompositionen Mozarts rühmen läßt, das gilt auch in vollem Maaß von diesen Quartetts, es sind die reichsten Früchte inniger Empfindung und sicherer Meisterschaft. Mag man sie untereinander vergleichen oder nach der Stellung welche jeder in seinem Quartett einnimmt prüfen, immer wird man die Schönheit, Wahrheit und Mannigfaltigkeit im Ausdruck reiner und einfacher Empfindungen bewundern müssen. Mit seinem Gefühl ist in dem wehmüthigen D-moll Quartett das tröstende Andante zwar leicht gehalten, aber so daß der Charakter der Sehnsucht sowohl in der bedeutsamen sich aufschwingenden Figur,
welche nicht etwa als eine flüchtige Passage angesehen werden darf, so wie in der Neigung in die Molltonarten auszuweichen deutlich ausgesprochen wird. Einen vollkommenen Gegensatz dazu bildet das Andante des vierten Quartetts in Es-dur, das in unausgesetzter harmonischer Bewegung es nur zu Ansätzen prägnanter Melodienbildung bringt, und dadurch den Eindruck einer in sich zurückgezogenen, mit Mühe aus dem Sinnen sich aufraffenden Stimmung in eigenthümlicher [86] Weise ausdrückt. Die Krone aber durch Schönheit und Feinheit der Form wie durch Tiefe und Innigkeit des Ausdrucks ist das Andante des letzten Quartetts in C-dur; es gehört zu jenen wunderbaren Gebilden der Kunst, in welchen nur soviel von irdischem Stoff erscheint als nöthig ist um auf menschliche Sinne zu wirken, welche uns in eine Region seligen Friedens erheben, wo auch die Erinnerung an Schmerz und Leidenschaft zur Verklärung wird.
Charakteristisch für Mozarts Richtung der Haydnschen gegenüber sind die Menuetts. Die unverwüstliche heitere Laune, die Lust an überraschenden lustigen Wendungen, übermüthigen und neckischen Einfällen, welche das Wesen der Haydnschen Menuetts ausmachen, treten nur in vereinzelten Aeußerungen hervor; sie haben durchweg eine edlere Haltung, der es selbst an einer gewissen Würde nicht fehlt, Feinheit und Grazie sind die hervorragenden Charakterzüge, welche eine heitere Schalkhaftigkeit so wenig ausschließen als den Ausdruck kräftiger, auch schmerzlicher Empfindung. Wenn Haydns Menuett aus dem lustigen Volksleben hervorgegangen ist, so weist der Menuett Mozarts auf den guten Ton der gebildeten Gesellschaft hin, welche das richtige Maaß nicht in der Convention der Mode, sondern in der Bildung des Gemüths und Geistes zu finden weiß. Dem Charakter nach sind besonders ausgezeichnet der Menuett desD-moll Quartetts in seinem festen, Kühnheit und Trotz ausdrückenden Schritt und des C-dur Quartetts durch den frischen und kecken Muth. Fast allen gemeinsam ist eine seine Detailarbeit in der Stimmführung, welche das Interesse fortwährend gespannt und rege hält, und Eigenthümlichkeiten der rhythmischen Gliederungen zum Theil sehr scappanter Art. Dahin gehören Gruppen von zehn Takten neben achttaktigen so daß entweder 2 Takte vorgeschlagen werden, [87] wie im Menuett des ersten Quartetts, oder eingeschoben wie im Trio des B-dur Quartetts19. Complicirter ist die zehntaktige Gruppe im Menuett des D-moll Quartetts, weil sie fester zusammengewachsen ist, und ganz besonders der Rhythmus des Menuetts im vierten Quartett, wo die einzelnen, ungleichen Gruppen eigenthümlich verschränkt sind20. Charakteristisch ist für diese Sätze auch der scharfe Contrast zwischen Menuett und Trio, wie im ersten und letzten das fast herb leidenschaftliche Trio in Moll, und noch auffallender im D-moll Quartett das leicht schimmernde Durtrio, das, wenn es weder kokett noch roh gespielt wird, wie ein Lächeln unter Thränen erscheint.
Auch die Finales sind bedeutender und schwungvoller als wir sie wohl in anderen Mozartschen Instrumentalcompositionen gefunden haben. Drei derselben sind in Rondoform – im B-, Es- und C-dur Quartett – rasche, leicht hinströmende Sätze reich an graziösen Motiven und interessanten Zügen der Bearbeitung und von einer Lustigkeit, welche hier nicht ohne Humor ist und mitunter durch Aeußerungen eines tiefen Gefühls überrascht, wie in jener schon erwähnten wunderbar ergreifenden Stelle im Finale des Quartetts in C-dur21. Der letzte Satz des G-dur Quartetts ist von sämmtlichen in der strengsten Form geschrieben und durch die Eleganz der contrapunktischen Arbeit höchst [88] interessant; das Finale des Quartetts in A-dur ist, obwohl in jeder Hinsicht freier und leichter, doch ebenfalls polyphon gehalten. Das D-moll Quartett wird durch Variationen beschlossen, deren sehr eigenthümliches und lang ausgesponnenes Thema die damals noch beliebte, rhythmisch und harmonisch scharf charakterisirte Form der Siciliana22 hat. Diese Variationen sind ebenso anziehend durch die Anmuth und Feinheit der Form als durch die seltene Mischung von Wehmuth und Laune, welche diesem wunderbaren Quartett einen so eigenthümlichen Abschluß giebt, der eine gemischte Empfindung zurückläßt, die wohl an Humor streift, aber im Gefühl des Schmerzes noch zu viel Genuß findet um sich ganz über ihn zu erheben. Variationen bilden auch den Mittelsatz imA-dur Quartett, im Ganzen von ernsterem Charakter und sehr sorgfältiger Arbeit, die Vorläufer der Variationen in Haydns Kaiser- und Beethovens A-dur Quartett. Es bedarf kaum bemerkt zu werden daß diese Quartettvariationen Mozarts alle ähnlichen, früher erwähnten Compositionen der Art in Ausführung und Charakter weit übertreffen; es handelt sich hier nicht mehr um ein zierliches [89] Spiel mit Figuren, sondern um eine charakteristische Durchbildung neuer Motive, welche sich aus dem Thema ergeben.
Der Erfolg, welchen diese Quartetts, an die Mozart seine beste Kraft gesetzt hatte, beim Publicum fanden, mochte ihn schwerlich ermuntern sich in dieser Gattung weiter zu versuchen; es vergeht mehr als ein Jahr ehe wir ihn im August 1785 wieder mit einem Quartett beschäftigt finden. Ob eine äußere Veranlassung ihn dazu bestimmte ist nicht bekannt, wohl darf man aber in diesem Quartett in D-dur (Part. 10) einen Versuch sehen dem Geschmack des Publicums entgegenzukommen ohne der Würde des Quartettstils etwas zu vergeben. In der That steht dasselbe den früheren in keinem der wesentlichen Vorzüge nach; die technische Ausführung ist sorgfältig, sein und interessant, die Anlage breiter, in mancher Hinsicht auch freier, die Stimmung durchweg heiter und kräftig, so daß das sentimentale Element, welches in den ersten Quartetts vorwiegt und manche jener scharf gewürzten Detailzüge hervorgerufen hat, hier sehr zurücktritt. Der letzte Satz nähert sich wohl am meisten der humoristischen Laune Haydns, dessen Weise er auch darin entspricht, daß ein wie zum Scherz leicht hingeworfenes Motiv durch contrapunktische Bearbeitung zu einer Quelle von Einfällen und Wendungen der heitersten Laune wird, deren immer neu sprudelnde Kraft unerschöpflich scheint.
Indessen ist dies Quartett ohne unmittelbare Nachfolge geblieben; es scheint, als wenn es ebenfalls zunächst keinen allgemeinen Beifall gefunden habe. »Eine kleine Nachtmusik bestehend in einem Allegro, Menuett und Trio, Romance, Menuett und Trio, und Finale« für Quartett in G-dur, von Mozart unter dem 10 Aug. 1787 eingetragen (André Verz. 186) ohne Zweifel für eine bestimmte Gelegenheit componirt, ist [90] meines Wissens nicht gedruckt; ich habe sie weder gesehen noch sonst etwas Näheres darüber erfahren.
Bei seinem Aufenthalt in Berlin und Potsdam im Frühjahr 1789 war Mozart wiederholt zu den Kammermusiken des Königs Friedrich Wilhelm II gezogen worden, bei welchen dieser, ein Schüler Grazianis und Duports, sich als tüchtiger und eifriger Violoncellspieler betheiligte23. Er gab Mozart den Auftrag Quartetts für ihn zu componiren, wie er auch Haydn24 und Boccherini25 in ähnlicher Weise beschäftigte und mit königlicher Liberalität honorirte. Nach seiner Rückkehr in Wien machte sich dieser daran und vollendete im Juni desselben Jahres das erste der drei Quartetts, welche dem König von Preußen übersandt und dedicirt wurden, in D-dur (Part. 7); das zweite in B-dur (Part. 9) wurde im Mai, das dritte in F-dur (Part. 8) im Juni 1790 componirt –, aus den Briefen an Puchberg sehen wir, daß es eine Zeit der bittersten Noth und Sorge war, welche ihm die Arbeit an den Quartetts schwer machte (III S. 494). Davon merkt man nun den Quartetts allerdings nichts an, die leichter dahingleiten als die früher geschriebenen, wohl aber den Einfluß des fürstlichen Bestellers, dessen Lieblingsinstrument hier ganz entschieden in den Vordergrund tritt. [91] Wenn das Violoncell in den ersten Quartetts vollkommen selbständig und mit aller Rücksicht auf die schönen Klangwirkungen seiner verschiedenen Tonlagen behandelt ist, so wird es hier zum Soloinstrument, dem namentlich die Melodie in hoher Tonlage mit Vorliebe übertragen ist. Die nothwendige Folge ist daß die Bratsche sehr häufig die Baßstimme führt, was die gesammte Tonfärbung ändert, auch die Geigen streben nun mehr in die Höhe, um so mehr als die erste Violine mit dem Violoncell vielfach alternirt; dadurch wird der Ton im Ganzen heller und glänzender, büßt aber hie und da an markiger Kraft ein. Auch die sonstige Behandlung verräth, wohl nicht ohne Rücksicht auf den Geschmack des Königs, mehr ein Streben nach Klarheit und Eleganz als nach Tiefe und Wärme. Mozart besaß zu viel Geschmack und war zu sehr Musiker um in einem Quartett einer Solostimme die übrigen als begleitende unterzuordnen, wir finden auch, wenn gleich die erste Violine neben dem Violoncell hervortritt, die beiden übrigen Stimmen nicht bloß selbständig geführt, sondern reich und glänzend bedacht, allein der Charakter der Motive und ihre Bearbeitung ist mehr geschmackvoll und interessant als tief und bedeutend und geht hie und da auf ein geistreiches Spiel mit Figuren hinaus. Eigenthümlich ist es daß nur im B-dur Quartett, welches übrigens das am leichtesten gehaltene ist, das Hauptinteresse auf die Durchführung des ersten Satzes fällt, während in den Quartetts in D- und F-dur die letzten Sätze die bedeutendsten sind. Indem der Componist mit den tändelnden Motiven thematisch zu arbeiten anfängt, wird er warm und geht nun ernstlich aber mit der besten Laune ins Zeug, darüber wird auch das Soloinstrument vergessen und muß sich in Reihe und Glied mit den übrigen stellen – der Künstler ist da und denkt nicht mehr daran, daß er sich bei [92] Hofe präsentiren will, wo freilich Niemand verboten ist sich geistreich und liebenswürdig zu benehmen, aber stets vorausgesetzt wird daß er die hergebrachte Form dafür zu gebrauchen verstehe. Nicht minder bedeutsam ist es daß die Mittelsätze zwar nach Form und Klang sehr schön sind, aber bei Weitem nicht mit der Innigkeit und Tiefe den eigentlichen Kern der Stimmung, aus welchem das ganze Quartett hervorgegangen ist, aufschließen, wie das sonst der Fall ist. Am anziehendsten ist wohl das Allegretto des zweiten Quartetts in F-dur, aber dieses ist schon seiner ganzen Anlage und Haltung nach mehr leicht und anmuthig, und deshalb geeignet durch eine zierliche Ausführung und artige Pointen zu interessiren. Kurz diese Quartetts bewähren vollständig den ausgebildeten Formensinn, die sichere Meisterschaft und die frische Erfindung Mozarts, aber nicht die rücksichtslose Hingabe an das höchste Ideal der Kunst wie jene früheren, die er mit seinem Herzblut geschrieben hat26.
Seitdem das Saitenquartett zur völligen Ausbildung und allgemeinen Anerkennung gekommen war, traten die dürftiger ausgestatteten Duetts und Trios für Saiteninstrumente, welche früher keineswegs ungewöhnlich waren, begreiflicherweise sehr zurück. Wir haben schon gesehen, daß Mozart bei seinem Besuch in Salzburg im Jahre 1783 durch die Krankheit Mich. Haydns veranlaßt wurde zwei Duetts für Violine und Bratsche zu schreiben, und wie die eigenthümlichen Schwierigkeiten dieser Aufgabe ihm der Sporn zu einer vorzüglichen Leistung wurden (III S. 258ff.). In Wien bot sich ihm 1788 eine nicht näher bekannte Gelegenheit ein Trio für Violine, Bratsche und Violoncello in [93] Es-dur zu componiren, das nach früherem Brauch aus sechs Sätzen besteht: Allegro, Adagio, Menuet:, Andante mit Variationen, Menuett, Rondo27. Der Ausfall der einen Violine erhöht die Schwierigkeiten ein jederzeit reiches, durch vollen Klang und charakteristische Bewegung befriedigendes Musikstück zu schaffen, mehr als man denken sollte: der Erfindung und der Kunst des Componisten werden fortwährend schwer zu lösende Aufgaben gestellt. Zwar kann durch geschickte Verwendung der Mittel, Mischung der Klangfarben, Abwechslung in der Gruppirung der Instrumente hier sehr viel mehr erreicht werden als im Duett, allein die Hauptsache bleibt die Erfindung anziehender Motive, welche für den dreistimmigen Satz geeignet sind und die lebendige harmonische und contrapunktische Behandlung derselben; die freie Bewegung des Einzelnen muß für die geringere Kraft des Zusammenwirkens Ersatz bieten. Es ist leicht ersichtlich daß Mozart in den Schwierigkeiten der Arbeit nur einen neuen Reiz fand. Jeder dieser sechs Sätze ist breit angelegt, und mit der größten Sorgfalt und Liebe ausgeführt, so daß dieses Trio, welches ohne Frage zu den bewundernswürdigsten Arbeiten Mozarts gehört, ein wahres Kabinetsstück der Kammermusik ist. Drei tüchtige, einander völlig ebenbürtige Spieler werden vorausgesetzt, denn hier ist kein einzelner bevorzugt, vielmehr Sorge getragen daß Jeder indem er seine Pflicht thut sich in der geeigneten Weise geltend mache. Es gewährt ein großes Interesse im Einzelnen zu versorgen, mit welcher Einsicht und Geschicklichkeit alle technischen Vortheile benutzt sind, deren jeder einen Impuls für eine glückliche [94] Erfindung zu geben scheint. Wie schön ist z.B. im Adagio der einfache Gang des Violoncells, mit welchem dasselbe beginnt
zu dem schwungvollen der Violine umgebildet
welchen später mit gesteigerter Wirkung auch Bratsche und Violoncell in der angemessenen Lage aufnehmen. Die Wirkung, welche in demselben Adagio die Sprünge der Violine
hervorbringen, ist wohl nur unter diesen Umständen zu erreichen. Und doch dienen alle Klangmittel nur der harmonischen und contrapunktischen Kunst, welche ein nicht nachlassendes reges Leben, das in jedem Moment interessirt und erfreuet, hervorzurufen weiß. Es läßt sich erwarten daß die Durchführung im ersten Satz mit besonderem Fleiß behandelt sei und in der That in sie durch die frappante Modulation und die imitatorische Behandlung ein wahres Meisterstück. Ganz besondere Auszeichnung verdienen aber die Variationen. Schon das Thema, das etwas vom Volkslied hat, ist sehr anziehend und die verschiedene Behandlung bei der Wiederholung der beiden Theile erhöht diesen Reiz, sowie sie auch den Variationen eine eigenthümliche Abwechslung und Fülle giebt. Jede derselben ist mit sauberer Detailkunst ausgeführt und bietet ein ganz individuelles Charakterbild; [95] von besonderer Art namentlich die letzte, in welcher die Bratsche zu einer sehr lebhaften Figur das Thema, auf seine einfachsten Hauptnoten, wie auf einen Grundriß zurückgeführt, als einen ernsten Cantus firmus durchführt. Das Ganze erhält aber seine wahre Bedeutung durch die Frische und Schönheit der Erfindung, welche durch alle Schwierigkeiten nur gehoben und belebt erscheint. Man kann sich nichts anmuthig Reizenderes denken als das erste Trio des zweiten Menuetts; wie eine hell aus dem Grün hervorschimmernde Blume bezaubert es durch Zartheit und Reinheit.
Von der Erweiterung der Mittel, welche das Quintett darbot, hat Haydn, der Duetts und Trios in nicht geringer Zahl schrieb, zufällig keinen Gebrauch gemacht28, während Andere z.B. Boccherini auch diese Gattung fleißig cultivirten. Es scheinen ebenfalls äußere Veranlassungen gewesen zu sein, welche Mozarts vier große Saitenquintetts29 hervor gerufen haben, mit welchen er eigentlich die in den ersten Quartetts eingeschlagene Bahn verfolgt. Zwei derselben wurden rasch hintereinander im Frühjahr 1787, nach der Rückkehr von Prag, die beiden letzten im December 1790 und April 1791 geschrieben, »auf eine sehr thätige Aneiferung eines Musikfreundes« wie es in der Anzeige des Verlegers heißt30.
[96] Mozart hat stets die Bratschen verdoppelt31 und nicht, wie Boccherini, die Violoncells, was auf die Klangfarbe wie auf die Structur der Musikstücke von wesentlichem Einfluß ist. Der scharf ausgeprägte Charakter des Violoncells sowohl in der Baß- als Tenorlage giebt, wenn dies Instrument verdoppelt wird, demselben leicht ein Uebergewicht, das durch den Reiz des Tons nur gefährlicher wird; die Vermehrung der weniger stark hervortretenden Mittelstimmen durch zwei Bratschen bietet für ein längeres Tonstück größere Freiheit und weiteren Spielraum. Wenn nun gleich das Hinzutreten des einen Instruments die Bedingungen größerer Wirkung dem Quartett gegenüber nicht in ähnlicher Weise hebt, wie das Fortbleiben desselben im Trio sie erschwert, so werden doch dadurch nicht unerhebliche Vortheile gewonnen, Vortheile mit welchen allerdings auch neue Schwierigkeiten Hand in Hand gehen. Denn so wie es einleuchtet daß durch den größeren Reichthum an Mitteln die Freiheit in der Melodienbildung wie in der Harmonienführung erleichtert wird, so legt er dem Componisten auch die Pflicht auf gleichmäßig alle Stimmen selbständig zu beschäftigen, was nicht geschehen kann ohne daß der ganze Plan des Werks darauf gerichtet ist. Eine Hauptaufgabe ist, sowohl der Klarheit und Deutlichkeit als der Charakteristik wegen, die Gruppirung der Stimmen wofür sich eine große Mannigfaltigkeit darbietet. Nicht allein entspricht der ersten Violine als Stimmführerin die erste Bratsche, sondern durch [97] den Zutritt der zweiten Bratsche wird auch das Violoncell viel freier als im Quartett; es können also diese Stimmen bald zu zweien, bald alle drei zusammengestellt werden um ihnen die Melodie entweder abwechselnd oder in imitatorischer Verschlingung zu übertragen, was zu mannigfaltigen Combinationen Veranlassung giebt; namentlich geht daraus sehr natürlich eine Vertheilung der einzelnen Glieder eines Motivs unter verschiedene Instrumente hervor, welche einem Fragen und Antworten gleicht und die Lebhaftigkeit des gleichsam dramatischen Ausdrucks steigert. Außer diesem Hervorheben einzelner Stimmen vor den übrigen liegt es nahe zwei Abtheilungen einander gegenüberzustellen, indem die beiden Violinen von einer Bratsche, die beiden Bratschen vom Violoncell gestützt werden. Ganz besonders aber ist das von Haydn im Quartett zuerst mit so großem Erfolg angewandte Verstärkungsmittel zwei Stimmen in Octaven gehen zu lassen hier mit Leichtigkeit anzuwenden und die Wirkung wird um so größer sein, da die Harmonie dabei voller ausgeführt werden kann. Man hat meist freie Hand die beiden Geigen, oder auch – was im Klang sich sehr unterscheidet – Violine und Bratsche zusammengehen zu lassen; im Trio des Menuetts vom Es-dur Quintett ist dies dahin gesteigert, daß die erste Violine, nachdem sie eine Zeitlang mit der Bratsche in Octaven gegangen ist, zum Schluß die höhere Octave faßt, die zweite dazu die mittlere übernimmt und so in dreifacher Verstärkung die Melodie zu Ende geführt wird. Aber auch das Violoncell kann durch die Bratsche bequemer verstärkt werden als im Quartett; wie denn die meisten dieser Hülfsmittel im Quartett nicht geradezu unanwendbar sind, allein erst im Quintett vollen Raum und Freiheit finden. Vor allem kommt es freilich darauf an, daß sie nicht nach einem fertigen System einseitig oder in fester [98] Reihenfolge angewandt und abgenutzt werden, sondern zur rechten Zeit und am rechten Ort auch das treffende Mittel sich findet – dann ist ihre Fülle unerschöpflich, wie die Mozartschen Quintetts lehren können.
Von höherer Bedeutung ist indessen die innere Organisation und Structur. Die eigentliche Wirkung des Quintetts kann und soll so wenig als die des Quartetts eine massenhafte sein; sie beruht vielmehr auf der charakteristischen Bewegung der Individuen, welche lebendig ineinandergreifen um ein Ganzes hervorzubringen. Wenn die zusammenwirkenden Kräfte sich vermehren, so verlangen sie einen größeren Raum um sich thätig erweisen zu können und damit diese Thätigkeit verständlich sei, muß jede einzelne Aeußerung scharf charakterisirt sein; die Deutlichkeit aber und Wahrheit des Ganzen erheischt eine größere Freiheit, damit diese Bewegung mehrfacher und verschiedener Kräfte nicht allein als eine geordnete sondern als eine lebendige sich darstelle. Eine eingehende Prüfung wird Jeden bald überzeugen, mit wie sicherem Takt Mozart diesen Forderungen gerecht geworden ist.
Eine größere Ausdehnung ist schon der größeren Tonmasse wegen erforderlich; sollen die Mittelstimmen ohne einander zu drücken sich frei bewegen, so müssen die äußeren Stimmen weiter auseinanderrücken, was der Natur der Sache nach hauptsächlich nach der Höhe zu geschehen kann. Dies hat ebensowohl auf die Melodienbildung als auf den Charakter des Klanges einen sehr bestimmten Einfluß, der Gesammteindruck wird kräftiger und glänzender. Aber auch nach anderen Seiten hin müssen die Dimensionen sich erweitern. Ein Thema, an dem fünf Stimmen sich wirklich betheiligen, eine Ausführung, bei welcher sie alle gehörig zu Wort kommen sollen, muß seiner ersten Anlage nach für [99] diese größere Ausdehnung geeignet sein. Das ursprüngliche Motiv des ersten Allegro im C-dur Quintett
ist zwar kurz, aber es bedingt mit Nothwendigkeit die Fortführung des angegebenen Gedankens, erst nach dreimaliger modificirter Wiederholung gelangt es zu einem vorläufigen Abschluß. Um nun, wie sonst meistens geschieht, das ganze so festgestellte Thema zu wiederholen, dazu hat es schon zuviel von eigentlicher Entwickelung bekommen; es setzt daher inC-moll ein und wird in veränderten harmonischen Wendungen weitergeführt und, nachdem eine Weile ein Nebengedanke ausgeführt ist, von Neuem aufgenommen um nun erst zum zweiten Thema überzuleiten: wir sehen also hier etwas von dem Wesen der Durchführung auf den ersten Satz übertragen, eine organische Entwickelung desselben. Natürlich wird dann auch das zweite Thema weiter ausgeführt, und namentlich das abschließende Motiv, in welchem alle Stimmen zu einem allmählich anwachsenden Crescendo zusammengreifen, ist breit angelegt; der ganze Satz gewinnt mithin bedeutende Dimensionen.
Noch knapper zusammengefaßt ist das Motiv des ersten Satzes im Es-dur Quintett
Es ist aber auch nur der Keim, aus dem der ganze Satz hervorwächst, der durch ein freies Spiel mit diesem Motiv [100] gebildet wird; was daneben auftritt ist nur durch dasselbe hervorgerufen und hat nur durch seine Beziehung darauf Bedeutung. Wie energisch ist durch diese wenigen Takte, in welchen die Bratschen wie mit einem Hornsignal zum fröhlichen Jagen auffordern, die ungebundene Heiterkeit ausgesprochen, welche den ganzen Satz durchdringt. Nicht minder bestimmt versetzt uns aber auch der Eingang des C-dur Quintetts unmittelbar in die richtige Stimmung; die eigenthümliche Mischung von kräftiger Entschlossenheit und sinniger Empfindung, welche jene wenigen Takte ruhig und klar aussprechen, bildet den Grundton des Ganzen, der auch in der lebhaftesten Bewegung gewahrt bleibt.
Ganz anders beginnt das G-moll Quintett mit einer ausgebildeten Melodie von 8 Takten, welche deshalb auch wiederholt wird; allein hier hat Mozart die Instrumente zu je dreien einander gegenübergestellt, erst nachdem dies Thema ganz ausgesprochen ist, vereinigen sie sich. Es giebt wohl wenig Instrumentalcompositionen, welche leidenschaftlich erregte Stimmung mit so sinnlicher Energie ausdrücken und so stark ein, man kann sagen pathologisches Interesse erwecken wie dies G-moll Quintett. Es ist der Schmerz, der im ersten Satz sich an unser Mitgefühl wendet, nicht die stille Wehmuth, die sich ernst in sich zurückzieht, wie sie das D-moll Quartett so schön ausdrückt, nein, der Schmerz, der klagt, seufzt, weint, der in schwärmerischer Erregtheit nur sich selbst fühlt, nur sich selbst fühlen will, und die einzige Befriedigung in den leidenschaftlichen Ausbrüchen dieser Gefühle findet, bis die Kraft in diesem unausgesetzten Kampfe mit sich selbst ermattet und erstirbt. Aber der Kampf beginnt von Neuem im Menuett, und jetzt mischt sich ein Gefühl trotzigen Widerstrebens ein, ein Zeichen, daß noch gesunde Kraft da ist; schon im zweiten Theil bricht eine holde Erinnerung [101] an glückliche Zeiten unwillkührlich durch, wird aber von den schmerzlichen Regungen zurückgedrängt: da dringt im Trio unwiderstehlich, wie durch höhere Macht, aber aus dem innersten Gemüth hervor die selige Gewißheit daß es noch ein Glück giebt. Es ist einer jener scheinbar für Jeden naheliegenden Züge, welche aber nur dem tief dringenden Blick des wahrhaften Genius sich offenbaren, wenn Mozart, nachdem der Menuett mit den schmerzlichsten Accenten in Moll geschlossen hat
unmittelbar darauf im Trio dieselbe Wendung in Dur eintreten läßt
und sie dann in einer Weise ausführt, daß nur eine leise Sehnsucht noch durch die sanft verhallenden Friedensklänge hindurchtönt. Diese Wendung entscheidet über den weiteren Verlauf der Entwickelung. Der nächste Satz – Adagio ma non troppo, con sordini – läßt uns in ein tiefverwundetes Gemüth blicken, das in ernster Prüfung bei sich selbst einkehrt: ernste Betrachtung, Zweifel, Entschlüsse, starke Ausbrüche des noch grollenden Schmerzes wechseln mit einander, bis sich aus ihnen ein heißes Flehen um Trost [102] hervorringt, das auch in Thränen die Gewißheit der Gewährung fühlt, und so schließt dieser wunderbare Satz mit der Ruhe des Friedens, wie der erste in der Ruhe der Ermattung. Zwar kehrt der schon besiegte Schmerz wieder in der Einleitung zum letzten Satz – auf deren Bedeutung schon hingewiesen wurde –, aber sein Stachel ist abgestumpft, er schwindet in sich selbst um einem anderen Gefühl Platz zu machen. Dieses aber ist nicht Ruhe, Trost, Resignation, sondern Freude, leidenschaftliche Empfindung des Glücks, welche ebenso schwärmerisch begeistert, ebenso nur von sich erfüllt ungehemmt sich ausströmt, wie vorhin der Schmerz. Wenn dieser jubelnde Dithyrambus den Zuhörer vielleicht nicht in gleichem Maaße fesselt wie das, was voranging, so mag dies zum Theil daran liegen daß das Interesse desselben nach der anderen Seite so lang und so stark in Anspruch genommen ist; im Allgemeinen aber sympathisirt der Mensch stärker mit fremdem Leiden als mit fremdem Glück, obgleich er seinen eigenen Schmerz eher allein trägt als seine Freude. Auch kann dieses völlige Umschlagen in die entgegengesetzte Stimmung wohl eine gewisse Furcht erregen, daß auch sie wandelbar sein werde; wahr aber ist sie nichts desto weniger: der Jubel des letzten Satzes und der Schmerz des ersten gehören einer und derselben Natur an, die mit vollendeter Wahrheit und Treue künstlerisch wiedergegeben ist. Unwillkürlich fragt man bei solcher psychologisch Entwickelung nach dem Menschen im Künstler, und wer könnte verkennen daß von Mozarts Natur dem Kunstwerk die deutlichsten Spuren eingeprägt sind; wollte man aber in den nächsten Lebensverhältnissen eine bestimmte Veranlassung suchen, so würde man wohl gewiß irre gehen. Im Allgemeinen war Mozarts Situation damals gut, er war nicht lange aus Prag zurückgekehrt mit Beifall und Geld reich belohnt [103] und genoß in der Jacquinschen Familie einen Verkehr der ihn geistig und gemüthlich befriedigte. Allerdings verlor er bald darauf (26 Mai) seinen Vater, allein wer den Brief erwägt, welchen er an diesen im Gedanken an die Möglichkeit des Todes am 4 April richtete (III S. 270) – um die Zeit war er mit dem ersten Quintett in C-dur beschäftigt –, der wird sich sagen daß die Stimmung des G-moll Quartetts nicht durch den Gedanken an den sterbenden Vater eingegeben sein konnte. Die Quellen des künstlerischen Schaffens fließen tiefer als daß sie von den nächsten Bewegnissen des Lebens stets unmittelbar geweckt werden sollten. Der Künstler kann freilich nichts geben als was in ihm liegt und was er selbst erfahren hat, aber auch vom Musiker bleibt Goethes Wort wahr, daß im Kunstwerk nichts zum Vorschein komme was der Künstler nicht erlebt habe, aber nichts, so wie er es erlebt habe.
Eine zweite Frage drängt sich fast unwillkührlich auf, ob ein Musikstück, welches wie dieses ein treues Seelengemälde vor uns aufrollt, mit der strengsten Consequenz den Gang der psychologischen Entwickelung verfolgt und die schwankende Bewegung leidenschaftlicher Empfindungen in den feinsten Zügen scharf und charakteristisch darstellt – ob ein solches Musikstück zugleich auch den Normen und Gesetzen musikalischer Structur und Technik sich füge. Ohne Zweifel kann man, wenn man von der psychologischen Entwickelung ganz absehen wollte, durch eine rein technische Zergliederung nachweisen, wie dies Quintett indem es den Bedingungen musikalisch schöner Gestaltung durch den seltensten Verein von Erfindung und Einsicht zwanglos sich fügt den hohen Grad formaler Vollkommenheit erreicht, und wer diesen Spuren nachgeht, wird gewahr werden daß beide, die Wahrheit und Kraft der psychologischen Entwickelung und die [104] Reinheit und Schönheit der künstlerischen Form, in ihren wesentlichen Manifestationen zusammenfallen und eins sind.
Wenn in diesem Quintett der starke Ausdruck der Leidenschaft in den schärfsten Accenten sehr auffallend hervortritt, so fehlt dies Element keineswegs ganz in den übrigen, deren Grundcharakter gehaltener oder auch heiterer ist. Es wurde schon darauf hingewiesen daß die Betheiligung mehrerer Stimmen, damit sie sich deutlich von einander absetzen, eine schärfere Charakteristik der einzelnen im Detail verlange, was natürlich nicht ausführbar ist, wenn nicht auch die Empfindung selbst bei ruhiger Haltung im Ganzen doch im Einzelnen sich beweglich und reizbar zeigt. Daher finden sich einzelne Schärfen und Herbigkeiten als Würze des Ganzen hier verhältnißmäßig häufig, z.B. die Anwendung der kleinen None, mehrfach Folgen von Nonenaccorden im Quintencirkel, die Mozart zwar auch sonst anwendet, aber nicht so oft wie hier; und offenbar sind die Quintetts die Fundgrube für manche spätere Componisten gewesen, die von diesem gefährlichen Reizmittel übertriebenen Gebrauch gemacht haben.
Eine weitere nothwendige Folge der vermehrten Stimmen ist um Monotonie zu vermeiden die größere Freiheit in der Bewegung derselben, welche mit der Charakteristik eng zusammenhängt. Das wahre Wesen auch des Quintetts beruht auf der Polyphonie, und sowohl die strengere Form des Fugirens als die freiere der Imitation in ihrer reichsten Entwickelung, die Verbindung verschiedener Motive, die Versetzung und Verkehrung der Stimmen, die mannigfaltigen Hülfsmittel der contrapunktischen Schreibart finden um so geeignetere Anwendung, je mehr Stimmen zu beschäftigen sind. Die Finales der Quintetts in D- und Es-dur können zeigen, daß Mozart alle diese Mittel, auch die strengeren, gehörigen Orts zu nützen wußte. Beide Sätze fangen in harmloser [105] Heiterkeit an, aber aus dem leichten Spiel entwickeln sich sehr ernsthafte musikalische Combinationen; bald der, bald jener Gedanke, der nur so hingeworfen schien, wird vorgenommen, zum Theil in strengster Form durchgeführt, wieder aufgenommen, mit neuen Elementen combinirt, von einer andern Seite her verarbeitet – kurz man wird durch eine lang ausgeführte, interessante Unterhaltung überzeugt, daß eine Fülle anziehender Motive, die nur um ihrer selbstwillen ausgesprochen zu sein scheinen, den Keim einer weiteren Ausführung enthalte, daß eins zum anderen in genauer Beziehung steht, durch diese Verbindung erst seine wahre Bedeutung erhält, daß man einen lebendigen Organismus vor sich hat. Dieselben Sätze zeigen auch, mit welcher Freiheit die verschiedenen Gattungen polyphoner Schreibweise verbunden und gemischt werden; die strengeren und lockeren Formen wechseln, indem die eine Darstellungsform natürlich und ungezwungen aus der andern hervorgeht oder in dieselbe überleitet, oder sie werden zugleich mit einander angewendet. Wie sich Geist und Takt in der Gruppirung dieser Elemente zum Ganzen offenbart, so verräth sich nicht minder Erfindsamkeit und Geschmack in den vielen seinen Detailzügen, welche bei ganz freier Stimmführung, wo nicht durch eine bestimmte Form der Weg vorgezeichnet ist, den einzelnen Stimmen individuelles Leben und Bewegung geben und sehr oft durch ganz neue eigenthümliche Wendungen oder auch durch geistreiche Hindeutung auf einen schon bekannten Gedanken der Darstellung einen überraschenden Reiz geben. Allerdings zeigt sich aber die größere Freiheit auch darin, daß neben der polyphonen Schreibweise auch die homophone zu vollerer Geltung kommt; sowohl die größere Vielstimmigkeit an sich als die erweiterten Dimensionen verlangen auch in dieser Hinsicht Abwechselung. Indessen wird dennoch dieses Element [106] nirgend das maaßgebende, sondern nur vorübergehend angewandt – dann oft mit mächtiger Wirkung; allein selbst eine Melodie wie das zweite Thema im ersten Satz des G-moll Quintetts, die wenn irgend eine durch sich selbst befriedigt, wird als Motiv polyphoner Darstellung benutzt.
Bemerkenswerth ist es, daß in den Schlußsätzen die freieste, wesentlich erweiternde und fortbildende Behandlung der Form sich geltend macht. Die übrigen Sätze sind völliger gegliedert, reicher ausgeführt und weiter ausgedehnt, allein die bereits fest bestimmten Grundzüge werden beibehalten. Im Finale waren die Umrisse weniger fest gezogen und ließen sich mit leichter Hand auf mannigfache Art frei ausbilden; hier ist auch jetzt noch für eine fruchtbare Fortentwickelung ein Ausgangspunkt geboten.
Bei der größten Anerkennung der hier gebotenen Bereicherung und Erweiterung kann man doch so wenig als das Quintett überhaupt dem Quartett, so Mozarts Quintetts seinen ersten Quartetts absolut vorziehen. Mögen diese an Fülle und Glanz des Klanges, in mancher Beziehung auch an einer gewissen Behaglichkeit und Beweglichkeit, wie sie reichere Mittel hervorrufen, dem Quintett nachstehen, dies wird mehr als ersetzt durch die heilsame Beschränkung auf die nothwendigen, zu einem naturgemäßen harmonischen Ganzen vereinigten Mittel, welche eine Vertiefung der geistigen Thätigkeit und eine energische Concentration der bildenden Kraft hervorruft, so daß die Bedeutung des Kunstwerks nach Gehalt und Form um so höher gesteigert wird, je knapper der Rahmen ist, welcher es umschließt.
Eine andere Mischung der Klangfarben ist in dem »Stadlersquintett« (III S. 493) in A-dur versucht, in welchem zu dem Saitenquartett eine Clarinette hinzutritt, das Mozart am 29 Sept. 1789 für den ausgezeichneten [107] Clarinettisten und leichtsinnigen Freund Ant. Stadler componirt hat32. Schon der fremdartige und in vieler Beziehung dominirende Klang des Blasinstruments fordert dazu auf dasselbe als Soloinstrument den übrigen gegenüber zu behandeln, von denen es sich um so mehr isolirt, je wirksamer alle eigenthümlichen Schönheiten dieses umfangreichen Instruments, das Mozart mit solcher Vorliebe behandelte, zur Geltung kommen. Obgleich nun die Klippe die Saiteninstrumente zur bloßen Begleitung herabzudrücken oder der Clarinette zu einseitig entgegenzustellen mit Geschick und Geschmack vermieden ist, vielmehr überall, in manchen Zügen mit überraschender Feinheit, das Zusammenwirken zum Ganzen ins Auge gefaßt wird, so haben doch die heterogenen Elemente sich nicht so völlig zu einem Körper verbunden wie die Saiteninstrumente wo sie allein sind. Die ganze Behandlung ist daher leichter und loser, die Motive mehr anmuthig als bedeutend und ihre Durchbildung auch nicht so ernst und tief greifend; bei der schönsten Form und reizendsten Klangwirkung erscheint dieses Quintett – auf welches Ambros (Gränzen der Musik und Poesie S. 57) treffend den Goetheschen Ausdruck anwendet, daß dessen »ganzes Wesen in reifer, süßer Sinnlichkeit schwebe« – mit den vorher besprochenen doch nicht völlig auf einer Höhe33.
1 So wurde im Greinerschen Hause in der Advents-und Fastenzeit alle Dienstag Quartett gespielt (Car. Pichler Denkw. I S. 127f. Jahrb. der Tonk. 1796 S. 71).
2 Ich entnehme diese Notiz dem handschriftlichen Verzeichniß Andrés, wo auch bemerkt ist daß er die Manuscripte der 10 Mozartschen Quartetts nebst anderen Handschriften dem wackern Harfenfabrikanten J. A. Stumpf, der als ein begeisterter und edelmüthiger Verehrer Beethovens wohl bekannt ist (Schindler Biogr. S. 186) käuflich überlassen habe. Nach dessen Tode wurden sie im März 1847 in London versteigert; ein Auszug aus dem Auctionsprotocoll, welchen mir Gathy mit gewehnter Gefälligkeit mittheilte, wird für manche wenigstens das Interesse der Curiosität haben. Es wurden verkauft
N. 36 Sechs Quartetts, Haydn gewidmet, Part. 5 Pf. 15 Sh. Mr. Plowden.
37 Drei Quartetts, dem König von Preußen gew. 4 Pf. 16 Sh. Mr. Hamilton.
38 Quartett in D-dur 3 Pf. 3 Sh. Mr. Plowden.
39 Quintett in Es-dur 3 Pf. 10 Sh. Mr. Schmidt.
40 Quintett in C-moll 2 Pf. – Baar.
41 Phantasie und Sonate für Pfte in C-moll 2 Pf. – Baar.
42 Sonate für Pfte in B-dur 3 Pf. 3 Sh. Mr. Caulfield.
43 Fuga in C-moll 3 Pf. 15 Sh. Mr. Wickery.
44 Variationen La bergère Célimène; Fuge; Adagio für Pfte; Thema für Pfte und Violine; Adagio für Quartett 3 Pf. 17 Sh. Mr. Caulfield.
45 Quintett in D-dur 2 Pf. 11 Sh. Baar.
In den Hamburger Nachrichten vom 11 Mai 1856 bot D.J. Polack Wittwe ein Manuscript von Mozart, 6 Quartetts nebst dem deutsch abgefaßten Widmungsschreiben an Haydn zum Verkauf, das der Angabe nach aus Haydns Besitz stammen sollte. Es ist meinen Bemühungen nicht gelungen mit Sicherheit zu erfahren, wie es sich mit diesem Manuscript verhalte.
3 Sie erschienen als Op. 11 in Wien bei Artaria mit folgender Ankündigung (Wien Ztg. 1785 N. 75 S. 2191): »Mozarts Werke bedürfen keines Lobes, einiges anzuführen würde also ganz überflüssig sein; nur kann man versichern daß solches ein Meisterstück sei. Man kann sich dessen um so mehr versichern, da der Verfasser dieses Werk seinem Freund Joseph Haydn fürstl. Esterhaz. Kapellm. zueignete, der es mit allem dem Beifall beehrte, dessen nur ein Mann von großem Genie würdig ist.« Später sind sie oft gedruckt, in Partitur bei Joh. Traeg in Wien, und zugleich mit den vier späteren Quartetts bei André in Offenbach, bei Aeckel in Mannheim; in Paris bei Pleyel, Sieber, Janet.
4 Dittersdorf Selbstbiogr. S. 238f.
5 Nissen Nachtrag S. 62.
6 Haydn mit Gellert zu vergleichen – das will uns freilich wo möglich noch weniger einleuchten.
7 Cramer Magazin der Musik II S. 1273f.
8 Gyrowetz Selbstbiogr. S. 11f. Jahrb. d. Tonkunst 1796 S. 77f.
9 Fétis griff diese Einleitung in der revue musicale V p. 601ff. heftig an, und vertheidigte gegen eine Rechtfertigung Pernes (ebend. VI p. 25ff.) seine Ansicht (eb. p. 32ff.). Gegen Fétis erklärte sich in einer ausführlichen Analyse ebenso lebhaft C. A. Leduc (A. M. Z. XXXII S. 117ff.) und nach einer Erwiederung von Fétis (rev. mus. VIII p. 821) von Neuem (A. M. Z. XXXIII S. 81ff. 101ff.), ebenso auch C. M. Balthasar (A. M. Z. XXXIII S. 493ff.). Darauf unterwarf G. Weber die Stelle einer genauen Untersuchung (Cäcilia XIV S. 1ff. 122ff.), und bekannte schließlich daß sein Gehör sich bei Anklängen wie tiefe nicht behaglich finde.
10 Fétis war auf die Vermuthung gekommen, nur durch einen Druckfehler trete die erste Geige auf dem zweiten statt auf dem dritten Viertel des zweiten Takts ein; sie wird durch Mozarts Handschrift, auch in seinem thematischen Verzeichniß, als irrig erwiesen.
11 Im Quintett in G-moll geht dem letzten Satz noch eine besondere Einleitung voran, um nach der schmerzlichen Stimmung der ersten Sätze den ausgelassenen Jubel desselben nicht als etwas Zufälliges, sondern als eine aus dem Vorhergehenden resultirende Stimmung ausdrücklich zu bezeichnen; dies Adagio 3/4 ist daher ein für den Zusammenhang des Ganzen sehr wesentlicher Satz. – Bei Beethoven erfüllt, um vom Quartett in C-dur nichts zu sagen, die Einleitung der Symphonie in B-dur ganz denselben Zweck. Sowohl die Heiterkeit und Klarheit, welche in dieser Symphonie herrscht, als auch die momentanen starken Accente leidenschaftlicher Empfindung finden ihre Begründung in der Einleitung, in welcher das Gewitter grollend abzieht, wodurch die Atmosphäre erfrischt und geklärt ist.
12 A. M. Z. III S. 350.
13 Joh. Bapt. Schaul Briefe über den Geschmack in der Musik (Karlsr. 1809 eine Umarbeitung seiner 1806 erschienenen Conversazioni istruttive) S. 8, der dort das Bekenntniß ablegt: »Ja, ich bewundere die sinnreiche Kunst jenes musikalischen Dädalus [Mozart], der so große, undurchdringliche Labyrinthe zu bauen gewußt hat, aber ich kann die Ariadne nicht finden, die mir den Faden reicht um den Eingang, noch weniger den Ausgang zu entdecken.«
14 Lud. Boccherini, geb. in Lucca 1740, erhielt seine Erziehung in Lucca und Rom und bildete sich zu einem ausgezeichneten Violoncellspieler aus; nach mehreren Reisen nahm er seinen bleibenden Aufenthalt in Madrid, wo er 1805 in ungünstigen Verhältnissen starb. Er schrieb eine äußererdeutliche Zahl von Tries, Quartetts, Quintetts für Saiteninstrumente, von denen die ersten 1772 erschienen, welche jetzt in Deutschland wenig bekannt sind. Nägeli sagt von ihm (Vorles. S. 154): »Nicht tief, aber auch nicht arm an Ideen; der Bogeninstrumente, auch des Violoncells, Kenner und Meister, gewann er mit seinen Compositionen für dieselben um so mehr Einfluß, als sie, in einer mit Gewandtheit durchgeführten Mischung von Homophonie und Polyphenie, für die Kunstgelehrten nicht zu gemein, für die Dilettanten nicht zu gelehrt waren, und, äußerst instrumentengemäß, frisch und voll klangen.«
15 Vgl. Musik. Briefe von einem Wohlbekannten II S. 40ff.
16 Der Anfang des Andantes im Es-dur Quartett (4) genügt um zu zeigen, wie schon durch die Verschiedenheit der Stimmlage ein völlig verschiedener Ausdruck hervorzubringen ist. Welchen Werth aber Mozart auf die Einheit des natürlichen schönen Tonklangs der Saiteninstrumente legte, geht auch daraus hervor, daß er das Reizmittel durch Veränderung desselben zu wirken fast nie gebrauchte. Das Pizzicato kommt nur dreimal – im Trio des D-moll Quartetts, des C-dur Quintetts, und des Clarinettquintetts – vor, jedesmal als die einfachste, leichteste Begleitung einer zarten Melodie. Auch gewisse Baßgänge durch Pizzicato hervorzuheben liebt er nicht; nur im zweiten Adagio des G-moll Quintetts und im ersten Satz des Hornquintetts findet es sich. Ebenso sind auch die früher häufig angewendeten Sordinen nur im ersten Adagio des G-moll Quintetts und im Larghetto des Clarinettquintetts gebraucht. Gleiche Sparsamkeit dieser Mittel ist auch in den Orchestercompositionen wahrnehmbar.
17 Carpani (Le Haydine p. 96f.) beruft sich auf einen Freund als Gewährsmann, sein Nachfolger [Beyle] (lettres sur Haydn p. 61ff.) auf eine geistreiche Freundin, wonach sich auch ihre Ausführung etwas modificirt.
18 Leop. Mozart fand die drei letzten Quartetts, wie er seiner Tochter schrieb, »zwar ein bischen leichter als die drey andern, aber immer vortrefflich componirt« (III S. 266f.).
19 Auch werden zwei Takte zur Erweiterung des Schlusses angesetzt, wie im Menuett des C-dur Quintetts.
20 Im Menuett des späteren Quartetts in F-dur (Part. 8) sind siebentaktige, im Trio fünftaktige Gruppen.
21 Bei den heiteren Stellen ist auch hier der deutsche Charakter sehr bestimmt ausgesprochen und auch in Melodiebildung und einzelnen Wendungen Anklänge an die Zauberflöte, ähnlich wie im letzten Satz des Klavierquartetts in G-moll, unverkennbar; so im letzten Satz des Quartetts in G-, Es-, C-dur, auch des Quintetts in G-moll.
22 Die Siciliana, Nachbildung eines Nationalgesanges, welche bald als eine Art langsamer Gique bald als dem Pastorale angehörig bezeichnet wird, ist im 6/8 Takt und erhält ihren eigenthümlichen Rhythmus dadurch daß durchgehends das erste von drei Achteln punktirt ist; der Charakter ist weich und zärtlich. Eine Siciliana erscheint auch unter den Variationen einer Sonate für Klavier und Violine (S. 37, 3), einfacher und kürzer als die vorliegende, indem die Wendung nach F-dur ganz fehlt. Sehr ähnlich ist eine Siciliana in Glucks Ballet Don Juan (N. 2), bei deren Vergleichung der typische Charakter deutlich erhellt. Dem Rondo des Klaviertrios in G-dur (S. 41, 1) ist dieselbe Form zu Grunde gelegt, aber frei ausgeführt. In einer früheren Klaviersonate in F-dur (Oeuvr. III, 4) wie in dem Klavierconcert in A-dur (13) ist die Form der Siciliana für den langsamen Mittelsatz nach älterem Gebrauch angewandt.
23 Der König spielte nicht allein in seinen Privatconcerten (Naumanus Leben S. 183), sondern auch in den Proben zu öffentlichen Aufführungen »mit soviel Feuer und Fleiß, als ob er dafür bezahlt würde«, wie Naumann schreibt (Meißner Biogr. II S. 199 vgl. S. 212).
24 Die Haydnschen im Jahr 1787 für den König von Preußen geschriebenen Quartetts sind bekannt.
25 Boccherini bezog eine lange Reihe von Jahren eine ansehnliche Pension von Friedrich Wilhelm II, wofür er jährlich einige Quartetts und Quintetts einzusenden hatte, welche der König vor allen andern liebte und beständig spielte; Reichardt musik. Monatsschr. S. 17. mus. Ztg. 1805 S. 232.
26 Ueber die von Mozart selbst fürs Quartett arrangirte Klavierfuge in C-moll und die derselben vorgesetzte Einleitung ist bereits (III S. 385ff.) gesprochen worden.
27 Es ist unter dem 27 Sept. 1788 als Divertimento di sei pezzi von Mozart eingetragen; in Partitur gedruckt bei Heckel in Mannheim mit den beiden Violinduetts.
28 Der Grund, welchen er dafür angab – gegen Andr. Romberg, wie Götze (N. Ztschr. f. Mus. XLV S. 60) berichtet –, ist I S. 594 mitgetheilt.
29 Das erste Quintett in C moll kommt hier nicht in Betracht als ein von Mozart selbst gemachtes Arrangement eines Octetts für Blasinstrumente, welches im nächsten Abschnitt besprochen werden wird.
30 Wiener Ztg. 18 Mai 1793 S. 1462. Die vier Quintetts sind
1 in C-dur, comp. 19 April 1787. André Verz. 185.
2 in G-moll, comp. 16 Mai 1787. Das Autograph war im Besitz des Dir. Frz Hauser in München.
3 in D-dur, comp. Dec. 1790.
4 in Es-dur, comp. 12 April 1791.
Sie sind, mit dem früheren in C-moll, in Partitur erschienen bei André in Offenbach, Simrock in Bonn, Heckel in Mannheim, Pleyel in Paris.
31 Ebenso auch in den unvollendeten Skizzen einer Reihe von Quintettsätzen (Beil. XXII, 48–56).
32 Es erschien als Op. 108 bei André in Offenbach; in Partitur bei Heckel in Mannheim mit den Duetten und dem Trio für Saiteninstrumente.
33 Zwei angefangene Quintetts dieser Art fanden sich im Nachlaß (Beil. XXII, 70. 71). Auch eine andere Combination von einer Violine, Bratsche, Violoncell mit Clarinette und Bassethorn hatte Mozart versucht, in einem ebenfalls unvollendet gebliebenen Quintettsatz (Beil. XXII, 69). – Von dem Hornquintett ist bereits III S. 295 gesprochen. Daß das dort erwähnte Arrangement für Harmoniemusik nicht von Mozart selbst herrühre, geht auch daraus hervor daß der eingeschobene Menuett aus dem Trio für Saiteninstrumente entlehnt und recht übel behandelt ist.
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