[775] Die erste bestimmte Angabe über den Antheil, welchen Süßmayr am Requiem habe, gab der Brief desselben an Härtel (8 Febr. 1800), nachdem dieser, durch die Wittwe Mozart aufmerksam gemacht und an Süßmayr verwiesen, ihn um Auskunft ersucht hatte (S. 699). Ich theile nach dem Original, dessen Handschrift durchaus keine Aehnlichkeit mit der Mozarts verräth, hier alles mit was das Requiem angeht.
»Ihre gütige Zuschrift vom 24 Jenner hat mir das größte Vergnügen gemacht, da ich aus derselben ersehen habe, daß Ihnen an der Achtung des deutschen Publicums zu viel gelegen ist, als daß Sie dasselbe durch Werke irre führen sollten, die nicht ganz auf die Rechnung meines verstorbenen Freundes Mozart gehören. Ich habe den Lehren dieses großen Mannes zu viel zu danken, als daß ich stillschweigend erlauben könnte, daß ein Werk, dessen größter Theil meine Arbeit ist, für das seinige ausgegeben wird, weil ich fest überzeugt bin, daß meine Arbeit dieses großen Mannes unwürdig ist. Mozarts Composition ist so einzig und ich getraue mir zu behaupten, für den größten Theil der lebenden Tonsetzer so unerreichbar, daß jeder Nachahmer besonders mit untergeschobener Arbeit noch schlimmer wegkommen würde, als jener Rabe, der sich mit Pfauenfedern schmückte.«
»Daß die Endigung des Requiems, welches unseren Briefwechsel veranlaßte, mir anvertraut wurde, kam auf folgende Weise. Die Wittwe Mozart konnte wohl voraussehen, daß die hinterlassenen Werke ihres Mannes würden gesucht werden, der Tod überraschte ihn, während er an diesem Requiem arbeitete. Die Endigung dieses Werkes wurde also mehreren Meistern übertragen; einige davon konnten wegen überhäuften Geschäften sich dieser Arbeit nicht unterziehen, andere aber wollten ihr Talent nicht mit dem Talente Mozarts compromittiren. Endlich kam dieses Geschäft an mich, weil man wußte daß ich noch bey Lebzeiten Mozarts die schon in Musik gesetzten Stücke öfters mit ihm durchgespielt und gesungen, daß er sich mit mir über die Ausarbeitung [775] dieses Werkes sehr oft besprochen, und mir den Gang und die Gründe seiner Instrumentirung mitgetheilt hatte. Ich kann nur wünschen daß es mir geglückt haben möge, wenigstens so gearbeitet zu haben daß Kenner noch hin und wieder einige Spuren seiner unvergeßlichen Lehren darin finden können.«
»Zu dem Requiem samt Kyrie – Dies irae – Domine Jesu Christe hat Mozart die 4 Singstimmen und den Grundbaß samt der Bezifferung ganz vollendet; zu der Instrumentirung aber nur hin und wieder dasMotivum angezeigt. Im Dies irae war sein letzter Vers qua resurget ex favilla und seine Arbeit war die nemliche wie in den ersten Stücken. Von dem Verse an Judicandus homo reus etc. habe ich das Dies irae ganz geendigt. Das Sanctus-Benedictus und Agnus Dei ist ganz neu von mir verfertigt; nur hab ich mir erlaubt, um dem Werk mehr Einförmigkeit zu geben, die Fuge des Kyrie bei dem Verse cum sanctis etc. zu wiederholen.«
»Es soll mir herzlich lieb sein, wenn ich Ihnen durch diese Mittheilung einen kleinen Dienst habe leisten können«1.
Diese Aufklärung, deren unbedingte Gültigkeit schon bei ihrer ersten Bekanntmachung (A. M. Z. IV S. 4) angezweifelt wurde, scheint keinen großen Eindruck gemacht zu haben und das Requiem galt allgemein für ein Werk Mozarts. Es war G. Webers Verdienst im Jahr 1825 in einem Aufsatz »über die Echtheit des Mozartschen Requiem« (Cäcilia III S. 205ff.) an den Antheil zu erinnern, welchen Süßmayr sich an demselben beilegte, und da ihm oben der Widerspruch zwischen Rochlitz's Bericht, das Requiem sei von Mozart ganz vollendet, und dem Gerbers (vielmehr Niemtscheks), es sei unvollendet abgeliefert, auffiel, so hielt er sich berechtigt durch folgende Hypothese denselben aufzuklären.
»Wir können ganz wohl mit Rochlitz annehmen« sagt er (S. 211f.) »daß Mozart vor seinem Tode sei nen Schwanengesang wirklich ganz (oder vielleicht bis auf Kleinigkeiten) beendigt hatte. Wir können ferner mit Gerber annehmen daß nach Mozarts Tode das ganz oder bis auf Kleinigkeiten fertige Mannscript des Werkes dem unbekannten ausgeliefert worden. Weiter [776] nehmen wir als bekannt an, daß der Unbekannte nicht entdeckt worden und das ihm eingehändigte Originalmanuscript nicht wieder aus Tageslicht gekommen ist – was ja auch noch nie Jemand behauptet hat.«
»So war und blieb also das unschätzbare Kleinod später verloren.«
»Nun ist es aber allbekannt daß ein Verfasser eines ausgedehnten Werkes, bevor er das Manuscript desselben ordentlich und ausführlich zu Papier bringt, sich erst flüchtige Entwürfe, gleichsam erste Umrisse der Skizzen hinzuwerfen, sogenannte Ebauchen, Croquis zu entwerfen pflegt. Namentlich bei Vocal-Compositionen schreibt man stellenweis auch wohl die vier Singstimmen auf zwei oder auch auf mehr Zeilen vollständig erst ins Brouillon und läßt dieselben dann partiturmäßig abschreiben um hernach erst in den vom Copisten leer gelassenen Zeilen die Instrumentation auszuführen: kurz man macht vor dem ausgeführten Arbeiten der vollständigen Partitur nach Umständen, Bedürfniß und Bequemlichkeit, Skizzen und sonstige Vorarbeiten der verschiedensten Art und Gestalt.«
»Solche unter Mozarts Papieren, vielleicht unter anderen Papierschnitzeln, zurückgebliebene Skizzen waren ohne Zweifel das was aus seinem Nachlasse von seiner Wittwe dem Herrn Süßmayer übergeben wurde, und woraus dieser dasjenige Requiem, was wir dermal besitzen, anfertigte.«
Indem er übersah daß er an die Stelle der ihm nicht ganz zuverlässig erscheinenden Ueberlieferung etwas von ihm Erdachtes setzte, kam er zu der »traurigen aber kaum mehr zu bezweifelnden Gewißheit daß das Requiem, ganz so wie Süßmayers Brief besagt, größtentheils seine und kein einziges Stück rein Mozarts Arbeit ist, das echte von Mozart geschriebene Requiem aber nicht ans Tageslicht gekommen ist.«
Den tieferen Grund dieser Hypothese bildeten ästhetische Zweifel. Weber fand manches im Requiem weder mit der hohen Vorstellung, welche er sich von Mozart als Componisten gebildet hatte, noch mit den richtigen Ansichten über das Wesen der Kirchenmusik und die Auffassung des Requiem übereinstimmend, welche er lebhaft und eindringlich entwickelt hat (Cäcilia III S. 103ff. 173ff.). Diesen Maaßstab geltend zu machen gab ihm jene Hypothese die Freiheit und indem er die sehr lebhafte Kritik, von welcher die Proben mitgetheilt sind, gegen das Requiem richtete, [777] gelangte er zu dem Resultat daß von den nach Süßmayrs bestimmter Angabe ganz von Mozart entworfenen Sätzen einige wie das Kyrie, Tuba, Confutatis, Quam olim gar nicht oder zum geringsten Theil von Mozart herrührten, während er an den angeblich von Süßmayr allein herrührenden Stücken sicherlich Antheil habe.
Auf dieses Gebiet ästhetischer Kritik folgte ihm Marx (Berl. Mus. Ztg. 1825 S. 371ff.), verlangte aber mit Recht daß nicht ein allgemeiner, noch dazu nur postulirter Canon, sondern die Eigenthümlichkeit Mozartscher Auffassung und Darstellung als Maaßstab angelegt werde, und suchte aus inneren Gründen die Echtheit sowohl der von Weber angezweifelten als der von Süßmayr in Anspruch genommenen Stücke des Requiem nachzuweisen. Es begreift sich daß Weber diese Gründe theils dankbar acceptirte, theils wiederum als subjective und deshalb unberechtigte zurückwies (Cäcilia IV S. 320ff.).
In dem redlichen Bemühen die Frage zu einem bestimmten Abschluß zu bringen hatte Weber nach allen Seiten hin, woher er Aufklärung hoffen durfte, die Aufforderung gerichtet ihm solche zu ertheilen, und was ihm in Briefen und Schriften zugegangen war ließ er abdrucken und unterwarf es einer nochmaligen Revision (Cäcilia IV S. 257ff.). Aus dem Wirrwarr von nichtssagenden, halbwahren, confusen Berichten, die hierdurch zusammenkamen, ergab sich an factischen Aufklärungen Folgendes.
Abbé Max Stadler, der Freund Mozarts und der Berather seiner Wittwe in Beziehung auf dessen musikalischen Nachlaß, mit allen Verhältnissen genau bekannt, der »sich freute und Gott dankte daß er ihn so lange leben ließ um als acht und siebzigjähriger Greis noch Zeuge der Wahrheit sein zu können,« berichtete in seiner »Vertheidigung der Echtheit Mozarts« (Wien 1826 S. 11f.).
»Mozart hat das Requiem selbst auf wälschem Papier mit zwölf Linien in eine förmliche, ordentliche Partitur gebracht. Es hat seine volle Richtigkeit mit dem, was Süßmayr in seinem Briefe an die Musikhandlung in Leipzig geschrieben, daß nähmlich die drey Hauptsatze, das Requiem mit Kyrie, Dies irae bis auf den letzten Vers, Domine Jesu, ganz aus Mozart's Hand geflossen, indem er die vier Singstimmen und den Grundbaß sammt der Bezifferung ganz vollendet, zu der Instrumentirung aber die Motiven angezeigt hat. Sehr merkwürdig ist es, daß seine letzten Worte in dem Domine nach dem Hostias, die er [778] geschrieben, Quam olim da capo waren, als hätte er anzeigen wollen, daß er nun selbst zum ewigen Leben übergehe, welches Gott dem Abraham und seinem Geschlechte verheißen.«
»Der erste Satz Requiem, mit der Fuge, und der zweyte, Dies irae bis Lacrymosa, sind von Mozart größten Theiles selbst instrumentirt, und Süßmayr hatte nicht viel mehr dabey zu thun, als was die meisten Componisten ihren Notisten überlassen. Bey dem Lacrymosa fing eigentlich Süßmayrs Arbeit an. Aber auch hier hat Mozart die Violinen selbst aufgeschrieben; nur nach dem judicandus homo reus führte es Süßmayr bis zum Ende aus. Auf eben diese Art hat Mozart bey dem dritten Satz: Domine, in seiner Partitur, wo die Singstimmen schweigen, die Violinen selbst geschrieben; wo aber Singstimmen einfallen, die Motive hier und da, jedoch deutlich, für die Instrumente angezeigt. Vor der Fuge quam olim gab er den Violinen zwey und einen halben Tact allein auszuführen. Bey dem Hostias schrieb er die Violinen durch zwey Tacte vor den eintretenden Singstimmen; bey dem memoriam facimus durch eilf Tacte mit seiner eigenen Hand. Nach dem geendigten Hostias ist von seiner Feder weiter nichts mehr zu sehen, als das obenbemeldete: ›Quam olim da capo.‹ Hier ist das Ende der Mozartischen Partitur in der Urschrift. Man glaube aber nicht, daß Süßmayr in diese die Ausfüllung der Instrumente eingetragen habe. Er machte sich eine eigene, der Mozartischen ganz ähnliche Partitur; in diese übertrug er zuerst Note für Note, was Mozarts Original enthielt, alsdann befolgte er erst die gegebene Anleitung in der Instrumentirung aufs genaueste, ohne eine Note von den seinigen hinzuzusetzen, componirte selbst das Sanctus, Benedictus undAgnus Dei. Auf diese Weise war das Werk vollendet. Von dieser Partitur wurden sogleich zwey Copien veranstaltet. Die Handschrift Süßmayrs wurde dem Besteller eingehändigt. Eine Copie wurde an die Musikhandlung in Leipzig zum Drucke übergeben2, die zweyte hier behalten und ausgeschrieben; worauf bald zum Besten der Witwe dieses herrliche Werk in dem Jahnischen Saale zum ersten Mahle aufgeführt wurde.«
»Gleichwie ich von der Existenz der Urschrift Mozarts im Betreff des Lacrymosa und Domine vollkommen überzeugt bin, eben so könnte ich bestimmt den Nahmen des Bestellers hieher [779] setzen. Allein, da derselbe unbekannt bleiben wollte, so kann ich mir dieß nicht öffentlich erlauben. Ich finde es auch gar nicht nothwendig. Das Factum ist einmahl richtig. Genug, daß wir seiner Freygebigkeit das Meisterwerk zu verdanken haben. Nur so viel darf ich hier noch bemerken, daß eben dieser Unbekannte unter einem erfuhr, daß nicht das ganze Werk von Mozart, der während seiner Arbeit starb, herrühre, und sich daher weiters hierüber erkundigte. Er überschickte nähmlich die ihm eingehändigte Partitur von Süßmayrs Handschrift seinem Sachwalter, einem sehr berühmten Advocaten in Wien, um nähere Auskunft darüber einzuhohlen. Die Witwe wurde befragt, allein sie ersuchte mich und Herr v. Nyssen, die am meisten von der Sache unterrichtet waren, bey dem Herrn Advocaten zu erscheinen. Wir thaten es bereitwillig. Die Partitur wurde uns vorgelegt. Ich zeigte an, welche Sätze den Mozart, und welche den Süßmayr zum Verfasser hatten. Der Herr Advocat schrieb alles auf, was ihm gesagt wurde. Die Sache war abgethan, das Exemplar zurückgeschickt, und der Unbekannte zufrieden gestellt. Inzwischen erhielt auch die Witwe die Copie, aus welcher in Leipzig das Requiem abgedruckt worden, zurück; ich erhielt sie von ihr zum Geschenk, und fand einige, doch sehr wenige Schreibfehler des Copisten mit rother Dinte angemerkt, die vor dem Drucke verbessert wurden –«3.
Auch über den Besteller des Requiem ertheilten Briefe des Landesadvokaten Krüchten in Pesth (23 Dec. 1825, 3 Jan. 1826) genaue Auskunft, die anfangs auszugsweise (Cäcilia IV S. 306), später vollständig mitgetheilt wurden (Cäcilia VI S. 217. 221ff.), wonach hier das Wesentliche einen Platz finden mag.
Auf dem Landgute Stuppach in Unterösterreich, (Viertel Unterwienerwald, 4 1/2, Posten von Wien, an der Triester-Straße) dem gewöhnlichen Wohnsitze des Grafen von Wallsegg starb im Jänner des Jahres 1791 dessen Gemahlin, geborne Freyin von Flammberg. Der verwitwete Graf, leidenschaftlicher Kunstfreund, beauftragte einen (seitdem verstorbenen) Beamten seiner Besitzungen, den Verwalter Leutgeb von Schottwien (einem dem Grasen gehörigen Marktflecken, in der Nähe von Stuppach, an der Steyerischen Grenze gelegen) bei Mozart die Composition eines [780] Requiem, zur Todtenfeier für die Verklärte, und zwar ohne den Namen des Bestellers zu nennen. Auch beim Abholen der Partitur beobachtete Leutgeb gleiche Verschwiegenheit, die seinem Auftrage gemäß nothwendig war, indem der Graf nach erhaltener Partitur sich in seine Bibliothek einschloß, dieselbe abschrieb und als seine eigene Composition producirte. Zu etwas mehrerem, auch nur zu einer Ergänzung und Ausführung unvollendeter Skizzen, war er ganz unfähig, da seine musikalische Bildung nur mittelmäßig war. Als sein Werk ließ er das Requiem in Wienerisch Neustadt, (3 Posten von Wien und beiläufig 3 Stunden von Stuppach, ebenfalls an der Triester Straße gelegen,) in dem Hause des seitdem verstorbenen Landesphysikus und Civil-Arztes am K. K. Cadettenhause, und Hausarztes im Gräfl. Walseggischen Hause in Stuppach, Obermayer probiren. Dieser, ein Oheim Krüchtens, war sammt seiner Familie musikalisch und alle Wochen waren bei ihm Quartett und Orchestermusik, denen der damalige Regens des Musikchors der Metropolitankirche Trapp sammt seinen musikalischen sogenannten Famularburschen, das Kadettenhaus, Dilettanten der Stadt und Umgegend fleißig beiwohnten. Obermayer war auch vertrauter Hausfreund beim Grafen Wallsegg, was wechselseitige Besuche zur Folge hatte und Obermayers älteste Tochter Therese sang die Sopranstimme, sowohl bei der Probe, als auch bei der Production selbst, welche in eben dieser Stadt Neustadt, auf dem Musikchore der dortigen Zisterzitenabtei, gewöhnlich Neukloster genannt, Statt fand, wo Graf Wallsegg die feierlichen Exequien für die verstorbene Gattin halten ließ.
Diese Aufführung geschah, schreibt Krüchten, »nicht nach Mozarts Tode, (er starb 1792)4, sondern schon 1791, in welchen Jahres Anfang die Gräfin starb, wenn ich nicht irre im Spätherbst.« Später fügt er noch hinzu: »Ich weiß nur daß der Graf ebenfalls bei Mozart eine Symphonie componiren ließ, die er auch vor eigne Arbeit ausgegeben, die aber der erwähnte Regenschori Trapp, bekannt mit Mozarts Arbeit und Geist, sogleich für Mozartsches Kunstprodukt erklärte, das, freilich nicht in Gegenwart des Grafen, bei meinem Onkel besprochen wurde.«
Hiezu kam ergänzend folgender von André im Vorberichte (Cäcilia VI S. 212f.) mitgetheilte Brief Zawrzels (25 Juli 1826).
[781] »Es war im Jahr 1790 im August, als mich der Graf kommen ließ. Es war das erstemal nach dem Tode der Gräfin. Ein junger Mensch, der bei dem Grafen als Violoncellist stand und selbst die Composition verstand, erzählte mir daß der Graf für die Gräfin selbst ein Requiem componirt und schon weit gefördert habe und brachte mich in des Grafen Schreibkabinet das Requiem zu sehen. Ich sah es genau durch und fand daß es bis zum Sanctus, sehr nett geschrieben, fertig war. Ich wurde aufmerksam auf die Bassethörner und sagte dem Grafen, Instrumente dieser Art könne man in Neustadt nicht bekommen. Seine Antwort war, wenn er das ganze Requiem fertig habe, so werde er die Bassethörner von Wien kommen lassen.«
»Ich kam im October nach Wien. Sie wissen selbst daß in dem Zwischenraume Mozart die Zauberflöte und Titus schrieb, auf das ganze Requiem nicht mehr dachte und der Krönung Kaiser Leopolds, sowohl in Frankfurt als in Prag, beiwohnte, wo er eine kurze Zeit darauf krank wurde und starb. Da war eine große Verwirrung im Hause. Süßmayr, der Freund vom Hause war, wurde ersucht die Musik, welche auf einem Haufen durcheinander lag, zu ordnen und da fand sich auch das Requiem. Süßmayr fragte, was das für ein Requiem sei, das noch nicht fertig sei. Madame Mozart erinnerte sich daß ein Herr das Requiem bestellt, soviel als Mozart forderte, vorausbezahlt, von Zeit zu Zeit was fertig sei erhalten, und da er einigemal umsonst gekommen, lange Zeit weggeblieben sei. Nun können Sie errathen, warum sich der Herr Graf nach dem Tode Mozarts nicht gemeldet hat; dann wäre der Graf bekannt und könnte bei seinen Leuten nicht mehr als Compositeur des Requiem gelten.«
Es läßt sich begreifen, wenn Weber, da er in diesen Angaben einige scheinbare Bestätigungen seiner Hypothese fand, daran festhielt und die im Wesentlichen übereinstimmenden Ueberlieferungen Süßmayrs, Stadlers und der Wittwe Mozart, obgleich sie vor allem Anspruch auf Glaubwürdigkeit hatten, dagegen zurücksetzte, da durch sie seiner Ansicht das Fundament entzogen werden mußte. Er wurde darin bestärkt durch die neue Verwirrung, welche theils Mangel an Sachkenntniß wie in den von Nissen geschriebenen Mittheilungen der Wittwe, theils Mangel an Präcision wie in der Darstellung Stadlers, theils Reticenzen aus Rücksichtsnahme für Andere, theils unklare Erinnerungen in den verschiedenen Berichten hervorriefen; und indem er [782] ein scharfes Kreuzverhör anstellte, wobei er selbst es aber an Mißverständnissen und Uebereilungen auch nicht fehlen ließ, gelang es ihm leicht eine allgemeine Confusion nachzuweisen, welche der Willkühr seines eigenen Verfahrens eine scheinbare Berechtigung gab. Von Stadler nahm er den Nachweis daß Mozart Motive von Händel entlehnt habe gern an und benutzte dies als einen Beweis daß die betreffenden Stücke des Requiem nur Studien Mozarts seien, welche nun ihren Platz neben den Brouillons erhielten; die nähere Kenntniß vom Grafen Walsegg verleitete ihn zu der Andeutung, Mozart habe es wohl absichtlich mit dem Requiem nicht so genau genommen, weil er gewußt habe und damit einverstanden gewesen sei, daß der Besteller es für sein Werk ausgeben werde. Weber scheint selbst nicht klar erkannt zu haben daß er allmählich so auf einen ganz anderen Standpunkt gekommen war, und dazu mochte auch die Leidenschaftlichkeit beitragen, welche sich in diesen Streit mischte und ihm einen unerfreulichen Verlauf gab.
Die rücksichtslose Heftigkeit und Schärfe, mit welcher Weber das angriff, was er am Requiem für unecht hielt, mußte bei den Verehrern Mozarts, welche wußten oder glaubten daß die getadelten Stellen echt waren, lebhafte Erwiederungen hervorrufen. Darüber durfte sich Weber nicht beklagen, allein Stadler und andere hatten sich verleiten lassen ihm das unwürdige Motiv neidischer Rivalität gegen Mozart unterzuschieben. Der Unwille, mit welchem er hiergegen protestirte, war berechtigt5, allein er wirkte doch auch auf seine ganze Polemik ein6, die sich nun mehr mit den Gegnern als mit der Sache zu thun machte; und als durch eine Indiscretion ein Privatbrief Beetho vens an Stadler in Schlossers Biographie Beethovens (Prag 1827) als Facsimile mitgetheilt wurde, in welchem dieser sich sehr derb über Webers Ansichten ausspricht, vergaß sich Weber soweit von einem Pasquill zu reden und ihm nun seinerseits das Motiv gekränkter [783] Eitelkeit unterzuschieben (Cäcilia VIII S. 60ff.)7. So verlief diese Discussion ohne eigentliche Entscheidung in ein unerquickliches Gezänk. Als im Jahr 1839 die Kunde laut ward Mozarts vollständige Originalpartitur sei aufgefunden, glaubte Weber einen unverhofften Triumph zu feiern und die thatsächliche Bestätigung seiner Ansichten an den Tag treten zu sehen (Cäcilia XX S. 279ff.); ob er die vollständige Enttäuschung erfahren habe, daß diese Entdeckung seine Ansichten völlig widerlege – er starb im Jahr 1839 – ist mir nicht bekannt8.
Es wäre sehr mühselig und wenig unterhaltend die unzähligen Mißverständnisse und Verdrehungen, die falschen Deutungen und willkührlichen Combinationen, welche in dieser Discussion einander von allen Seiten begegnen, im Einzelnen aufzuweisen und zu beseitigen; es ist unnöthig, da nunmehr der geschichtliche Thatbestand seinen wesentlichen umständen nach sicher bekannt ist. Dagegen ist es nicht ohne Interesse in der Kürze zu verfolgen, wie man, nachdem einmal Zweifel erhoben [784] waren, sich berechtigt glaubte, über das was überliefert war hinwegzugehen und sich nach eigenem Gutdünken ein Bild von dem Sachverhalt zu machen, das als historisch gelten sollte.
Rochlitz theilte G. Weber mit (Cäcilia IV S. 287ff.) daß er bei der Anwesenheit der Wittwe Mozart in Leipzig sich in den Verhandlungen über den Verkauf des Requiem – die nur nach einer irrigen Voraussetzung angenommen sind, die Veröffentlichung des Requiem kam erst später brieflich zur Sprache (S. 698f.) – nicht betheiligt habe.
»Doch« fährt er fort »brennend von Ehrfurcht und Liebe zu Mozart und allem, was von ihm ausgegangen, umlagerte ich Mad. Mozart, die Sängerin Lange, (ihre Schwester,) und den Componisten Eberl, welche beide in ihrer Gesellschaft reiseten, und forschte und fragte nach allem, was zu schätzen und woran Interesse zu finden ich damals fähig war; mithin auch nach der Entstehungsgeschichte des Requiem und was sich an sie knüpfte. Aus alle dem was ich damals erfuhr und sogleich notirte, ohne irgend eine Absicht, außer es nicht zu vergessen; aus dem kurzen Briefe Süßmayrs, etwas später, da durch den Druck der Partitur die Frage, welche Sie jetzt wiederholen, ernstlich zur Sprache kam; aus manchen Notizen, die ich nachher erhalten, und aus der Gestalt des Werkes selbst – hab' ich mir folgende Vorstellung von der Sache gebildet, die ich freylich, da einigermaßen sie zu begründen, Bogen erforderte, nur als meine, eines Einzelnen, Vorstellung hingeben kann.«
»Bis zum Sanctus ist das Werk ganz, wie es ist, von Mozart niedergeschrieben, und höchstens kann er in der Instrumentation, wo diese blos begleiten, oder sonst für sich nicht hervortreten und im angezeigten Gange fortgehen soll – kurz, wo sie sich für den Künstler von selbst versteht – einzelne Lücken, in bequemerer Zeit auszufüllen, gelassen haben. ZumSanctus fühlte er sich (nun schon krank) nicht gestimmt, als er in der Reihe der Sätze daran kam: er skizzirte es nur, legte sogar vielleicht es nur an, (etwa in den Singstimmen mit Baß,) und hätte wahrscheinlich es größer und weiter ausgebildet, wenn ihn der Tod nicht übereilt hätte9. Zum Osanna brauchte er blos die [785] Singstimmen hingeworfen zu haben: das Andere ergab sich von selbst. Zum Benedictus undAgnus Dei fühlte er sich, selbst durch seine damalige Lage, geneigt und begeistert: er schrieb sie in allem Wesentlichen nieder – nicht nur die Singstimmen, sondern auch, wo sie von besonderer Wirkung seyn sollten, die Instrumente (z.B. den Eintritt der Posaunen im Benedictus, der an das erste ›Requiem aeternam‹ erinnert; die Figur der Geigen im Agnus Dei); bey dem Übrigen konnte ein verständiger Musiker, wie Süßmayr, nicht fehlen, wenn er selbst, Mozart, es nicht hinschreiben wollte. An die folgenden Sätze: Libera etc. kam er nicht mehr, und so fehlen sie gänzlich. Bey der Rückkehr des Requiem etc. ist es gewöhnlich und vollkommen angemessen, mithin höchstwahrscheinlich auch in Mozarts Vorsatze gewesen, das erste Requiem, abgekürzt und mit beliebigen Aenderungen im Außerwesentlichen, herüber zu nehmen; so daß er, wenn die auf jene Art abgeänderte Einleitung nicht von ihm, doch so ist, wie er sie würde geschrieben, wie er vielleicht auch mit Süßmayr, seinem Hausfreunde und treuen Aushelfer, sie mag besprochen haben. Daß er noch einen großen Schlußsatz, (Libera etc.) wahrscheinlich aus Hauptideen mehrerer der ersten Sätze neu gewebt, (wie die Textworte) würde geschrieben und keineswegs die Fuge wiederholet haben: davon bin ich überzeugt.«
»Hieraus gehet nun, in Hinsicht auf Ihre Frage, so weit ich urtheilen kann, Folgendes hervor:
›1 Die fehlenden Stücke und allenfalls das Sanctus abgerechnet, besitzen wir in allem, was nur einigermaßen wesentlich zu nennen ist, das Requiem, wie es Mozart theils vollendet, theils gewollt hat;‹
[786] ›2 Süßmayr, da er ein routinirter Musiker, seit Jahren um Mozart und die Nebendinge (Aussetzung von ihm angedeuteter Instrumentation u. dgl.) unter seinen Augen zu vollenden gewohnt war – wie er denn erst kurz vorher zu diesem Geschäft auch bey der Clemenza di Tito benutzt worden war – hat bedeutende Fehlgriffe gar nicht machen können, und im Grunde eine leichte Arbeit gehabt.‹«
André, welchem von der Wittwe Mozart der Originalentwurf Mozarts zum Dies irae bis einschließlich Confutatis, die Partitur mit Angabe des von Mozart und Süßmayr herrührenden und nähere Aufschlüsse darüber schon im Nov. 1800 mitgetheilt waren, hatte sich die Ansicht gebildet, daß Mozart dieses Requiem vor dem Jahr 1784 angefangen habe und nicht vollenden wollte (Cäcilia IV S. 287). Sie gründete sich darauf daß das Requiem in Mozarts thematischem Verzeichniß fehle, und auf die Analogie der großen, ebenfalls unvollendet gebliebenen Messe in C-moll. Die letztere kann nichts beweisen, auch der erste umstand wäre nur stringent, wenn Mozart seine Werke regelmäßig beim Beginn eingetragen hätte, was aber bei den größeren Werken gewöhnlich nicht der Fall ist; also ist es ganz erklärlich daß das Requiem nicht eingetragen ist, wenn er vor der Vollendung starb.
Nachdem André durch Zawrzel im Jahr 1826 über die Bestellung des Grafen Walsegg näher unterrichtet worden war, modificirte er seine Ansicht dahin, daß er annahm, Mozart habe zur kürzeren Erledigung des übernommenen Auftrags den Entwurf einer schon früher angefangenen Composition hervorgesucht und benutzt. Diese ältere Arbeit reichte nach Andrés fester Ueberzeugung bis zum Eintritt des Tenorsolos Mors stupebit im Tuba mirum, von wo an er erst »jene Zauberklänge zu erkennen glaubte, welche Mozarts neuere Werke charakterisiren.« Auch Domine Jesu und Hostias hielt er, wenn sie überhaupt von Mozart herrührten, für ältere Arbeiten, welche erst nach seinem Tode zur Vervollständigung des Requiem herbeigezogen wären (Vorber. zur Partitur. Cäcilia VI S. 211ff.).
Noch anders hatte Zelter sich die Sache zurecht gelegt, der sehr ungehalten über Webers Kritik an Goethe schrieb (19 Aug. 1827. Briefw. IV S. 351ff.): »So lautet der Webersche Humor. Nun ist man doch auch von Jugend an in der Welt gewesen; Mozart ist zwei Jahre vor mir geboren und wir erinnern [787] uns der umstände seines Ablebens nur zu wohl. Mozart, sag ich, dem bei sicherer Schule das Produciren so von Handen ging daß ihm zu hundert Dingen Zeit blieb, die er mit Weibern u. dgl. hinter sich bringt, hatte eben dadurch seiner guten Natur zu nahe gethan. So kommt er auch zu einer Gattin, zu Kindern, und in die äußerste Noth, worin sich seine bürgerliche Existenz verliert. Auf dem Siechbette, häuslich gedrückt, gequält, verrufen, ohne hülfreiche Freunde, fehlt endlich das Nöthigste. Ein Biedermann bestellt eine beliebige Arbeit um auf feinste Art Geld herzugeben. Ein Opernbuch ist nicht gleich vorhanden und Mozart sagt: So will ich ein Requiem machen, das Sie zu meinen Exequien brauchen mögen. Die Schwäche nimmt zu, geistliche Vorsorge nähert sich, und in ernster, einsamer Selbstbeschauung entwickeln sich gewisse Anfänge einzelner Theile des Requiem (wie Du sie einst Deinem Gretchen so wahr beigegeben hast)dies irae – tuba mirum – rex tremendae – confutatis – lacrimosa – und grade diese Stücke sind es, welche die tiefste Zerknirschung eines religiösen Gemüths und zugleich von einer Seite die letzten Reste einer großen Schule und von der anderen Seite den leidenschaftlichen Sinn eines Theater-Componisten offenbaren. Der Stil ist also vermischt, ungleich, ja brüchig, und so entsteht die Verwirrung, worin sich die heutige Kritik so sehr gefällt. So lautete damals die Tradition, aber kein Biedermann wollte es laut wiederholen.«
»Nach Mozarts Tode tritt der gute Süßmayr als treuer Freund heran, setzt das Requiem zusammen, ergänzt das Fehlende und die nothleidende Familie erhält dadurch einen Zuschuß ihre Blöße zu decken. Das Werk wird verkauft, gedruckt, und Süßmayr erklärt sich so gut er kann über seinen Antheil am Werke, und geht seinem Freunde bald in die Ewigkeit nach.«
G. L. P. Sievers kommt in einer kleinen Schrift10, welche in komischer Weise die Widersprüche und Ungenauigkeiten der verschiedenen Angaben kritisirt um sie mit nicht minder argen Versehen und confusen Erinnerungen zu versetzen, indem er als Thatsache annimmt daß Mozart 1792, und nicht 1791, gestorben sei, zu folgender Annahme.
Mozart, von einem Boten des Grafen Walsegg beauftragt ein [788] Requiem für diesen zu schreiben, aber dasselbe nie herauszugeben, besonders aber nie bekannt werden zu lassen ein solches für ihn componirt zu haben, richtet die Bestellung aus und läßt dem Grasen die vollendete Partitur einhändigen ohne eine vollständige Abschrift von derselben zu nehmen. Mozart stirbt, die Erben finden unter seinen Papieren die Entwürfe zu jenen drei Hauptsätzen, welche in Mozarts eigener Handschrift vorhanden sein sollen, und Süßmayr erhält den Auftrag das Ganze zu beendigen. Hatte dieser einen, wenn auch nur mittelbaren Antheil an der ursprünglichen Composition genommen, so konnte ihm das was er später hinzufügte um so leichter im Gedächtniß geblieben sein; wenn man nicht annehmen wollte, der Graf habe allmählich die einzelnen Stücke, wie sie vollendet wurden, erhalten und, nachdem Mozart gestorben ohne die letzten Sätze zu schreiben, diese etwa aus einem anderen Requiem dazu geschrieben.
Oulibicheff, der an diesem curiosen Buch sein Gefallen gefunden hat, adoptirt diese Vermuthung im Wesentlichen und appretirt sie nur etwas seiner (I p. 306ff.). Nach seiner Meinung bestellt Graf Walsegg das Requiem bei Mozart durch Leutgeb, weil er gewichtige Gründe hat incognito zu bleiben, die uns weiter nichts angehen; er macht die Bedingung es nicht ohne seine Erlaubniß zu verkaufen, nicht es geheim zu halten, sonst würde Mozart nicht davon gesprochen haben. Nach der Rückkehr aus Prag bis zu seiner Krankheit arbeitete Mozart alles bis zum Sanctus in seinen gewöhnlichen Partiturentwürfen aus und ließ diese gleich durch Süßmayr in seiner Gegenwart copiren und fertig instrumentiren, wie er es beim Titus gemacht hatte. Während er bettlägerig war, entwarf er Skizzen vom Sanctus, Benedictus und Agnus dei, welche Süßmayr nach seinem Tode ausführte, und so konnte wenige Tage darauf das vollendete Requiem dem Grafen überantwortet werden. Für die Wittwe schrieb Süßmayr die Partitur noch einmal auf, wenn er nicht ohne Mozarts Wissen schon eine Abschrift davon genommen hatte, welche sie zu verkaufen wünschte. Allein während sie das Requiem mit dem mystischen Dunst der romantischen Bestellung umgab und dasselbe für Mozarts Werk ausgab um es vortheilhafter zu verkaufen, wollte Süßmayr Ruhm gewinnen und legte sich den größten Theil der Arbeit bei.
Als die reine Wahrheit berichtet endlich Lyser (Mozart-Album S. 49): »Der Besteller des Requiem hieß Leutgeb und war [789] Verwalter beim Grafen Waldsee; die Stammburg dieser Familie existirt noch, sie liegt nahe an der Donau und man kommt mit dem Dampfschiff hart an derselben vorüber, wenn man von Wien nach Linz fährt. Graf Waldsee besaß eine Wohnung dicht bei Wien. Mozart war sehr gut mit ihm bekannt und auch mit Leutgeb, wie wir aus seinem Catalog ersehen. Der Graf war ein großer Musikliebhaber, dabei reich und hatte es gern, wenn er auch für einen Kenner gehalten wurde. Im Spätsommer 1791 starb die Gräfin zu Stuppach; dieser Trauerfall war die Veranlassung daß das Requiem bei Mozart bestellt wurde, und zwar ausdrücklich für die Exequien der Verstorbenen, so daß das Werk Eigenthum des Grafen bleiben sollte. Den Namen des Bestellers zu verschweigen wurde weder von Mozart noch von seiner Familie verlangt, sowie auch nicht verlangt wurde, daß Mozart ein Geheimniß daraus mache daß er das Requiem componire – wodurch denn die lügenhafte Angabe widerlegt ist, als habe Graf Waldsee das Requiem für seine eigene Composition ausgeben wollen. – Das Requiem war, wie sich Jeder auf der k.k. Bibliothek in Wien mit eigenen Augen überzeugen kann, von Mozarts eigener Hand bis auf vier Nummern in der Partitur vollendet, und zwar mit einer Sorgfalt und Genauigkeit in allen Theilen, die noch nach 34 Jahren einen Beethoven, Weigl, Salieri und Stadler aufs Neue mit tiefer Bewegung erfüllte. Als das Werk bis soweit in der Partitur vollendet war, wurde Mozart bettlägerig. – So lange er seine Hände noch gebrauchen konnte, schrieb er selber seine Gedanken nieder, später dictirte er seinem Schüler Süßmayr seine Gedanken in die Feder, gab ihm die genauesten Anweisungen, wie er die Instrumentirung machen sollte und ließ unter seinen Augen gleich Alles ins Reine schreiben. So gedieh das Werk bis zur Schlußnummer und da diese nichts anderes ist als die Wiederholung des Anfangs, so ist es begreiflich daß schon vier Tage nach Mozarts Tode eine Reinschrift der Partitur von Süßmayrs Hand an Leutgeb übergeben werden konnte, sowie daß in den letzten Tagen des Spätherbstes 1791 (d. h. vor dem 22 Dec.) die erste Aufführung des Requiem in Wiener-Neustadt im Hause des Arztes Obermeyer probirt werden konnte.«
So glaubt man Geschichte zu schreiben.
1 Zwischen Härtel und Süßmayr fand über das Requiem sonst keine Correspondenz statt, sowie auch von der Wittwe Mozart keine weitere Mittheilung über die Entstehung des Requiem gemacht wurde.
2 Dies ist ein Irrthum Stadlers (S. 698f.).
3 Damit stimmten auch die von André im Vorberichte seiner Partiturausgabe im Jahr 1827 (Cäcilia VI, S. 209ff.) gegebenen Aufklärungen in allen wesentlichen Punkten überein.
4 Dies ist bekanntlich ein Irrthum Krüchtens.
5 Nicht zu rechtfertigen aber ist es, wenn Marx (Berl. Mus. Ztg. 1826 S. 270) deshalb Stadlers Schritt »jeder weiteren Erwähnung unwürdig« erklärt, und das Zeugniß über Factisches, von welchem die endgültige Entscheidung abhängt, bei Seite schiebt, weil der Zeuge sich nicht artig betragen hatte.
6 Auf Stadlers »Nachtrag zur Vertheidigung der Echtheit des Mozartschen Requiem« (Wien 1827 vgl. A. M. Z. XXVIII S. 105ff. 729ff.) antwortete Weber (Cäcilia VI S. 133ff.) und gab fernere Erörterungen (eb. S. 193ff.) auf Veranlassung der Andréschen Partiturausgabe (vgl. Cäcilia VIII S. 55ff.). Die sämmtlichen Verhandlungen wurden besonders abgedruckt als »Ergebnisse der bisherigen Forschungen über die Echtheit des Mozartschen Requiems« (Mainz 1826) und »Weitere Ergebnisse« (Mainz 1827).
7 Hiergegen that auch Marx emphatisch Einsprache (Berl. Mus. Ztg. V S. 121ff.), worauf Weber eine »Nicht-Erwiederung« folgen ließ (Cäcilia VI S. 141ff.).
8 Hier mag wörtlich eingeschaltet werden was als Erzählung Ben. Schacks, die er lange vor dem Weberschen Streit seinen Bekannten mittheilte, von einem seiner Freunde bekannt gemacht ist, der ihm auch Nissens Aufforderung sein Zeugniß in der Angelegenheit abzulegen gegen Ende 1825 überbracht hatte, wozu sich Schack indessen nicht entschließen konnte (A. M. Z. XXIX S. 250f.). »Mozart erhielt für die Composition des Requiem 50 Ducaten, die Hälfte davon vorausbezahlt. Da ihm keine Eile in der Arbeit anbefohlen war, so reiste er in der Zwischenzeit noch nach Frankfurt [Prag]. Den größten Theil seines Requiem schrieb er auf der Laimgrube im Trattner'schen Garten. So bald er eine Nummer vollendet hatte, ließ er sie sogleich singen und spielte dazu die Instrumentation auf dem Pianoforte. Selbst an dem Vorabende seines Todes ließ er sich die Partitur des Requiem noch zum Bette hinbringen und sang (es war 2 Uhr Nachmittags) selbst noch die Altstimme; Schack, der Hausfreund, sang, wie er es denn vorher immer pflegte, Sopran, Hofer, Mozart's Schwager, den Tenor, Gerle (später Bassist in Manheim) den Baß. Sie waren bey den ersten Tacten des Lacrymosa, als Mozart heftig zu weinen anfing, die Partitur bey Seite legte und eilf Stunden später (um 1 Uhr Nachts, den 5ten December 1791) verschied.«
9 Hierüber sagt Rochlitz (A. M. Z. XXV S. 687f.): »Es ist bekannt daß Mozart vor der gänzlichen Vollendung seines Werkes der Tod abrief, daß darum einige Sätze vor der Rückkehr des Requiem ganz fehlen, andere, wie Sanctus, Pleni sunt coeli nur im ersten Entwurf angedeutet von ihm hinterlassen und dann von Süßmayr, damals seinem Hausgenossen und Gesellschafter, nach diesen Andeutungen ausgeführt wurden; der denn auch den Schluß des Ganzen durch Wiederholung und geringe Abänderung der zwei ersten Sätze hinzusetzte. Süßmayrs Arbeit ist nicht zu tadeln: aber man kann unbedenklich behaupten, Mozart hätte jene Andeutungen noch ganz anders und viel weiter ausgeführt. Bedürfte dieses eben erst noch eines Beweises von außen her, so würde dazu dienen die bis dahin vollkommen durchgeführte Symmetrie aller Theile des Werkes gegen einander, die aber hier nicht mehr befriedigend gefunden wird; es würde dazu dienen besonders das Sanctus und Pleni sunt coeli, die zwar gut, aber – eben sie! – die schwächsten Sätze des Werkes sind, und bei denen daß sie Mozart weiter und großartiger ausführen wollen, selbst aus dem köstlichen, lang gehaltenen, milden Benedictus einleuchtet, das ihnen ja als Gegensatz zugegeben war.«
10 G. L. P. Sievers Mozart und Süßmaier, ein neues Plagiat dem erstern zur Last gelegt und eine neue Vermuthung die Entstehung des Requiems betreffend. Mainz 1829. 8.
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