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Im ersten Dezennium des neuen Jahrhunderts sind zwei Brahms-Gesellschaften ins Leben getreten: im April 1904 in Wien eine
»Brahms-Gesellschaft«
schlechthin, im Mai 1906 in Berlin eine
»Deutsche Brahms-Gesellschaft m.b.H.«.
Die Wiener ging aus einem engeren Komitee hervor, das am 16. April 1904 zusammengekommen war, um über die Gründung eines Brahms-Archivs und -Museums zu beraten. Es bestand aus den Herren: Hofrat Adolf Koch von Langentreu, Hof- und Gerichtsadvokat Dr. Erich von Hornbostel, Generalkonsul Dr. Gotthelf Meyer, Artur Faber, Dr. Viktor von Miller zu Aichholz, Archivar Dr. Eusebius Mandyczewski und Schriftsteller Max Kalbeck. Ein von dem letztgenannten verfaßter Aufruf hatte den Erfolg, außer den Mitteln zum Ankaufe der Brahmsschen Wohnungseinrichtung noch einen Betrag für die Erwerbung aus dem Nachlasse des Tondichters einzubringen. Zur dauernden Erhaltung dieser Akquisitionen empfahl sich die Konstituierung einer größeren Gesellschaft. Ihre am 23. April 1904 tagende Plenarversammlung wählte die oben erwähnten sieben Herren in den Ausschuß und unter ihnen Dr. von Miller zum Präsidenten.
Die Gesellschaft zählte im ersten Jahre 13 Stifter, 46 Gründer und 136 Unterstützende Mitglieder. Nach § 3 der Statuten sind Stifter Personen, welche 100 Kr., Gründer solche, die 20 Kr., Unterstützende Mitglieder, die 2 Kr. Jahresbeitrag zahlen. Der Zweck der Brahms-Gesellschaft ist nach § 1 der Statuten: die Erhaltung des Andenkens an die Persönlichkeit des Tondichters Johannes Brahms. Als Mittel zur Erreichung jenes Zweckes nennt der § 2: die möglichste Erhaltung der von Brahms in Wien benutzten Wohnung; die Sammlung von Schriften, Büchern und anderen Gegenständen, welche Beziehung auf Brahms haben; die Förderung der ihn betreffenden Literatur; Vereinbarungen mit der »Gesellschaft der Musikfreunde in Wien« über die Anwendung dieser [553] Mittel, wobei in Aussicht genommen wird, die archivalischen Erwerbungen in die Obhut oder auch in das Eigentum der »Gesellschaft der Musikfreunde in Wien« zu übergeben, sofern diese die ungeteilte Erhaltung der in ihrem Archiv deponierten Brahmsiana für Wien gewährleistet.
Durch namhafte Zuwendungen von seiten des Brahms-Denkmal-Komitees in Wien und Dr. von Millers bereichert, konnte die Gesellschaft daran denken, das beabsichtigte Museum mit der Zeit aus eigenen Mitteln zu erbauen, wenn etwa die »Gesellschaft der Musikfreunde« nicht in die Lage kommen sollte, die zur Aufstellung der gesammelten Reliquien erforderlichen Lokalitäten herzugeben. Die schwere Erkrankung und der frühe Tod des am 14. Mai 1910 verstorbenen Gründers, Gönners und Förderers der »Brahms-Gesellschaft« sowie die verzögerte Übersiedlung des zur »K.k. Akademie der Tonkunst« erhobenen Konservatoriums der »Gesellschaft der Musikfreunde« ließen die Angelegenheit in suspenso. An v. Millers Stelle zum Präsidenten der »Brahms-Gesellschaft« gewählt, plädierte Max Kalbeck für Zusätze zu den §§ 1 und 2 des Vereinsstatuts, die dahin gehen, daß neben der Erhaltung des Andenkens der Persönlichkeit des Tondichters Johannes Brahms auch die möglichst würdige Popularisierung seiner Kunst angestrebt werden und zu diesem Zwecke von seiten der Gesellschaft Aufführungen seltener gehörter Brahmsscher Werke veranstaltet werden sollten. Am 24. März 1911 wurde die beantragte Statutenänderung von der Plenarversammlung zum Beschluß erhoben.
Im Ausschuß der allmählich auf 353 Mitglieder angewachsenen »Brahms-Gesellschaft« funktionieren gegenwärtig neben dem Vorsitzenden als Vize-Präsident Hofrat Adolf Koch, als Kassier Dr. Paul Julius Magg, als Schriftführer Dr. Ferdinand Scherber und Richard Heuberger, als Beisitzer Carl Lafite, Dr. Eusebius Mandyczewski, Franz Regenhart von Zapory und Hofkapellmeister Franz Schalk.
Durch Schenkungen und Ankäufe hat der Autographenschatz des Archivs sich bedeutend vermehrt. Fünf Konzerte und ein wissenschaftlicher Vortrag gaben während der letzten Jahre Mitgliedern und Gästen Gelegenheit, sich von dem erfolgreichen Streben und Wirken der Gesellschaft zu überzeugen.
[554] Seit der Erweiterung ihrer Statuten berührt sich die Wiener mit der Berliner »Deutschen Brahms-Gesellschaft«, ohne daß ihre Kreise einander störten. Denn diese zweite, am 7. März 1906 begründete, mit einem Stammkapital von 80000 Mk. ausgestattete Gesellschaft, die unter dem Protektorate des Herzogs Georg von Sachsen-Meiningen steht, und deren Ehrenpräsident Joseph Joachim bis zu seinem am 15. August 1907 erfolgten Tode war, führt nicht nur die Pflege des Andenkens an Johannes Brahms und aller auf sein Leben und Schaffen bezüglichen Dinge, sondern auch die Verbreitung seiner Werke in den Paragraphen ihres Statuts auf. Als Gesellschaft m.b.H. erkennt sie die Verwaltungsorgane ihres Aufsichtsrats und ihrer Geschäftsführung zugleich als ihren Vorstand an.
Ihm gehören an die Herren: Geheimer Kommerzienrat Alexander Lucas in Berlin als Vorsitzender, Hof- und Gerichtsadvokat Dr. Josef Reitzes in Wien als stellvertretender Vorsitzender, Geheimrat Professor Dr. Max Friedländer in Berlin, Justizrat Dr. Viktor Schnitzler und Generalmusikdirektor Fritz Steinbach, beide in Köln a. Rh. als Beisitzer. Geschäftsführer ist seit dem Tode des Herrn Hans Simrock († 1910) Herr Regierungsrat a.D.R. Chrzescinski in Berlin.
Der Gegenstand der Gesellschaft ist außer dem vorerwähnten Zweck der Erwerb der Urheber- und Aufführungsrechte an Werken des Tondichters Johannes Brahms. Demgemäß erwarb sie von den Brahmsschen Erben drei Gruppen von Werten:
1. Das Autoren- und Verlagsrecht an allen von Brahms hinterlassenen musikalischen Werken, soweit sie nicht veröffentlicht sind, jedoch zur Veröffentlichung für geeignet befunden werden sollten, nebst einer Anzahl diesbezüglicher, für die Herausgabe vorbereiteter Stichvorlagen.
2. Das Autorrecht an allen von Brahms geschriebenen Briefen und die Genehmigung, dieselben herauszugeben, soweit sie sich zur Veröffentlichung eignen.
3. Das bisher in Vertretung des Autors selbst den Erben nach Johannes Brahms zustehende Recht auf Bezug der Tantieme von den Aufführungen Brahmsscher Werke.
[555] Es verdient besonders hervorgehoben zu werden, daß es mit den Bestimmungen der »Deutschen Brahms-Gesellschaft m.b.H.« weniger auf realen Gewinn als auf die Materialisation idealer Zwecke abgesehen ist. In der Ausübung ihrer höheren Pflichten publizierte die Gesellschaft bisher folgende Werke:
A. Musikalien.
(Aus dem Nachlasse von Johannes Brahms.)
1. »Sonatensatz« (Scherzo aus der Düsseldorfer F-A- E-Sonate von 1853).
2. »Ellens zweiter Gesang« (Fr. Schubert), für Sopransolo, Frauenchor und Blasinstrumente gesetzt.
3. »Zwei Kadenzen« zu Beethovens G-dur-Konzert.
4. »Regenlied von Klaus Groth« (»Regentropfen aus den Bäumen«) in anderer Fassung.
B. Bücher.
I.
Johannes Brahms' Briefwechsel.
1. Band I und II. Johannes Brahms im Briefwechsel mit Heinrich und Elisabet von Herzogenberg. Herausgegeben von Max Kalbeck. Dritte, durchgesehene Auflage. Mit einem neuen Porträt der Frau von Herzogenberg.
2. Band III. Johannes Brahms, Briefwechsel mit verschiedenen Freunden (Max Bruch, Carl Reinthaler, Ernst Rudorff, Bernhard und Luise Scholz u.a.) Herausgegeben von Wilhelm Altmann. Zweite, durchgesehene Auflage.
3. Band IV. Johannes Brahms, Briefwechsel mit J.O. Grimm. Herausgegeben von Richard Barth. Zweite, durchgesehene Auflage.
4. Band V und VI. Johannes Brahms, Briefwechsel mit Joseph Joachim. Herausgegeben von Andreas Moser. Zweite, durchgesehene Auflage.
5. Band VII. Johannes Brahms im Briefwechsel mit Hermann Levi, Friedrich Gernsheim, sowie den Familien Hecht und Fellinger. Herausgegeben von Leopold Schmidt.
[556] II.
Johannes Brahms' Biographie von Max Kalbeck.
1. 2. – Erster Band. – Halbband 1 und 2. 3. Auflage.
3. 4. – Zweiter Band. – Halbband 1 und 2. 2. Auflage.
5. 6. – Dritter Band. – Halbband 1 und 2. 2. Auflage.
7. 8. – Vierter Band. – Halbband 1 und 2. 2. Auflage.
III.
Johannes Brahms als Mensch und Freund. Nach persönlichen Erinnerungen von Rudolf von der Leyen.
IV.
Brahms-Texte. Vollständige Sammlung der von Brahms komponierten und musikalisch bearbeiteten Dichtungen. Herausgegeben von G. Ophüls. Zweite, revidierte und ergänzte Auflage.
V.
Des jungen Kreislers Schatzkästlein. Aussprüche von Dichtern, Philosophen und Künstlern, zusammengetragen durch Joh. Brahms. Nach den Originalheften herausgegeben von Carl Krebs.
VI.
Joseph Joachim. Ein Lebensbild von Andreas Moser I und II.
Überdies setzte die Gesellschaft, und zwar mit dem schönsten Gelingen, eine besondere Ehre darein, von Zeit zu Zeit möglichst vollkommene und ergiebige Aufführungen Brahmsscher Werke zu veranstalten. Dem vom 10. bis 14. September 1909 in München abgehaltenen Ersten Deutschen Brahmsfeste folgte vom 2. bis 5. Juni 1912 ein zweites in Wiesbaden nach, und werden sich noch weitere in andern Städten anreihen. Aus aller Welt strömten die Besucher zu diesen an musikalischen Genüssen erster Ordnung reichen Weihetagen herbei, und jeder nahm den Wunsch mit fort, bald wieder eine solche Feier höchster künstlerischer Freuden zu erleben. [557] Dabei stellte es sich heraus, daß Brahms einer der seltenen Meister ist, die vermöge ihrer Vielseitigkeit und Universalität den Zuhörer durch Anhäufung ihrer Musik nicht ermüden. Frei von Manier, scheint er in jedem Werke ein anderer zu sein, und ist nur in der ihm eigentümlichen Kraft und Wahrheit des gewählten Ausdrucks immer derselbe.
Um auch nachwachsenden Geschlechtern die von Brahms selbst noch erprobte und gebilligte Überlieferung seiner Werke zu vermitteln, verteilt die »Deutsche Brahms-Gesellschaft« Stipendien an begabte Musikstudierende, zum Besuch ihrer Feste.
Neben der »Deutschen Brahms-Gesellschaft« besteht noch, im Zusammenhange mit ihr, als Tochterinstitut eine »Vereinigung der Brahmsfreunde«, die alle diejenigen umfaßt, die ohne Gesellschafter zu werden, in ein dauerndes Verhältnis zur »Deutschen Brahms-Gesellschaft« und innerhalb des Rahmens der »Deutschen Brahms-Gesellschaft« daran mitarbeiten wollen, das Andenken des Meisters zu pflegen und zu fördern. Die Mitglieder dieser Vereinigung bilden mit den Gesellschaftern den Stamm für alle Veranstaltungen der »Deutschen Brahms-Gesellschaft«.
[558] Die zweite Auflage des vierten Bandes war im Drucke schon zu weit vorgeschritten, als daß der Verfasser an zugehöriger Stelle (S. 354) folgendes hätte anmerken können.
Herr K. Holle, städtischer Musikdirektor zu Lippstadt in Westf., machte mich darauf aufmerksam, daß sich in dem, 1863 zu Paderborn bei Schöningh neu herausgegebenen »Manuale Rit. Rom.« die Melodie eines Miserere vorfindet, die ziemlich notengetreu mit dem Anfang von »In stiller Nacht« übereinstimmt. Aus der Mensural-Notenschrift in die heut gebräuchliche umgesetzt, lautet die Tonreihe mit dem lateinischen Texte (Psalm 51):
Dieses Miserere, aus uralter Zeit stammend, wird, wie Herr Holle weiter meldet, noch jetzt als Officium für die Verstorbenen bei Beerdigungen in westfälischen Landgemeinden von der Kirche oder dem Trauerhause aus bis zum Grabe gesungen. Brahms konnte, so meint Herr Holle, den Gesang auf seinen Streifzügen durch den Teutoburger Wald oder auch in Hamburg selbst vernommen haben, da seine Vaterstadt bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts zum Bistum Paderborn gehörte und 1850 Osnabrück zugeteilt wurde.
Ziehen wir die von Brahms, wie oben erwähnt, in zwei Fassungen, als a capella-Chor und als Lied für eine Singstimme mit Pianofortebegleitung, vorliegende Komposition »In stiller Nacht« zur Vergleichung heran. Ihre ersten acht Takte, die zunächst in Betracht kommen, enthalten nach der zweiten Lesart die Melodie:
[559] Jedermann erkennt, daß ein näherer verwandtschaftlicher Zusammenhang zwischen 2 und 1 besteht. Die jüngere Melodie (2) verdient die schönere und reichere Tochter ihrer schlichten Mutter (1) genannt zu werden. Sie läßt sich als rhythmische oder numerische Vergrößerung der alten Litanei deuten. Aus den zweimal zwei Viervierteltakten von 1 sind die viermal zwei Dreihalbetakte von 2 geworden, und zwar wurden bei 2 durch die Wiederholung, beziehungsweise Verdoppelung des ersten und dritten Taktes vier neue Abschnitte (a und a1, c und c1) in die Melodie gebracht, ohne daß die Hauptzäsur (hinter b) dadurch an Gewicht verloren hätte. Der erste und entscheidende Schritt vom Volkssange zum Kunstliede war somit, wenn nicht getan, so doch angebahnt. Schon jetzt glauben wir den Stollen eines Minne- oder Meisterliedes vor uns zu haben, das sich in seinem musikalischen Aufbau und Ausdruck ebenso charakteristisch von der alten leierigen und holperigen Begräbnisweise unterscheidet wie der aus Friedrich Spees »Trutznachtigall« entlehnte, gründlich durchgebildete, sein gegliederte, mit drei verschlungenen Reimpaaren ausgestattete Text von der lateinischen Psalmstelle. Vorgebildet findet sich die von Spee mit besonderer Liebe gebrauchte Strophe, die im epischen Vers des Mittelalters wurzelt, ziemlich häufig bei den Minne- und Meistersängern. Wir erinnern an die »große Tagweise« des Grafen Peter von Arberg, an den »gekrönten Ton« Regenbogens, an Muscatbluts »alten Ton«, an die Reimspielereien Peter von Richenbachs u.a.m.
Zum Mittelgliede zwischen dem Miserere und dem von Brahms ans Ende seiner einstimmigen Volkslieder hingesetzten »In stiller Nacht« bietet sich das im »Kölnischen Gesangbuch« [560] (herausgegeben von A.G. Stein 1852) enthaltene Lied »Bei finstrer Nacht« an. Es steht der Litanei näher, weist aber mit den von Brahms beibehaltenen Nebenzäsuren direkt auf diesen hin:
Den Herausgebern des Gesangbuches war es vor allem um die Wiederbelebung des kirchlichen Volksgesanges zu tun. Es waren ihrer außer dem genannten Albert Gereon Stein mehrere Pfarrer der Stadt Köln daran beteiligt, musikalisch und poetisch bewanderte und geübte Leute, die sich wohl getrauen durften, die Litanei und den modernisierten, von Spee erheblich abweichenden Text einander anzupassen. Ein in der Vorrede erwähntes, von den Jesuiten verfaßtes altes, als verschwunden beklagtes »Geistliches Psälterlein« mag ihnen vorgearbeitet haben.
Wilhelm Bäumker, der im vierten, 1904 erschienenen Bande seines »Katholischen deutschen Kirchenliedes« die betreffende Nummer des Kölnischen Gesangbuches zitiert und als deren Quelle den »Psalm Miserere« angibt, merkt an, er habe von alten Leuten in Niederkrüchten (an der holländischen Grenze) nach derselben Melodie eine Passion singen gehört, die mit den Worten beginnt:
»Hier is het begin van het bittere lyden
Van onsen heer gebenedyden«
– ein Beweis mehr für die große Beliebtheit, deren sich die faßliche, dehnbare, leicht variable Melodie 1 von alters her in jenen Gegenden erfreute. Spee war am Niederrhein geboren, lebte als Zögling der Kölner Jesuiten selbst lehrend und dichtend in Köln und Paderborn; sein vierzehnstrophiger »Trawr-Gesang von der noth Christi am Oelberg in dem Garten« mag schon bei seinen Lebzeiten ins Volk gedrungen sein – die »Trutznachtigall« erschien erst 1649, vierzehn Jahre nach des Dichters Tode, der Trauergesang aber bereits 1635 im »Seraphischen [561] Lustgarten« zu Köln – und wie die Passion sangen seine Landsleute jenes exemplarische Trostgedicht lieber nach der ihnen geläufigen Melodie des »Miserere« als auf die in den späteren Drucken der »Trutznachtigall« vorgeschriebene.
Brahms kann immerhin den Gesang der Leidtragenden schon gehört haben – in Stimmheften des Hamburger Frauenchors ist das Lied »Totenklage« betitelt! – ehe er die bereits variierte Melodie in Verbindung mit Spees Gedicht von anderer Seite her neuerdings kennen lernte, sei es aus dem Kölnischen Gesangbuche, sei es aus den Sammelbänden F.W. Arnolds, des Elberfelder Volksliedforschers und Musikverlegers, mit dem er 1855 in Düsseldorf korrespondierte. In seinem handschriftlichen Nachlasse kommt ein kleines Heft mit Volksliedern vor, von denen viele zu den von »Professor Grimm und Dr. Arnold« gesammelten »Volksliedern aus dem Siebengebirge« herrühren. Dort ist unter dem Titel »Totenklage« das Lied »In stiller Nacht« – das Kölnische Gesangbuch schreibt: »Bei finstrer Nacht«, Spee: »Bei stiller Nacht« – notiert, und im Anschluß daran steht der Psalm »Miserere mei Deus« mit der Überschrift »Antiphonarium Coloniense« verzeichnet. Dabei ist die Tonart Es-dur angegeben, deren sich Brahms bei der vierstimmigen Fassung des Liedes bediente. Der Meister begnügte sich aber weder mit den vier Takten der vom Volk überlieferten Litanei noch mit der achttaktigen Erweiterung der dem Speeschen Text angepaßten Periode, sondern arbeitete selbständig daran fort und schloß das Lied künstlerisch ab. Nachdem er eine Auswahl der Speeschen Vierzeiler zu achtzeiligen Strophen zusammengezogen, die geistliche Passionsszene zur weltlichen Gartennacht eines trauernden und klagenden Gemütes erweitert hatte, erfand er den ergreifenden Abgesang, der dem Ganzen Form und Seele gibt, setzte die wunderbare Begleitung hinzu und machte sich so zum eigentlichen Schöpfer des von ihm bescheiden als Volkslied bezeichneten Meisterwerkes, als welches wir heute sein »In stiller Nacht« lieben und bewundern. Danach wäre, was wir auf S. 354 sagen, mehr zu ergänzen als zu berichtigen. Viel und Wesentliches wird ja an dem Sachverhalt durch die dankenswerte interessante Entdeckung Holles kaum geändert. Denn es ist schließlich gleichgültig, ob der glückliche Tondichter seine Eingebung »von oben« oder »von unten«, von Gottes- oder von Volkesstimme empfangen hat. Beide sind eins geworden in der frommen Kindesseele des von ihnen begnadeten Genies und zeugen für die Fälle seiner Kraft.
M.K.
[562] 1 Erfindung des satirischen Zeichners. Brahms hat niemals Karten gespielt.
2 Die Promotion an den englischen Universitäten unterblieb nur darum, weil sie in absentia nicht vollzogen wurde.
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