XXVI.

Im ersten Jahrgang des Journals »Deutschland« (Berlin 1796 I S. 269ff.) erschien auf Veranlassung des Müllerschen Klavierauszuges der Clemenza di Tito (Hamburg, Günther u. Böhme) eine Recension, von welcher hier das was die Composition und nicht den Klavierauszug angeht mitgetheilt wird.

»Wenn der Künstler, dem die Kunst am Herzen liegt, das Werk eines Meisters in die Hand nimmt, dessen Name die größte Erwartung erregt, so kann es unmöglich zu seiner Befriedigung hinlänglich seyn, daß ein solches Werk einzelne Theile enthält, die ihres Meisters würdig sind, oder solche, die in einem andern Styl und Charakter als dem Ganzen des Werkes zukömmt, angenehm bearbeitet sind. Dieses mag hinreichen ein gemischtes leichtsinniges Publikum das nur auf einige Stunden angenehm unterhalten seyn will und das selbst keinen festen reinen Geschmack hat und den großen unterschied der verschiedenengenres nicht kennt, vorübergehend zu belustigen. Diesem ist auch Neuheit und Abwechselung alles und ein großes Werk, das eine angestrengte dauernde Aufmerksamkeit erfordert und beschäftigt, setzt ein solches Publikum nur in die Verlegenheit entweder etwas scheinen zu müssen, was seine Sache nicht ist, oder sich bloß zu geben und seinen Leichtsinn und ungebildeten Geschmack an den Tag zu legen. Auch ist ein solches Publikum schon zufrieden, wenn es nur gewisse Lieblingsformen in dem neuen Werke wiederfindet, und weit gefehlt Originalität und selbstgedachte Bearbeitung in dem Werke ihres Landsmannes zu suchen, ist sehr oft – besonders beim deutschen Publikum – der kleine Umstand, daß der Künstler ausländische, beliebte Formen glücklich nachgeahmt hat, allein schon hinlänglich ihm den Beifall seiner Zuhörer zu sichern.«

»So aber nicht der wahre Künstler, dem die Kunst über alles gilt und der weder ausländische noch inländische Götzen kennt und gelten läßt: wenn der in den Werken eines Mannes von Mozarts [770] Genie sklavische Nachahmung italienischer conventioneller Formen findet (wie hier fast durch die ganze Oper und höchst anstößig besonders in dem Rondo: Deh per questo istante solo) nachlässige, oft widersinnige Behandlung der Worte, Einseitigkeit des Ausdrucks, fast überall nur Heftigkeit in den starken Leidenschaften, ohne weitre Rücksicht auf das Wesen ihrer innern Natur, Vermischung der entgegengesetztesten Charaktere und Style; nachlässige und leichte Behandlung der Harmonie (wie die häufigen Nachahmungen imUnisono und die Bearbeitung der Chöre durchaus, die eigentlich nur vierstimmige Lieder sind); aufgenommene bizarre Sängermanieren und Verrückungen (wie auf aletta N. 2 ) – dann kann ihn eine meisterhafte Scene (wie die am Ende des ersten Akts es wirklich ist) nicht blind und gefühllos für die Mängel und Schwächen des übrigen Werks machen; vielmehr wird ihm alles Heterogene, Kleinliche und unzeitig Komische, was neben jener großen Scene steht, doppelt anstößig und widrig (Man sehe das Duettino N. 3. wenn es auch gleich das Glück der Damen nach der Mode machen sollte, das Terzetto N. 14, die kleine Baßarie N. 16, die keine Baßarie ist, das Tempo di Minuetto N. 21 u.s.w.).«

»Wie schön auch einzelne Sätze und Stellen in dieser Oper befunden werden mögen, so ist doch dieses Werk unsers mit Recht verehrten Landsmannes ein neuer Beweis, daß er ein weit größerer Instrumentalcomponist als Singecomponist, ja meistens auch in seinen Compositionen für den Gesang nur Instrumentalcomponist war, und sehr oft die Worte nur angenehmen und glücklichen Instrumentalsätzen unterlegte.«

»Auch ist diese Oper als große Oper betrachtet an Werth gar nicht mit den Operetten desselben Meisters zu vergleichen; Don Juan, Figaro und selbst die leicht hingeworfene Musik zur Zauberflöte sind in ihrer Art weit mehr werth. Außer der jedes edle deutsche Künstlerherz beleidigenden buchstäblichen Nachahmung der alltäglichsten italienischen Schreibart bis auf die zum Ekel wiederholten Schlußformen, die nur zu rufen scheinen: Hände zusammen! ist in dieser Oper – wenn man die vortreffliche Symphonie und die letzte Scene des ersten Akts ausnimmt – selbst in der Instrumentalparthie wenig Erfindung und großer Effekt, ja sogar hie und da auch in dieser Parthie, in welcher Mozart sonst so reich und die Italiener so arm zu seyn pflegen, blinde Nachahmung der Italiener.«

[771] »Was auch nun aber heißer Kunsteifer hier g'rad und frei ausgesprochen hat, so ist darum dieses Werk, besonders für das Publikum das es auf dem Theater gesehen hat und manche angenehme Rückerinnerung haben wird, der öffentlichen Bekanntmachung doch gewiß würdiger als viele andere Werke gleichberühmter ausländischer Meister.«

In demselben Journal (II S. 363) wurde über das große Concert, welches die Wittwe Mozart im Februar 1796 in Berlin gab, der Brief eines Künstlers vom 26 März 1796 mitgetheilt, der hier ebenfalls Platz finden mag.

»Sie wissen gewiß aus den Zeitungen, daß der König aus Achtung für das große Talent des verewigten Mozart, dessen hinterlassener Wittwe, bei ihrem Aufenthalte in Berlin, die Erlaubniß gegeben, mit dem Königl. Orchester und den Königl. Opernsängern Kompositionen ihres Mannes im Opernhause öffentlich aufzuführen. Das ziemlich große Gebäude war so voll als es nur je bei einer Vorstellung war und Madame Mozart muß eine für Berlin sehr ansehnliche Einnahme gehabt haben.«

»Das Konzert fing mit der Ouvertüre aus der Zauberflöte an. Sie wurde vortrefflich ausgeführt und das Orchester zeigte sich dabei in seiner größten Würdigkeit; unser neue Kapellmeister Hr. Himmel gab das Tempo vor dem Flügel ohne Geräusch und, nach meinem Gefühle, sehr richtig an, und so blieb es auch bis an's Ende. Dann sang Madame Righini eine schwere Arie von Mozart mit einer obligaten Violine sehr gut; dann blies Hr. Ritter ein Fagottkonzert aus g-dur, sehr schön; dann sang Mademoiselle Schmalz eine Bravourarie von Naumann sehr brav, und so war der erste Theil zu Ende. Im zweiten Theile wurde ein Auszug aus Mozarts letzter Arbeit, die Oper: La Clemenza di Tito gegeben. Die Ouvertüre ist nicht von großer Bedeutung, hat mancherlei Bekanntes und selbst wenig von dem wilden Feuer, welches ein Hauptzug in Mozarts mir bekannten Kompositionen ist. Dann folgten die Arien, Duos, Terzetten, Finales und Chöre, ohne Wahl aufeinander. Es sangen Madame Righini, Madame Schick, Mademoiselle Schmalz, Madam Mozart, Herr Fischer und Herr Hurka, jedes nach seiner Ihnen bekannten Art, das heißt: schön, gut und vortrefflich, jenachdem auch wohl die Komposition Gelegenheit dazu gab.«

[772] »Es ist ein großer Verlust, den die Musik durch den viel zu frühen Tod Mozarts erlitten hat. Was hätte nicht aus diesem Manne noch werden müssen, über den alle Musen ihre Gunst mit Verschwendung ausgegossen zu haben scheinen – wenn einst noch die Grazien hinzugetreten wären? Seine Kompositionen kommen mir vor, wie ein heiterer Himmel an einem recht kalten Winterabende; alles daran funkelt und flimmert von den schönsten Sternen mancher Art, große und kleine, die unter sich wieder alle Arten von Formen und Figuren bilden und woran man sich nicht satt sehen würde – wenn einen nicht die kalte Luft davon triebe. Wer sich an Mozarts Arbeiten das Herz erwärmen wollte; wer eine zusammenhängende Stuffenfolge von Empfindungen, eine entstehende und wachsende Leidenschaft suchen und sein eignes Leiden daran hängen wollte; kurz wer Zartheit, Sentiment und steigendes Interesse bei ihm erwartet, für den ist Mozart kein Mann, und also auch kein Singecomponist. Wer sich aber den Text einer Arie als einen Faden, woran eine Schnur der rarsten Perlen und Edelsteine, groß und klein und minder schätzbar, und die weiter keine Anforderung auf aesthetische Gruppirung machen, denken mag, der gehe hin und höre Mozarts Singemusik. Nur aus diesem letzten Umstande kann ich mir er klären, wie ein und der nehmliche Mann einen so ungezählten Wust von schlechten Versen, die den Geschmack, selbst des ungebildetsten Haufens empören müssen, ohne Gram absingen und die schönsten Farben daran verschwenden konnte, die Natur und Kunst nur ihren Geweihten reicht. Ihnen brauch' ich wohl nicht zu erinnern, daß das hier Gesagte nicht etwa auf den Text der Oper Tito gehen solle, allein man sieht auch hier wie sich Mozart gewöhnt gehabt, Verse überhaupt zu behandeln. Ich habe einen magern Clavierauszug dieser Oper vor mir liegen, der Mozarts Arbeit grade so darstellt, wie man einen Schattenriß von einer Landschaft machen würde; nicht als ob ich damit sagen möchte: der Clavierauszug sei darum schlechter als er ist, er ist sogar recht gut, allein Mozarts Musik ist nicht gut um Clavierauszüge daraus zu machen. Und so gefiel mir diese Musik fürs erste als ein bloßes Konzert, wobei auf Intension und Ausdruck gesehen seyn sollte, und dann als ein aus tausend angenehmen Mannichfaltigkeiten zusammengesetztes Ding, das auf lauter kleine Augenblicke vergnügt, unterhält, reizt und – verschwindet. Hier eine Hoboe, da ein Clarinett, dort ein paar Waldhörner, Flöten, [773] Fagotten u. dgl., die alle lauter Verschiedenheiten produziren, die von der Absicht des Komponisten nichts verrathen als einen geistvollen, unruhigen Genius, der sich tummelt und tanzt, und darüber zu letzt in sich selbst zusammenfällt, wenn die übersatte Imagination in dem endlosen Reiche der Möglichkeiten lange genug ohne Schutz und Führer umhergeirrt hat.«

»So eben erhalte ich das zweite Stück von Deutschland und sehe daraus, daß Sie auch schon eine Anzeige der Mozartschen Oper darin aufgenommen haben. Das urtheil wird hier schwerlich gefallen, weil sich viele Verehrer Mozarts überzeugt halten mögen, daß ein so allmächtiges, ungeheures, unermeßliches Genie über unsere Beurtheilung hinaus sei. Jedoch, in vollem Ernste! – was soll man davon denken, wenn ein beurtheilender Künstler von dem andern, öffentlich mit Schwarz auf Weiß in solchen Ausdrücken als: ungeheuer, allmächtig, unermeßlich spricht? wie ich sie vor kurzem in einem, sonst wohl geschriebenen Aufsatze über Mozart, fand. Alles was ein großes Genie erreichen kann und zu erreichen weiß, ist das Schöne. Dieses ist zugleich das Kennzeichen, woran es erkannt und das Gesetz wonach es gerichtet wird, und liegt darin für die Kritik nichts Supersuperlatives, das über das Gefühl und den Geist des gewiegten Kenners hinaus wäre, oder man muß das Geschreibe über Werke der Kunst lieber ganz dahin gestellt seyn lassen. Dem Beurtheiler muß das Schöne bekannt sein, ehe er es findet, sonst sucht er es vergebens. Er kann hingerissen, entzückt werden, wo er es findet, ja sein richtender Genius kann verstummen; niemals aber kann sein Mund von solchen Üppigkeiten überfließen, die seine Sprache und den Mann der Lob verdient, zugleich verunzieren.

Ihr sollt die Kunst und nicht den Meister lieben.«

Quelle:
Jahn, Otto: W.A. Mozart. Band 4, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1859, S. 1-2,770-775.
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